Volltext Seite (XML)
Onter^altunL und V^i88en LsckZisctie Volicsreitunx ^sku'Asnx 1927 Aus dem Inhalt. Richard Kerlach: Heimat Gottfried Kölwel: Knittel beit Harry R c u ß - L ö v e n st e i n: Reisebriese aus Mögginpriel. Hans Bauer: Fünfzehn Luftballons. Z. Schrönghamer-Heimdal: Der Zauberer. >I>>I>j!>!!!i!!!!!!III!>>>!!III!>I!!>Ii!!>i>>>>>!!>>I>>>!>>!!>!>>!>!>>>>>>>>>>!>!li!>>l>i!!!>!!i>!>i!!!I!!>MI>I!>>I!>»»I!I!W»»iiWUII»I1 Heimat. , Von Richard Verlach. Ich weis; ein schmales Ackerstück. Roggen und Kar toffeln wachsen darauf, und in der Mitte stehen ein paar Apfelbäume. Es ist ein Feld wie tausend andere. Und doch blühen die Kornblumen nirgends so blau wie hier. Nirgends leuchtet der Mohn so rot. Wenn der Pflug di>r Schollen umbricht, wenn der Sämann über die Erde schreitet, die grünen Spitzen der Saat hervorlngen, die Aehren aufschietzen und endlich das goldene Getreide wogt und die Schnitter kommen, wie ist mir jedes Kleinste hier vertraut Ich bin hinter dem Pflüger hergerannt, als ich ein Junge war. Ich durfte den Pferden den Hals klopfen und zuweilen hob mich der Knecht sogar auf den Rücken. In jedem Baum bin ich herumgeklettert. Einmal wurden wir gefaßt, die Aepsel waren noch ganz hart und sauer, und ich meine, selbst die Tracht Prügel, die wohlverdiente, ist wundervoll gewesen. . . Der Mensch braucht etwas, das er liebhaben kann. Er braucht einen Platz auf der Erde, wo sein« Seele ver wurzelt ist. Es muß nicht gerade ein Acker, ein Eigentum sein. Und es ist auch nicht die Kinderzeit daheim, die einem das Gesübl des zu Hause gibt. Nur eins mit anderem Herzen und geborgen muß man dort sein. Da lvar die Stelle im Wald, wo mir mein Großvater zum erstenmal ein Vogelnest zeigte. Aus einer dunklen Asthöhle streckten sich uns fünf aufgesperrts Schnäbel entgegen. Behutsam schaute ich mir jenes piepsend« hilflos« Kleinzeug an, die alten Vögel flatterten aufgeregt um unsere Köpfe. Von jenem Tage an lauschte ich auf die Stimmen der Natur. Es ivar der wichtigste Abschnitt in meiner Bildung, daß ich etwa gleichzeitig lange Hosen und eine Taschenuhr erhielt, war dagegen gar nichts. Die Bauernsöhne haben es einfach zu sagen, wo ihre Heimat ist: Wo sollte sie sonst sein, als um ihr väterliches Haus herum, so viel Tagwert oder Morgen gehören uns, können sie erzählen, und das Scheunendach ist neu gedeckt und der Wagenschuppen ist jetzt auch viel größer geworden. Aber die Hälfte unseres Volkes steckt in der Großstadt und kennt keinen eigenen Herd. Woher sollen die Enterb te» eine Beziehung zu ihrer Umgebung haben? Die Miets wohnung in irgendeinem Stockwerk irgendeiner Straße, wie kann jemand dafür begeistert sein? Und oft sind die Räume ja überfüllt, Gasgestank, Not und Gekeife machen sie schrecklich, die Menschen lachen böse, wenn sie von Heimat liebe hören, überall scheint es ihnen erträglicher zu sein, als wohin sie verdammt sind. Die Sonntage und Feier stunden draußen muffen ihnen das verlorene Vaterhaus er- Kosmopolit ist ein Flimmerwesen, unecht und haltlos. Wir setzen. Manche Großstädte freilich haben den Charakter der alten malerischen Bürgerstraßen bewahrt, sie haben noch ihre schönen Kirchen und reizenden Plätze, aber ivas uns an München oder Nürnberg lieb ist, stammt alles aus dem Milt lalter oder aus der Zeit schöpferischer Fürsten. Zusammenhang: Los« Uebertragung von praktischen Konstruktionen auf jede Landschaft ohne Rücksicht auf das Vorhandene verdirbt uns die Heimat, viel« Mietshäuser glotzen uns an wie Zellengefüngnisse, der Mensch ist nur mehr eine Nummer. Wir brauchen Hauser, di« man gern betrachtet, Wohnungen, in denen man sich zuhause fühlen kann, sonst wird die Heimatliebe immer schlimmer durch den Hotelgeist abgelöst. Ohne Heimat gibt es kein« Kraft der Seele. Der > Relsebrief ms Was der gewitzte Leser bereits aus der Ueberschrist ersehen hat: der Schauplatz meiner sommerlichen Zuflucht ist ein kleines Elbeiland, eine halbe Stunde von der St.-Pauli-Landungs- briicke. Dahin reise ich feit Jahren für dreißig Pfennig Reise geld. Eine kleine Bude ist mein Unterschlupf. Was die Insel vor den meisten Ländern der Welt voraus hat: es gibt hier keine Autos. Nur die wenigen Ueberlebenden jener vogelsreien Parias, Fußgänger genannt, werden die ganze Glückseligkeit dieses Zustandes ermessen. Wer da tagtäglich wie ein gescheuch tes Huhn vor feindseligen Elektrischen, stinkenden Motorrädern und durch möllernde Sipos losgelassenen Autos flüchtet, um sein armseliges bißchen Leben in den Schatten der Häuser zu retten, weiß, was das bedeutet. lleber Moggenpriels Vergangenheit weiß ich nichts zu be richten. Dichter sprossen reichlich auf diesem fetten Boden, ganze Familien tummeln in gemächlicher Gangart ihren Pegasus. Von den Einwohnern bleibt aus diesem Grunde auch nichts zu sagen übrig, sie sind bereits restlos zu Literatur verarbeitet und im Druck erschienen. Peter, unser gelber Kater, ist zur Zeit der älteste Bewohner der Insel. Ich schätze ihn auf mindestens hundertdreißig Jahre. Er ist so groß wie eine Bulldogge und verhältnismäßig rüstig. Man sagt ihm nach, daß er noch die Ursprache der Insulaner beherrscht, aber leider ist er stumm, und zwar so vollständig, daß er nicht den geringsten Laut von sich gibt. Von diesem düsteren Geschick hat er keine Ahnung, die gütige Vorsehung fügte es, daß er zur gleichen Stunde stocktaub wurde. Als im Sturm und Drang der Revolution einige Granaten auf dem Vorland mit dem nötigen Krach krepierten, — wobei Klas Abendsegen sich fast den Tod holt«, als er sich infolge allzu hastiger Flucht eine Erkältung zuzog — stoben Schafe und Ziegen entsetzt davon: nur Peter saß mit seinem ewig gleichen Lächeln in all dem Tumult, zog in leiser Verwunderung di« linke Braue hoch und putzt« sich dann gleichmütig feinen etwas in Unordnung geratenen Pelz. Die Möggenprieler sind seit Urzeiten Fischer und Seefahrer. Ihre Dichter berichten davon. Sie nahmen dankbar, was ihnen der Himmel spendete. Wenn es der Zufall gerade so fügte, nahmen di« Vorfahren auch mal eine wohlbefrachtete kleine könne» uns nicht gegen die Zeit stemmen, der Verkehr rückt die Völker einander näher und näher. Ein schnellerer Aus tausch geistiger Werte ist unvermeidbar und vielleicht süe die Menschheit schließlich auch von Nutzen. Aber wir s cheu, daß zunächst Schund und Gewöhnlichkeit rasch von einem Volk auf das andere überspringen. Wir ha^en unsere Eigen- art zu verteidigen, wir haben große Traditionen zu be wahren, es gibt noch Dinge, die sich mit Zahlen und (beld nicht ausdrücken lassen. Die wir eine glückliche Jugend gehabt haben, wir wollen sorgen, daß auch unsere weniger bevorzugten Volks genossen wieder Boden unter die Füße kriegen. Aber das ist gewiß, wir Männer können viel weniger mit unseren Bemühungen ausrichten als die Mütter die ihre Kinder in Liebe aufziehen Mggeilpriel. Koge wahr, die ihnen ungeschickterwcise ins Garn gcng. Oder einen seiten Hammel, den die Bauern auf der tlnterelbe nicht rechtzeitig bergen konnten. Davon berichten die Dichter jedoch nichts. Ich habe aber gelesen, daß es romantische Liebe zum Meere und Abenteuerlust sind, die diese heldenmütigen alten Wikinger iminer wieder aufs Meer treibt. Letzthin standen einige am Strande und spähten seyitzUch. tigen Adlerblickes in die Ferne, dorthin, wo das blaue Meer immerzu wogt. Mir giug ihre Sehnsucht zu Herzen, ich fühlte den Drang, ihnen mein Verständnis zu zeigen, und sprach: „Wie herrlich muß es sein, auf schwankendem Fahrzeug im Brüllen der See, im Donnern des Sturmes zu klüsen und zu sterben! Gibt es Edleres —" weiter kam ich nicht, „Segg nrol, du Heft wull kool« Feut, du Butenlanner r Wenn wiA anner Geschäft lehrt harrn, uns Gild an Land to verdeen'n, denn wullen wi denn Deubel dohn un uns op See Rheumatismus holen!" Mit der Romantik ist es anscheinend doch nichts mehr? Sie Haben s heuzutag« gar nicht leicht, die Fischer. Die Liitt- fifcher können ihre paar Butt nicht lebendig zu Markt bringen. Oberhalb Schulau ist das Elbwasser durch chemische Abwässer so vergiftet, daß di« Fische im Bünn sterben, lled das Oel, das oft die ganze Elbe bedeckt, vertreibt sie immer weiter. Legt sich da neulich in der Bucht ein Dampfer vor Anker, gerade vor meiner Tür. Kein Tap Polonio, aber doch anscheinend den besseren Ständen gehörig. Wir fühlten uns jedenfalls sehr geschmeichelt ob dieses fremden Besuches, und es erregte Be dauern, als er nach einigen Stunden wieder abdampfte. Er hatte sich durch sein Interesse an Möggenpriel allgemeine Sym pathie erworben, der bessere Dampfer! Aber das dicke Ende kam nach! Am anderen Abend hatten sich sämtliche Ziegen und Schafe, die auf dem Vorland an der Elbe weideten, schrecklich verändert. Sie waren fchivarz lackiert, mit einem wasserdichten Ueberzug versehen. Einig« auch nur gescheckt. Worher kam solches? Anfänglich glaubt« man. daß der Süllbrrg nächtlicherweile Knittel deck. Von Gottfried Kittwel. Zuweilen, wenn der Herbst näffelte und der Winter Schnee ln die braunen Lachen warf, kam es vor, daß der alte Knittelbeck, ein breitschultriges Männlein, der in gefunden Tagen di« ledernen Hofen der Bauern schwärzte, oft lange im Bett« liegen mußt«, weil ihn die Eicht stach. Wenn ihn dann jemand besuchte und nach seinem Befinden fragte, sagte er: „Wird schon wieder gehen. Ist doch ein Luder, die Gicht! Beißt einen in dt« Bein«, daß man Tag und Nacht liegen muß wie ein« ausgediente Jungfrau, die der Storch gezwickt hat." War er dann wieder gesund, so saß er an sonnigen Frühlings tagen meist aus einer Bank in der Allee und betrachtete, den Hut etwas schief auf dein Kopf und die Hände auf seinen mit Quasten geschmückten Stock gestützt, die vorübcrwandrlnden Menschen. Hat jeder seinen Teil zu tragen auf dieser schönen Welt, dachte er. Der eine ttägt's im Kreuz, der ander« im Herz, ein dritter in der Nier. Und denen gar nichts fehlt und dl« noch Thailen haben und Gäule, die tragen's oft schwerer in der Brust umher?als drei andere auf dem Buckel tragen. Ja. ja, jeder hat seinen bösen Teil, und darum laßt uns mit dem vergnügt sein auf dieser Welt, lo lang es geht! , Er war auch wirklich stets vergnügt, der alt« Knittelbeck, wo es nur ging. Abends am Biertisch setzte er sich mit Vorliebe zu den jüngeren Leuten, kaute nicht, wie die meisten seines Alters, die schon Groschen für einen Sarg sparten, an einer hornigen Pfeife, sondern zog ein Etui, das er noch aus seiner Wanderzeit besaß, aus der Brusttasche und rauchte, wi« er selber sagte, ein« Extrafein«. Bot ihm aber jemand gar eine Zigareii« an, die noch süßer roch als seine Zigarre, so schien Knittelbeck manchmal sein Alter ganz zu vergessen, und wenn gerade ein Mädchen in der Nähe war, wurde er übermütig wi« ein Knabe. Er begann di« jungen Evastöchter zu necken, und wenn «in« der Iung- fräulein N» darob emvörte und ihn einen alten Narren nannte. sing er unbändig an zu lachen und rief: „Die Jugend muß sich aus toben!" Da geschah es nun einmal, als Knittelbeck das winterliche Gichlbett eben wieder verlassen hatte und zur Erholung mühsam auf einer sonnigen Straße unmittelbar vor dem Städtchen dahinhumpelte, daß zwei vor einem Zuge scheu gewordene Pferde des Weges dahersprengien. Knittelbeck, der nicht rasch genug ausweichen konnte, wurde von den Rädern erfaßt und so schwer zu Boden gerissen, daß die Leut«, die es sahen, glaubten, er wäre tot. Doch als man ihm zu Hilfe kam, da bewegte er sich ganz ruhig und sagt«: „Ich glaub, der linke Fuß ist ab," Und als ihn die Leute untersuchten und sich scheuten, ihm seine Meinung zu bestätigen, fuhr er weiter fort: „Er hat so nicht mehr viel getaugt, der alt« Klumpen!" Die es hörten, erschraken vor diesen Worten. Sie ver stummten, wie wenn etwas Großes unter ihnen geschehen cväre. Dann schafften sie eine Holztrag« herbei und trugen den Alten in sein kleines Haus. Als st« in die Stadt kamen, versammelten sich immer mehr Menschen um die Trage, gingen teils vorn einher, das Unheil besprechend, teils folgten sie nach, so daß es aussah. als zöge eine gehäuft« Prozession mit einem Heiligen durch die Stadt. Der Arzt, den man gerufen hatte, ging dem Verunglückten entgegen. — „Ja, Herr Doktor," sagt« Knittelbeck, ,chie Gäule sind halt zu schnell gelaufen und ich zu langsam; drum ift's so gegangen." Zu Hause legte der Arzt «inen Verband an cmd besuchte den Kranken noch einmal vor Anbruch der Nacht. Es kam ihm seltsam vor, wi« der Alte, gegen jede Trübsal gefeit, im Veit« lag. Der Arzt aber sah es gar bald anders kommen, als er hoffte. Das Bein entzündete und verschlimmerte sich so, daß er ernstlich an di« Abnahme oberhalb des Knies denken mußt«. Er ließ, als er den Kranken hinlänglich verständigt hatte, eine Droschke kommen und fuhr mit Kntttelbeck in das Krankenhaus. Als sie dabei am Kriedbof, der a« Weae laa. oorüberkame«. fing Knittelbeck, der durch die unglückliche Wendung etwas stiller geworden war, plötzlich wieder zu reden an: „Das ist so ein Kraut. Michel, ärger noch als die Gicht, das werd ich dir erzählen, wenn ich eininal hinüberkomm." Dabei heftete sich sein Blick an einem Eisenkreuz fest, das über di« Kirchhofsmauer ragte. — „Ich Hab nur meinen alten Kameraden gemeint, der schon da drüben liegt", wandte er sich an den Arzt, der ihn verwundert ansah. Im Krankenhaus war zur Operation schon alles bereit. Ehe sich Knittelbeck jedoch auf den Tisch heben ließ, verlangte er plötzlich Tinte und Feder, um sein Testament zu machen. Denn alles sollte geregelt sein, wenn ihm schließlich, wie er sagte, etwas Dummes passieren sollte. Und so schrieb er auf einem Brette, das man ihm hingereicht hatte: „Wenn ich tot bin, soll der Bürgermeister mein Kassabuch nehmen, das im Kasten eingesperrt liegt, soll dos Geld erheben, im ganzen einuud- zwanzigtausend Atort, und soll es als Grundstock anlegen für ein Fest, das jung und alt soll begehen alle Jahr« im Mal mit Musik und Tanz, au» Freude darüber, daß sie noch am Leben sind." Dann faltete er das Papier, verschloß da, seltsaine Testament, übergab es dem Arzt mtt dem Ersuchen, es dem Bürgermeister zu übergeben, und ließ sich auf den Operationstisch heben. Allerdings erkannt« Knittelbeck bald danach, daß es noch gar nicht nötig gewesen wäre, schon das Testament zu machen. Denn von Tag zu Tag verbessert« sich sein Zustand, und die Genesung schritt rascher vor, als der Arzt geglaubt hatte. Das vor der Operation gemachte Testament lieh Knittelbeck als gültig bestehen und veranstaltete aus Freude darüber, daß er noch lebte, im nächsten Mai selbst das erste Frühlingsfest. Jung und alt war dabei draußen auf einer Wiese versammelt, und inmitten aller, eine extra feine Zigarre rauchend, den Hut etwas schief auf dem Kopfe, staud Knittelbeck. Er gab mit seinem quastengeschmückten Stock den Takt zur Musik, und als alles anfing sich zu drehen vor Freude, da au«b er iicb mit. so aut es eben aina auf einem Beine