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Sächsische Volkszeitung : 10.07.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-07-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192707104
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19270710
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19270710
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-07
- Tag 1927-07-10
-
Monat
1927-07
-
Jahr
1927
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 10.07.1927
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Der Dammbruch in Böhlen Das vom Unglück verfolgte Grotzkraflrverk — Noch keine Aufklürung der Ursachen Am 24. Juni ereignete sich beim Großkraftwerk Böh. len, das etwa 2V Kilometer südlich von Leipzig liegt, eine seltsame Katastrophe. In einer der beiden Riesenhalden, auf denen die Erdmassen des Tagebaues ausgetürmt werden, kam es zu einem Dammbruch und ungeheure Schlammasscn über fluteten das tieferliegende Gelände, darunter Teile der Orl- schasten Lippen darf und Spahnsdorf. Ohne nähere Ortskenntnis konnte man sich von dem Umfang des Unglücks keine rechte Vorstellung machen. Schon die Tatsache aber, daß der Landtag hierfür einen besonderen Untersuchungsausschuß eingesetzt hat, war ein Anzeichen dafür, daß es sich um eine größere Katastrophe handelt. Am gestrigen Freitag hatte die Direktion der Aktiengesellschaft Sächsische Werke, zu dem das Großkraftwerk Böhlen gehört, Vertreter der sächsischen Presse zu einer Besichtigung Böhlens cingeladen, um einen Ueberolick über den Umfang des Unfalls und den Stand der Wiederherstellungsarbeiten zu geben. Generaldirektor Mül ler, der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Sächsischen Werke Gcheimrat Just, sowie die Direktoren Kretzschpiar, Dresden, und Classen, Leipzig, übernahmen die Führung. Generaldirektor Müller erläuterte zunächst an Ort und Stelle die Einrichtung der Spülkippen. Die Erdmassen, die zur Freilegung der Tagebaukohlenflöze ab gehoben werden müssen, werden auf riesigen Halden aufgetürmt. Durch elektrische Kleinbahnzüge werden die Erdmassen aus einen in einer großen Elipse gestalteten Damm gefahren. Um nun den Innenraum innerhalb des runden Dammes gleich mäßig aufzusülle», wurde seit Jahren als billigste und zweck mäßigste Methode das sogenannte Spülverfahren angewendet. Durch eine Pumpanlage wurden an die Stelle des Dammes, wo augenblicklich gekippt wurde. Wassermassen hinaufgcpumpt, die sich von dort aus einer Röhrenanlage in das Innere ser Spülkippe ergossen und die Erbmassen über den Innenraum verteilten. Der innere Durchmesser der größte» Spülkippe, an der das Unglück geschah, mag 800 bis 1000 Meter betragen. Der äußere Tamm, der dieser Haldenanlagc den Halt zu geben hat, war etappenmäßig sich nach oben verjüngend angelegt. Auf den einzelnen Stufen außerhalb des Dammes befanden sich die Gleisanlagen für oie Kleinzllge. Der Damm war bis zu einer Höhe van 35 bis 40 Meter gediehen und sollte nicht mehr höher geführt werden. In der nordwestlichen Ecke hat der mächtige Damm der außen bereits.mit jungen Däumen''bc° forstet war, plötzlich nachgegeben, ist vollkommen in sich zusam mengestürzt und die noch flüssigen Erd- und Schlammassen im Inneren der Halde wälzten sich durch die Bruchstelle nach dem westlich vorgelagerten landwirtschaftlich benutzten Gelände, be- oecktc» dieses mit einer meterhohen Schlammschicht, die erst all mählich nach dem nördlich des Kraftwerkes liegenden Tagebau abfloß und dessen untersten Teil ansüllte. Die Dörfer Lip» pendorf und Spahnrdorf liegen fast unmittelbar unter». halb der Bruchstelle des Riesenüammes, etwa 500 bis 700 Meter von diesem entfernt. Einzelne Häuser und Gehöfte haben schwer gelitten. Der Schaden dürfte aber restlos zu beheben sein. Noch heute ist das Gelände zwischen Halde und den beiden betroffenen Dörfern von einer dicken Schlammschicht bedeckt. Arbeiter sind oabei, die Wege in den Dörfern, die zum Teil einen halben Meter unter Schlamm stehen, sretzulegcn und wieder gangbar zu machen. Die Gleisanlagen von der Halde zum Tagebau sind zum Teil bereits wieder sreigelegt und sahrbar. Auf dem landwirtschaftlich genutzten Gelände zieht man Entwässerungsgräben, um de» Sumpf trocken zu legen. Es soll beabsichtigt gewesen sein, dieses Gelände zwischen Halde und den Dörfern sowieso auszuffüllen. Durch das Unglück ist das nun in unfreiwilliger Weise und nicht immer ganz zweck« mäßig geschehen. An der Ausbruchsltelle hat man durch Ein bau von Sandsackdämmen und Faschinen zunächst den Ausfluß der Massen zu stopfen versucht. Weitere Gefahren siqd heute nicht mehr zu befürchten. Die Bewohner der betroffenen Wohnhäuser, sind in der neuen ideal eingerichtetes; Siedlung im Dorfe Böhlen untergebracht worden. Der Schaden dürfte sich deshalb nicht so hoch stellen, weil der größte Tcjl der in Mitleidenschaft gezogenen Grundstücke den sächsischen Werke» gehört. Die Kohlenförderung im Tagebau kanij ungestdrt weitergesührt werden, da die oberen Flöze von dei Schlammflut überhaupt nicht betroffen wurden. Nach der Besichtigung darf man seststellen, daß alles gela> wird, um den angerichteten Schaden wieder gutzumachen. Ob wohl die Katastrophe ein junges Menschenleben gefordert hat darf man doch in gewissem Sinne von Glück reden, daß sich dch Dammbruch nicht zu einer ungünstigeren Tageszeit ereignete, Sonst hätte leicht mehr Menschenleben gefährdet werden können. Die Ursachen dieser Katastrophe sind noch in keiner Weise geklärt. Die Spülkippe ap der oas Unglück geschah, ist die erste ihrer Art in Sachsen. In andere» Bergbaugebieten hat man mit demsechen VersahreI noch nicht diese unangenehmen Erfahrungen gemacht. Die lfti- »tersuchung liegt zunächst in den Händen zweier Behörden, dtt Staatsanwaltschaft beim Landgericht Leipzig und des Bergamts in Leipzig. Keine der beiden Behörden hat bisher fcstzustellen vermocht, daß irgendein menschliches Verschulden oder technisä)« Fahrlässigkeit beim Auffüllen der Dämme oas Unglück hcrbei- geführt haben. Die Werkleitung behauptet, daß beim Auf führen der Dämme alle für diese Art von Einrichtungen vor- handenen Erfahrungen verwertet worden seien. Anderwärts habe man sogar auf die stufenförmige Anlage der Dämme ver zichtet, ohne daß ein Unfall zu verzeichnen gewesen wäre. vor lag« abzulehnen, der den lacyjftchen Vertreter lm Reichs rat um die gleiche Ablehnung bittet. Mit 44 gegen 27 Stimmen wurde dieser Antrag angenommen. Damit sind die Ferien im Rathaus eingekehrt. Erhöhung -er ErwerbslosenMer Dresden, 9. Juli. Der bereits in der letzten Woche cingetre- tene erhöhte Zugang an Arbeitsuchenden hat sich, wie uns der Dresdner Arbeitsnachweis berichtet, trotz der Vogelwiese in der vergangene Woche weiter verstärkt. Wenn auch für fast alle Be rufe noch zahreiche Verniittlungsmöglichkciten bestanden, so reichte deren Zahl doch nicht aus, um den Bestand an Arbeitsuchenden auf der Höhe der Vorwoche zu halten oder gar wieder zu vermindern. Im Gegenteil erhöhte sich infolge zahlreicher Entlassungen der Bestand seit einem Monat zum ersten Male wieder, und zwar um 611 aus 19 097 <18 486). Aus Mitteln der Erwerbsloscnsürsorgc wurden 9 383 (10 124) und aus denen der Kriscnsürsorge 3238 (3393) Vollerwerbslose unterstützt. Ku r z a r b c i t c r« n t c r st ü tz » n g erhielten 119 (105) Personen. Der Bestand an Notstandsarbeitcrn beträgt gegenwärtig 1151, während bei städtischen Saisonarbeiten rund 1750 Mann beschäftigt werden. : Der neue Fahrbahnteiler am Körnerplatz. Das Presse amt des Polizeipräsidium schreibt uns: Aus dem Körnerplatz in Loschwitz ist der hölzerne Fahrbahnteiler durch eine weiße, mit roten Ringen versehene, etwa 2 Meter hohe Säule mit Blink licht ersetzt worden. Dadurch solle erreicht werde», daß der Fahrbahnteiler für die Fahrzeuge schon aus größerer Entfer nung unbedingt zu sehen ist. Das Blinklicht soll dann besonders bei Dunkelheit oder bei starkem Nebel die Fahrzeugführer auf die Säule aufmerksam machen und. sie gleichzeitig zum Lang samfahren veranlassen. Blinklicht bedeutet nämlich nach 8 21s der Verordnung über Kraftfahrzeugverkehr „Langsam fahren". Die Mittel für diese Säule hat der Sächsische Automobilklub, in dankenswerter Weise zur Bcrfügung gestellt und dadurch zu erkennen gegeben, daß er auch seinerseits die Bestrebungen des Polizeipräsidiums nach möglichster Hebung der Verkehrssicher heit unterstützen will. : Ein Veteran der Presse gestorben. Der frühere verdienstvolle Leiter der Agentur Dresden von Wolffs Tclcgraphcn-Bureau Albert Sönderinan » ist Sonnabend früh 4 llkr nach schwerem Leiden im 62. Lebensjahre gestorben. Der Entschlafene hatte nahezu 34 Jahre im Dienste des Wolfsscben Tclcgraphen-Bnrcaus gestanden, davon 20 Jahre als Leiter an der Spitze der hiesigen Zweigstelle. Er war erst am 1. dieses Monats in den verdiente» Ruhestand ge treten. : Eisersuchtsrragövie. g;,„ g. J„;j igo? gegen 7.30 Uhr nachmittags versuchte im Grundstück Am See 32 der dort jvohnhastc 47 Jahve alte Reisende Arno Kräher sein« G«- liebete, die 24 Jahre alte Plätterin Hilde Diesel, zu. er- tnorden. Er hatte sie nach seiner Wohnung gelvckt und gab ihr einen Brief zu lesen. Hierbei versetzte er ihr hinterrücks tnehvere heftige Schläge ans den Kopf, so daß sie ohnmächtig tttsamnienbrach. Darauf brachte er ihr noch mit dem Messer ftvei Schnittwunden am Halse bei. Die Verletzte hatte in zwischen die Besinnung wieder erlangt, stellte sich aber tot. In dem Augenblick, als Kräher zur Türe ging, um diese zu verschließe», stürzte sic sich aus dem Fenster der im ersten Stock gelegenen Wohnung auf den Hof. Kräher brachte sich daraus mit dem Nlesscr selbst mehrere Schnitte an der Kehle und a„ der Pulsader bei. — Beim Eintreffen dev Mordkommission wurde er besinnungslos auf dem Bett liegend vorgcfundeu. Da er das Bewußtsein bald wieder erlangte, konnte er vernommen werden. Er gab an, daß der Grund zur Tat Eifersucht gewesen sei. Beide Versetzte wurden nach dem Krankenhaus überführt. Lebensgefahr besteht nicht. : Bcrwaltungatademie Dresden. Die Verwaltungs- afademie Dresden hält vom 3. bis 8. Oktober d. I. ihren dritten Ferienkursus ab. Unter anderem sind folgende Vor lesungen vorgesehen: Die Entwicklung des Parlamentaris mus in England und den europäischen Festlan-dstaaten, ins besondere Deutschland. — BGB. Fnmilienrecht. — Die Lehre bon der Glltererzeugung. — Problem der Luftschisfahrt. — Im Anschluß an den Ferienkursus beginnt das Winter semester 1927/28. An Vorlesungen werden geboten: BGB. Allgemeiner Teil, Schulbrecht und Sachsenrecht 1. — Lehre von der Gütererzeugung. — Das Einkommen und seine Ver teilung. — Strafrecht 1. — Der Ausbau der Finanzverwal tung in Reich und Ländern, Teil 2. Aenderungen bleiben Vorbehalten. Zum Teil >v«rdku Vorlesungen des Ferien kursus gleichzeitig sür das Wintersemester gelten. Ihre Abhaltung erfolgt dann in den Abendstunden. : Schriftlicher Verkehr n,lt dem Rate. An sämtlichen Stadt häusern und Woblsahrtspolizeiwachc» sind Ratsbriefkästen angebracht, die zur Ausnahme von Briefen an de» Rat dienen. Auf dem Briefumschlag ist möglichst die Geschäftsstelle anzugebcn, für die der Brief bestimmt ist. Die Briefkästen sind lediglich sür den Verkehr mit den Ratsgcschcistsstcllcn bestimmt. Briefe an andere Be hörden und Stellen dürfen nicht eingelegt werden; sie werden nicht befördert. : Mittelholzer kommt nach Dresden. Anläßlich der Erst ausführung des Mittelholzer-Film „Im Flug durch Afrika", die am Montag, den 11. Juli im Lichtspieltheater Capitol stattfindet, wird Mittelholzer der Ausführung bei wohnen. Der Flieger trifft am Montag auf dem Flugplatz Heller ein. : Eva Plaschkc von der Osten als R ttcrgutsbesitzcrin. Die »erst vor wenigen Tagen aus dem Verband der Staats oper ausgeschiedene Opernsänger!» Frau Eva Plaschke von der Osten hat das Rittergut Medingen, das früher im Be sitze d»es Geheimen .Hofrats Dr. Mehnert war, käuflich er worben. R. Abschaltung von Kabel» im Stadtteil Friedrichstadt. Dringende Arbeiten erfordern Sonntag, den 10. Juli 1927, von etwa 4 Uhr bis 8 Uhr vormittags, dvr teilweise Abschaltung folgender Straßen: Adlergasse, Berliner Straße, Bremer Straße, Friedrichstraßc, Hamburger Straße, Hohen- thalplatz, Jnstitutsgasse, Manitiusstratze, Menageriestraße- Peberstraß«, Schäferstratze, Vorwerkstraße, Wachsbleichstraßo, Waltherstratze, Weißeritzstraße, Wcttinerstraße. Auskunft durch Fernsprecher 25 071, Zimmer 49. d. WohnhauSbrand. In der Nacht znm Donwerstag brannten Wohnhaus und Scheuuenanbau der Frau verw, Hummel in Lappersdorf bei Nadeberg nieder. d. Vcrkehrsunfälle bei Dresden. Einem Motorradfahrer sprang Mittwochabend in Wilsdruff bei der Fahrt in de^: Dresdner Straße der Kettenhund einer Gutsbesitzerin in das Rad. Der Fahrer stürzte und wurde im Gesicht erheblich ver letzt. — Aus der Fahrt nach Rennersdors wurde der Han delsmann Münch aus Kaufbach vom Sozius eines Motorrades mit solcher Wucht auf die Straße geschleudert, daß ihm di- Kniescheibe zerschmettert wurde. d. Im Stadtverordnetensaal vom Tode ereilt. Kurz vor Beginn der Plenarsitzung der Stadtverordneten in Kötzschen, broda am Mittwochabend verschied im Sitzungssaals ohne irgendwelche vorherige Anzeichen, der Stadtverordnete Bank- vorstand i. R. Emil Heinrich an Herzschlag. Die Sitzung wur^e sofort ausgehoben. Wetterbericht der Dresdner -UZetterwarry Witterungsaussichten. Heute und in der Nacht örtlich Ge witter und daran anschließend zunäcksst verbreitete Regensälle, Im Laufe des morgigen Tages zu wechselnd bewölktem, zu nächst noch unbeständigem Wetter übergehend. Temperaturen etwas niedriger als heute. Auf nördliche bis westliche Richtun- gen drehende, vorübergehend lebhaftere Winde. Volk ohne Golk. Von Ella Mensch. (22. Fortsetzung.) Die Malerin achtete nicht auf den frechen Tv», sondern fuhr fort: „Ihre Tante ist wohl eine zu vernüiutige Frau, um zu billigen, daß Sie so oft Ihre Pflicht versäumen." „Nee, was Sie bloß immer von meiner „Tante" reden. Kann Ihnen ja janz egal sein, wohin ich sehe und mit wem ich jehe! Soviel Familiensimpelei treib ich doch nicht! Sitzt bei Ihnen etwa immer der „Onkel"?" „Was soll das heißen, Karoline?!" „Na, wissen Sie, für so dumm dürfen Sie mich nicht halten. Ich btn doch Helle genug. Ich weiß doch, was es jeschlagen hat, wenn stier das jrüne Licht auftezogen wird. Das is das Signal! das heißt: Strecke frei! Nu kann er einlaufen, der Schnellzug! Ihr Doktor freilich läuft jetzt nur noch als Bummelzug ein, mit jewaltiger Verspätung. Dem haben Sie den Hausschlüssel wohl zu früh jejeben!" Sprachlos ließ die Malerin diesen Redestrom über sich ergehen. Dann faßte sie sich: „Was erlauben Sie sich!" „Na, nichts für ungut, jnädjes Fräulein, ich Hab' mal frei von der Leber reden müssen. Es hat mich schon lange tedrückt. Und was denken Sie denn, warum die jungen Damens sich eine nach der andern verduften?! Das paßt den vornehmen Herrschaften nicht, wie's hier zujeht. Die Fräulein Töchter könnten sich am Ende ein Beispiel daran nehmen. Uno, das steht fest, wenn er Ihnen nicht heiratet, dann sind Sie unten durch bei Ihren Leuten!" Nachdem sie diesen Trumpf ausgespielt hatte, zog sie ab, ihre Herrin in grenzenloser Bestürzung zurllcklassend. Sie konnte das freche Ding auf der Stelle entlassen, awohl. Aber nicht ihm den Mund verbieten. Das chlimme war, daß alles, was sie herausgeschleudert und mit ihrer gewöhnlichen Auffassung beleuchtet hatte, fick nicht ableugnen ließ, daß es stimmte, in altem und jedem! Die kecke Person hatte den Grund des Wegbleibens der Schülerinnen schneller erfaßt, als ihre Herrin War sie denn wie eine Blinde einberaewandelt?! Spinnwedfein hatten sich um sie die Fäden der üblen - Nachrede gesponnen, als sie sich noch in völliger Sicherheit wiegte. Was mochte die Karoline schon im Hause geklatscht haben! Jetzt fiel ihr so manches nachträglich auf, was sie kaum beachtet hatte. War der Gruß des Hausbesitzers nicht um einige Schattierungen weniger höflich gewesen? Hatte die Majorswitwe im Hochparterre, die sonst immer auf dem Treppenabsatz ein kleines Gespräch mit ihr wechselte, es neulich nicht, plötzlich sehr eilig gehabt? Sie kramte in ihren Erinnerungen und quälte sich mit allerhand Vermutungen. Dabei sah sie keinen Ausweg. Ihr Leben, bisher so klar und durchsichtig, war jetzt von einem Wirbelsturm ersaßt, der es aus allen Bahnen zu schleudern drohte. Wie übel stand cs, trotz aller Gleich berechtigungsdeklarationen, um die Frau, die cs wagte, die Gesetze der Gesellschaft zu umgehen. Diese ließ sie still schweigend fallen und entzog ihr die Eristenzmittel. Aber sie konnte fick ja außerhalb dieser Gesellschaft stellen, und brauchte nichts nach ihr zu fragen, konnte sich ihr Dasein ganz neu aufbauen. Freilich, dann mutzte jedoch der Freund treu und fest zur Seite stehen. Hatte Bert Kalisch ihr nicht oft genug erklärt, daß es immer einzelne, wenige seien, die durch mutigen Vorstoß, durch vorurteilsfreies Handeln eine neue Gesellschafts ordnung herbeiführten? Konnten sie beide nicht zu den Wenigen, den Auserwählten gehören? Als Kalisch am Abend kam, schüttete sie ihm ohne Rückhalt ihr gequältes Herz aus, lud zum ersten Male ihre Sorgen bei ihm ab. Sie erzählte von den Ungezogenheiten des Mädchens. Er nahm es auf die leichte Schulter. „Dienstbotenärger, Senta! Ich hatte geglaubt, daß der nur bei den Alltagsfrauen vorkommt! Und nun du auch! Ja, ja, ihr Evastöchter, ihr seid doch alle mitein ander verknüpft, mag das Band noch so lose und unsichtbar sein." Er glaubte, eine sehr feine Bemerkung gemacht zu baben. Aber heute lag der Malerin wenig daran, ob er sie für ein Ausnahmewesen oder ein Alltagsgeschöpf hielt. Zu hart hatte sie der Alltag bedrängt. „Aber Bert, siehst du denn nicht, was für mich auf dem Spiele steht, wenn sie mich austrägt?" „So stopf ihr den Mund durch ein Geldgeschenk!" „Erkaufen soll ich mir ihr Schweigen? In welche Abhängigkeit von ihr begäbe ich mich dadurch? Und über» dies wurde es wenig helfen." „Nun, so schick sie fort!" „Mit einer neuen könnte ich die gleichen Erfahrungen machen." „Du mußt nicht alles gleich so tragisch nehmen, liebes Kind. Wir alle sind zu Kompromissen genötigt." „Und die Schülerinnen bleiben fort!" klagte Senta. „Das dürfte denn doch wohl nur ein Zufall fein! Es werden andere kommen. Und dann hast du ja auch immer noch deine Bilder!" „Solltest du nicht wissen, Bert, wie übe! es um den Kunstmarkt bestellt ist'? Sieh dir einmal unsere Kunst ausstellungen an. Man kann sie überhaupt nur aufmachen, wenn man dicht daneben einen Rummelplatz anlegt oder anlegen läßt." „Wenn man Beziehungen hat, setzt man auch heut- noch Bilder ab." Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf. Er dachte c^n seine neueste Bekanntschaft, den Amerikaner John Ebers. „Du, rüste für übermorgen deinen kleinen Teetisch! Ich bringe einen smarten East, vielleicht einen KunstlieA Haber! Versprechen kann ich ja nichts Bestimmtes. Ich will aber die Sache schleunigst in die Wege leiten. Somit verlasse ich dich etwas früher." Er hatte es sehr eilig, wegzukommen, aber Senta Stahl war ihm im Herzen doch dankbar, daß er ihre Sorgen teilte, ihr Abhilfe zu schaffen versprach, soweit cs in seinen Kräften stand. Oh. er war doch von Herzen gut. Daß er die kleinen Nadelstiche, die sie empfangen hatte, nicht in gleichem Maße nachempfinden konnte, — nun, dafür war er eben ein Mann, der im Daseinskämpfe vermutlich ganz ander« Püffe auszuhalten hatte! Im Stillen bat sie ihm ab. daß sie einen Augenblick an seiner Kraft, an seinem guten Millen gezweifen hatte. NVnrtt-tuina solat.)
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