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Onter^altunL und Lseksiscke Vollcsreitunx ^slirxsnx 1927 Aus dem Inhalt. F. Schrönghamer-Heimda^: Die alte Straße. Ern st Noeldechen: Legende von der Herbstzeitlose. Zoe Droysen: Erster Herbst. Maria Amelie von Godin: Eine Kaffeestunde. Lisa Nickel: Sankt Gertraud auf der Brück. Julius Kreis: Tücke des Objekts. Franz Mahlke: Es regnet. Sie alte Straße Non F. Schrönghamer-Hcimdal. Wandernd gehe ich sie wieder, die alte Straße, wie voreinst als blutjunges Bürschlein, da ich wiedersehens freudig aus der fremden Studienstadt der alten Heimat zu strebte, die dort hinter den Hügeln liegt, ein weltvergessenes Walddorf. Lang, lang ist's her, da ich sie nicht mehr sah, wohl ein Menschenalter lang. Ich gedenke des Tages, da ich mit heimwehheißem Herzen als Büblein auf ihr in die Studienstadt pilgerte und dann ein Dutzend Jährlein lang feriensahrend, im Wechselspiel von Abschiednehmen und Wiedersehen, auf ihr hin- und widerlief, bis die Zeiten erfüllt waren, für mich wie für die alte Straße. Denn ich mußte ins Leben hinaus, noch weiter fort in die Fremde, auf hohe Schulen und ins Vrotverdienen. Die alte Straße aber wurde verabschiedet, in den Ruhestand versetzt, weil sie, die ausgerechnet über die höchsten Höhen lief und eigensinnig die tiefsten Täler durchschnitt, den Anforderungen der Neuzeit nicht mehr entsprach. Wenigstens durfte sie daheimbleiben. Das hatte sie vor mir voraus, die gute alte Straße, die keinen Berg scheute und kühnlich jeden Steilhang erklomm, obwohl sie schon tausend Jahre und mehr auf dem Buckel hatte — und Millionen Fuhrmannsflüche dazu. Ihre jüngere, schlauere Schwester windet sich geschmei dig und schnureben an den Verglzängen hin, überspringt auf breiten, bogigen Brücken die Wildbäche und Rotmoore, und die Fuhrleute loben sie über den Schellenkönig. Ach ja, die neue Straße hat es verstanden, sich den „Forderungen der Neuzeit" anzupassen. Sie hat zwar ein Heidengeld gekostet, aber das macht nichts. Hat sie doch einem schreienden Bedürfnis abgeholfen und dient jetzt dem Fortschritt, der von Stadt zu Stadt stürmt und die Wald dörfer mit ihren, geruhsamen Gewese links liegen läßt. Denn seit die Lastautos auf der neuen Straße rasen, haben die Fuhrleute in den Dörfern und die Schenkwirte Feier abend. Alte Straße, wärest du doch weiland mit mir in die Fremde gervandert! Das hast du nun vom Daheimbleiben; verwahrlost, vereinsamt läufst du die Berge an, und in den Talgründen zieht dich das Notmoor in die grausige Tiefe. Wildwasser und Wolkenbrüche reißen dir Stück um Stück aus dem steingepanzerten Leib. Ganze Strecken weit bist du nur noch ein Rinnsal für Regengüsse, und wo dich das Master verschonte, wuchert Moos und Waldgras auf deinem verwitterten Schotter. Da und dort wuchert gar schon ein trotzender, strotzender Tännling aus deinem Ge stein. und Brombeerwuchten umzingeln dich atembeklem mend. Und sieh: der lebendige Zaun zu beiden Seiten, den der Wärter weiland so zierlich gestutzt, ist ausgeartet wie zuchtlose Jugend. Wildwuchernde zottige Fichten stehen im Eeräufe um Licht und Luft und überziehen dich im Morgen grauen mit Spinnweben und Herbstfäden, als wären es Wittwen- und Totenschleier für dich, du gute, alte Straße. Bei Gott, du dauerst mich in deiner Vergessenheit und Ver wahrlosung! Ja, ja, Undank ist der Welt Lohn. .. Wie ich dauere dich? Was hältst du eigentlich von mir, der alten Straße, die tausend Jahre und mehr in Treuen gedient? Was meinst du? Soll ich alte Heldin, die euch seit tausend Jahren und mehr die Heimat behütet und Wohlstand bervahrt, etwa mit dem breiten, prachtprunken den, weltläufigen Ding da unten wetteifern? Schände mich nicht und laß mich in Ehren vermodern im ewigen Wald. Und wisse: Brauchen mich die Menschen nicht, ich brauche sie nicht, habe sie nie gebraucht. . . Ich habe ihnen immer nur gedient... Und warum ich die Höhe anlief und nicht gemächlich um die Hänge schlich, wie die da unten? Aus weisem Be dacht. Darum, daß dir und deinen Vorvätern der Landes feind die Heimat nicht verwüsten, die Frauen nicht schänden, die Kindlein, die unschuldigen, nicht zu armen Waislein machen konnte. Etwa wärest du gar nicht am Leben, mein Lieber, wenn ich nicht gervesen wäre, die alte, verachtete Straße, die kein Feindesroß mit Feuerschlünden erklimmen konnte. Nur die Waldrosse und Wildstiere, heimgeboren aus zäher Zucht, ließ ich über die Hellen Höhen der Heimat. Und wieder: war ein Feind in ferner Sicht, dann sah man ihn von meinen Buckeln aus, und dann loderten auf meinen Verghalden die Heerfeuer, jedem Dorfe sichtbar, zur War nung. Und die Dörfler konnten sich, so Not an Herr Mann Musikalische Gedanken Stille, Weihrauch, Träume —: das ist die Musik unseres Daseins und die Sinfonie unserer Seele. In dem Orchester des Lebens klingt jeder sch als ein Instrument mit. Und jedes Instrument siihU > Dasein in einer kleinen Melodie heraus. Je zarter und tiefer diese Me lodie ist, um so kostbarer der Mensch. Die Gedanken des Menschen müssen alle auf den Kammer ton der Empfindung gestimmt sein, um nicht im großen Finale des Lebens unterzugchen. Empfindung allein ist das Rezitativ unseres Seins, ohne das uns die Werte dieses Lebens verborgen bleiben würden. Andacht ist nur ein Mithören des reinen Gefühls, ein An teilnehmen der inneren Augensterne an dem gewaltigen Ge schehen dieser Welt. Kammermusik: das ist der vornehmste und befreiteste Rhythmus unserer Seele, der alles, auch das Unscheinbarste, er fühlt und lieben lernt. Es ist nicht das Vorbeigehen an dem Geringen, sondern umfassendstes Augenmerk auf das Ver borgene. Prüfen und Sondern und Achtenlernen! Ksrliarcl Krause. kommen sollte, mit Vieh und Fahrnis, mit Kind und Kegel zu rechter Zeit in die Burgstülle bergen. Darum, mein lieber Waldgesell, führten mich die Weg meister, die mich voreinst bauten, über die Verglömme hin weg. Gedenke dessen, so oft du auf Hochstraßen pilgerst, und rühme den sorglichen Vätersinn für die Heimat! Oder glaubst du etwa, das neumodische, ebenbreite, prachtgleißende Ding da unten im Eewänd sei noch ein Hort der Heimat? Wer ersieht da noch ein Heerfeuer, aus solchen Niederungen? Das neue Fortschrittsluder, jedem Kerl gefällig und zu Willen, wird dem Feind nicht wehren. Gott verhüte, daß du's erlebst, wie die landesverräterische Dirn der alten Heimat tut! Feindgeschütz und Wagentroß haben da leichtes Spiel. Glaub mir, so klug waren deine Väter auch, daß sie mich nicht über die steilen Höhen, sondern an den sanften Hängen hingeführt hätten, wäre das Land nicht allzeit in Gefahr gewesen. Sie wußten auch, was Fortschritt will und heischt, aber der Schutz der Heimat galt ihnen mehr als Krämertand und Weltgeschmeichel. Du, deine Vorväter verstanden keinen Spaß, wenn es landfremd« Horden nach den Schätzen der Heimat ge lüstete. Oester als einmal sah ich sie. wie sie, von den Ber gen niederbrechend, das fremde Frechlingsgezücht schädcl- spaltend in die Rotmoore trioben, daß kein Schwänzlein mehr davonkam, nicht von Mann und nicht von Roß. Da bleiche» sie im moorigen Grund aus aller Herren Länder. Geschmeiß in Menschengestalt aus Hunnenzeiten dis herauf zu des Korsenkaisers Scharen, die die Heimatsöhne aus den Wäldern trieben. Den Heiligen sah ich, eines Herzogs Sohn, Günther von der Schwarzburg im Thüringer Land, der den Heiden kerlen in der Waldheimat das Weistum der Welterlösung brachte. Und den Unheiligen sah ich, den Hellen Narren, eines Freiherrn spaßigen Sprößling, der in Freuden jauchzte, wenn es bergan ging, und der in Zähren zerfloß, wenn er gen Tal torkelte. Und warum? Weil es drüben wie der aufivärts ging. Du kennst ihn ja. den komischen Kauz. Münchhausen, glaub ich, hat er geheißen. Gottjubelnde Wallfahrtszüge der Waldleute sind über mich hingezogen mit wehenden Fahnen und schallendem Lobpreis des Weltenvaters wie der Himmelsfrau, der die Dörfer ringsum in Treuen huldigten. Hin und wider, nach Süd und Nord, wallten die Züge bis tief nach Böheim hin ein auf den heiligen Berg, oder hinaus ins ebene Land über dem breiten Strom nach dem weltberühmten Volks- Heiligtum in Altenötting. Ein Fürstbischof zog einst büßend des Weges in bare« " -m Gewand, die bloßen Schultern mit Geißeln veiüchend, hin zur Klause des Einsiedlers in starrender Wildnis des Mildes. Dort in der Schenke, die heute dem Lvaldhirten Obdach bietet, schlief er zur Nachtrast auf spitzen stechen den Wacholder nadel n. Ein Kaiser, vom Papste gebannt, von den Edlen des Landes verlassen, kam bettelnd ins Land, Heerhilfe hei schend. „Der Kaiser in Not! Das Reich ohn' Gebot!" ballte damals ein Schrei durch den Waldgau. Und der Landsturm stand auf, und dahin gings auf und gen Italien, ins welsche Land, wo die Waldleute des Kaisers Widersacher schlugen. Mit zerichrotenen Schwertern, zerschlissenen Schil dern, zerzausten Wamsen kamen sie wieder zurück, Schram men auf Stirn und Brust, trutzigen sieglachenden Auges, Hinkende führend, Halbtote auf Schultern tragend, ein Häuflein Heimatrecken, den Sieg mit tausend Heldenlei- Legende von der Herbstzeitlose Von Ernst Noeldechen. Nun flammen die weiten Wälder selig empor — aber auch die stillen, weißen Nebel sind da! Sie schweben über die Wiesen im langen Grund«, sie weben hin und her, sie nicken und winken! Seltsam leise ist ihr Reigen. Zuweilen braust der Wind durch ferne Wipfel. Dem Hall einer Riesenorgel ähnelt sein schwellendes Getön. Und wieder um breitet sich Ruhe, so tief und jäh, daß bis in ihr Herz hin ein di« Welt erschrickt! Verschwenderisch reich ist der Herbst Klingende Röte gießt er in den Kelch der üppigen Aster, golden krönt er die ragende Sonnenblume. Was will uns die in ihrer Wesenheit der bunten Stund« so gegensätzliche, unscheinbare Blume, die blaß blau in den abgemähten Wiesen blüht, sagen? Der müde Nebel liebt sie: zärtlich umschmeichelt er ihre kühlen Blüten blätter. Wer fühlend diese Blum« betrachtet, dem bleibt ein stummes Weh. ein sinnendes Weh in der Seele stehen . . . Wie kam sie mitten in die prahlende Pracht? Herbstzeitlose, künde mir deine Mär! . . . Einer bleichen Lippe gleichst du, die der Tod geküßt oder einem schmerzlichen Stern über weiten, weiten Steppen. Wie das kühle Auge des unerbittlichen Engels leuch test du. Vergessen fast macht deine Sülle den jubelnden Farben rausch! . . . Ein düsterer Garten schweigt vor der goldenen Pforte, die den Weg zur ewigen Freude um den Thron Gottes erschließt. Den Namen „Zeitlos" trägt dieser Garten, weil dort die Zeit verdämmert! Schwarze Rosen blühen in dem Garten Zeitlos. Grab male und Gedenksteine, deren Inschriften erloschen, stehen dort zwischen grauen Büschen. Auf fahlen Wiesen blühen klein« blänlichblasse Blumen ohne Stiel und Blatt. Schluchzen hängt in den Zweigen schlanker Zypressen und inmitten des Gartens springt ein Tränenquell, der nimmer, nimmer versiegt . . . Wer wohl de» Garten« warten mag? Der Todesengel wartet seiner! Aus den schwarzen Rosen und den namenlosen -leichen Blumen windet er den Kranz, der seine nachtschwarzen Locken und seine feierlich strahlende Marmorstirn schmückt. Wenn der Engel in der Sülle seines Gartens wandelt und aus seiner dunklen Flöte spielt, dann geht ein Erschauern durch die ganze Welt. Ein schwarzer Vogel regt seine Schwingen im Licht: ein pfeilschneller Schatten huscht vor dem Flug des Vogels her. — Eine Blume knickt plötzlich am Wege — und war doch kein Wind! . . . Die Menschen hören ahnend die weh mütige Weise der Flöte; sie neigen ihre Häupter und reden vom Abschiednehmen. Wenn nun aber Gottes unerbittlicher Schaffner durch di« vor ihm hingeduckten Lande der Erde schwebt, die Flöte am herben Mund, dann brechen Herzen — oft mitten im Glück — und ihres letzten Schlages klingender Hall geht in der Melodie der Flöte aus. Lächelnde Greise, kraftvolle Frauen und lallende Kinder führt der Tod hinweg, führt sie durch den Garten Zeit los — bis zu der offenen, Hellen Pforte, bei der ein freundlicher Erster Herbst. Nun steht die Welt von Klarheit überspannt» Vollendung reist in vielerlei Gestalten, aus ihres Kleides herbstlich bunten Falten streut die Natur sie segnend Uber» Land. Tiefblau der Himmel. Rot und gelber Glast flammt auf den letzten Blumen in den Gärten. Die Bäume neigen ihre fruchtbejchwerten, prangenden Zweige unter reicher Last. Schon tanzt manch Blatt vom Baum herab und schwingr wirbelnde Kreise beim Herniedergleiten — Leuchtende» Sterben ist's, ein Wegbereiteu dem neuen Leben» da» der Frühling dringt. Aoo Drop»«». Seraph auf sie wartet, um sie zu Gott zu bringen. Einst breitete sich ein leuchtender Tag. Na. Glück schien sein ganzes Füllhorn in ihm ausgegossen zu l-aben. Freuden feuer stiegen in die stille Bläue des Firmaments. Ein Tänzer war der Herbst in diesem Tag, ein Tänzer im buntschillernden Mantel. Da bebte plötzlich ein fremder weicher Ton von fern heran und senkte sich in die Melodie der Sorg losigkeit. Und im nämlichen Augenblick, da dieses geschah, stand der Unerbittliche mit dem herben Mund vor dem gaukelnden Farbenwccker. „Hinweg aus meinem Reich!", herrschte der Tänzer Herbst den ernsten Engel an, „deine wechselige Traurig keit paßt nicht zum Glanz meines Festes!" und er schleuderte immer neue Farbenbrände in die Landschaft — als ob ihr Schimmer die Kühle des riesigen Schattens, der aus einmal nach ihm griff, hätte verscheuchen können. Der Engel jedoch wist nicht vom Platze, auf dem er stand und antwortete im schlichten Ton: „Dein Triumpf und meine Traurigkeit gehören zusammen. Wenn die Farbe am trunkensten tönt, wird bereits das graue Schweigen, das sie bald auslöscht, in ihr groß. Die zeitliche Er füllung ist die Mutter des Etlichen Vergehens und es muß so sein — denn welchen Sinn Hütte alles Stroben und Sehnen aus Erden, wenn nicht die Ewigkeit das irdische Loben nblöste? Im Garten Zeitlos muß aller Uebermut schweigen. Eine Blume aus diesem Garten will ich deinem vielgcstalten Blülenflor noch hinznfügen, auf daß die Sterblichkeit auch im Rausche — der Vergänglichkeit eingedenk sei. Nimm hin und danke mir!" Aus seinem Kranze löste der Mahner eine blänlichblasse Blume und ließ sie vor seine Füße Hingleiten. Er segnete sie und murmelte dabei: „Schlage Wurzel und blühe weiter!" lim den schwellenden Mund des Tänzers Herbst aber grub sich eine tiefe harte Furche, die ihr fast dem des Todescngels ähnlich machte. . . . Wehmut und Froheit wohnen in des Herbstes Ueberschwang. Die Wälder brennen in Farben, aber schon sind die bleichen, müden Nebel da — und im Nebel blüht die seltsame Vlume, die meine Sehnsucht lockt«. Wer si« in der Hand hält unv sein« Seel« sprechen läßt, dessen innerer Schauen erfaßt das Bild des Garten, Zeitlos. Er samwrlt sich und steht gedankenvoll mitten in üoviaer Frende . . .