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Nummer 169 — 26. Jahrgang Smal wöch. Bezugspreis sllr Full 8,00 Mk. «lnschf. Bestellgeld. Anzeigenpreise: Die laesp..Petitzeile »0^« Stellengesuche LÜ L. Die Petitreklamezeile. 8SMillt- meter breit, 1 Offertengeblihren für Selbstabhole» SO bei Uebersendung durch die Post außerdem Portozuschlag. Einzel-Nr. 10 L. Sonntags-Nr. 2ü Veschästlicher Teil: Artur Lenz in Dresden« srickillwe Sonntag, den 24. Juli 1927 gm Fall« höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung o. Anzeigenaufträgeis u. Leistung v Schadenersatz. Für undeutl. u. d. Ferm ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ver« antwortung. Unverlangt eingesandte u. m. Rückporto! nicht versehene Manuskripte werd. nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion 2—3 Uhr nachmittags» Hauptschriftleiter: Dr. G. Desezyk, Dresden. voimetümg GeschäftSstell«, Druck«.Verla«- Germania,«.-«, liir «erlag und Druckerei. Filiale Dresden. Dresden-«. 1. Palierslrahe N. FemrusSIML. Polticheckkaiüo Dresden r7»Z. Vanlkonto: Etadtbank Dresden Nr. S171S Für chrtsttiche Politik und Kultur Dresden «rdaltto» der «üicklstsche» lv»»«,ettun, Sden-Altsta-t 1. Polierstratze 17. Fernruf LMll und S1012. ien und Sachsen Die Ereignisse in Wien haben in Sachsen ein merkwürdiges Echo gesunden. Nicht genug damit, daß die sächsischen Sozialdemokraten eine Sympathie. Kundgebung für die österreichische „Bruderpartei" für nötig fanden. Die Presse der Linksparteien stimmt nun nachdem die Gefahr des Bolschewismus von Oesterreich glücklich abgewehrt ist, Wehklagen an über die angeb lichen Verfehlungen des Kabinetts Seipel. Leider finden sich unter diesen Schmähern des christlich-sozialen Kanz lers auch demokratische Blätter, die nach dem Vorbilde des „Berliner Tageblattes" alle Ehre den Ausrührern, und alle Schuld an dem Aufruhr der Regierung in Oesterreich geben. So schreibt selbst ein Blatt vom Range der „Z i t- tauer Morgenzeitung" (Nr. 167 vom 20. Juli): „Die christlich-soziale Partei Oesterreichs hat sich zu einer ausgesprochen reaktionären Organisation ent wickelt, und die Führer des deutschen Zentrums, wie Herr von Gue- rard, müssen, gemessen an Herrn Mataja .geradezu als freiheitlich angesprochen werden. . . . Nun ist gewiß der jetzige Bundeskanz ler Seipel nicht nur ein Mann mit außenpolitischen Meriten, sondern ein überaus kluger Kopf und ein sehr geschickter Prälat. Er hat sich auf den Boden der republikanischen Verfassung gestellt, und und zwar rein verstandesgemäß. Dem Gefühl nach ist aber zweifel los seine Einstellung habsburgisch. ... Im Zusammenhang mit den Wiener Ereignissen muß nun darauf hingewiesen werden daß der Tätigkeitsdrang des Herrn Mataja und seiner Freunde sich leider nicht auf Oesterreich beschränkt hat. Sie haben vielmehr seit unge fähr zwet Jahren versucht, auch Einfluß auf das Zentrum tu Deutschland zu gewinnen, und sie sind dabei von den reaktionären Elementen des Zentrums tatkräftig unterstützt worden. Von Wien ans ist der Anstoß erfolgt zur H etze gegen die Teilnahme von Zen trumsleuten an der republikanischen Bewegung. . . Als im vori gen Jahre ReichSbannergruppe» nach Wien fuhren, erschien ein Artikel von Mataja in der „Kölnischen Volkszeitung" und „Augsbur ger Postzeitung", der Loslösung des Zentrums vom Reichsbanner forderte, und zwar ungefähr zu derselben Zeit, als der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholtkenversammlungen, Fürst Alois von Löwenstein, auf einer Tagung der katholischen österreichi schen Adelgesellschaft die Weimarer Verfassung als.eine aus Hoch verrat und Meineid geborene Staatsform bezeichnet«. Auch die katholischen Bischöfe wurden von derselben Seite und ln derselben Sache mobil gemacht." So also äußert sich ein demokratisches Blatt Uber die „Imponderabilien", die für die Wiener Katastrophe maßgebend gewesen sein sollen. Die demokratisch einge stellte Presse in Wien .voran die „Neue Freie Presse" ur teilt freilich ganz anders. Und es scheint der „Zittauer Morgenzeitung" auch weniger darauf anzukommen, die wirklichen Ursachen der Revolte zu kennzeichnen, als sei ner evangelischen Leserschaft wieder einmal einzupräg-n, welch eine reaktionäre Macht der Katholizismus ist. Daß die Christlich-soziale Partei in Oesterreich den schwersten Angriff der Revolutionäre zu ertragen hatte, be weist nur, daß sie in vorderster Front im Kampfe gegen die Macht steht, die in Wahrheit an dem blutigen Frei tag schuld ist. Nicht weil sie „habsburgisch" ist, schmäht man die Christlich-soziale Partei, nicht deswegen sollte ihr Hauptorgan, die „Reichspost" durch Brandstiftung ver nichtet werden — sondern we-il die Partei und die Zeitung seit Jahren führend sind im Kampfe gegen den Bolschewismus. Nicht eine „spontane Volksbewe gung" war der Aufstand nach dem Schattendorfer Urteil, sondern eine planmäßige Ausnützung verhetzter Mensckzen durch kommunistische Agitatoren. Das beweisen deutlich die Aeußerungen der Wiener „Roten Fahne", die erklärt: „Der Iuliaufstand hat mit einer vorläufigen Niederlage geendet. Schafft die Voraussetzungen für den kommen den siegreichen Ausstand, für die siegreiche Re volution!" Es ist bezeichnend, daß auch in Sachsen die kommunistischen Blätter auf die gleiche Tonart abge stimmt sind. Die Dresdner „Arbeiter st imme" (Nr. 167 vom 20. Juli) bringt einen Nachruf für die gefallenen Barrikadenkämpfe r", in dem es heißt: „Die Helden des Wiener Aufstandes haben den Proletariern der ganzen Welt für alle Zeiten ein leuchtendes Beispiel gegeben, wie Proletarier für ihre Sache z» kämpfe» und zu sterben wissen. Ihr rotes Blut, das auf den Straßen der soztal- Keuker Die Welt (Illustrierte Wochenbellage) Die deutschen Sender (Funkbeilagel Unterhaltung und Wissen Recht für alle. Turnen. Sport und Spiel ' Filmrundschau Ein Jahr Potneare Der Geburkslag -es „Kabinetts -er nationalen Einigung" — Die fakttsche Slabittsierung -es Franken — Aukenpottttfche Sorgen Paris, 21. Juli. Poincare hat gestern ein Jubiläum feiern könne». Sei» Kabinett der nationalen Einigung besä») sich an diesem Aag ein Iahr ini Amte. Das Kabinett wurde gebildet, als die französische Währung im Verfall begriffen war und das französische Volk sich in Panikstimmung befand. Inzwischen hat der Franken, der damals vorübergehend bei nahe den Satz von 250.— für das englische Pfund erreichte, sich wieder bis aus die Hälfte gehoben, und zwar ohne daß sehr ernste wirtschaftliche Folgen, Exportrückgang, Arbeitslosigkeit, Teuerung, eingetreten wären, Der Franken ist faktisch stabil, allerdings erst faktisch und nicht juristisch. Böse Zungen behaupten, Poincarü wolle die legale Stabilisierung noch nicht, um weiterhin unentbehrlich zu bleiben und das Amt als Regie rungschef bis zu den Neuwahlen im letzten Mai und darüber hinaus behalten zu können. Als Tatsache darf man jedenfalls wohl annehmen, daß Poincarö im Laufe der nächsten Monate, wenn er wollte, auch die legale Stabilisierung erzielen könnte. Was ist das Geheimnis seines großen Erfolges? Das erklä rende Stichwort lautet: Das Vertrauen, das die Masse der Franzosen, namentlich die besitzenden Klassen in Pcincarö setzen. Scharf« Kritiker nennen Poincarö kitschig, und sehen ge rade darin die Erklärung für seine Popularität. Mag sein, daß sie nicht so ganz unrecht haben. Es wäre nur ein neuer Beleg für di« alte Wahrheit, daß in der Politik der hausbackene ge sunde Menschenverstand und die spießbürgerliche Wohlanständig keit wichtiger sind, als glänzende und geistreiche Einfälle und kühn« lleberraschungen. Schon heute neigt das allgemeine Urteil der Franzosen dahin, das Verdienst Poincarös um die finan zielle Sanierung dank seiner Amtstätigkeit in dem heute nb- laufenden Jahre für größer anzuerkennen, als alle Verdienste, die er sich in seiner voraufg«gangenen langjährigen öffentlichen Tätigkeit erworben habe. Zn der Außenpolitik der französischen Negierung sieht die Bilanz n i ch t s o g ü nst i g aus, wie in der Währungs und Finanz-Politik. Muß es nicht bedenklich stimmen, daß Vriand. der Mann von Locarno, heute noch Außenminister. seit Monaten nicht wagen kann, auch nur das Wort in der Oeffentlichkeit zu ergreifen, um sich zu den außenpolitischen Tagcsfragen auszusprechen? Dagegen hat Pottwals auf di« Denkmalsrede von Luneville soeben diejenige von Laeken u i Brüssel folgen lassen. In 19N von im ganzen 20 Absätzen beschäftigt er sich nach lieber alter Gewohnheit auch in dieser in Gegenwart des Königs Albert von Belgien gehaltenen An sprache mit der Vergangenheit der Zeit während des Krieges und vor dem Kriege. Nur der letzte halbe Absatz gilt der Zu kunft. Aber hier findet Poinrais, das muß man objektiv an erkennen, Worte des unzweideutigen Bekenntnisses zu einer Po litik der Verständigung. Die Rede von Lacken beweist, daß diejenigen recht gehabt haben, di« davor gewarnt haben, di« Rede von Luneoille als bewußten Ruckfall in die Mentalität der Ruhrpolitik auszulegen. Die besten Kenner des Charakters Poincarss versichern, daß es falsch wäre, ihn sich als einen Bahnbrecher, als einen mutigen Führer bei der Verwirklichung großer neuer Ideen vorzustcllcn. Vielmehr neige er eher dazu, vorsichtig, fast ängstlich die Entwickelung der öffentlichen Meinung abzuwarten und erst dann einen neuen Kurs einzuschlagen, wenn er die Ueberzeugung gewonnen habe, daß die Mehrheit der guten Franzosen sür diesen Kurs sei. Wenn dies richtig ist — und wir glauben, es ist richtig — so wäre in der neuerlichen Haltung Poincares ein weiterer Beweis dafür zu erblicken, daß — wie aufmerksam« Be obachter schon seit einiger Zeit konstatieren zu können glauben — ganz allmählich und behutsam das Eros der Franzosen, in der Tat. der Verständigungspolitik Geschmack abgewinnt. Aber frei lich, täuschen wir uns darüber nicht, zwischen dieser Mauserung der öffentlichen Meinung und fühlbaren Fortschritten des diplo matischen Geschäfts, zu deutsch: der Räumung der Rheinland«, ist noch ein weiter, weiter Abstand. Immerhin, ganz hoffnungslos ist der Ausblick nicht, wenn wir die nötige Geduld ausbringen, zumal auch die letzten Aeuße rungen aus England nicht gerade unfreundlich klingen. Wenn Poincare in dem heute beginnenden Jahre feiner Amts zeit mit derselben Intensität und demselben Erfolg sich der außenpolitischen Sanierung widmen will, wie im ersten Jahre der finanziellen Sanierung, so wünschen wir ihm noch eine lang« Ministcrzcit. demokratischen Hochburg vergossen wurde, mahnt die Arbeiter, nicht eher zu ruhen, bis von allen I u st i z p a l ii st e n der Welt die siegreichen Fahnen der Revolution wehen. Solange dieses Ziel nicht erreicht ist, werden Proletarier sterben müssen, denn die Bourgeosie kann man nicht besiegen, setzt man nicht das eigene Leben ein. Das ist das Vermächtnis, das die toten den lcbendenRevolutionären hinterlassen, eine Lehre, die zu befolgen die Ausgabe aller Arbeiter sein muß. Sie sind nicht umsonst gefallen, unsere Brüder in Wie». Dt e-Arb ei t ersch a ft der ganzen Welt wird vonihrem Beisptellernen. Ihr seid unser, ihr Toten von Wien, unser — der Revolution! Ihr starbt nicht für Demokratie und Koalilionspolitik, ihr seid ge fallen für die Diktatur des Proletariats, für de» Kommunismus. An euren Gräbern geloben die revolutionären Arbeiter, euren Kämpf fortzusetzen, nürem Beispiele zu folgen, nicht eher zu ruhen, bis ihr gerächt und das Ziel erreicht ist, für das ihr gestorben seid." Die Sozialdemokraten, gegen die sich die letzten Sätze wenden, spielen eine sehr undank bare Rolle. Sie gefallen sich darin, die Wiener Ereignisse als einen Beweis ihrer Stärke auszuposaunen, ohne aber irgendwelche Erfolge nennen zu können. So preist die Chemnitzer „Volks stimme" (Nr. 167 vom 20. Juli) die gewaltige Waffe des Verkehrsstreiks: „Ein Zirkulartelegramm mit der Unterschrift Tomschiks — und die Eisenbahnen stehen still von Buchs bis Wien. Ein Zir- knlartelcgramm mit der Unterschrift Tomschiks — und die Züge rollen wieder. So war cs. So ist es. Und solange es so bleibt, Wird nichts in der Welt uns biegen oder brechen können!" Zwanzig Zeilen weiter aber muß das Blatt zugeben, daß die Wirkungen des Verkehrsstreiks in erster Linie die Arbeiterschaft treffen: „Denn es ist ein furchtbar gefährliches Kampsmittel: eine all gemeine Stillegung des Verkehr» in solchen Tagen. Noch ein paar Tage Eiscnbahnerstreik und Hunderte Betriebe hätten sperren müssen, weil die Rohstoffe nicht zugeführt werden konnten. Noch ein paar Tage Post- und Telrgraphenstreik — und Milliarden au». ländischen Kapitals Hütte das Ausland, wo infolge der Einstellung des Verkehrs die phantastischsten Gerüchte über die Ereignisse in Oesterreich verbreitet waren, der österreichischen Industrie entzogen, eine neue Kette- von Bankrotten und Betriebscinstellungen, eine neue Welle furchtbar vermehrter Arbeitslosig keit wäre die Folge gewesen." Nach diesem Zugeständnis heißt es dann doch zum Schluß des Artikels: „Denn die Macht über alle Stätten der Produktion und des Verkehrs, auf deren Gang das Leben der Gesellschaft und des Staa tes beruht, wird sich schließlich doch immer stärker erweisen als ein paar tausend Polizeigewehrc. Solange wir diese Macht s.'st in unse ren Händen behalten, solange werden die palüffchc» Leichenfledderer vergebens boffcn, an dem Proleiarierblnt. das sie vergossen Huben, auch nocb ihr Geschäft zu machen!" Hier also bekommen die Konlluuinsteu ihrerseits et was ab. Daß freilich die systematische Hetze der Sozialde mokratie in Oesterreich den Kommunisten den Weg ge ebnet hat, wird nicht gesagt. Es wäre das auch für ein sächsisches Blatt zu gefährlich, man könnte ja sonst fragen, wie esinSa chse n mit diesen Dingen steht. Haben wir in Sachsen nicht schon ähnliche Tage der Unruhe und des Aufruhrs erlebt? Und war hier nicht der Verlauf der gleiche wie in Wien, daß die Kommunisten reiche Früchte ernteten auf dem Boden, den die Sozial demokraten vorbereitet hatten? So kann für uns in Sachsen die Erfahrung der Stnrmtage in Wien allerdings zu einer Lehre werden. In keinem anderen reichsdeut- schen Lande gleicht die Sozialdemokratie in ihrer ganzen radikalen Einstellung so der österreichischen wie in Sach sen. Auch für die sächsische Sozialdemokratie gelten die Sätze, die die christlich-soziale „Reichs post" über die österreichische Sozialdemkratie formuliert: „Die Berechtigung, aus der die Kommunist! scheu Wortführer ihre Zuversicht zu den augekündigten künftigen Unternehmungen schöpfen, ist durch die gei stige Verfassung der österreichischen So-