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Nummer 292 — 25. Jahrgang ümal wöch. Bezugspreis iiir Dezbr. 3.00 einschl. Pettellgeio Bnzelgenpreiie: Tie Igesp. Petilzeile 80 .Z. Stellengesuche 20 »Z. Die Petilreklamezeile. 89Mill!- iicter bre». 1 Lilerlengebühren für Selbstabholer 20 >Z. bei Uebersenoung ourch oie Post oußerSein Portozuschlag Einzel-Rr. 10 Sonnlags-Nr. 15 Geschästl. Teil: Friesrich Nieser in Dresoen. Vesrelen-S. Lrsger Ltr. 34 r^: »iinissvlniiikl 81 p ii m v 1 e Iii's»gUof' Sonnabend. 25. Dezember 1926 Im Falle höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung aut Lieferung sowie Erfüllung o An'.sigenoulträae» u. Leistung v Scl>aoenersah Für unoeull u s Fern ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ver«. aniworlung. Unverlangt eingesanoie u m Rückporto« nicht versehene Manuskripte wers nicht ausbewahrt. Sprechstunüe oer Neoaktion 2 3 Uhr nachmittags Haupljchristleit.: Dr. Joseph Albert. Dree-oeNt oSclchäflsstelle, Druck und Verlag: Sarvni». Lttchdruckcrei GmbH., Dresden dl. l, Pokirrstr^be 17» geruruf 2>ll>2. Poslfcheckkonlo Dresden 14797. Bankkonto: Dresdner Vank, Dresden. Für christliche Politik und Kultur Redaktion der Sächsischen Volközeltung DreSden-Altstadt L, PolieistrMe Fernruf 207U und L1012. Friede den Menschen! Zum Weihiuichtsfest werde» viele Friedensartikel ge schrieben. Die einen werden behaupten, dass der Friede in Europa nunmehr gesichert sei, das; die Mächte Euro pas auf dem besten Wege seien, dauernd jeden Krieg aus dem Leben der Völker aucnuschalten. Sie werden die berühmten „Marksteine der Weltpolitik seit 1M8" anfüh ren ^ London, Eens, Locarno. Thoiry und wiederum Eens. Andere werden skeptischer sein und die Friedensverspre chungen der Mächte mit größerer Vorsicht nehmen, sie werden in jeden Markstein „der Weltpolitik" ein Frage zeichen eingravieren und „die Entwicklung weiter ab- warten". Sie trauen der wetterwendischen Zeitgeschichte nicht und möchten keine falschen Propheten sein. Sie alle aber werden in ihrem Weihnachtsartikel das Wort „Frieden" immer wieder gebrauchen und die Idee dieses Friedens vor allein vom großen poli- tischen Standpunkt aus beleuchten. Vom Standpunkt der Völker aus. der Nationen. Mitten durch wird ein mal van dem Klang der Weihnachtsglocken gesprochen, von einer schneeweißen Winternacht und auch von dem Kind in Bethlehem — aber im nächsten Augenblick stehen schon wieder jene berühmten „größeren" Probleme zur Diskussion, und das geheime Feuer, das plötzlich in uns aufzubrenncn wagte, ist wieder tot. So sind die Weihnachtsbetrachtungen der Modernen. Für sie gibt es nur noch „größere Zeitfragen", nur noch Probleme, die von einer „höheren Wart e" aus betrachtet sein „wollen". Das eigentümliche ist nur. daß all diese Dinge und die Art der Betrachtung dieser Dinge die Herzen der Menschen kalt und leer lassen. Der Friede, den diese „Größen" predigen, ist zu abge schmackt, die hundert Feuer, die sie an allen Ecken an zünden, verbreiten keine Wärme und es bleibt trotzdem ganz hundekalt. Wie aber erwärmt uns ein einziger wirklicher Glockenklang der Weihnachtsnacht. — Wie ergreift uns dieser Schall so sonderbar. Und keine Nacht wölbt ihren Sternenhimmel so nah und doch so ganz erhaben über unsere Häuser wie diese Christnacht. Der elendeste unter uns besinnt sich auf sein eigenes Herz, und der Weit gereiste eilt an diesem Abend, um zeitig in seine Vater stadt, in seine Heimat zu gelangen. Das ist das eigen tümliche dieser Christnacht, daß sie mit ihren einfachsten Klängen, mit dem Laut eines Kinderliebes die vollste Sehnsucht in der Brust des Menschen löst. Es muß hier also um etwas Größeres gehen — um weit Größeres, als um jene „groben Weltprobleme" der modernen Zeitungsschreiber. Die einen m aIen den Frieden an die Wand, vermögen ihn aber nie zu bringen, — im anderen Falle schlägt dieser Friede selbst mit Ungestüm v o n 'i n n en he r an unsere Brust. Und wenn er auch zunächst nur eine ungewisse Sehnsucht ist, so drängt es uns doch gleich, darauf zu horchen, w o - n a ch die Sehnsucht geht. Wona ch wir plötzlich so ver langen. Das Wort Friede ist an sich sehr unbestimmt, und wer in schöner Sentimentalität sich von ihm betäu ben ließe, käme um nichts von seinem Fleck. Weshalb stürmt diese Sehnsucht auf uns ein — das ist die Frage. „Vor jedem steht ein Bild, des. das er werden soll, solang er das nicht ist, ist nicht sein Frieden voll." — Wel ches Bild? Wir glauben es sehr einfach sagen zu können. Das Bild seiner Jugend. Jene Maturreinhcit, die er in sich trug, als er noch behütet an der Hand seiner Mut ter ging. Weil dieses Bild nicht mehr s o in uns lebt wie es war — weil es überschüttet wurde, und mir nicht ver standen, den Charakter aus diesem Iugendbild zu formen, deshalb blieb auch der Friede nicht in uns. Und darum schlägt es an unser Herz in der Weihnachts nacht, auf das wir das Kind suchen gehen. — unser eigenes Kindesbild. — Nichts anderes will- unsere Sehnsucht. Für einen modernen Menschen, der das Ideal des Lebens in Zigaretten, Likören und Krawatten erblickt, ist diese Weihnachtsdeutung naturgemäß sehr „kindisch". Und dennoch übersehen diese Menschlein, wie lächerlich in Wirklichkeit ihr Benehmen ist, indem sie ihren Geist und ihre Seele dem Trödel des Alltags opfern und nicht einmal soviel Feuer in ihrem Inneren brennen zu lassen vermögen, um aus dem weichen herrlichen Ton ihrer Natürlichkeit das vollendete Bild der Männlichkeit zu formen. Als wir vor einem Jahrzehnt im Felde stan den und das Grauen des .Krieges durchlebten, klammer ten wir uns an eine einzige Hoffnung: daß nach dem Krieg die neuen Charaktere kämen, um der Welt ein neues Gesicht zu geben, wir glaubte», daß das Feuer der Schlacht auch die Menschen innerlich formen müsse. Und heute — 8 Jahre nach Kriegsende — hat die Welt zwar ein anderes Gesicht: jedoch nicht die Cha raktere bevölkern die Städte, sondern die Genußmen schen des Asttags. die Don Juan- und die Lulu-Gestalten. Tie neue Menschwerdung ist vor sich gegan gen. Aber man frage nicht, wie. Man sehe diesen Neulingen nicht in das Herz, es könnte einem übel wer den von dieser kindischen Leere. Und weil die Menschen sich heute soweit von der Na türlichkeit ihres Lebens entfernt haben, ist — man ver stehe das richtig — eine Angst vor dem Leben über sie gekommen. Es klingt paradox, widersinnig. Und dennoch: diese Angst vor dem Leben nistet in allen un fruchtbaren Seelen, in all den Heutigen, den Gegen wartsmenschen, die weder einen Anker in die Vergangen heit zu werfen vermögen, noch ein von starkem Sturm durchbraustes Segel in die Zukunft steuern können. Auch die Kapitalisten haben diese Angst, wenn sie sich über ihre Zahlen beugen, auch die „Gelehrten", die soeben vor einem auserlesenen Auditorium noch Gott leugneten, in Rhythmus und Schwung ihren Geist „blitzen" ließen, als seien sie die selbstzufriedensten Menscken'der Welt. So lange sie von ihresgleichen umgeben sind, solange sie sich in den Mechanismus des Tages stürzen dürfen, solange sie mit ihren Phrasen das Entzücken ihrer Zuhörer bil den. ist ihnen wohl. Aber sobald sie in der Einsamkeit ihrer Stube sitzen, oder in der dunklen Mitternacht er wachen — dann sind sie ängstliche Kreaturen. Dann. — wenn nichts von ihrem täglichen Schema übrig bleibt, empfinden sie die Leere ihrer Seelen und empfinden den Abgrund in sich selbst. Daraus steigt nichts empor wie Dunkelheit. Als läge ein geheimes Ungeheuer auf der Lauer. Das entstellte Angesicht des eige nen Ichs, des eigenen Iugcndbildes. So ist der Friede der eigenen Seele z e r st ö r t. Aus diesem Unfrieden mit dem eigenen Geist erwächst die Angst vor dem Leben. Bei den Armen und bei den Reichen kann sie zu Hause sein. Und die einen verkom men in der Armut und die anderen im Reichtum. Was fehlt ihnen allen? Das InnenIebe n. Sie vergaßen, daß aus dem winzigen Reich der Seele die ganze Welt geschichte geformt, gebaut und vollendet wird. Zum Glück oder zum Verderben eines Volkes. Und nur aus diesem kleinen, einzelnen Reich des Menschen erwächst die ganze echte Weihnacht mit ihrem Frieden, mit ihrer Kraft, in in dein Hotel, A e st a n r a n t oder Lafä, in dem Sie veriebren, die S. V. ans? Senden Sie uns geeignete Adressen zwecks Be lieferung und verlangen Sie überall unsere Aeitungl Zukünftigen Tagen das Leben zu meistern. Nicht das, was im „Glanz der Welt" sich irgendwo ereignet, ist rich tunggebend, sondern unser Charakter gestaltet das Wohl und Wehe der Welt. Diese Charaktere, diese Persönlich keiten aber werden alle Friedensapostel des sogenannten öffentlichen Lebens für Harlekine ansehen, die allerdings sehr gut in.unser Zeitalter passen, und im übrigen das Symbol der Blasiertheit niemals überschreiten. Man weiß doch allzu sehr, daß der „moderne" Mensch immer nur dann vom „höheren Standpunkt" aus zu reden vor- gibt, wenn er seine eigene Unzulänglichkeit verschleiern möchte, und man weiß, daß er immer dann das so schön klingende Wort vom „Frieden der Völker" in den Mnnd nimmt, -wenn er zu bequem ist, auch seine eigene Häus lichkeit, seinen eigenen Lebenskreis, seine Gedanken und sein Herz in die Ordnung dieses Friedens einzustellen. Wohl vermag er das rein sentimental — einmal im Jahr unterm Weihnachtsbauin. Vielleicht kommen ihm sogar die Tränen beim Klang der Glocken — aber sie kommen aus unentschlossenen Augen. Sie bereisen nicht seine Menschwerdung vor, sondern lassen nur den Abgrund ahnen, in den er sein natürliches Wesen hinunterstieß und dann von Jahr zu Jahr einen immer größeren Haufen von Schutt darüber warf. Freilich die ser Schutt ist nichts anderes, als die bequeme und gierige Alltäglichkeit.— unterbrochen von Hohlräumen aufge blasener Gedankenlosigkeit. Es ist nicht immer Gemein heit, was als Schutt über dem herrlichen Bild einer Ju gend liegt — nein, es ist sehr häufig der Auswurf eines verhärteten Herzens. Verhärtet durch nicht gemeisterte Echicksalsschläge. Aber darum ist ja Christus in der N a ch t geboren worden, darum blieb ja das Licht über der A e r m lich - keit und Verlassenheit eines Stalles stehen - - um anzudeuten, daß die Finsternis dieser Erde nichts ist, daß vor einem einzigen Stern des Himmels alle Irrlichter erbleichen, aller Irrtum dieser Erde verstummt, lieber dem Antlitz eines Kindes erscheint dieser Stern, nicht über dem Hause eines fleißigen „aufgeklärten Gelehrten", eines tüchtigen „Kapitalisten" — und auch nicht über dem Dache eines mit gierigen Augen nach dem Reichtum sei nes Nachbarn schielenden Armen. Es ist nur ein K i n d, das in Bethlehem in diesem Stalle wohnt. Wer in dieser Christnacht seine I u g e n d wieder findet, seine Natürlichkeit, der ist Mensch ge- w o r d e n. Aber bedenken wir dieses: es nützt uns nichts, wenn uns die Weihnacbtslieder zu einer romanti schen Schwärmerei bewegen, es nükt uns nichts, wenn wir nur diese eine Nacht lang gerührt und selig allen Glockenspielen lauschen und in das Licht der Ker zen blicken, nein es nützt uns wirklich allzu wenig, wenn wir das „Friede den Menschen" über alle Krippen und auf alle Ansichtskarten schreiben und uns ein halbes Dutzend Predigten anhören, die alle mit diesem Molto schließen — die späte r e r a uhe Wirklichkeit bringt die M a r k st eine des Lebens. Und erst in die ser rauhen Wirklichkeit wird es sich offenbaren, ob mir mit hohlem oder mit ganzem Herzen in der Christnacht in die Zeit der Jugend und zu dem K i n d von Beth lehem flüchteten. Weihnachtsfeiern sind für die meisten nur noch schöne Spielereien, angenehme Abwechslungen, man beschenkt sich, freut sich und sagt sich liebevolle Worte — klopfte im selben Moment etwa ein Bettler an ihre Tür, man entsetzte sich vor ihm. daß er in seiner Armut u. seiner Einfalt des Gemütes wagte, in das Haus eines „anständigen" Menschen zu treten. Und doch war das Kind in Bethlehem, zu dessen Ehren dieses Weihnachts fest „veranstaltet" wird, das ärmste und das einfachste unter den Kindern. Wenn die Christnacht anbricht, so gehen wir aus die Suche nach unserem eigenen Selb st. — Alle so genannten „großen" Probleme verschwinden vor diesem so winzig scheinenden Problem, vor dem dereigenen Menschwerdung. „Friede den Menschen" ist ein herrliches Wort, aber der Engel, der es svrach, fügte etwas anderes hinzu: „D i e e i n e s g u t e n W i l l e n s s i n d." I. A.