Volltext Seite (XML)
Onter^Ältuns unc! ^i886Q Läcksiscke VoI!c8reitunz ^stn-Fanx 192/ Aus dem Inhalt. E. o Ungern-Sternberg: Portugiesische Revolution. F. Schrönghamer-Heimdal: Abschied. FritzMiiller-Partenkirchen: Ich bewundere Ihr«.. Kuni-Tremel-Eggert: Erkenntnis. Gertrud Maatzen: Güte. H F. Brede meyer: Fensterscheiben. Fünf Minuten Kopfzerbrechen. Portugiesische Revolutionen Von E. v. Ungern-Sternberg. Ävenn mau de» Seerveg nach Portugal wählt, in die Tejomündung einfährt und die Sonne mit südlicher Eile hinter Cascaes in den Ozean tauchen sieht, so prunkt vor uns ein Märchen in Böcklinschen Farben. Der Strom strahlt tiefblaue Reflexe aus, die weihen Häuser am Ufer werfen streng abgegrenzte schwarze Schatten und von Estoril aus grüßen die Palmengärten. Und dann steigt links, nach Cruz Quebrada kilometerweit das Panorama von Lissabon auf. Man landet an der Praza de Commercio. Hier war es, daß sich vor etwa 130 Jahren der Erdboden spaltete, hier zerstörte eines der furchtbarsten Erd beben einen großen Teil der Stadt. Heute lse.ucht Ruhe und Frieden, aber Portugal ist das Land der periodischen Revolutionen, und irgendwo gärt es immer, wenn auch die meisten Putsche lange nicht so schrecklich sind, wie sie sich von außen gesehen, ausnehmen Der Glaube nämlich, daß Revolutionen den Völkern Glück und Befriedigung bringen können, ist hier längst als Aberglauben erkannt worden, und die Bervohner lächeln ungläubig, wenn die Plakate der Aufständischen die Rettung des Vaterlandes und das Glück der Bürger verheißen. Es hat zwei sehr blutige Revolutio nen gegeben, aber die meisten Putsche passen besser in eine Operette als in ein Drama. So geschah es z. B. häufig, daß die Aufrufe der Revolutionäre ganz rrchig neben die Gegenaufrufe der Regierung an die Mauer geschlagen wur den. Rcgierungstruppen und Aufständische defilierten, die Offiziere voran, mit gezogenem Säbel und mit marzialischen Gesten, durch die Straßen, man gab Luftschüsse ab. die viel leicht irgend einen unvorsichtigen Zivilisten verwundeten, auf den Balkons wurden des Lärmes wegen Kanonen schläge abgebrannt. Die Truppen prallten kampfbereit an einander. anstatt aber mit dem Blutvergießen zu beginnen, boten sich die feindlichen Offiziere Zigaretten an, und dann marschierte man wieder auseinander. Inzwischen wurde der Rocio abgesperrt. Ein Kriegsschiff feuerte ein paar Böller schüsse ab und auf der Praza Eduard des VII. kapitulierten die aufständischen Generäle. Der letzte Putsch war nicht weniger grotesk. Einige forsche Leutnants, geführt vom Leutnant Moraes Sarmento, drangen mit dom Revolver in der Hand in das Präsidendschaftspalais ein und wollten den Diktator General Carmona zur Abdankung zwingen, aber der Diktator warf die Aufständischen heraus, befahl die Auflösung einiger Regimenter und der Putsch endete damit. , daß den, Justizminister ein Paar Hosen durchschossen wur- . den. Den Touristen zeigten die Fremdenführer irgend ein j Kriegsschiff, das jenseits bei den Revolutionen seine Ka- > nonen auf die Stadt zu richten pflegte, oder nian bewun- ! Lerte eine Mauerstelle, in die eine blinde Kugel einge- ! schlagen ^ Keine Revolution kann Portugal den Zauber der .chönen Landschaft rauben, die Romantik der alten, in Gärten versteckten Paläste, den Ueberfluß an duftenden Blumen, die sonnigen Tage und die wundererfüllten Mond nächte. Dann ist die Welt silbern geworden, silbern sind die Straßen und silbern ist der Horizont, in den sie munden. Auf der Avenida duften die Judasbäume. Alle Gegen stände scheinen in bläulich dur^'chtiges Kristall getaucht zu sein. Die Nacht hängt scharf und klar wie eine Glaskuppel über der Stadt und über dem Strom. Sommernächte in Portugal! Sie sind weich wie der „Fado" den die Studen ten aus Coim.bra in die dunkele Capa gehüllt unter dem Fenster ihrer Dame singen. Dann leuchten die Dunkelheiten des Menschenherzen in klarem Glanz, und Kraft und Drang lösen sich in Traum und Ruhe ans. Auf den Steinfliesen an den Ufern des Tejo flüstern, schleiclzen und rauschen die Wasser. Und obwohl die Großstadt mit all ihren Leiden schaften sich hinter unserem Rücken auftürmt und die ge waltigen Schiffskörper der Ozeanriesen mit ihren tausend Lichtern im Hafen liegen, so spürt man doch nur dLn Wider hall einer großen Stille. Die Wasser des Tejo trugen Basco de Gama in den Ozean hinaus, als er die halbe Welt für Portugal gewann, und das leise Klingen der Geschichte zittert durch die funkelnde Nacht. Hier sang Camoens seine Lusiaden, damals als noch die großen Könige in Lissabon herrschten. Man erinnert sich noch viel an Dom Pedro '!., den Fanatiker der Gerechtigkeit, die er aber auf seltsame Art durchzuführen liebte. Jeder Verbrecher mußte zur per sönlichen Aburteilung vor ihn geführt werden. Mit der Abschied Herbstfäden woben um Weg und Rain, Und Nebel zogen durch Tal und Hain. Da bin ich von euch gegangen. Zur Seite raunte mir der Vach, Das Heimweh schritt mir zögernd nach Mit bleichen, verweinten Wangen. Noch einmal schaute ich zurück Zu Heimathauo und Jugendgliick Im Morgengrau'n verborgen; Die Augen r-urden mir tränennah, Wie tief mir dys Leid im Herzen saß, Im Herzen die ersten Sorgen. Und wie ich stand, und wie ich sann. Und wie mir der Bach zu Füßen rann Mit leisem, wehmütigem Rauschen, Da klang am Walde ein Heimatlied. So traurigschön, so sommermiid' — Da mußt' ich lange lauschen. r. 8vbrSngksrn«r-8«sti»ckn1. Peitsche in der Hand pslegte er den Delinquenten zu er warten, und wenn es ihm tunlich erschien, höchsteigenhän: ig die Strafe zu vollziehen. Wenn er von einem Ausslug heim- kehrte, mußten ihm die Bewohner Lissabons entgege gehen und einen Freudentanz aufsiihren. Nun der Kündlertonig Dom Carlos II., wurde zusammen mit dem Tb-onsechrer Dom Lun Felippe in der Nua de Aronal ermordet, der letzte König Dom Manoel lebt in England und zeigt wenig Nei gung. auf den unruhigen Thron von Portugal zurückzu kehren, es sei denn vielleicht, wenn endlich die Serienrevo lution im Lande ihr Ende gefunden hat und die Generäle den Lockungen der Politik entsage». Lissabon ist wie Nom eine Stadt auf vielen Hügeln, die oft steil wie ein Abgrund absallen. Um den Fuß gängern einen Umweg zu ersparen, hoben ihn öffentliche schwingen sich über die Mauern und lassen i» schönen Ab tönungen Blüten hängen. Nüchtern und schnurgerade liegen dazwischen die Straßen der unteren Stadt, die Nua August«, Rua de Ouro und Prata, mit den kasernenartigen Bauten, die der Marquis von Pvmbal nach der Zerstörung des Erdbebens errichten ließ. Aber nicht die Straßen, auch nicht der Rocio mit seinem kunstvollen Mosaikpflaster, das die Wogen des Meeres nachahmt, und auf dem dem Fuß gänger schwindlig werden kann, bilden den Zauber Lissa bons. Man gewöhnt sich an den Anblick der barfüßigen Fischermüdchen mit den flachen Körben auf dem Kopfe, in denen sie ihre Ware feilbieten, man beachtet bald nicht mehr die struppige Straßenjugend und die Tagtrüumer, die in engen Gassen in den niedrigen Eingängen lungern und an all die wechselnden Bilder einer südlichen Hafen stadt. Der Zauber Portugals liegt in seinem Himmel und in seiner Erde und nicht im Menschenwerk. Winter und Sommer unterscheiden sich hier weniger als in nördlichen Ländern. Es gibt weder Schnee noch Frost, im Oktober ist Vadesaison und im Januar blühen die Rosen und Kamelien. Der Chiado und die Avenida füllen sich an den Nachmittagen mit bunten Mensckn'nmassen, die Cafös werden zum Diskutierklub, Frauen mit Blumen im Haar treten auf die Balkons. Irgendwo spielt Musik und über allem lächelt der blaue Himmel. Wer die Stadt ver lassen will, den entführt die Strandbahn in wenigen Mi nuten nach Cascaes, an die Brandung des Ozeans, oder man führt nach Cintra, das kein Tourist in Portugal seitab liegen zu lassen pflegt. lieber dem freundlichen, in Grün und Blüten versunkenen Städtchen erhebt sich hoch auf dem Berge, zu dem ein steil gewundener Pfad führt, die früher« Sommerburg der Könige mit ihren Zinnen und Türmen. Am Fundament ihrer Mauern blüht ein ganzer Hain von Kamelien und man genießt einen herrlichen Fernblick auf das Meer und auf das Könrgsschloß von Mafia mit seinen vielen hundert Sälen. Ungefähr 60 Prozent der Portugiesen verstehen weder zu lesen noch zu schreiben, unter dem Rest gibt es viele hochgebildete Männer, die auf den Höhen der Zivilisation rvandeln. Aber Las Zufriedensein lernt man weder auf höheren noch auf niederen Schulen, es ist ein Geschenk des Himmels, das hier den meisten Bewohnern zuteil wird. Revolutionen und die sich wiederholenden Putsche hinter lassen in der Volksseele keine tiefen Furchen, sie gehen vor bei wie Fieberschauer . . . und dann scheint wieder die Sonne und träumen die klaren Mondnächte. Zch bewundere Zhre... Bon Fritz Müller-Partenkirchen. /s war .zwischen Verona und Venedig in der Eisenbahn. Ich sag darin, und neben mir, da saß mein Glück. Rein, keine Hochzeitsreise. Ueberhaupt kein körperliches Glück, sonder» eins der Phantasie. Hatte ich doch das Examen gut bestanden und nach Italien fahren dürfen. Zu-m ersten Male nach Italien. Wen» das kein Glück war. Lins der Phantasie natllrlikch. Aber daß ich auch genau bin; was das Glück angeht: Es war dock) eine Frau dabei. Eine, di« mir gegenüber saß, die schön war, wunderschön. Nur freilich, datz sie mich nichts an- ffing, weil st« mir fremd war, völlig fremd. Als ich sie aber eine We-ile heimlich angesehen hatte, kam sie mir mcht mehr fremd vor. War ich nicht eigens auf der Reise, um Italien kenncnzulernen? Schön, und diese lieb lichste der Frauen war ein Stück davon, nicht wahr? Also, durfte ich sie doch kennenlernen. Soweit gut. und soweit richtig. Wie aber kennenlernen, wenn man gar nicht italienisch konnte? Gar nicht Italienisch konnte? Hatte ich nicht drei Wochen lang vorher den „Kleinen Sauer" durchstudiert? Alle drei Kon jugationen, die Labyrinte der Prononria und die Schrecken der wolfsgrubigen Verdi irregolari? Und hatte ich besagten „Kleinen Sauer" nicht in der Tasche meines Rockes über meinem Herzen? Vermittels dieses kleinen Sauer mußte ich dem wunder schönen Fräulein etwas sagen. Das, sah ich ein, das war die Forderung der Stunde. Was sagen? Gut — was aber? Um Dotteswillcn nur nichts Kompliziertes. Mit drei Wochen kleiner Sauer etlvas Kompliziertes sagen, wäre Wahn sinn. wäre sprachlicher Selbstmord gewesen, ein. mehr als das: eine unsterbliche Blamage vor diesem wunderschönen Fräulein. Also etwas Llnsaches, etwas Liebes. Etwas Liebes ist ja immer einfach. Heraus mit dir, kleiner Sauer. Was schlag ich nur gleich auf? Verdi irregolari? Vor dieser regulären Schönheit — nein. Halt, da war's — im Anhang: „Wie man etn Gespräch anfängt." Ich sage es ja, der kleine Sauer . . . Wer hat doch neulich gleich über den kleinen Sauer geschimpft? Hm, das war ich selbst, soviel ich weiß. Also: „Wie man ein Gespräch anfängt." „Guten Tag. mein Herr." Mein Herr? Nein, das ging nicht. Aha, darunter steht ja »och was: „Guten Tag, mein Fräulein." Das war das rechte. Und ich rundete schon den Mund, um „Buon giorno, Signorina" aus- zusprechen. Aber da besann ich mich: Eine Viertelstunde sahen wir jetzt beieinairder. Und wenn ich jetzt am Schluß der Viertelstunde „Guten Tag, mein Fräu lein" sagen würde — nein, st« hätte nrich für einen Idioten halten müssen. Ich befragte also meinen kleinen Sauer weiter: „Reisen Sir lieber am Tag oder in der Nacht?" Nein, das ging auch nicht. „Lieben Sie das Theater?" Nein, das ging auch nicht „Haben Sie gut geschlafen, mein Fräulein?" Nein, nein, die würde schöne Augen machen. „Wie finden Sie Dante, mein Fräulein?" Das ginge, ja, das ginge. Aber mein literarisches Gewissen empörte sich da gegen. „Wie finden Sie Dante?" Das klang genau wie „Wie finden Sie mein neues Kleid und meine letzte Himbeermarme- lade?" Nein, Dante möge mir verzeihen, datz ich einen Augen blick nur daran denken könnt. Ob er dem kleine» Sauer je ver zeihe» kann, das ist nicht mein« Sache. Weiter gingen die Anweisungen darüber, wie man ein Ge spräch anknupft: „Wie geht es Ihren Kindern?" Gott behüte. „Darf ich Ihnen meinen Regenschirm anbieten, mein Fräu lein?" Nein, das mar denn doch zu dumm. „Wollen Sie mich, bitte, Ihrer Frau Mutter empfehlen?" Zum Teufel mit dem kleinen Sauer! Da wollte ich mir meinen Satz doch lieber selber zimmern. Also zunächst auf deutsch: Lkas werde ich ihr sagen? Vielleicht: „Sie find ein Engel, mein Fräulein?" Nein, dag klang zu sehr nach Ballsaal. Und wer weitz, wie das auf italienisch wirken würde. Solche llebeksetzung hat oft genug ge heim« Angelhaken. Erst wenn man daran zappelt, merkt man. man hat grad das Gegenteil gesagt Wie aber wäre: „Ich bewundere Ihr« Schönheit?" Daran konnte noch kein Angelhaken sein. Das mußte doch in allen Sprachen fein und lieblich klingen. Ja, das war der Satz, der hier am Platze war. Das war der Schlüssel zu einer freund lichen Verständigung. Das war vielleicht noch gar der Zugang zu dem Herzen dieser Schönheit. Her also mit dem „Kleinen Kühler". Der „Kleine Kühler" war das rote Wörterbuch in meiner anderen Tasche. Das war doch noch was anderes als der Kleine Sauer. Ich schlug nach und blätterte — b —- b — be — beu — beu — bew — Lewa — bewe — denn — bewo — bewu — aha. das war's. „Bewundern — ammirare — prachtvoll — na, ich sag es ja — der kleine Köhler — also, „Ich bewundere" heißt „ammiro" — aiiiiiliro — ammiro — damit ich's nicht vergesse Jetzt also „Ihre". Hur. das war schon schwerer. Diese ver trackten italienischen Prossesstvpronomen — sie hatten mich vier Borbcreitungsstunden, zu drei Mark, das Stück, gekostet. Ja, ich erinnere mich, da gab es ein „la vostra". Aber das war ein wemg zu vertraulich. Das durste man zu Kellnern sagen uist) zu Lieferanten, nie zu einer Dame. Bei einer Dame hieß es — hieß es — richtig ja, „la sua", also la sua — la sua — la sua damit ich's nicht vergesse. Aber halt, da gab cs noch was feineres „la di Lei? — ja ja, la di Lei, das mar das Wahre, la di Lei, das durste eine Dame von dieser Schönheit wohl für sich in Anspruch nehmen. Also, la di Lei — la di Lei — la di Lei. damit ich's nicht vergesse. Ich schnaufte auf. So jetzt noch zum Schluß die „Schön heit". Komm wieder her. mein kleiner Köhler. S — s — s — sa — sa — scha — scha — schä — schü — schi — schi — (eilig rcstcistlte der kleine Köhler) — scho — schö - Gottseidank: „Schönheit" — bravo, kleiner Köhler — da war die Schön heit endlich — jetzt also — mutig sah ich auf den Blättern — entschlossen mit dem Satz bewaffnet, mackste ich eine liebens würdig Geste auf einen — auf einen leeren Platz: Jetzt, wo ich die „Schönheit" endlich hatte, rvar di« Schön heit aufgestairden und auf Nimmerwiedersehn verschwunden. Seitdem habe ich zwei Feinde, di« ich haste: Den kleinen Sauer und den kleinen Köhler