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Sächsische Volkszeitung : 07.07.1926
- Erscheinungsdatum
- 1926-07-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192607071
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19260707
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19260707
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-07
- Tag 1926-07-07
-
Monat
1926-07
-
Jahr
1926
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Mittwoch» 7.)uU ZMalMUMe UmMau Nummkr IK Seite 6 Eine Staffelung -er Kündigungsfristen Der Reichstag hat kurz vor feinen Ferien tx» folgende Gesetz beschlossen: 8 1- Die Vorschriften dieses Gesetzes finden Anwendung aus Angestellte, die nach 8 1 des Versicherungsgesetzes für Angestellte versicherungspflichtig sind oder sei» würden, wenn ihr Iahresarbeitsverdienst die Gehaltsgrenze nach tz 3 des Versichcrungsgesetzes für Angestellte nicht überstiege. 8 2. Ein Arbeitgeber, der in der Regel mehr als zwei An gestellte, ausschließlich der Lehrlinge, beschäftigt, darf einem An gestellten, den er oder, im Falle einer Rechtsnachfolge, er und seine Rechtsvorgänger mindestens fünf Jahre beschäftigt haben, nur mit mindestens drei Monaten Frist für den Schluß eines Kalendervierteljohres kündigen. Die Kündigungsfrist erhöht sich nach einer Beschäftigungsdauer von acht Jahren auf vier Monate, nach einer Beschäftigungsdauer von zehn Jahren auf fünf Monate und nach einer Beschästigungsdauer von zwölf Jahren auf sechs Monate. Bei der Berechnung der Beschästigungsdauer werden Dienstjahre, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt. Die nach Absatz 1 eintretende Verlängerung der Kündi gungsfrist des Arbeitgebers gegenüber dein Angestellten berührt eine vertraglich bedungene Kündigungsfrist des Angestellten gegenüber dem Arbeitgeber nicht. Unberührt bleiben die Bestimmungen über fristlose Kündi gung. 8 3- Kündigungen, die zwischen dem 15. Mai 1926 und dem In krafttreten dieses Gesetzes mit kürzerer als der im 8 2 Absatz 1 vorgesehenen Frist ausgesprochen sind, gelten als mit dieser Frist erfolgt. * Mit obigem Gesetz ist eine wichtige Aenderung in dem bis her bestehenden Künöigungsverfahren eingetreten. Mann macht erstmalig den Versuch, durch eine Staffelung der Kün digungsfristen entsprechend der Beschäftigungsdauer bei einer Firma den älteren Angestellten einen größeren Schutz vor dem Abbau zu geben. In dem Gesetzentwurf seitens der Regie rung war vorgesehen, das Gesetz nur Anwendung finden zu lassen auf diejenigen, die 40 Jahre alt sind und der Versiche rungspflicht nach 8 1 des Angestelltenoersicherungsgesetzes unter stehen. In dieser Fassung hätte das Gesetz leicht das Gegen teil von dem erreichen können, ivas es erreichen soll. Man wäre vielfach dazu übergegangen, den älteren Angestellten in Zukunft nicht mehr mit 40 oder 42 Jahren abzubauen, sondern ihn eben mit 39 Jahren abzubauen, und man hätte praktisch damit nur eine Verschlechterung für den Angestellten erreicht. Um aber trotzdem speziell den älteren Angestellten einen besonderen Schutz zu gewähren, hat man dem 8 2 hinzugefügt, daß die Be rechnung der Beschäftigungsdauer erst vom 25. Le bensjahre ab beginnt. Noch eine andere wichtige Aenderung hat die endgültige Fassung gegenüber dem Gesetzentwurf ge bracht. Die Negierung hatte vorgesehen, die Kündigungsfristen nicht für den Schluß eines Kalendervierteljahres festzuhalten, so daß bei einer dreimonatlichen Kündigungsfrist praktisch im Jahre 12 Kündigungsfristen möglich gewesen wären, während nach der neuen Fassung nur vier Kündigungstermine verbleiben. Ebenso wollte die Negierung den Arbeitgebern die Möglichkeit geben, die Kündigungsfristen zu verkürzen durch eine erhöhte Zahlung der Abgangsentschädigung, und zivar sagte sie: „Erhält der Angestellte eine Abgangsentschädigung und erreicht diese den letzten maßgebenden Monatsgehalt, so ist die Kündigungsfrist mindestens zwei Monate: erreicht sie den ein einhalbfachen Monatsgehalt, so ist die Frist mindestens sechs Wochen; erreicht sie den doppelten Monatsgehalt, so ist die Frist mindestens ein Monat." Bon diesem Gedanken hat man in der endgültigen Fassung dann Abstand genommen, da auch heute schon in vielen Fällen Abgangscnischüdigungen ge,zahlt werden müssen, die man den An gestellten erhalten will, ohne dadurch auf der anderen Seite ihre Kündigungsfristen zu verkürzen. Um den bei der Zusammenlegung in der Stahlindustrie in so großen Massen stellenlos gewordenen Angestellten wenigstens auch noch die Vorteile des neuen Gesetzes zu sichern, hat man die Gültigkeit rückwirkend bis auf den 15. Mai 1928 aus gedehnt. Es bleibt zu hoffen, daß das obige Gesetz nur der erste größere Baustein in der Fürsorge für die älteren Angestell ten ist. W. W. Verlängerte Amtsdauer der Beisitzer der Gewerbcgerichte und Kaufmannsgerichte. Im Reichstag wurde ein Gesetz ver abschiedet, nach dem die Amtsdauer der Beisitzer der Gewerbe- gerichte und Kaufmannsgerichte reichsgesetzlich bis zum Inkraft treten eines Arbeitsgerichtsgesetzes, längstens aber bis zum 81. Dezember 1027, ausgedehnt wird. W. W, Die ungarische Bo-enresorm (Von unserem Berichterstatter.) Budapest, Anfang Juli. Auster Rußland war vielleicht in keinem Lande die vorkriegliche Verteilung des Bodens so ungesund, wie in Ungarn, lieber 30 Prozent des gesamten Grundes lag in der Hand des Großgrundbesitzes und des Groß kapitals. Da aber das Land ein Agrarstaat war, mußte dieses ungesunde Verhältnis notwendigerweise zur Aus wanderung und zum Atzrarsozialismus führen. Laut amtlichen Ausweises sind aus Ungarn bis vor dem Kriege jährlich über 100 000 Personen nach Amerika ausgewandert. Sie konnten sich in dem sonst reichen und nicht einmal dicht bevölkerten Lande nicht ihr täg liches Brot verdienen. Wer nicht auswanderte, war ge zwungen. als Tagelöhner sein Leben zu fristen. Da aber der Großgrundbesitz mit modernster wirtschaftlicher Aus rüstung arbeitete, wurden die Hände der Tagelöhner und Feldarbeiter allmählich überflüssig. Einen zu eigenem Bedarf nötigen Grund sich anzukaufen, vermochten die Kleinbauern und Feldarbeiter nicht, weil sie mit dem Großgrundbesitz und dem Großkapital, das den feilen Grund überall ankaufte, nicht konkurrieren konnten. Notwendigerweise setzte daher unter den Kleinbauern und Feldarbeitern eine Unzufriedenheit ein, die von den sozialistischen Gewerkschaften für Parteizwecke geschickt ausgenützt wurde. Bei dieser Stimmung im Lande und an der Front setzte die gewissenlose, nur an die Leidenschaft appellie rende Tätigkeit Michael Karolyis ein. Er ver sprach Brot, stellte den Feldarbeitern und Kleinbauern Grund und Boden in Aussicht und erwarb sich auf diese Weise Uber Nacht die Sympathie weiter Massen. Es ist ganz sicher, daß Karolyi ohne die in Aussicht gestellte Bodenreform bei der Landbevölkerung kein Verständnis gefunden hätte, und daß der Bolschewismus ohne die Verteilung des Großgrundbesitzes schon in den ersten Ta gen zusammengebrochen wäre. Dieser Tatsache Rechnung tragend, hat die christlich nationale Regierung nach dem Kommunismus sofort das Bodenreformgesetz geschaffen, um eine gesunde Verteilung des Bodens zu bewerkstelligen und den Bo denhunger der Besitzlosen zu stillen. Im Sinne dieses Gesetzes haben auf Grund Anspruch die Kriegsinvaliden, Kriegswttwen und erwachsenen Kriegerwaisen, wenn sie kein Haus und keinen Grund haben, ferner die besitz losen landwirtschaftlichen Arbeiter, die selbständigen Zwerg- und Kleinbesitzer, wie auch die besitzlosen Hand werker. Die Kriegsinvaliden konnten 600 Ouadratklaf- ter als Hausstelle, die besitzlosen landwirtschaftlichen Ar beiter eine Hausstelle und drei Katastraljoch Grund — ein Katastraljoch 1400 Quadratmeter — und die Zwerg- besitzer 15 Katastraljoch beanspruchen. Außerdem wurde auch unter die Mitglieder des sogenannten .Heldenordens Grund verteilt. Es sei aber bemerkt, daß Mitglied des Heldenordens nur gewesene Soldaten mit magyarischem Namen, oder auch Deutsche, wenn sie vorher ihren Namen magyarisieren ließen, werden konnte. Die Aufstellung des unter das Gesetz fallenden Großgrundbesitzer hat das Bodenreformgericht bewerk stelligt. Zwei Sachverständige wurden mit der Abschätzung der Preise der zur Verteilung gelangenden Güter be traut. Der Preis mußte dann von jedem, dem der Grund zugewiesen wurde, in vollem Werte bezahlt werden. Mit Rücksicht auf die schwere wirtschaftliche Lage wurde aber in den meisten Fällen die Feststellung des Preises auf zehn Jahre verschoben. Bis dahin muß selbstverständlich ein fest bestimmter Pachtzins bezahlt werden. Die Ueber- gabe des Besitzes an den Anwärter erfolgte, wenn das ganze behördliche Verfahren zu Ende war. Das Bodenreformgesetz hat nur fünf Jahre Gültig keit. Diese Gültigkeit lief anfangs Juli ab. Allerdings werden die schon vor dem 1. Juli eingeleiteten Verfahren bis zu deren gänzlicher Regelung fortgesetzt. Bisher hat das Bodenreformgericht 850 000 Katastraljoch Grund zur Verteilung gebracht, wovon 670 000 Joch an ganz besitz« lose Tagelöhner, und nur 180 000 Joch an Kleinlandwirte gelangt sind. Dadurch ist erreicht worden, daß die Zahl der eigenen grundbesitzenden Ackerbautreibenden in den letzten zehn Jahren von 620 000 auf 840 000 erhöht wer den konnte. Von zehn Jahren umfaßte der Kleingrund besitz 7140 000, gegenwärtig aber schon 8 800 000 Kata straljoch. Bis jetzt hat das Bodenreformgericht nur zwei Drittel der Gemeinden mit Urteil erledigt. Wenn alle Gesuche vorgenommen sein werden, werden noch weitere 250 000 Katastraljoch verteilt werden können. Dieser Ausweis ist ein Beweis dafür, daß die Bo denreform trotz der Gegenaktion gewisser Kreise einen positiven Erfolg aufweisen kann. Wenn man aber bedenkt, daß von den 16 Millionen Katastral joch Rumpfungarns 6 Millionen auf den Besitz über 1000 Joch entfallen, daß ferner 36 Prozent der landwirtschaft lich erwerbenden Bevölkerung Besitzer und Pächter mit einem Besitz unter 10 Katastraljoch,'50 Prozent aber be sitzlose Arbeiter sind, so daß beide zusammen 86 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Bevölkerung aus machen, so wird das entworfene Bild ungünstiger. Die Gegner der Bodenreform haben ihr Möglichstes getan, um deren Durchführung zu Hintertreiben. Bei dem Einfluß, den das Nationalkasino in Ungarn auf die Poli tik hat, war ihr diesjähriges Bemühen nicht erfolglos. Viel mehr aber hat der Bodenreform die schwere wirt schaftliche Lage geschadet. Der große Geldmangel wie auch der Mangel an Kredit haben vielen, die zu Boden gekommen sind, nicht ermöglicht, daß sie den Ablösungs preis bezahlen, sich die nötigen Wirtschaftsgeräte ver schaffen oder auf der ihnen zugemessenen .Hausstelle ihr Haus bauen. So sind z. B. von den 170 000 ausgeteilten Hausstellen nur 30 000 verbaut, weil den meisten das Geld zum Bauen fehlt. Wenn auch nicht i» dem Maße, verhält es sich doch ähnlich auch bei jenen, die 10—15 Joch Grund zugeteilt bekamen. Es ist schon vorgekom men, daß einzelne der Herrschaft den Grund zurück gegeben haben, weil sie nicht imstande waren, ihn zu be bauen. Die Bodenreform wurde aus sozialen Gründen ge schaffen. Auch wenn die Bodenreform für die Produk tion vorübergehend von Nachteil wäre. — was aber in Ungarn nicht der Fall ist, da der Großgrundbesitz nicht so sehr Weizen, wie vielmehr Zuckerrüben u. dergl. an baut, — hätte sie doch geschaffen werden müssen, denn sie hat ihr soziales Ziel erreicht, die Arbeitslosigkeit ver mindert. der Unzufriedenheit den Boden entzogen und die Zahl der unabhängigen Existenzen vermehrt Als im Jahre 1016 Bischof Prohaszka von Stuhlweißenburg in der ungarischen Landwirtschastsgesellschast eine Rede über die Bodenreform hielt, die ungeheures Aufsehen, er regte, schrieb die „Klölnische Volkszeitung": „Es ist kein Zufall, daß es ein. Bischof ist. der den größten sozial- reformatorischen Plan entrollt, der bisher dem Weltkrieg entsprang." Graf Tisza hat damals den Plan des Bi schofs Prohaszka verworfen. Es ist der Zusammenbruch und der Bolschewismus gekommen, der den Plan der Bodenreform heranreifen und verwirklichen ließ. Durch die Bodenreform ist nicht nur Bischof Prohaszka, sondern auch die katholische Kirche in Ungarn gerechtfertigt, die in nachahmenswerter Opferwilligkeit mehrere tausend Joch Grund von den Kirchengütern für die Zwecke der Bodenreform zur Verfügung gestellt hat Kuckucke. I. I.auetigi'aloeti 10 1073 Der Arbeiler-ichler Keinrich Lersch Von Hans Ballhausen. Wir standen auf der Höhe des Miinsterplatzes in M.-Glad- bach, im Hintergründe den altehrwürdigen Bau der Kirche, zu unfern Füßen das prächtige Bild der Stadt im Scheine der Novembersonne. „Dieser Platz ist mir lieb", sagte der Dichter, „sie werden sich als Fremdling im Industriegebiet stören an den rauchenden Schornsteinen. Mir ist ihr Anblick vertraut, und ich möchte sie nicht missen. Geben sic der schmucklosen Stadt nicht den Aus druck eines Monumentalen, nächst jenem Baue dort?" — und er wies auf die tausendjährige Münstcrkirche. „Wie viele Erinne rungen weckt jener Anblick!" fuhr er fort, aus die rauchigen Arbeitsstätten weifend, deren Schlote sich wie Finger vieler Hände gen Himmel reckten. Und er begann zu erzählen, was ihn mit diesem Walde von Fabriken verband, in deren Mitte er ausgewachsen, in deren Eingeweide» er Tage und Nächte geschasst, gewühlt, gehämmert, er, das Kind des Kesselschmiedes, der Sohn des Proletariats. Sonntags aber oder in kurzen Mußestunden, zwischen der Arbeit sei es ihm ein Spaß gewesen, die Innen- wanüung dieser in die Luft getürmten Schächte hinanzuklim men, um wie ein Vogel von höchster Warte über das Hüuser- und Menschcngewoge hinweg nach den Feldern und Wiesen hiniibcrzuschauen, zwischen deren Hecken, in deren birkenüber- laubtem Grün er sich als Junge getummelt, Wie er es im Gedichte „Wir" ausgesprochen. „Das ist das Wunderbare: durch allen Lebenskampf, durch den Taumel nach Gold und Besitz, in Hitze und Kälte, Rauch und Staub, berußt und beschmutzt. Mit Sorgen und Bangen die Zukunft erwartend, ein Ziel in uns zu tragen, das hoch über alles Irdische siegt. In dessen Glanz das Dunkle und Trübe leuchtet, das uns verschwistert mit den Nöten der Erde. Wir sind es, die in Herzenstiefen allen Lsbenssinn empfin den, der mijnden soll im Einzigwahren. Darum sind wir in diese Welt hineingestellt, und wir wollen unfern Beruf erfüllen. Als Arbeiter Mensch sein, der über sich die Gerechtigkeit fühlt und vor sich die Freiheit sieht, in dessen Herzen die Schön heit ist. Wir wollen den Dreiklang in Harmonie: Ein Leben in Arbeit, Schönheit und Liebe. Die Ziele stehen hoch, der Weg ist mühsam, und der Feinde sind viele." Da steht das herbe Wort: „Wir wollen unfern Beruf er füllen." Aber dieser Beruf ist schwer. Der Schein des Schmiedefeuers flackert über seiner Jugend, der Klang des Ambosses übertönt die Schreie des Kindes. Früh kennt der Lernbegierige jeden Griff und Hahn der Dampf maschine, spielt seine Hand träumend mit dem Hammer, dessen Stiel ihm in der Faust festwachsen soll, dessen Totschlag seine Schritte begleitet, als er den Weg aus des Vaters Werkstatt hiuausnimmt in die Weite der Länder, darin Mcnschenbrüder leiden und Kämpfen wie er. Den Rhein hinauf zur Schweizer Grenze und wieder zurück durch die Niederlande bis hinab an die Nordsee, nach Wien in den brodelnden Hexenkessel der Arbei terrevolten des Vorkrioges, wo den „christlich Organisierten" der Umgang mit den anarchistischen Genossen in schwere Konflikte wirft, wo sich ihm die Not der Massen in furchtbaren Bildern enthüllt, trägt ihn sein Fuß. Nach Süden enteilend, durch streift er Italien. In Florenz packt ihn das Heimweh: „Meine armen Augen schmerzen Von der Fülle allerwärts. Alles bist du, nur nicht Heimat . . ." Wo soll er sie suchen, wenn nicht auf dem Grunde des Her zens? Stber wohin er das Herz treibt, wo es Ruhe findet, künden ergreifend die Verse: „Du hast dein Lächeln wie einen Anker in den Grund meiner Seele gesenkt; Deine Blicke sind Ketten, daran das Schiff deiner Liebe hängt. Und hoch über mir und tief unter dir wogt das brausende Meer: Ich halte dich, ich lasse dich nicht, geht noch die See so schwer." Fluchtartig verläßt er die Fremde, um wieder unterzu tauchen in der Werkstatt des Vater». Der Kriegsausbruch Uber. rascht den 24jährigen in Antwerpen. Wenige Monate zuvor hat der Volksnereinsverlag in M.-Giodbach seine ersten Gedichte ge sammelt herausgebracht (dritte erweiterte Auflage 1922j. Er ist im Begriff, über den Ozean zu gehen, da holt ihn der Weltkrieg heim. In diesen Tagen ist es, wo die hinreißenden Strophen des Gedichtes: „Deutschland muß leben und wenn wir sterben müssen", den Namen des unbekannten Kesselschmiedes aus Nt.-Gladbach über ganz Deutschland >rügen. In zwei bei Eugen Dicderichs in Jena erschienenen Ge dichtbüchern ist die schmale Ernte der Kriegsjahre gesammelt. Ihr Titel: „Deutschland" und „Herz, aufglühe dein Blut!" ver rät, ivas den Dichter bewegt, dem selbst die grauenvollsten Erlebnisse im Schützengraben die Liebe nicht töten können, der im haßentstcllten Gesicht des Feindes noch immer den verirrten Menschcnbruder sieht, dessen flehender Rnf der „Muttergottes im Schützengraben" gilt, die Not der Gepeinigten zu lindern. Als der Krieg den in seiner Gesundheit schwer Erschüttcr- ten in die Heimat entläßt, kehrt er in die Kesselschmiede des Vaters zurück. Er findet Gefährtin und Heim, draußen am Rande der Großstadt. Zwei pausbäckige Kinder wachsen ihm heran. Ist der Heitzerflehte Friede endlich oingekehrt? Erschüt ternd klingt die Antwort: „Weh, hier hock ich. Gespenst der Fabrik, die Sinne mit Schmutz versiegelt! Weh! Mensch im Eisen! Das Echo schallend von Blechen und Platten höhnt." Der Dichter, dessen Mund Gesichte kündet, die Gott ihm schenkt, ist noch immer in die schwere Fron des Werktags sin- gespannt. „Eherne Schlange, mit tödlichem Biß feindlich und trennend," liegt der Hammer drohend zwischen ihm und seinem Liebesgut. Am Tage sich müde schaffend, muß er nächtens an seiner Dichtung formen. In der „Kesselschmiede" wächst feit Jahren sein Lcbensbuch. Ein weiteres: „Siegfried" soll den heutigen Kämpfer gestalten. Aber Krankheit und Sorgen hem» men ihn, ein Wunder, daß er die Kraft aufbrachte zu seinem letzten, großen Werk „Mensch im Eisen!" Wir wollen ihm alle wünschen, daß er seine mannigfachen Pläne vottrnde, seiner Ge sichte Herr weiche; hier kann man wirklich sagen, daß unserer Gcgenwartsdichtung ein wesentliches Moment fehlen würde, wäre er nicht da!
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