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Aus dem Zrihatt. EottfriedKüwel: Der Dollar. Zoe Dropsen: Legendchen. Johanna Weiskirch: Die Seiden Alten. Franz Lingia: Mutter. Han» Bauer: Dt« Schlang«. Henriette Brey: Heidezauber. Willy Arndt: Hochspannungsmasten im Westerwald. WWW,WM,W>>WWWWW!W Der Dakar Von «ettfried Köwel. Als unser deutsches Vaterland noch der Hungerblockade au»- geliefert war und ein« Semmel rar wie ein Goldberg war, kam ein sogenannter Hamsterer eines Sonntags zu Fuchshofen in das Haus des Lösselbauern, der wegen feiner übertriebenen Preise allgemein bekannt war. „Habt Ihr nicht «in bißchen Schmalz für mich?" fragte er und blieb bescheiden an der Türschwelle stehen. — „Nicht einen Fingerhwt voll", erwiderte der Bauer, „Ihr wißt doch, daß wir alles an de« Kommunaloerband ab liefern müssen." — „Dann habt Ihr aber doch ein halbes Pfund Mehl übrig," bat der Fremde. Doch der Bauer entgegnet«: „Wir haben selbst kaum mehr Brot genug für di« Dienstboten". — „So gebt mir", sagte nun der Abgewieseue, „wenigstens ein paar Eicr. Solche habt Ihr ja doch im Nest." — „O", rief da der Bauer, „was Ihr nicht meint. Unsere Hennen legen schon seit vier Wochen nicht mehr. Ls tät fast not, man steckte ihnen die Eier in den Schngbel, damit wieder welch« herauskämen." „Wahrlich", äußert« nun der Hamsterer, „Ihr seid ein armer Mann. Da bin ich schon noch reicher. Ich habe wenig stens einen Dollar in der Tasche." — „Einen Dollar!" wieder holt« der Bauer erstaunt. „Was Ihr nicht sagt! Der muß ja mächtig viel wert sein." — „Es dauert nicht mehr lange, dann kaufe ich diesen ganzen Bauernhof dafür." erklärte der Ham sterer. Der Bauer blinzelte verlegen und biß sich einige Male auf die Lippen. „Was wollt Ihr denn für den Dollar haben?" fragte er plötzlich und bat den Frenrden, den Schein herzuzeigen. „Wenn Ihr mir zehn Pfund Schmalz gebt", schlug der Fremde vor und zeigte das Geld, „können wir einen Handel machen." — „Ihr seid ja nicht recht bei Sinnen", warf der Bauer ein, „zehn Pfund Schmalz!" Trotzdem rief er jäh die Bäuerin herbei und sprach: „Hole den großen Schmalzkllbel herein!" — „Ihr müßt auch noch fünf Pfund Mehl und zwanzig Eier dazutun!" beharrte der Hamsterer. „Seid Ihr denn ein Wucherer?" klagte nun der Löffelbauer. „Wie mögt Ihr uns arme Landleute wie eine Zitrone auspressen?" — Doch da der Dollar in Mark um gerechnet, damals immer noch mehr wert war, als sämtliche Waren zu jener Zeit kostete», ließ der Löffelbauer den aus ländischen Schein nicht mehr aus der Hand, sondern war, als der Fremde sich entfernt hatte, sehr erfreut über den guten Handel. Er sperrte den Dollar heimlich in die Schublade, wie wenn ihm ein Gnom eine Krone aus Gold geschenkt hätte, und I niemand außer seiner Frau bekam ihn zu sehen, nicht einmal I seine Kinder, damit ja von den verbotenen Devisen, in der Schub- I lade nichts ausgeschwatzt würde. Jeden Morgen, jeden Mittag, jeden Abend bestaunte der Löffelbauer den verborgenen Schatz, I und je mehr die Mark fiel, desto höher stieg seine Hoffnung. I „Schließlich werde ich wirklich dem Nachbar noch den ganzen Hof damit abkaufen können", meinte er und freute sich der kom menden Zeiten. Aber da traf er nach längerer Zeit eines Abends seinen Nachbarn, den Kirchbauern, als dieser gerade aus der Stadt zurückkehrte, wo er ein paar fette Ochsen verkauft hatte. „Denk dir nur", erzählt« der Nachbar, „wie mich der Händler bezahlt hat. Zehn amerikanische Dollar hat er mir unter das Geld gemischt." Der Löffelbauer bekam einen weiten Mund und . wiederholt«: „Gleich zehn Dollar?" — Sofort zog der Nachbar das Geld aus der Tasche und zeigte es her. Da begann der Löffelbauer schadenfreudig zu lachen und rief: „Da bist du schön hereingefallen, das sind lauter falsche." — „Das wirst du verstehen", entgegnet« der Kirchbauer, „falsche werden das sein." — .Wenn ich es dir sage," beharrte der Löffelbauer. „Ein echter Dollar steht ganz anders aus. Komm mit mir", fuhr er mit ge dämpfter Stimme fort und lauerte ringsum, ob ihn niemand höre. „Ich habe einen." — Als ging der Kirchbauer mit in das Haus, um hinter verschlossener Tür seinen Dollar mit dem des Löfelbauern zu vergleichen. Wahrlich, die zehn Dollar sahen Hoch oben am Berge lag ein« Wiese. Der Wald umstand sie und im Grase blühten unzählige Blumen. Fast niemals stört« ein Mensch di« große Stille, die sich hier breitete, in die nur das Rauschen der Tannen, das Sausen des Windes, Vogelgezwitscher und Bienensummen eine feine Melodie webten. Doch eines Tages kamen Arbeiter aus dem Tal« herauf, die fingen an zu graben, Steine zu klopfen und Holz zu fällen, und bald hoben sich die Grundmauern eines kleinen Hauses aus dem Boden. Die Mauern wuchsen höher und höher, nicht lange, so ragten die Dachsparren hell und blank in die Luft und der Himmel guckte durch sie hindurch, so daß es aussah, als seien sie mit blauer Seide bespannt. Dann überwuchsen braune Schindeln das Gebälk, lustige Fenster blinkerten zwischen den weißen Wänden: Das Haus rvar fertig! Wenn aber Wald und Wiese meinten, daß nun, nachdem die Arbeiter wieder ins Tal zurückgekehrt waren, die altgewohnte Stille hier oben von neuem herrschen werde, so irrten sie sich gründlich. Ein junges Paar mit kleinen Kindern zog in das Häuschen ein: Das Lachen der Frau schallte aus Türen und Fenstern und ihre hell« Stimine war weithin zu hören, wenn sie nach den Kindern rief, die mit Hallo zwischen den Blumen im Grase herunispielten. Der Mann machte Holz klein, dengelt« die Sense, ging mit klappernden Nagelschuhen hin und her und summte bisweilen bei der Arbeit ein Lied vor sich hin. Dazu bellte der Hund, mauzte dl« Katze, meckerten die Ziegen und gackerten die Hühner, die mit den ganz anders aus! Sollt« ihn der Viehhändler absichtlich be trogen haben? Eine schlechte Welt sei das doch heute, sagte der Kirchbauer zum Löffelbauern und dieser wollte seinen echten Dollar eben wieder freudestrahlend in die Schublade legen. Da ging draußen vor dem Fenster gerade der Lehrer des Orte» vorbei und der Kirchbauer. der gut vertraut mit ihm war, riß sofort di« Scheiben aus, um den Vorübergehenden einige Augen blicke hereinzubitten. Er hielt dem Lehrer die zehn Dollar hin und sprach: ,W<rs sagen jetzt Sie dazu? Sind das echte oder falsche?" — Der Lehrer las unter anderem auch die Aufschrift: Tbo vntteck States ok America, hielt di« Scheine gegen da» Licht und erwiderte: ,Warum sollen die falsch sein?" — „Der Löffelbauer hat nämlich «inen ganz anderen." erklärt« der Kirch bauer. Wie verwunderte sich aber der Lehrer, als er auch die sen Dollar sah! Das sei nicht englisch, nicht französisch, nicht italienisch, was darauf stehe, das klingt fast flavisch. Er la» auf der Vorderseite: Orvu cks klsrn urci »insg hsr. — Und hinten stand darauf: Vs Urvaack kitge lxiru al Tpa k>i«r. — Doch während Ihn der Löffelbauer neugierig anblickte, ob er vielleicht gar noch «in wertvolleres Geld als einen Dollar er halten hätte, lacht« der Lehrer plötzlich laut auf und sagt«: ,^Va seid Ihr einmal schön herelngrfallen, Löffelbauer. Wißt Ihr, was das heißt? Es ist nur gaunerhaft verzerrt und lautet ganz einfach: O Wucherer, nur deine Gier verwandelt Geld i» Alt papier." Menschen aus dem Dorfe heraufgekommen waren. Kurzum, die stillverträumte Einsamkeit der Bergwiese war endgültig vorbei. Doch das frische Leben, das sich häuslich auf ihr niedergelassen hatte, gefiel ihr. Auch der Wald fand sich nach einigem Ver wundern damit ab und hatte schließlich gleichfalls sein« Freud« an Mensch und Tier, die in dem Häuschen friedlich miteinander lebten. Nur einer war, der konnte sich mit diesem neuen Wesen nicht befreunden, vor allem ärgerte ihn das Haus täglich. Das war der Wind. Er liebte es, auf der Wiese hcrumzutollen und nun schlug er sich bei seinen schönsten Purzelbäumen jedesmal den Kopf an den Ecken dieses abscheulichen Gebäudes! Es mußte unter allen Umständen fort, mochten seine Bewohner nur wieder ins Tal herunterziehrn, von wo sie gekommen waren. Darum nahm er die Backen recht voll und blies aus Leibes kräften, er rüttelte am kleinen Haus, daß es bis in die Grund mauern hinein erbebte. Doch es hielt tapfer stand, so sehr er sich auch anftrengte, um es über de» Haufen zu werfen. „Fort mußt du. magst dich noch so sehr dagegen wehren," schrie er wütend, „ich werde die Gewitterwolken um Beistand bitten!" Als di« Tannen den Wind so reden hörten, standen sie sehr er schrocken und di« Blumen duckten sich angstvoll ins Gras. Hatte der flammende Blitzstrahl, der aus dunkler Wolke niederzuckt, sich doch schon oft die höchsten und stolzesten Bäume des Äialdes Legendchen/ Sie beiden Alten« Von Johanna Weiskirch Früher war das anders, ganz anders gewesen. Nämlich in den beiden letzte» Jahren vor dem Kriege. Da waren gar manchmal ungeduldige, mißmutige und sehnsüchtige Gedanken, Wünsch« und Seufzer über die stille Kleinstadtgassc zwischen den Altenteilen der beiden Freunde hin- und herge-,.flogen: dem von Wohlstand zeugenden Hause des Willems und dem behäbigen Bauerngüt- chen des Hannes. Damal »hatten sie sich von ihren Geschäften zurückgezogen, der Willem dom Schwiegersohn die Fabrik, und der Hannes dem Slchn die Landwirtschaft übergeben. Und da hatte das Seufzen und Sehnen der beiden begonnen, der Miß mut, oder besser gesagt, di« Langeweil« sie grimmig angefallen. Plagen, von denen sie in ihrem arbeits- und erfolgreiche« Leben bis zu ihrem sechzigsten Jahre gar nichts gewußt und gespürt hatten. Die Tage, die früher immer zu kurz gewesen waren, dehnten sich den beiden Freunden nun zu kleinen Ewigkeiten. Von der frühen Stunde an, da sie regelmäßig einander den Morgengruß von Fenster zu Fenster zuriefen. der Willem dem Hannes den Stand des Barometers mitteilte und ihn auf die stiarlichen, dom Kreisblätichen entnommenen Neuigkeiten von drinnen und draußen aufmerksam machte. Allerdings besuchte der Willem gelegentlich seines nie versäumten Morgenspazier gangs mit der Pünktlichkeit einer Uhr die von ihm gegründete Fabrik, um, wie die Arbeiter sagten, die Nase noch immer in alles und jedes zu stecken, und der Hannes spannte im Sommer den dicken Braunen oder die wohlgenährte Bloß vor den leichten Leiterwagen, um Klee oder Gras zu holen, und füllte im Winter die Raufen mit duftendem Heu und fettem Hafer, aber was wollten diese „Faulenzereien", wie di« beiden Alten ihre Be schäftigungen benannten, den vielen Vormittagsstunden gegen über bedeuten? Da hatten es ihr« Frauen, des Willems Vettchen und des Hannes Marie-Katrin, doch bei weitem besser. Die liehen sich ra, Wohlbefinden ihrer Männer noch weit mehr angelegen sein als früher, prozellten ihnen zur Beseitigung ihrer gestörten >run« und zur Herstellung des geschädigten Behagens all« Leib gerichte früherer Tage und erfanden neue dazu, und di« sich nach i und nach einstellenden und zum Teil auch schon Heranwachsenden I ^ Eickel und Enkelinnen nahmen die Großmütter auch häufig und gerne in Anspruch Die Mittagsschläfchen, di« von den beiden Alten sehr aus giebig gehalten und meist bis zum gemütlichen Nachmittags kaffee ausgedehnt wurden, halfen ja über einig« Stunden fort, aber dann begann das Elend der Langeweile von neuem. Um so mehr, als die Kräfte neuaufgefrischt nach Betätigung ver langten. Der Willem konnte konnte doch am Nachmittag nicht auch noch seine Nase in alles und jedes in der Fabrik stecken, obschon es ihm heiß danach verlangte, und der Hannes konnte doch nicht immerzu füttern, wenn das liebe Vieh nicht an Fett sucht zugrunde gehen sollte. Wenn nur wenigstens das ganze Jahr hindurch Heu- und Grummetzeit gewesen wäre! Da spielte das Barometer im Leben der beiden Alten eine grosze Rolle. Der Willem studierte es im Interesse des Hannes mehrmals eingehend am Tag«, machte sich Notizen und spielte den Wetter propheten. Sein Freund vertraute ihm und seinem Wetterglas unbedingt und beriet, darauf fußend, den Sohn und dessen Knecht zum Mähen oder Nichtmähen der verschiedenen und mitunter recht weit auseinanderliegenden Wiesenparzellen. Aber eines Tages regnete es, des Willems Voraussagung schönen Wetters zum Trotz, ins Heu, und dadurch wurde di« so lang« Jahre un getrübt gewesene Freundschaft der beiden Alren für einige Tag« Junger Sommer. Der junge Sommer lehnt verträumt An meinem grünen Gartentor; Er blickt so eigen her und säumt, Die Stund, klingt und blinkt und schäumt Wie weißer Wolkrnflor. Der weiße Flor verschäumt im Wind,/ Der spielend um den Garten weht: Der junge Sommer sehnt und sinnt. Er lächelt wie im Schlaf ein Kind Und hebt die Hand und geht. k'ranr k-llätlra. gestört. „Och, m«i, geh m«r doch eweg mit diugem Perpen- dickel!" schalt der Hannes erbost, als der Willem zur Wieder anbahnung des Frizens den Rat gab. unbedingt im Bruch zu mähen, da das Wetter beständig werde. Der Aerger des Hannes hielt aber nicht stand, als der Willem sich von ihm verabschiedete, um «ine Badereise nach Eins anzutrrten. Ach, du lieber Gott! Ganze drei bis vier Wochen sollte er ohne seinen besten Freund auskommen? -Das war ja gar nicht auszudenken und aus zuhalten. Und mußte doch ertragen werden. Aber niemand wußte darum, wie sehr das Heimweh nach dem Willem brannte, wie viele seiner Blicke nach den Fenstern des gegenüberliegenden behaglichen Bürgerhauses flogen. Bis dann eines Tages — dem Hannes schien es nach Jahren —, der Freund wieder da war und di« beiden Alten zur Begrüßung di« Hände meinaner legten, als wollten ft« nicht mehr einander loslassen. Das war ganz kurz vor dem Serajewoer Doppelmord, der den Weltkrieg mit allen seinen Schrecken ohne End« einleitete. Und dann schritten die Ereignisse auch in dem kleinen Land städtchen, das des Willem und des Hannes Geburtsort war. sehr schnell, und gleich in den ersten Tagen der Mobilmachung rückten der Schwiegersohn des Willem und der Sohn des Hannes kn» Feld. Und von da an wurden die beiden Alten, die diese Be nennung eigentlich gar nicht verdient hatten, wieder jung. Bei nahe ganz jung! Vor lauter Arbeit und Anforderungen, dt« das Leben nun an sie stellt« wurden ihnen di« Tage noch kürzer als in früheren Zeiten, und bis in die Nächte hinein wurde« die Kriegs- und Siegesnachrichten verfolgt und erörtert. Und einer großen, heiligen Aufgabe waren sich die beiden Freund« bewußt: di« Heranwachsenden Enkelkinder di« Liebe zum deut schen Vaterland« zu lehren. Ob auch des Willems Schwiegersohn in Flandern und des Hannes Einziger in Polen fiel, es blieb bis sie erkaltete in der seinen. Und ein Jahr später kam auch di« Jahre der bittersten Schmach und Nöte den beiden Freunden um di« schneeweiß gewordenen Köpfe brausten. Sie sind nun beide gestorben. Der Hannes mußte zuerst fort, und da stand der Willem neben ihm und hielt seine Hand, bis sie erkaltete in der seinen. Und in Jahr fpätr kam auch sein« Stunde. Auf dem schlichten Friedhof ihrer Heimat tun die beiden nicht weit von einander den letzten Schlaf, und zwei Trauerweiden schatten über ihren Ruhestätten. Ihr Andenken aber und ihr« kernig« Art lebt in prächtigen Enkeln weiter.