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Nummer 30 — 36. Jahrgang - »mal wöch. Bezugspreis für Januar 3.00 »ft einschl, -öestellflkio Anzeigenpreise: Die lgesp. Petitzelle 80^, Stellengesuche SO .Z. Die Petitreklamezeile. 80 Milli- Meter breit, l Lssertengebühren für Selbstabholer 20 L. bei Uebersenvung ourch üie Post außeroem Portozuschlag Einzel-Nr. 10 L. Sonntags-Nr. >S L. Geschäfts. Teil: Friedrich Riese, in Dresden. Mittwoch. 2«.Januar 1927 Im Falle höherer Gewalt erlischt sebe Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v Anzeigenausträgeit u. Leistung v Schadenersatz. Für undeutl u. d. Ferm ruf Ubermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ve« antwortung. Unverlangt elngesondte u. m Rückporto nicht versehene Manuskripte wert» nicht aufbewahrt Sprechstunde der Redaktion 2 3 Uhr nachmittags Hauptschriftleit.: Dr. Joseph Albert. Dresdens Dolrsmtuna «SeschäfiSstell», Truck und Verla«: Saroiua- «uchdruckcrel GmbH., Dresden A. l. Poliersirotze 17» Feniruk 7IVI2. Postscheckkonto Dresden 11797. Vanktonto: Dresdner Bank, Dresden. Für christliche Politik und Lrullur Redaktion der Sächsischen Volks,ettun» DreSden-Mstadt 1. Potte: strotze 17. Fernruf 207» und ilvIL. klurikksur KKII5 Vre5cien-M. k-IrtltostellL I. 5. 14. I« Hsrreksllrtrske 31 v (Leke Oelicstts8tr., Neubau) PeilrastlunZ bis 12 Monate : lippSI'SlS Z Peilxalilun^ bis 12 IVionute LSmMrl,« Seksilplsttsn unrl »uknskmvn «>se 0s»r»>tla unel Sixttniscksn, XspsII« pisnor unct klügel in sroker Kurvl/skI — mivrnvsrtrvrung von snan^reml Was sie für Sorgen haben! Der Stimmungsrückschlag bei der Deutschen Volkspartei. Aus dem Reichstag wird uns geschrieben: Wir erleben augenblicklich etwas ganz Eigenartiges: die Deutsche Volks pari ei, die sich nicht genug berauschen konnte in ihrer Forderung, daß die Deutsch- nationalen unbedingt mit in die Regierung herein mutz ten, ist augenblicklich von einem furchtbaren Katzenjam mer befallen. Mit einem Male findet sie eine ganze Menge Haare in der Suppe! Und das haben ihr Gerüchte an getan, wonach zwischen Zentrum und Deutschnationalen über — kulturpolitische Fragen verhandelt wor den sei. Man hat es für gut befunden, insbesondere in Blättert«, die merkwürdigerweise samt und sonders dem Reichsautzenminister Stresemann nahestehen, und zwar einmal in der von ihm als parteioffiziöses Sprech organ benutzten „Täglichen Rundschau" in Berlin, sodann in der „Kölnischen Zeitung", ferner in der „Magdebur- gischen Zeitung" und im „Dresdner Anzeiger", den schwar zen Mann an die Wand zu malen. Bischöfe, Kar dinale, der Nuntius, ja selbst der Papst werden nun auf einmal von der deutsch-volksparteiltchen Presse in die politische Debatte über die Regierungs bildung hineingezogenl . . . Das ist eine überaus merkwürdige, aber auch über aus lehrreiche Sache! Man sieht, datz die alten kul turkämpferischen Instinkte in jenem, durch sein Verhalten schon in der Borkriegszeit berüchtigt gewordenen Teil des deutschen Nationalliberalismus noch überaus lebendig sind. Wenn sie bisher nicht in die Erscheinung treten, so einfach deshalb, weil es den betreffenden Kräften ratsam erschien, um ihrer eigenen Vorteile willen zunächst nicht weiter davon zu reden. Nun aber sind sie wieder da, die guten alten Bekannten von ehedem! Das ist für uns alle und namentlich für diejenigen, die auch aus den letzten acht Jahren nichts gelernt haben, eine in der Tat außerordentlich lehrreiche Angelegenheit. Es wird gut sein, wenn wir uns die „Geistes"-Strömun- gen, die nach dieser Richtung hin augenblicklich die Deut- scke Volkspartei durchziehen, einmal etwas näher an- sehen. Da ist zunächst das Blatt des Außenministers Stresemann, die „Tägliche Rundschau" in Berlin. Sie flüstert geheimnisvoll: „Offenbar haben die kirch lichen Mächte, die hinter und über dem Zentrum stehen und die Entwicklung seines linken Flügels ins halbsozialdemokratische Lager längst mit Sorge betrach teten. ein ernstes Wort mitgesprochen, und offenbar sind die Verhandlungen zwischen Zentrum und Deutschnationalen schon seit geraumer Zeit im Gange ge wesen, wenn man es auch bestreitet und natürlich auch in Zukunft bestreiten wird, da für solche Geschäfte nun ein mal traditionell das Halbdunkel vorgeschrieben ist." Des weiteren aber bringt dieses Blatt, das die Zu sammenarbeit mit den Deutschnationalen mit am lau testen gefordert hat, jetzt auf einmal es fertig, gegen die Zusammenarbeit mit den Deutschnationalen Beden ken kulturpolitischer Art geltend zu machen, und das geschieht in nachstehender geradezu klassischer Form: „Bedenken könnten entstehen, ob die Kulturfragen in diesem Kabinett eine einmütige Lösung zu finden ver mögen. namentlich wenn man das letzte Stadium des Zu standekommens dieses Kabinetts mit den heimlichen Ver handlungen zwischen Zentrum und Deutschnationalen sich überdenkt. Die Deutsche Dolkspartet tritt in dieses Ka binett jedenfalls als liberale Partei ein und wird da für zu sorgen haben, datz bei der Aufstellung des Regie rungsprogramms keinerlei Abmachungen und Bindungen in die Aufgaben des neuen Kabinett» hinelngeschmuggelt werden, die ihren liberalen Anschauungen zuwiderlaufen. Wir wissen nicht, ob das Zentrum mit den Deutfchmrtio- nalen üoer die Schule und über das drohende Reichs konkordat schon Verhandlungen gepslogen oder sich gar Weitgehende Einigung in den Fragen AutzenpoNlik» Republik, Reichswehr Keule Verhandlungen über die Kultur- und sozialpolitischen Fragen Berlin, 25. Januar. Im Laufe des Montag hat Reichskanzler Dr. Marx im Be.jeui der Minister Dr. Brauns und S tre> e-- mann mit dem Fünfer-Auslchuß der Deut sch natio nalen unter Führung von Graf Westarp über d'c Grund lage für die Regierungsbildung verhandelt. Bei v'e; n Besprechungen «ft Mnrr von »:m Zrntrumsmnnifrst nnsgegnngcn, das; von »ns, »v!e wir ausdrücklich s st« sielten wolle», nicht als ein Parteiprogramm, sonder» als «in Programm aller guten Deutschen an- gcshen wird. Demgemäss hat Reichskanzler Marx ganz, bestimmte. Präzise und programmatisch ansg7«n-7it tr Frage» an die Drutzchnatianal^n gehellt, welche di« Außen-, Innen», Kultur- nnd Sozialpolitik brtrrs'en. Für die Außenpolitik kommt für bas Zentrum nur in Frage die Anerkennung der Locnrno-Politik und die bindende Erklärung» daß diese Politik fortgesetzt werde, und daß loyale Mitarbeit im Völkerbund geleistet werden toll. Die Verhandlungen über diesen Punkt sind soweit gediehen, daß die Deutschnationalen wohl auf diesen Boden treten werden. Bezligl:ch der Innenpolitik ist ebenfalls insbe sondere über d.e Rechswehrfragen, die ja den Ausgangs punkt die,er Krisis bildeten, verhandelt worden und zwar auf der Grundlage der Erklärung, die Reichskanzler Marx noch als Chef der Regierung vor dem Sturz des Kabinetts abgegeben hat. Demgemäß wird die E n t p o l i>t i I i«- rung der Reichswehr durchzuiehen und di« Frage der Rekrutierung :n einer den Versas/nngsparteien ent« Iprcchenden Form gewährleistet werden. Auch hier dürften ich unübersteigliche .Hindernisse nicht mehr ergeben. Schwie riger sind ,chon die mit dem Schutze des Staates zusammen« hängenden Fragen. Hier verlangt Marx die Anerkennung des gegebenen Staates und die Zusicherung, daß dieser Staat auch gegen Verleumdungen und Beleidigungen ge« uhützt w.rd. des Staates, Das gilt insbesondere al>o vor allen Dingen auch für die Symbole die Farben. Da aber die Deutschnationalen mit allen Mitteln in die Regierung hineinwollen, wird man aber auch hier damit rechnen können, daß sie zustimmen. Am Dienstag werden die sozialen und kultur politischen Fragen behandelt. Es ist überaus be merkenswert, daß Schwierigkeiten in diesen Dingen nicht von den Deutschnationalen, sondern von der Deutschen Volks partei kommen, bei der sich offenbar kulturkämpserische In stinkte jetzt durchzusetzen beginnen. Bereits wird in diesen Krciisen damit operiert, daß das neue Kabinett sieben bis acht katholische Minister haben würde, und daß da» «ine Gefahr für die „Protestanten" i«i. P er s o n a l fr a ge n find noch nicht angeschnitten worden. Die Deutschnationalen wollen unter Umständen den Ernährungsminister und möglichst auch den Justiz minister besetzen, während sie das Finanzministerium dem Zentrum zu überlassen bereit wären, das aber in keiner W-Iise sich zu diesem Posten zu drängen geneigt ist. Als E r n ä h r u n g s m r n : ster werden die Deutschnario- nalen den Freiherrn von Stauffenberg Vorschlägen. Das Zentrum würde eine Verstärkung leiner politischen Position in diesem Kabinett darin sehen, wenn es neben, dem Kanzler auch den Innenminister besetzen könnte. Jedenfalls ist man im Zentrum nicht bereis, den Innen minister den Deutschnationalen, höchstenfalls der Deutschen Bolkspartes zuzugestehen. Aber auch die gerade jetzt viel umstrittene Justiz kann nicht in deutichnativnale .Hände komme». Fm ganzen kann man wohl damit rechnen, daß die Berhnndlungen eine» Verlauf nehmen werden, der da» Zuftandckr mmen des Kabinetts vom Zentrum l> s zu den Deutsch,mtionalen aber streng ans der Basis der im Zentrnnismanifest ausgesprochenen politischen, Wirtschaft« lichep und kulturellen Grundsätze ermöglicht. Marx hat am Montagnachmittag noch sehr eingehend mit dem Vorstand der Partei verhandelt und ihm Bericht erstattet. Die Zentrumsfraktion »ahm dann am Abend von dem Verlauf der Verhandlungen, die in ihren Einzel schon mit ihnen geeinigt hat: aber wir wissen, daß die Deutsche Volkspartei einseitig konfessionellen und reak tionären Plänen den schärfsten Widerstand entgegensetzen würde." Die volksparteiliche „Kölnische Zeitung" hält trotz der von den verschiedensten Seiten gegebenen Mitteilun gen, daß alle derartigen Aufzeichnungen leeres Geschwätz und eitel Geflunker war, ihre Behauptungen aufrecht und äußert sich dahin: „Gegenüber diesen Ableugnungen von den beteiligten Seiten, die sich vorwiegend mit den Personen der Ver- handlyngsfüyrenden beschäftigen, wird heute in anderen parlamentarischen Kreisen von angesehenen Persönlich keiten die Bel-auptung aufrechterhalten, daß schon seit langem, ehe überhaupt die Verhandlungen über die Bei legung der gegenwärtigen Regierungskrise begonnen hät ten, Besprechungen von erhebliäfer politischer und kul turpolitischer Tragweite zwischen einflußrei chen katholischen Kreisen des Zentrums und der Deutschnationalen unter Beteiligung des hohen Klerus gepflogen worden seien, und daß nur die bei diesen Gesprächen erzielte Einigung dem Zen trum die Möglichkeit gegeben habe, während der Krisen verhandlungen so schnell sein Steuer von links nach rechts herumzuwerfen. . . Wieder andere volksparteilicke Blätter vermuten hinter dem ganzen di« — I e s u i te n! . . . Da sind wir also glücklich wieder bet dem Kinderschreck der Bor- kriegszett angelangtl Kein Wunder, daß sich bei solcher Situation der Deut schen Volkspartei ein stattlicher Katzenjammer bemächtigt hat. Wir muffen der „Dossischen Zeitung" (Nr. 39) vom 24. Januar lchon recht geben, wenn sie folgende» aus führt: „Auffällig ist die merkwürdige kritische Zurückhal tung der Deutschen Bolkspartei. Sie war es. die die große Koalition zum Scheitern gebracht hat, die das Ka binett der Mitte zertrümmert und seit 1923 unentwegt auf ein Rechtskabinett hingearbeitet hat. Eigentlich müßte sie sich jetzt am meisten über die Erfüllung ihres mit aller Energie geförderten politischen Wunsches freuen. Statt dessen ist eine, man möchte fast sagen. Katzenjam merstimmung festgestellt. Sie ist zu verstehen, wenn man den wirtschafts- und sozialpolitischen Teil des Zentrums» manifestes prüft. Man ist in der Deutschen Bolkspartei auch nicht sehv entzückt über die Nolle, die man in der künftigen Koa lition. zwischen Deutschnationalen einerseits, zwischen Zentrum und Bayrischer Volkspartei andererseits, spie len wird. Die Deutsche Volkspartei würde, zwischen den anderen Koalitionsparteien eingezwängt, auf jede selb ständige Meinung und Politik verzichten müssen. Mäh rend sie bisher in den Kabinetten der Mitte eine aus schlaggebende Rolle gespielt hat, würde sie in der Mehr- yeitskoalition. so wie sie jetzt beabsichtigt ist, keinen nen nenswerten Einfluß mehr besitzen und nicht einmal in der Lage sein, durch Auftrumpfen oder Drohungen einen eigenen Willen durchzusetzen. Man ist in der Deutschen Dolkspartei so wenig ent zückt über dieses glänzende Ergebnis der Scholzschen Taktik, daß man kaum fehlgeht in der Annahme, datz die Deutsche Volkspartei am allerwenigsten unglücklich über ein Scheitern der Verhandlungen zwischen Zentrum und Deutschnationalen wäre. Dürften die Dolksparteiler heute offen aussprechen, was ihnen das Liebste wäre, sa würden sie zweifellos eine Koalition der Mitte mit der Fühlung nach links verziehen."