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Dom geruhigen Leben Es gehl nicht mehr Bon Dr. Karl Ssnnens' ein Ehe>a)eidung — drei Fälle in acht Tagen! Bon der Gaste her. Im Vorübergehen gesammelt. Aus dem Um fang meines Bureaus. Erster Teil. Bor vier Tagen ries sie an. Eine Katholikin. Der Bater wohnt in einer mit teleuropäischen Hauptstadt. Nicht in Berlin. Sie hat ihn neulich besucht. Er mar für sie nicht zu sprechen. Mit ihrer Mutter ist er geschieden. Er ist selbst Jude und hat jetzt eine Jüdin zur zweiten Frau. Sie lebt mit ihm in der ungenannten europäischen Stadt. Die erste Frau ist unterdessen nach Berlin zurückgckehrt. . Sie hat einen reichen Direktor geheiratet. Von irgendeiner Bank, die im Berliner Adreßbuch steht, und die ich nicht nenne. Ich nenne auch den Vornamen nicht, de» sie mir nannte. Nun! sind die beiden aber seit einem halben Jahre auch wieder geschieden. Und der reiche Bankdirektor hat sein Dienstmädchen geheiratet. Ich weiß den Vornamen und den Zunamen. Ich weiß auch, ob sie in Friedenau. Schö neberg oder Wilmersdorf wohnen. Ich verrate das nicht. Ich sage nur, daß sich die Tochter mühsam durchs Leben schlägt. Daß ich einen ergreifenden Brief von ihr an ihren richtigen Vater gestern in die mitteleuropäische Stadt geschickt habe, und ihn bat, sein Kind hier in Ber lin nicht zu vergessen. Die geschiedene Mutter kümmert sich auch nicht um sie. Der Bater, ihr geschiedener zwei ter Vater, ist vorläufig nicht mit dem Dienstmädchen li iert und denkt nicht daran, sich um das Kind seiner ersten Frau zu kümmern. Wie alt mag sie sein? Vielleicht acht zehn Jahre! Ganz auf sich gestellt. In dieser stellungs losen Zeit umhergehetzt. Auf die Mutter kommen zwei Männer? Auf den Vater zwei Frauen! Auf den ange heirateten Mann wieder zwei Frauen! Aber auf dieses schutzlose, feinfühlende, ernste Kind kommt kein Vater und keine Mutter. Zweiter Fall. Nach dein Vortrag sitze ich mit einem Freunde und seiner Frau bei einer Tasse Tee an dem hei misch beleuchteten Tisch. Wir sind draußen durch den wei ßen Schnee gewatet und freuen uns der warmen Stube, in dem kleinen Haus. An den Rändern Berlins! Irgend wo! Der Freund erzählt die Geschichte des Hauses. Un ter ihm wohnte der Diplomingenieur. Der zweite Mann dieser Frau. Ihr erster Mann war im Kriege gefallen Vor ein paar Jahren ging sie im Hochsommer an die Ost see. Eigentlich gegen seinen Willen. ^Lernte dort einen reichen Mann kennen, der ihr besser gefiel und wurde mit ihrem zweiten Mann einig, die Ehe zu lösen und den drit ten zu heiraten. Für den Scheidungsprozeß bot sich des letzteren Vetter als „Ehebrecher" an. Er beschwor seine Sache, und in einigen Minuten war die Ehe am Amts gericht Lichtenberg gelöst. Es war an dem Tage der 32 Fall. In Buchstaben: Der Zweiunddreißigste! Vom Amts gericht gingen die drei zum nächsten Kaffee und feierten miteinander den erivünschtcn Erfolg: Der zweite Mann, die geschiedene Frau, der Vetter, dessen Güte man das Er gebnis des Prozesses verdankte. Mein Freund erzählt weiter. Ihre Schwester wohnte auch in diesem Hause Verheiratet! Ihr Mann stand an der Front. Sie ver gaß ihn bald und wandte sich andern zu. Es wurde so auffällig, daß die Mutier den Schwiegersohn warnte. Aber der nächste Urlaub brachte eine rasche Versöhnung. Als er aus dem Kriege heimkehrte, Scheidung! Beide ein verstanden. Der erste Mann wurde Trauzeuge bei der Trauung mit dem zweiten. Zum Hochzeitsessen bestellte er außerdem ein großes Blumenarrangement. Dann starb sie an der Grippe. Die Nachbarn erzählten, daß die Rosen, die für Sterbozimmcr und Kränze aufgewandt wurden, rund zweitausend Mark kosteten. Zu den Leid tragenden, die die aufgebahrte Leiche besichtigten, gehörte der erste Mann. Die Trauer schien bei ihm und bei sei nem Nachfolger ungemessen. Aber nach ein paar Wochen begann er, der zweite, ein Verhältnis mit einem Dienst mädchen. Mit dem er heute noch zusammenlebt. Um unseren Teetisch wurde es still. So still, wie draußen auf den beschneiten Feldern. Uns stockte der Atem. Dritter Fall. Die Gemeindeschwester klopst an die Tür. Irgendwo im Ouergebäude. Irgendwo mitten in der Stadt. Nicht weit von zwei Bahnhöfen. In einem großen, grauen Quergebäude. In das selten elegante Besuche gehen. Sie wollte mit der Mutter sprechen. Da mit das neugeborene Kind getauft würde. Die Elter» waren seit November 1924 geschieden. Das Kind also außerehelich. Die Gemeindeschwester klopfte. Sie dachte, eine alleinstehende Frau mit ihrem kleinen Kinde zu fin den. Ein Mädchen öffnet. Zwei Kinder schauen mit ihn, durch die Türspalte. Das eine ist etwa 10 Jahre alt. Das zweite etwa drei. Sonst niemand zu Hause. Die Frau nur nachmittags zu treffen. Nach ein paar Tagen kommt sie wieder. Klopft wieder an die Tür. Nun ist die Mutter da? Im gleichen Zimmer der Mann und die Kinder. Der Mann mischt sich in das Gespräch. Die Schwester aber möchte die Frau, nicht ihn sprechen. Sie seien, sagt er. seit sechs Tagen verheiratet. Er Jude. Sie Katholikin. Ausländerin. Sieben Jahre älter als er. Als Mädchen war sie Mutter geworden. Daher das zehn jährige Kind. Dann heiratete sie ihren ersten Mann. In dieser Ehe wurde sie Mutter des zweiten Kindes. Des sen Vater ist aber der zweite Mann. Sie heiratete ihn nach der ersten Sckeiduna. Non diesem zweiten Mann Ach, diese täglichen Aufregungen und Verdrießlich keiten. diese großen und kleinen, groben und feinen Nä gel zu unserem Sarge! Alles scheint dazu geschaffen, uns zu plagen, zu ärgern und aus dem seelischen Gleichgewicht zu bringen. Von den lieben Mitmenschen gar nicht zu re den, die keine Gelegenheit unbenutzt lassen, uns ein Bein zu stellen oder widerliches Gift ins Gesicht zu spritzen: auch die unvernünftige und leblose Kreatur fühlt offenbar die Bestimmung in sich, uns auf Schritt und Tritt Ohrfei gen zu versetzen oder Rippenstöße zu erteilen, auf ihre Art. Schon in aller Morgenfrühe, ehe man recht den Fuß aus dem Bette getan hat. passiert einem irgend et was Dummes; weil man zu spät aufgestanden ist, hat man Eile und läßt in der Hast den Kamin fallen, daß ihm ein paar Zähne ausbrechen, oder man stößt das Gurgelglas über den Waschtisch, daß es in Scherben geht. Das gibt gleich die richtige Stimmung für den ganzen Tag. Dann kommt man, weil man sich wegen dieser Unfälle aufge halten hat, zu spät auf die Straßenbahn, und zu allein Verdruß fährt einem noch der nächste Wagen vor der Nase weg. So trifft man also eine Viertelstunde zu spät im Geschäft, in der Kanzlei, in der Fabrik ein und erhält einen Verweis oder einen roten Abzugsstrich in der Lohn liste. Jetzt ist der Kropf voll zum Ueberlaufen. Und er läuft auch sogleich über; denn es fehlt nicht an Anlässen, dem gespenstische» Herzen Luft zu machen. Man wird beispielsweise mit einer unnötigen Frage belästigt und tut dem arglosen Fragesteller unverblümt zu wissen, daß er ein Esel ist. was natürlich zu einer kleinen Aussprache mit wenig schmeichelhaften Artigkeitserweisen führt. Daß einem nach so verlebtem Morgen die Suppe versalzen oder das Gemüse zu heiß dünkt, ist wohl begreiflich. Der Köchin aber schießt es rot in den Kopf und sie läßt zur Strafe für die unzufriedenen Auslassungen die süße Zuk- kerspeise, die schon in der Küche wartete, unaufgetischt. Al so steht man mit saurem Gesicht vom Essen auf und geht mit heimlichem Grollen wieder an die Arbeit. In solcher Laune füllt auch der Nachmittag nicht zum besten aus: alle paar Minuten kommt ein Härchen in die Schreibfeder und verdirbt die ganze saubere Schreiberei, man verstaucht sich den Arm, von den gebrochenen Hosenknöpfcn ganz zu schweigen. Eines ergibt sich aus dein anderen. Und so steigt man nach kurzer, mißtöniger Abendunterhaltung, bis in die entferntesten Seelenwinkel tief verstimmt und tief gekränkt, ins Bett. Die gütige, stille, feierliche Nacht breitet ihre beruhigenden, sanften Hände über das zap pelnde Menschlein und wiegt es in heilsamen, nerven stärkenden Schlummer. Gebe Gott, daß morgen schön Wetter ist! Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so ernst wäre und nicht so viel Unheil und Unfrieden daraus entstünde. Diese kleinen Widerwärtigkeiten und Mißgeschicke ver- pfuschen manchem sein ganzes Leben, und uns allen spie len sie heute oder morgen übel mit. Jeder setzt sich ab und zu, auch bei größter Achtsamkeit, in die Brennesseln oder rührt an etwas, das ihn zwickt, kratzt oder beißt. Was ist da zu tun? Da ist vor allem Ruhe nötig! Wir müs sen uns viel zu erhaben dünken, als daß wir uns durch ein bedeutungsloses Mißgeschick aus dem Sattel werfen lassen. Ist das Brechen eines Hosenknopfes wirklich ein stammt außer dem dreijährigen das einwöchige Kind. Das letzte! Der dritte Mann, der das Zimmer mit ihr teilt, erklärt beide nunmehr als feine. Beide sind noch nicht getauft. Sollen auch nicht getauft werden. Viel mehr will die Mutter Jüdin iverden Sie bittet die Ge meindeschwester um ihren Rat. Wie sie aus der Kirche austreten und in die Synagoge eintreten könne. Er hält nicht aus synagogische Gebräuche. Aber hat Rassegesühl und will in der Gemeinschaft seiner Väter bleiben. Die Schwester sagt ihm und sagt ihr, daß man doch nicht mit den tiefsten Dingen so umgehen darf. Die man ererbt und erlebt hat. Daß man sich äußerlich lösen kann, aber darum doch nicht innerlich von der Kirche gelöst ist. Das zehnjährige Kind steht still in der Ecke. Erst ganz still. Dann kommt es zu Wort und erklärt deutlich und be stimmt. katholisch bleiben zu wollen. Irgendwo im Aus land ist es katholisch getauft worden. Irgendwo ihr Aus land hat es, siebenjährig, die erste Kommunion empfan gen. So braucht die Schwester es nicht zum Kommunion unterricht zu bitten. Es hat den Weg zum Heiland schon lange gefunden und ist ihm treuer geblieben als viele von uns. Wir neigen alle vor diesem Kinde uifter Haupt, und immer wieder steht das Bild der Zehnjährigen, wohin wir schauen, vor uns. Steht an des Tisches Rand. Dort, wo der eingeschriebene Brief liegt. Der heute morgen kam. Er schrieb ihn. Sie hat ihn, ich weih nicht, nach achtund- zwanzigjähriger oder nach dreißigjähriger Ehe verlassen. Lebt nun in Berlin. In einer Billa. Bei Verwandten. In vollem Wohlstand. An gedeckten Tischen. Vor kri- stallenen Gläsern. Zwischen Spiegeln und Blumen. Fährt gelegentlich in helliveißer Jacht die Havel hinab. Durch den Kanal und über die Ostsee. Bis nach Schweden. Geht ihrem Manne aus dem Weg. Beide sind katholisch. Bei de haben IN den dreikio Iabren. wenigstens äußerlich, ihr» solches Ereignis, daß wir uns dadurch einen schönen lan gen Tag unseres Lebens verekeln lassen dürfen? Hun dertmal handelt es sich bei den Aergerlichkeiten des All tags um nichts wichtigeres als einen Hosenknopf. Meist würden ein paar einfache Handgriffe oder einige Minuten geduldigen Wartens den ganzen Mißstand beheben, ohne daß wir uns darüber aufzuregen brauchten. Auch durch die größte Erregung können wir ja nichts ungeschehen machen, sondern nur die unangenehmen Wirkungen ver zehnfachen. Vielen derartigen Verdrießlichkeiten kann man durch Ordnung und Pünktlichkeit Vorbeugen. Wer rechtzeitig aufsteht, kann sich in aller Ruh« waschen und ankleiden, ohne in der Eile etwas zu zerbrechen, kann sogar noch gemütlich einen fehlenden Knopf annähen und doch rechtzeitig auf die Straßenbahn kommen, sich darin einen schönen Platz am Fenster aussuchen, früh im Ge schäft eintreffen und durch dieses pünktliche Erscheinei? einen liebreichen Blick seiner Vorgesetzten ernten; dieser sinnige Blick aus dem Auge der Vorgesetzten vergoldet dann das ganze Tagewerk un* legt sich sogar barmherzig und verklärend über einen verbrannten Pfannkuchen beim Mittagessen, was eine dankbare Erwiderung der schuld bewußten Gattin in Form eines besonderen Leckerbissens zur Folge hat. So vergeht der Tag in eitel Wonne und Süßigkeit. Und das alles für fünf Minuten früheren Aufstehens! Die allermeisten Widerwärtigkeiten entspringen einer Unordnung und Gedankenlosigkeit. Ich habe öfters mir angesehen, welche Szenen sich, an Sonntagabenden bei Schließung des Münchner Tiergartens abspielen. Von zwei oder drei Uhr an bummelt das verehrliche Publikum in aller Seelenruhe und Gemächlichkeit in dem pracht vollen Garten umher von einer Tiergruppe zur anderen; niemand würde diesen Leuten ansehen, daß sie es eilig haben. Aber laß sechs Uhr schlagen! Da stürmt eine vieltausendköpfige Menge aus dem Garten auf die Stra ßenbahn los, als stürzte hinter ihnen die Welt in Feuer und Rauch zusammen, als gelte es durch schleunige Flucht das nackte Leben retten; jetzt hat plötzlich alles höchste Eile, jetzt wollen alle in einem Nu zu Hause sein Es Ut schon zu wahren Kämpfen um die elektrischen Wagen mit nach folgenden Gerichtshändeln gekommen. Würde man die Tiere der Menagerie loslassen, sie würden sich gewiß mit mehr Ordnung und Ruhe ihren Ausgang suchen O Mensch! Solange du derart unvernünftig in der Welt umeinanderrennst und -torkelst, darfst du dich nicht wun- dern, ivenn du bisweilen den Kopf anstößt? Neun Zehntel der Aufregungen könnten wir uns er sparen, wenn wir uns ein ruhiges, geordnetes Wesen an gewöhnen wollten Mit ein bißchen Vernunft vermöchten wir den meisten Anlässen dazu aus dem Wege zu gehe», und mit ein wenig Selbstbeherrschung könnten wir die unverschuldeten, unvermeidlichen Mißgeschicke unschäd lich machen oder zum Guten wenden. Armer, gequälter Zeitgenosse und Mitmensch, sei nicht der Spieiball deiner zappeligen, zuchtlosen Nerven! Aus „Stunden der Stille" von Alsons Heilmann. Verlag Herder u. Co., Freiburg i. Br. religiösen Pflichten erfüllt. Der Sohn ist schon über zwam zig alt. Nun hat auch sie das Fieber ergriffen! Sie müsse von ihm los. Das sei kein Leben an seiner Seite! Sie brauche Freiheit. Sie reibe sich wund und könne das nicht mehr tragen! Die Dame im Grunewald! Wird das der vierte Fall in diesen acht Tagen? Geht die Auflö sung bis ans Mark? Wankt der Bau der Kultur bis in die Fundamente? Rast unter uns der Vulkan und ver finstert sich vor unseren Augen der Horizont. Zerbricht die Erde? Verschlingt uns diese Zeit? Ich habe ihr be stellen lassen, dieser bürgerlichen, gesättigten, wohlleben den Frau, sie möge mit mir in den Osten Berlins gehen. Ueber graue Stiegen. Durch dunkle Türen. In die Schatten der Keller, der Speicher und der ungeheizten Zimmer. In die schreiende Not und das brüllende Elend. Zu den Kindern im Chaos dieser Ehescheidungen! Zu den Menschen ohne Dach, ohne Güte, ohne Mutter. In die Höllen, die dort Tag für Tag aufwirbeln und Europa in Flammen fetzen. Ich fürchte, daß diese wohlhabenden Menschen das Spiel erst verstehen, das sie spielen, wenn ihnen die letzten Konsequenzen, die ausgereifte Frucht die schauerliche Logik ihres Spiels greifbar vor der Tür steht. Erst, wenn die Massen ihnen die Villen anzünden, werden sie begreifen, welche Saat ihr Beispiel gesät hat. Für die Menschen ohne Kirche gibt es keine andere Ant wort, als die Flammenzeichen des Umsturzes. In ihrem Schein aber steht eine Institution, eine Autorität, eine Verkünderin. himmeihochragendl In ihrer Unerbittlich keit wegsicher und schwindelfrei! Felsenfest! Die Kirchel Dieses Chaos, will es nicht in sich verbrennen und zer schellen und verfaulen, löst nur ihr Gebot. Das Gebot der unauflösbaren Ehe! Es gibt keinen anderen Weg der Sa nierung. Was in Europa noch Sinn hat für Erhaltung der Menschheit, für Schutz des Kindes, für Gesundheit der Kultur, muh zu ihr halten. Du hast recht, Zehnjährigei ..Ich will katbolikch bleiben!" Sonst zerbricht Guroval