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Sonnabend. de» 26. Dezember 162t! Brethnachtsbeilage Nr. 292; Seite 8 Gelegenhettsarbetter Bon Heinrich Kautz Eine Schar gewisser „Industriefalter" summiert sich aus zugezogenen, gerade nicht arbeitsfreudigen Elemen ten, aus den geistig Minderbegabten und aus den körper lich rückständigen jungen Leuten, linier ihnen finden sich die zigarettengraueu, hageren Kränklinge, die robu sten. schwer gebauten Boxertype». Als noch die große, freie Bautätigkeit der Vorkriegsjahre den sozialen Raub bau der Akkordarbeit uneingeschränkt trieb, da war die Blütezeit der Gelegenheitsarbeiter, kurzweg Handlanger genannt. Heute sind die Gelegenheitsarbeiter auf die Großbetriebe angewiesen. Den jungen Gelegenheitsarbeiter charakterisieren eine zugvogelgleiche Unrast, ein sehr vager Eigentums begriff und eine windige Pfiffigkeit des Umganges. Um gangston und Sprache sind glatt. Zu aller Arbeit sind diese Leute brauchbar und erwerben sich, die Unterbegab- teu ausgeschlossen, im Laufe der Zeit einen gewissen Handfsrtigkeitsdilettantismus. Sie „machen" in Elektro technik und Fahrradreparatur, in Asphalt- und Teerdach arbeiten wie im Anstreicherfach. Sie putzen Fenster und spielen Fuhrmann, Straßenbahner, Eisenbahner oder Schuster, Dachdecker usw. Die Industrie besitzt manchen Bauunternehmer, Kaufmann, Zeitunosredakteur, der Hel len Sinnes die Technik des Emporkommens anderen ab lauschte und mit Tollkühnheit ohnegleichen — auf rein gar nichts gestützt — sich einen Betrieb organisierte und eine Existenz gründete. Die Krisaszeit vor und nach 1918 mit ihrem Schieber- und Sch'eickhändlergegicht ward manchem aus der Gruppe der Gelegenheitsarbeiter eine Goldgrube. Es wurde geschoben und abermals geschoben, bis die Mittel reichten, fortzu'iehen, irgendwo sich ein Anwesen, einen gewerblichen Großbetrieb, ein Geschäft oder eine Firma zu erwerben, oder als stiller Teilhaber sich eine kette Dividende zu sichern. Der Gelegenheitsarbeiter stellt auch die überwiegende Zahl von „Industrierittern". Nach der Schicht werfen sie die Arbeit ab wie ein Kreusakleid. Nichts an ihnen erinnert noch an den Arbeiterstand. Sie treten in Noblesse und Eleganz aut, tragen gelbe Schuhe und Zickrafchal. suchen sich einen gesellschaftlichen Borrang auf dem Sportplatz, im Cast-, im Ballsaal der Industric- linge, im Falschmünzsrklub, im Einbrecherfach oder im radikalen Parteibereich. Man nennt sie Industrieritter, sie müßten besser proletarische Hocksta/ler heißen. Im Gegensatz zü diesen Emporkömmlingen ent wickelst sich die Minderbegabten der Gelegenheitarbeitev- > gruppe nach der ewig armen Seite hin. Sie werden be trogen von Kameraden und Kmnpanen, ausgenutzt und verlacht bei jeder Gelegenheit und zeigen gar bald die Waffen der Schwachheit: Verschlagenheit, Tücke, Hinter list, Bosheit und vor allem Lust zur Roheit. Da ein mil derndes, ansgleichendes Wirken der Religion sie nur zu einem ganz geringen Prozentsatz erreicht, werden sie das begehrte und gesuchte Mitläufer- und Fanalikerpublikum und damit gefährliche Schädlinge der menschlichen Ge sellschaft Düster und trostlos erscheint dieses Seelenbild, und doch ist auch hier viel Hunger und Durst nach Lickt und reinem Leben. Geduld und Güte, Güte und Geduld und dann etwas väterliche Sorge für die einzelnen, damit sie irgendwo ein sicheres Brot und eine gemütliche Heim stätte erhalten: denn die Menage und das Ledigheim sind gräßliche Wohnungsformen und schlimme Giftanger für die jungen Gelcaenheitsorbeiterseelen. Weil durchweg ein Milieu voller Armseligkeit in materieller und geisti ger Beziehung den Iungmannen der Gelegenheits arbeitergruppe umspannt wie das Spinnennetz unrettbar das Mücklein, gehört die Pädagogik der Gelegenheits arbeiter in den Bereich der sogen Schwerer,nehung. Un tersucht man nämlich fainilienbiologisch die Herkunft die ses Typus, so stellt sich heraus, daß hier ein Sammel surium von Schwachbegabter, Taugenichtsen und Voll blutproletariern sich vorfindet. Hier steht ein hoher Pro zentsatz vaterloser Sohne, Kinder ohne jedwede Fami- lienerziehung. hier befinden sich auch die Söhne armer, schlecht beratener, unbeholfener Witwen, die in ihrer Geldnot und Armut nicht auf die Arbeitsqualität, spätere Stellung usw. sehen konnten, sondern um der dickeren Lohntüte willen zu der ersten bestbezahlten Gelegenheits arbeit griffen. . . . Die sittlichen Gefahren, die den jun gen Menschen im Kreise der Gelegenheitsarbeiter erwar ten, bilden einen Ring wie von Eisen. Und doch! Jede Seele hat einen Engel und wartet in uneingestandener, geheimer Sehnsucht auf jenen zweiten in Menschengestalt, der sich eines Tages ihr beistellt und zuversichtlich spricht: Du bist mein Bruder — wir wollen »ns ausmachen und zum Vater gehen! . . . Aus: Heinrich Kautz. „Im Schatten der Schlote", Versuche zur Seelenkunde der Induslrie- jugeuo. VeUagsanstalt Benziger L Co.. Einsiedsln (Schiv.). Ziellose Sehnsucht Von Hermann Platz. «Ne und sv, vi« rinnen, ktiildien, NsuUSlc, Pickel. u c w. ,u vc-t-c>bkn, be-I-kt in «iixliciien W.sclmn««» mit der scM sn vsi, k-rrm-»n z Ls. Nedebeut. 6bcr?>l eMItüch. Kult u r ist die Fülle dessen, was die Menschen zu Herren der Erde und des Lebens macht. Sie hat Wert und Bestand, solange die Seele in ihr und durch sie ihre höchsten Aufgaben erfüllen kann. Sie zerfällt, sobald sie sich nicht mehr badet in Gottes leuchtendem Antlitz, und die Seele Gefahr läuft zu vergessen, daß sie von dort her Ziel und Weg, Bestand und Kraft, Maß und Grenzen er hält. Die moderne Kultur wollte Hohes, ja das Höchste, die endliche Beglückung der Menschen. Aber durch die Ausgaben, die die weltgeschichtliche Lage ihr zuschob, und durch die Erfolge, die ihr hierin beschieden waren, ver führt, geriet sie abseits von dem uraltheiligen Menschen weg in Schuld und Sünde, in Not und vielleicht in Tod. Sie hat sich erkühnt, die seelische Schicksalsfrage von dem metaphysischen Hintergrund loszulösen. Sie hat. um eine ihrem verweltlichten Geiste entsprechende Lösung zu gewinnen, den seelischen Befund optimistisch umzudeuten und aus eigener Kraft eine ungebrochene Linie vernünf tigen Fortschreitend herzustellen versucht. Sieglaubte, sich selbst erlösen zu könne n. Aber gerade dieser Selbsterlösunosglaube führte sie immer tiefer in die Niederungen gesellschaftlicher Zweck st r e b i g k e i t, wo die Seele sich so oft verloren hat. In folge der Verdunkelung der Mensckheilsziele wurde die ser Verlust nickt als solcher anerkannt, vielmehr im Hin blick auf die Menge der Leistungen in stolz verkündeten Gewinn verkebrt. Der rücksicktsstste Realismus aber war die unversiegbare Quell? einer unstillbaren Sehnsucht. „Es ist ein närrisch Ding, daß durchs Reale das Ideale gleichsäm aufgehoben wird: daher mag cs wohl kommen, daß den Modernen ihr I d e ei le s n u r a l s S e h n s u ch t erscheint." Das innere Ood- gesühl, das hinter gehäusier Leistung lauert, äußert sich in der Form der Sehnsucht, die himmelweit verschieden ist von der christlichen Sehnsucht, die in der Liebe zu Gott und Gottes Ordnung wurzelt und in seiner Gnade die Tragik ihres siindgebrocheuen Ausstiegs über windet. Gewiß, uralt wie die Welt, ist die Sehnsucht. „Wir wissen, da'. die ganze Schöpfung seufze und sich sehne mit Schmerzen immerdar." (Rom. L, 22.) Aber die moderne Sehnsucht birgt ungeheure Gefahr in sich. Dis Men schen gerieten in Flugsand des N i e f e r t i g w e r d e n s, ins Matz- und Planlose. Die Besten, die die tastende Un sicherheit der Gottesserne nicht ertragen und die Küm merlichkeit des Ichs nicht zum Maße der Dinge machen konnten, suchten in allen Höhen und Tiefen dieser Kultur nach dem Mythus des Absoluten, nach der Wurzel des Seins, nach dein Sinn ihrer Liebe, nach der Erfüllung ihrer Sehnsucht. Alles wurde nacheinander Gott u n d N e l i g i o n, stieg aus den Katakomben namenloser Unfatzbarkeit ans Licht des Tages, schuf sich Märtyrer und baute leuchtende Tempel hinein ins Land. Der Schwerpunkt wurde beständig verlegt, die Beleuchtung geändert, das Ziel verrückt, der Sinn umgedeutet, nicht in Nebensächlichkeiten, sondern in den Kernpunkten. Der Verstand glaubte vielleicht an die aufbauende Kraft einer neuen Liebe, aber die Seele konnte den Blütenstaub des Mehel mch§- sSRöLLM WM'ZM Die soziale Frage wird heute anders angesehen als vor dem Kriege. Wenigstens in den Kreisen, die die geistige Achsendrehung der Welt mitgemacht haben, die irgendwie aufgetan sind dem metaphysischen Druck, der auf uns lastet. Das will nicht sagen, daß die Führer da mals das Unzulängliche der sozialen Geschäftigkeit nicht erkannt hätten. Aber es fehlte an den Menschen, mit denen Besseres versucht werden konnte. Es fehlt bei allen fast jene tiefe Berührtheit, jene Aufgeschlossenheit, jener Wille zur Ganzheit und ganzen Wirklichkeit, die den Menschen erst zum rechten Organ der Gemeinschaft machen. Nasch werden die Generationen müde, die eben noch als so oder anders geartete Jugendbewegungen die Welt zu erobern und das Heil zu schaffen glaubten. So ist auch die soziale Generation heute müde. Die einen sind zur Politik, die andern zur Karitas, die dritten zur Liturgie übergegangen. Alle drei Uebergänge bedeu ten, wenn ich recht sehe, eine irgendwie geartete Flucht in die Form, die Unfähigkeit, der ewig beiveglichen, grausamen, ehernen Wirklichkeit standzuhalten, in dem konkreten Jetzt und Hier die Begegnung Gottes zu er tragen und die rechte Entscheidung zu treffen. Und ich nehme mich selbst gewiß nicht aus. Nun werdet ihr sagen: Die neue Generation hat die soziale Geschäftigkeit überwunden. Sie will lebendige Mittelpunkte schassen, aus Heiligtum und Familie, aus Kreis und Gruppe ausstrahlend wirken. Und das Le bendigsein ist sicher gut. Aber das Sicheinbetten ist oft ein Sicheinmummeln. Es gibt esn.Slcheinnmmmeln nicht nur in bürgerliche Behäbigkeit, sondern auch in jugend bewegtes Sonderwesen, in angelernte Problematik und Haltungsseligk^it. Es gibt künstlich geschaffene und über« Unendlichen nicht abschütteln. Die Bewegung war ihr kein Trost. Eine unausgesprochene Erwartung lag auf ihr. Während sie noch die Bilder und Reize der Kultur genoß, könnte sie die Mittagshöhe der Erfüllung nicht er reichen, denn es fehlte ihr, der allein sie erfüllen könnte, Gott. „Wir haben überall das Ziel verloren, in dem di» Dinge sich zusammenschließen" (Flaischlen). Während die Güter himmelan ragten und die Zeiten hinab Helden und Heilige in ihren Schatten zwingen möchten, erstand ein Geschlecht von Baumeistern, die mit seltenen Gebärden über ihr verlorenes Gemäße hinwegzutäuschen versuchten. Der Glaube an die all beseligenden Zukunftswunder der Kultur, der durch die Herrsä-aft des Entwicklungsgedankens so gewaltig ge- nährt wurde, die nüchterne Hingabe an Menschheit und Kulturarbeit gaben zwar der Seele oft Halt, aber keinen belebenden Atem, keinen bleiben den Frieden. Aus verzücktem Kulturbewußtsein und sich selber weiterpeitschendem Arbeitsgeist und Macht willen wuchsen immer von neuem Verkennung der dem Menschen gesetzten Schranken, Mangel jeglichen Sich« bescheidenkönnens, Hinausträumen in unbegrenzte Fer nen, in nie gekostete Feinheiten des Genusses, in nie ge ahnte Tiefen des Erlebens. DasVermögen, Gutes im Vorhandenen, Schönes im Maßvollen, Erstrebenswertes im Begrenzten zu fin den, schien abgestorben. Es war, als ob der Mensch seiner mütterlichen Freundin, der Erde, seiner Lehrmeisterin, der Geschichte, vergessen, kosmische Düfte eingsatmet Hütte, und davon berauscht, geheimnisvoller Sphärenmusik nachtastete. „Was uns die nächsten Jahre bringen werden, ist durchaus nicht vorherzusagen, doch ich fürchte, wir kommen so bald nicht zur Ruhe. Es ist der Welt nicht gegeben, sich zu bescheiden: den Großen nicht, daß kein Mißbrauch der Gewalt stattfinde, der Masse nicht, daß sie in der Erwartung allmählicher Verbesse rungen mit einem mäßigen Zustande sich begnüge." (Goethe an Eckermann, 25. Februar 1824.) War dies nicht alles mit lastender Schwere Uber uns gekommen? Wie groß ist heute die Zahl derer, die mit Taine ihr Leben nach den uralt einfachen Regeln hätten gestalten mögen: „Ich bin mir meiner Schranken be wußt?" Die gleich ihm „arbeiten", gehorchen, regelmäßig leben, nicht anspruchsvoll in Sachen des Glücks sein wol len? Der Goldstaub der Industriekultur liegt täuschend über allem Leben, die Seele aber ächzt, als ob sie leben? dig begraben wäre. Mit Hilfe unserer Erfindungen lei sten wir Erstaunliches im Raum, um angesichts unserer Stimmungen und Verstimmungen kläglich zu versagen. Die Kritik hat uns alle Fragwürdigkeit der Existenz rascher erkennen, die Verfeinerung aller Bitternisse tie fer empfinden lassen. lind dieses Mißverhältnis zwischen Kulturarbeit und Seelenertrag, zwischen kulturellen Großtaten und see lischer Verarmung ist das Tragische, was unsere Zeit erlebt und erleidet. Aus: GroWadi und MensüMlum. Verlag von Kösel »nd Pustet, München. ' steigerte Verfeinerung in gedämpfter Abgeschlossenheit, denen gegenüber die soziale Tat von ehedem heroische Leistung war. Wird so nicht das schwerste Opfer um gangen? Wir begeben uns in neue Gehäuse, erzeugen neue Behäbigkeit und Genüßlichkeit, neue Ausschließlich keit und Selbstgerechtigkeit in eben gefundenen, noch un erprobten Lebensformen. Sagen wir es uns immer wie der: Keine vorzeitige Flucht aus den alten Formen, ehe nicht ihr Sinn erkannt und das Beste herausgeholt ist, und kein nervöses Basteln an neuen; kein geschäftliches Experimentieren, kein ausschweifendes Hoffen und Pla nen. Sondern ruhiges Warten, einfaches, stilles Sich- bereit-, Sichoffenhälten und Iasagsn, wenn der Augen blick der Gnade kommt! Dann wird diesem sehnsüch tigen Geschlecht vielleicht einmal die echte Form des sozia len Menschens aufgehen, der zutiefst doch nichts anders sein kann als der religiöse Mensch. Dieser erst schreitet gottzugewandt, den Menschen helfend, wo und wie er kann, zwischen Fliehen und Warten der Ewigkeit zu. Aus: Hermann Platz: „Zwischen heute und morge n". Fraukes Buchhandlung, Habelschivevdt. finden schnell: 2-2 msl so susHiebiH wie Loknenksilee und lVislrksklee ist yuiets. Cr ergibt stets guten, billigen uncl dabei selbst Kindern u. Krsnken dekvmmlieken Kelle«. Ni»r >- i»»»-««»! o»ia iro nie . v«n> so . n»> ss m».. o-n» r» vi».