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886N 1927 Aus dem Inhalt. Karl Albert Vögele: Das kleine Kind, der Most« lkott. Max Karl Böttcher: Der Schmied von Kleitvnp. Altes Kirchenlied. HansBlunck: Am Strauch. F. Schrönglhamer-Heimdal: An der Hein«t. Karl Lütge: Handdruck. Gertrud Kr ans«: Blinklichter. Das kleine Änd. der große Gott. O kleines Kind! O grober Gott! Engel haben dir das Geburtslied gesungen. Mit Recht, denn du bist auch e>in einzigartiges Kind. Wir wollen deine Schönheit und Liebe, deine Kleinheit und Größe, deine Armut und dei nen Reichtum etwas betrachten. Deine Augen sind schöner als die irdischen Leuchten des Tages und der Nacht; denn es spiegeln sich in ihnen die Sterne deiner ewigen Heimat, denn es liegt in ihnen der Zauber himmlischer Seligkeit. Es funkelt und leuchtet aus ihnen die Majestät eines Gottes. Deine Augen sind tief und geheimnisvoll: denn es spricht aus ihnen die uner gründliche, unerschöpfliche Weisheit und Liebe eines Gottes. Deine Liebe und Güte hat die größten Sünder um- gestimmt. Dein Seelenadel und deine himmlische Liebens würdigkeit hat eitle Woltkinder wie fromme Seelen bezau bert und trunken gemacht. O du liebes Jesuskind! Du erscheinst so arm und bist doch so reich! Dürftige Windeln, elendes Stroh und eine harte Krippe sind bei deiner Geburt dein ganzer Hausrat auf Erden, und doch sind die goldenen Stern« dein gött licher Strahlenmantel und der Himmel dein königliches, herrliches Revier. Du armes und doch so reiches Kind hast uns gezeigt, daß bei und neben der bittersten Armut das größte Herzensglück, der süßeste Seelenfrieden und der glänzendste Reichtum des Geistes wohnen kann. Du hast Arme und Bettler so reich gemacht, daß sie sich glücklicher und seliger als Fürsten und Könige fühlten. Du hast einen Franziskus von Assisi und einen Benedikt Labre dazu be« geistert, die Armut als ihre Braut zu erwählen. Du hast diese und so viele andere mjt heirgom Kinderfilm und hei liger Kinderfrende erfüllt. Wenn wir di« Weltgeschichte und Kulturgeschichte überschauen, so müssen wir ausrufen: Welch nachhaltige Wirkung hat Christi Geburt ausgeübt! Wie mächtig durch- zittert sein Einfluß alle Jahrhunderte immer noch, selbst noch nach Jahrtausenden Liede und Haß in mächtigen Flammen hervorrufend! Ein bloßes Menschenkind hätte nie solche Wirkung, nie solchen Effekt haben können. Darum sehen wir in diesem kleinen Ktndlein von Bethlehem Got tes Kind. Wir sehen in seiner menschlichen Kleinheit, sei nem einzigartigen Leben und Sterben und in dessen Rie fenerfolge die wunderbare göttliche Größe. Wir rufen aus: O kleines Kind! O großer Gott! Die Liede zu den Akenschen hat diesen Sohn Gottes vom Himmel zur Erde heradstoigen lassen: so tief herab dis in eine Felsenhöhle, in eine Krippe, ans Kreuz. Wir wünschen sehnlichst, daß diese himmlische Liebe und Güte Am Strand. Von Hans Blunck. Es hämmerte und hallte in der Werkstatt. Schuster Kock schlug Nagel um Nagel in die dicken Transtiefel der Fischer, flink ging ihm die Arbeit von der Hand Ein junger, behender Kerl war dieser Ernst Kock, kaum sollte man glauben, daß so einer auf dem Schusterbock saß. Die Leute im Dorf hatten sich auch gewundert, als seine Muiter ihn daheim behielt. Handwerk wird in den Stranddörfern nur von Krüppeln und Etngewanderten ausgzjibt. Aber schließlich entschuldigte man das Weib, das Mann und beide Töchter männer aus See verloren hatte. Eie setzte auch ihren Willen durch. Al» sie starb, war der alt« Tetens, der bisher das Leder geflickt hatte, schon ziemlich vergessen. Ernst Kock hatte di« Schusterei im Dorf. Der junge Handwerker zeichnete ein« Sohle ins Leder und begann sie langsam mit dem Stechmessrr auszuschneiden. Es war heiß in der Werkstatt, vom Strom glänzt« «tn bruttiges Sonnenlicht in dle Scheibe. Die Tür ging, der Knirps Peter Jebens kam mit ein paar Kniestiefeln hereingeschleppt. Sie waren fast zu schwer für den Keinen Mann. Tr pruschte auch gewaltig mit seinen sechs Jahren, spuckte aus, wie er es bei den alten Fischern sah und wollte über die Stiefel zu reden beginnen. Aber Ernst Kock schob ihn zur Seite, er besah sich die Dinger von oben bis Mnten. er wußte schon Bescheid. Der Junge stotterte noch bei ihm herum. „Und die Hacken, »rißt ja, Ernst —. Und weißt schon, Großpapa ist geblieben." Kock richtete sich hart auf. Der alte Hinrich Jebens war der älteste der Fischer im Dorf gewesen, keiner war da, der mehr zu sagen hatte als er, keiner, der mit mehr Glück sein Leben lang gefahren war. Der Jung« wischte sich zwei Tränen an» den Augwinkeln. Br begriff, baß es etwa» sehr Traurige« war. „Großvater ist Geblieben?" Kock hatte den Jungen am An» gefaßt, daß er jammerte. ,,Wt« ist da» gekommen?" Das Kind weinte jetzt laut, der Rann konnte nicht» mehr die kalte, lieblose and streitlustige Welt immer mehr burch- dringen und erwärmen möchte. Wie manche führen das Evangelium stolz tm Munde und zeigen so wenig oder gar kein« evangelische (christliche) Liebe! Der Haß oder Kampf gegen die Mitchristen ist nicht im Sinne des FnÄdens- sürsten. Der Katholikenhatz ist nicht im Sinne des Kindes von Bethlehem, er wird Deutschland keinen Segen bringen. aus ihm herausbekommen und mußte es laufen lassen. Aber als jemand an der Tür entlang kam, Jasper Bartels, der Schneider, rief er ihn in die Werkstatt hinein. „Ist das wahr, Jasper?" Der Schneider nickte, er blieb bedrückt am Pfosten stehen und wagte dem Schuster nicht recht in die Augen zu sehen. Es hatte das Dorf immer mit einer Art abergläubischen Zutrauens erfüllt, daß Hinnerk Jebens, der wildeste Fahrer und beste Fischer, auf See grau und alt geworden war. Wenn es den nicht traf, warum sollten nicht auch andere es Überstehen? „Und so sonderbar. Kock, der Baum im Boot schlägt um und trifft ihn so, wie es jeden mal treffen kann. Sie lachen und wundern sich nur. daß Hinrich Jebens nicht wieder aufsteht. Als sie ihn anfassen, ist er tot." „Wer hals Dir erzählt?" „Mein Bruder ist eingekommen, er sagt, Hinrich Jebens Boot kommt nach. Ich will man in den Hafen." Der kleine Schneider sah sich noch einmal unsicher in der Werkstatt um. sein Blick blieb auf dem Schuster haften. Dann seufzte er und ging, den winzigen Kopf scheu in die Schultern gezogen. Kock suchte wieder an dem Leder zu schneiden. Er kam je- doch nicht weiter, die Gedanken gingen ihm zu hild durch die Stirn, wenn Hinrich Jebens nun auch geblieben war, — er sah di« Augen des Schneiders, di« voll Entsetzen waren, er sah auch viele sonderbare Blicke, die ihn berührten, wenn die Män ner abends in di« dunkle Weite hinausfuhrrn. Nie hätte eine» zu sagen gewagt, daß Schuster Kock Furcht hätte. Aber ihre Stimmen dämpften sich, wenn sie zu ihm sagte«: „Du hast es gut, Ernst Kock, in der Nacht im warmen Bett z« liegen — Deine Frau wird es mal gut haben, di« sich im Sturm nicht sorgen und am Fenster zu stehen braucht." Oder sie sagten es nicht einmal, nur ihr« Blicke flogen ihm seltsam nach: „Was bist Du für einer? Bist im Dorf geboren wie wir und bleibst an Lan-7" Etwas wie «ine Schicksalsgemeinschaft umspannt« dies« Männer, für die es nur einen Beruf gab. dt« alle rin Los hatten und die« Los von Vater ans Söhne erbten. „Was bist Du für einer, Kock? Willst Du besser oder schlechter sei» a<» wir?" Wie Brüder- und Keschwisterhaß au einer Familie, so nagt und zehrt er au Deutschlands Mark und Einigkeit. Es wäre jedenfalls nur im Sinne des göttlichen Kindes ge handelt, wenn die Protestanten und Katholiken als eilt einig Volk von Brüdern sich lieben und gemeinsam für die Ideale von Thron und Altar ejntrelen würden! Na»: »»» Uarl -Udert Wgele. Dumpf und heiß war die Werkstatt, der Geruch des frischen Leders dörrte Nase und Kehle. Der Mann ließ die Arbeit sinken, stand auf und ging zum Fenster. Heiß und glitzernd lag die See da. von der Düne, in deren Hang das Dorf lag. konnte man sie weithin übersehen, bis sie unterm Himmel mündete. Seine Mutter, — Kock fühlte den strengen Blick seiner Mutter, die in allem eigen« Wege gegangen war. Sie war eine gute Frau gewesen, aber hart gegen ihn und seinen Beruf. Wie kam er dazu, heute an sie zu denken? Was trieb ihn? Unduldsam wie ihr Wort, klopfte sein Herz, der Mann fühlte den Schlag, ruhelos und voll dumpfer Hitze. Einige Leut« liefen jetzt zun» Strand, Kock riß sein« Schusterschürze ab, fuhr in die Stiefel und folgte ihnen, er hielt es in der Werkstatt nicht mehr aus, immer war ihm, als Hab« er da noch mit seiner Mutter zu rechten. Oft genug hatten sie miteinander getrotzt, lang« hatte es gedauert, bis der Sohn ihr nachgegeben hatte. Der Schritt hallte rasch von den mittäglich heißen Haus- wänden. Ein guter Beruf, «in sicherer Beruf, hörte er die mahnenden Worte der Verstorbenen. Siehst Du, auch Hinrich Jebens ist jetzt geblieben! Es war, als hörte er ihre Stimme im Widerhall und im Knarren und Aechzen seiner Schritte. Viele Leute waren am Strand. Ein Kutter fuhr langsam näher, ganz langsam und feierlich, als wäre es nicht nur des stillen Wetters wegen, daß er so mühsam näher trieb. Auf einigen Schiffen ging ein Wimpel auf Halbmast. Die Leut« drängten näher zur Mole, als wollten sie dem Toten entgegen- gehen. Sie sprachen halblaut miteinander, hatten die Mützen in der Hand. Ihre Blicke fuhren meist am Boden entlang, Un sicherheit lag über allen, ein Kopfschütteln: „Was soll jetzt werden, wo auch Hinrich Jebens geblieben ist?" Kock trat zu ihnen, ihm war zumut, als senkten sich die Blicke vor ihm. Fast, als bestritten sie ihm heute schweigend ein Recht, zu kommen, scheute« sich heute vor einem, der außer halb der Gemeinschaft ihrer Not stand. Der Handwerker suchte von einem der Heimkommenden Näheres zu erfahren, aber der antwortete einsilbig und sprach mit anderen wetter. Die Lust war drückend. Unwetter mußte im Anzug sein. Zum Abend »der zur Nacht würde «» aufzteh««. Kock fühlt« plötzlich: Dt« Der Schmied von Kleilrup / Von Max Karl Böttcher An der großen Straße von Soest nach Lippstadt liege» linker Hand, eine kleine Meile von der alten Wrstfalenstadt Soest entfernt! einige Häuser, Kleiirup genannt. In guter, alter Zeit, da auf dieser Landstraße die großen, schweren Kauf mannskarre» dahinrasselten und die Straßen nach anhaltendem Regen oder bei Tauwetter zerwühltem Moraste glichen, da waren die Kleitruphiitte» den Fuhrleuten ein willkommener Aufent halt, denn hier hatte» ein Schmid und — zwei Häuser weiter — ein Stellmacher ihre Werkstatt aufgemacht. — Und wenn einem Gaule das Eisen im Siraßenkote abgezogen worden oder einem Lastkarren ein« Speiche oder gar eine Achse in Stücken ge gangen war, dann hatten Schmied und Siellmacher in der Sied lung Kleilrup vor Soest Gelegenheit, ihre Handwerkskunst zu zeigen. Der Schmied Klaus Broock war ein ehrbarer Dickschädel, ein echter, wackerer Westfale, treu wie Gold und fest und uner schütterlich in seiner Meinung, dabei verstand er sein Hand werk wie selten einer, und in seinem Hause war er unum schränkter Herr und König. — Mariha, sein Weib, und Adam, sein Junge, unterstützte» den Vater in seiner Arbeit, die Mutter hielt das Hauswesen in Ordnung, der Sohn hatte ebenfalls das Schmiedehandwerk erlernt und war der Gehilfe des Vaters. Zwei Häuser weiter hatte der Stellmacher Hermann Horn sein Häuslein und seine Werkstatt. Horn mar kein Westiale. er war ein Oesterreicher, zugewanderi aus der Wiener Gegend, aber nicht zufällig und von ungefähr, sondern Klans Broock hatte ihn vor Jahrzehnten miigebracht. Und das war so: der Altes Kirchenlied. Christus fährt aus mit Freudenschall Zum Vater durch die Hrmmel all' Auf Erden ist sein Werk vollbracht. Die Himmelspfort' ist aufgemacht. Alle! ' Im Himmel, unserm Vaterland. Sitzt er zu Gottes rechter Hand. Sein' Herrlichkeit und Majestät Welt über alles Denken geht. Alleluj'. Drum sei gelobt im höchsten Thron Der aufgesahrne Menschensohn! Wir seh'n hinauf» er sieht herab: Nie geht uns seine Hülse ab! Alleluja. Dort will er unser Mittler sein, Des soll sich alle Welt erfreu'». Dann wird der Tag erst freudenreich, Wann wir ihn seh'n im Himmelreich. Alleluja. Schmied war nach altein, gutem Handwerkerbrauch nach been deter Lehrzeit durch die Welt gewandert, hatte hier um Arbeit angesprochen und da bei einem Zunsigenossen einen Krug Braun bier und ein Stück Brot gefachte». Und im Mährische» hatte er aus der Wanderschaft den Stellmachergesellen Hermann Horn kennengelernt. Sie waren ein Jahr selbander gewandert, halten zusammen gearbeitet, zusammen gelacht und gesungen und wohl auch manchmal gedarbt, bis der Westfale eines Tages auf den Tod krank wurde. In Brünn, weit weg der Heimat, lag Klaus Broock darnieder und wäre verlassen gewesen, aber der wackere Oesterreicher hatte ihn treulich gepflegt, seinen ge ringen Verdienst mit ihni geteilt, ihn behütet wie einen Bruder, und als er ihn leidlich wieder gesund auf den Beinen hatte, brachte er ihn zurück nach der westfälischen Heimat, nach Soest.— Um diese Zeit war der Schmid plötzlich durch eine Erbschaft zu Geld gekommen. Er kaufte sich an der großen Straße »ach Lippstadt in der Kleilrupsiedlung ein kleines Anwesen und den« guten Frennde und Wandergenossen aus Wien vom NZle des Erbes ebenfalls ein Häusel mit einer Werkstatt. Nun saßen die beiden jungen Handwerker warm und sicher. Di« Straße gab ihnen reichlich Brot und Nabrung, denn es verging kein Tag. daß nicht ein kranker Neisewagen oder Lastkarren der Hilfe des Stellmachers bedurfte oder ei» paar morastmiider Gäule neu beschubt rveroen mußten. Die beiden Freunde schoben sich dabei natürlich die Geschäfte zu. und dos war recht. Lkas der Schmied nicht schassen konnte oder was nicht in sein Zunftrecht paßte — da zog man damals scharse Grenzen — das schickte er zwei Häuser weiter zum Stellmaä-er. und wenn dieser ein neues Rad fertig hatte, mußte der Schmied den Reifen aufziehen -.wer einer Achse eiserne Kappen aufsehen. — Schon nach wenigen Jahren konnte Hermann Horn den, Westfalen di« Schuld sür Haus und Werkstatt bei Heller und Pfennig zurückzahlen, und nachdem beide reife Männer gc- i worden waren, nahm sich jeder ein Weib ins Haus, der Schmied eines Schreiners Tochter aus Leingo, die er auf einer Hochzeit in Lippstadt kenncngclernt hatte, und der Stellmacher, der als echter Wiener immer Sinn für Musik und Sang gezeigt hatte, erkor sich des Gcigenmachers Försters Kind aus Soest in sein Häusel zu Kleiirup. Viele Jahre gingen so in Frieden und Freundschaft dahin, und cs war eine ausgemachte Sache, daß dereinst des Schmieds Sohn Adam das Mädel vom Stellmacher, die jangesftohe, lichte Linda freien würde. Adam war nun an die 20 Jahre und Jungfer Linda einig« Monde jünger. Wie das nun so zugeht in der 46elt. Jahrzehntelange, schier unerschütterliche Freundschaften, die in Dick und Dünn nicht wankten, die durchhalten in Zeiten der Rot und des Glücks.