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Nummer 150 — 26. Jahrgang Smol wüch. Bezugspreis für Juki 3,00 Mk. «inschl. Bestellgeld. Anzeigenpreis«: Die Igesp. Petltzell« »0.Z, Stellengesuche 20 L. Die Petitreklamezelle. 8S MiM« Meter breit, t »K. Offertengebllhren sür Selbstabholer 20 Z. bei Uebersendung durch die Post außerdem Portozuschlag. Einzel-Nr. 10 Gonntags-Nr. 20 Z. Peschäftlicher Teil: Artur Lenz kn Dresden. StiLlWie Sonnabend, den 2. Juli 1927 Im Fall« höherer Gewalt erlischt lebe Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzelgenaufträgen - u. Leistung v. Schadenersatz. Für undeutl. u. d. Fern, ^ ruf Ubermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ber. antwortung. Unverlangt eingesandte u. m. Rückporta nicht versehene Manuskripte werd. nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion 2—3 Uhr nachmittag» Hauptschriftleiter: Dr. G. Desezyk. Dresden. voimmung ««schäftSftelle, Drucku.Verlag; «ermanla. ?l..K. INr «erlag und Druckerei. Filiale Dresden. Dresden-?!, l. Poliersirabe 17. Fermns8lOl2. Postscheckkonto Dresden S7«S. Baicktonto: «tadtbank UkreSde» Nr. «171» Für chrtslliche Politik und Kulkur Redaktto» der Sächsische» Volk-zeltung Dresden-Altstadt 1. Poiieistratze 17. Fernruf Mll und 2I0I2. Zur Slresemann-Re-e i« Oslo „Ls ist irrig, zu glauben, datz die deutsche Öffentlich keit das Problem von Locarno nur unter dem Gesichtspunkt der Mswirkungeir für Deutschland ansieht." Für di« aktu elle Politik ist dies der bedeutsamste Satz in der nobel» Nobel-Rede von Stresemann. In Frankreich stellt man es gerne so dar, als ob für die Franzosen Locarno und der Friede Selbstzweck sei, für uns Deutsche dagegen nur eiu Mittel zu dem Zweck, egoistische Vorteile zu erziele». Strefemanus jüngst« Rede trägt hoffentlich dazu bei. die Welt zu überzeuge», daß dies ein Irrtum ist. Der Friede ist für uns Deutsche zumindest in demleben Matze Selbstzweck wie für die anderen. Für rin so radikal entwaffnetes Volk, wie die Deutschen, mutzte dies nach allen Regeln der Logik eigentlich eine Selbst verständlichkeit sein. Es ist völlig unwahr — diese Er kenntnis verbreitet sich dank der fortschreitenden Geschichts forschung allmählich auch im Auslande —, die leitenden Staatsmänner des V o r k r i e g sdeutschlands der Kriegs- treiberei zu bezichtigen. Es war kein Deutscher, dem seine Landsleute den Beinamen „>a gusrio" beilegte», einen Beinamen, der geschichtlich werden wird. Bethmann Holl weg oder Wilhelm II. „kriegerisch" zu nennen, wäre ein fach lachhaft. Aber seitdem diese beiden vom Sessel der Macht heruntergestiegen sind, hat sich ja einiges ereignet. Die bitterbösen Erfahrungen des Weltkrieges sind nicht spurlos am deutschen Volke vorübergegangen. Heute wissen wir, welch abgrundtiefer Fehler es war — nicht den Krieg herbeizuführen — sondern nicht mit allen nur er denklichen Mitteln, und koste es, was es wolle, seinen Ausbruch zu v e r h i n d e r n. Wir sehen es heute klar, datz eine Fortdauer des Friedens, wie er bis 1914 bestand, uns goldene Früchte in den Schatz geworfen hätte. Und wir haben auch zu unseren heutigen Kräfen Zutrauen genug, um von einer rein friedlichen Weiterentwicklung einen allmählichen Wiederaufstieg für unsere politische Geltung und für unseren wirtschaftlichen Wohlstand zuver sichtlich zu erhoffen. „Kein verantvortlicher Staatsmann in Deutschland denkt an einen Krieg im Osten oder im Westen", so konnte der Außenminister der gegenwärtigen deutschen Nechtskoalttion bei der letzten außenpolitischen Debatte des Reichstages unter allgemeinem Beifall und ohne ein einziges Wort des Widerspruches ausrufen. Locarno, d. h. der Friede, ist für uns Deusche genau so gut Selbstzweck wie für die Franzosen. Dies besagt freilich nicht, datz der Entschluß, das Werk von Locarno zu besiegeln, uns ebenso leicht fallen konnte wie den Fran zosen. Die Franzosen waren die St e g e r. Sie hatten sich soeben, tm Vertrag von Versailles, genommen und zu sichern lassen, wonach ihnen verlangte. In dem jahrhun dertelangen wechselvollen Ringen zwischen Deutschland und Frankreich hat der Vertrag von Versailles den Franzosen eine restlose Befriedigung aller ihrer Ansprüche beschert. Da bei sind die Fan.zosen an Volkszahl und an Volksvitalität die schwächeren. Rur eine Weltkoalition, wie die Geschichte sie nie zuvor gekannt hat und kaum je wiedererleben wird, hat ihnen den Sieg gebracht, der es ihnen ermöglichte, Europa nach ihrer Konzeption und nml^ihren Interessen zu ordnen. Trotzdem hat Deutschland in Locarno den so geschaffenen Zustand frei willig und, soviel auf uns ankommt, für ewige Dauer, anerkannt. Kann man sich einbilden, datz uns der Gang nach Locarno ebenso leicht fallen konnte wie den Siegern, die sich dort lediglich das mit Waffengewalt und erdrücken der physischer Uebermacht Errungene noch einmal, diesmal in der Form einer freiwilligen Transaktion, zusichern Ließen? Während man uns immer wieder eines unmäßigen Egoismus bezichtigt, sind wir doch auch seit Lo carno, auch in den letzten Monaten, immer wieder die jenigen gewesen, die stillgeschwiegen, die erduldet, die nack- gegeben haben. Im Januar dieses Jahres hat uns die Botschafterkonferenz feierlich bescheinigt, datz wir von den Uber, hundert Einzelpunkten der Entwaffnungsfrage alle bis auf zwei restlos bereinigt hatten. Uebrig blieben die Frage der Kriegsgeräte und die sogenannten Ost- befestigungen. Durch Einbringung des Gesetzes über Kriegsgerät, das die Herstellung, die Einfuhr, Aus fuhr, Aufbewahrung von mehr als 53 einzeln aufgeführ ten, im Kriege verwendbare» Gegenstände und selbst von einzelnen Bestaudieilen dieser Gegenstände, verbietet, sind wir auch hier dem Verlangen der Gegenseite völlig nach, gekommen, obwohl gerade auf diesem Gebiete uns als einem Volk mit hochentwickelter Industrie und einer Millionen ziffer von Arbeitslosen ein Rachgeben teuer zu stehen kommen mutz. Und null die paar Betonlöcher an Die Leutine Nummer umfasst 1» Sekte«. Sie «ut- Mt di« Beilage „«erztli che r Botgeber*. Das Sperrgesetz abgelaufen Keine Zwei-rMelrrrehrheil im Reichslage — Die Verzinsung aufgewerkeler Hypotheken Berlin, l.Jult Das Sperrgeseh erlebte gestern im Reichstag das- ,elbt Schicksal, das ihm schon tags zuvor derRechtsausschuß bereitet hatte; lntersrattionelle Verhandlungen zwischen Ans- schuh- und Plenarsitzung vermochten lein anderes Ergebnis mehr zu erzielen: sür die Verlängerung des Sperrgesetzes sprachen sich von 482 abgegebenen Stimme» 233 aus (Zen trum, Demokraten, Sozialdemokraten, Wirtschaftspakte«, Baye rischer Bauernbund und Kommunist«»); dagegen erklärten sich mit 187 Stimmen die Deutschnationalen, Deutsch« Volkspar- tei» Bayerisch« Vokkspartei, die völkischen Gruppen und di« Deutsch-Hannoveraner. Der Stimme enthielten sich zwei Abge- geordnrte; nicht beteiligt an der Abstimmung haben sich u. a. die Zentrumsminister Dr. Marx und Dr. Brauns. Nach dieser Abstimmung stellte Präsident Loeb« sest, datz die sür versassungsändernd« Gesetze erforderliche Zweidrittel. Mehrheit nicht erreicht ist. Da aber in der Einleitung des Gesetzentwurfes ausdrücklich vermerkt ist, datz die Erforder nisse versassungsändernder Gesetze erfüllt sind, sei der Gesetzent- wurs trotz der einsachen Mehrheit tatsächlich abge lehnt. Mit diesem Beschlich des Reichstages ist nunmehr das Sprrrgesetz abgelausen. Die Fürstenprozesse können also beginnen! Der eben mitgeleilten Schlutzabstimmung war noch die zweite Lesung der Vorlage voraufgegangen. Abg. Dr. Rosenfeld (Soz.) wies darauf hin, datz trotz der intensiven Vermittlungstätigkeit der Reichsregierung in vielen Fällen die Verständigung der Länder mit den früher regieren den Fürstenhäusern nicht zustande gekommen sei. Da die mei- sten in Frage kommenden Landesregierungen politisch rechts eingestellt sind, müsse die Schuld bei den Fürstenhäusern ltegep- Das Angebot der Fürsten, bis zum 1. Dezember freiwillig die Prozesse ruhen zu lassen, habe wenig Wert. Der Reichstag sollte sich dadurch nicht ausschalten. Abg. Neubauer (Komm.) führte aus, die Schwäche der deut schen Republik sei durch die Tatsache gekennzeichnet, datz sie sich im achten Jahre ihres Bestehens noch nicht der Habgier der ehemaligen Fürsten erwehren könne. Je älter die Republik würde, desto frecher würden die Fürsten. Abg. v. Richthosen (Dem.) befürchtete von dem Ablauf des Sperrgesetzes die Wiederkehr der langwierigen Auseinander setzungsprozesse, wäkrend die Verlängerung die günstige W.ir? Ning HEiOSllrde, datz di« Vergletchsveihändlungen sorrgefuyrt werden. Die in Frage kommenden Länder hätten sich mit guten Gründen für die Verlängerung des Sperrgesetzes ausgesprochen. Wenn man den Ländern den weiteren,Schutz des Sperrgesetzes verweigere, so beschwöre man grotze Gefahren über sie herauf. Abg. Kube (Nat.-Soz^ lehnte di« Verlängerung des Sperc- gesetzes ab, weil dieses Gesetz ein Ausnahmegesetz gegen eine bestimmte Gruppe von Staatsbürgern bedeute. Die Abstimmung nach der zweiten Lesung hatte dasselbe Ergebnis wie die später vorgenommene, oben mitgeteilte Schluß- abstinimung. * Im weiteren Verlaus seiner gestrigen Sitzung nahm der Reichstag nach der Erledigung des Sperrgesetzes die zweite Beratung des Gesetzentwurfs über die Verzinsung ausge - wertster Hypotheken und ihre Umwandlung in Grundschulden, sowie über Vorzugsrenten vor. Re ich s j ust iz m i n i st e r Herat wies darauf hin. datz der Rechtsausschutz in seinen sehr eingehenden Beratungen über die Regierungsvorlage hinausgegangen und sehr wert- volle Verbesserungen für die Gläubiger be schlossen habe. Di« Reichsregierung sei damit einverstan den, aber sie müsse erklären. Satz damit dis Grenze des Tragbaren erreicht sei. Die Regierung, so schlicht die Erklärung, hält es sür eine Lebensnotwendigkeit des deutschen Volkes, datz nach Annahme dieser Verbesserungen des geltende» Rechtes die Auswertungsfrage nunmehr endgültig aus der öffentlichen Diskussion ausscheidet. Abg. v. GuLrard (Ztr.) verlas eine längere Erklärung der Regierungsparteien, die sich im wesentlichen mkt der Erklärung der Reichsregierung deckt. Die Regierungspar teien ieien weiter bestrebt, die Härten der Auswertungsgesetz- ebung nach Möglichkeit auszugleichen. Die Grundlagen der «stehenden Aufwertungsgesetzgebung könnten nicht verlassen werden, wenn nicht das ganze Wirtschaftsleben neuen, schweren Gefahren ausgesetzt werden solle. Abg. Dr. Zöriken (Wirtsch Vgg.) erklärte gleichfalls, datz eine Aenderung der Grundsätze der Auswertungsgesetze schwere wirtschaftliche Erschütterungen heraufbeschwörsn würde, die Wirtsch. Vgg. werde darum alle weitergehenden Anträge ab lehnen. Abg. Keil (Soz.) richtete Angriffe gegen die Negierung, die das den Gläubigern und Sparern mit dem Aufwertungsgesetz angetane Unrecht verweigern wolle. Er empfahl verschiedene Anträge zur Besserstellung der Gläubiger. Daraus wurde uni 17'/« Uhr die Sitzung abgebrochen: das Haus vertagte sich auf Freitag. 1-1 Uhr: Fortsetzung der Auk- wertungsdebatte. kommunisiinher Amnestie-Antrag. unserer Ostgrenze, die man mit grandioser Irreführung Unwissender „Oftfestungen" getauft hat. Frankreich, das von Waffen starrende Frankreich, baut mit einem Kosten aufwand von vielen Milliarden von der Nordsee bis zur schweizer Grenze einen Befestigungswall von niedagewese ner Größe, und in Deutschland nimmt man kaum Notiz davon. Das entwaffnete Deutschland dagegen, das ein paar schäbige Betonunterstände entlang seinen Ostgrenzen er richtet hat, mutz diese schleifen. Die französische, die pol nische Presse werden überschwemmt von spaltenlangen Dar stellungen der Gefährlichkeit dieser paar Betonlöcher. Aber auch da geben wir nach. Wir schleifen, was zu schleifen verlangt wird. Es erhebt sich oie neue Streitfrage über die Verifizierung der Schleifung. Das deutsche Recht, eine Kontrolle durch die hiesigen militärischen Sachverstän digen abzulehnen, wird nicht bestritten. Trotzdem, auch hier geben wir nack. Die militärischen Sachverständigen werden in den nächsten Tagen die Reise nach der Ostgrenze unternehmen. Kann Deutschland mehr tun? Worin sott es noch nach geben? Trotz dieser mit Händen zu greifeirden Situation die Luneville-Rede von Poincars! Man hat diese Rede nachträglich dahin interpretiert, daß sie dem deutschen Volke in der Hauptsache und eigentlich PoincarSs Bereit schaft, Locarno-Politik zu treiben, knndtun wollte. Schon vor der Rede habe Poincare durch einflußreiche Mittels männer die deutsche Regierung wissen lassen, auch mit ihm sei Locarnovolitik zu treiben. Die Anspielung auf Elsaß-Lothringen habe er nur eingeflochten, um uns einen Wink zu geben, datz die Unterstützung, die die elsüssische Autonomiebewegung angeblich von gewissen deutschen Kreisen erfahre, unerwünscht sei. Die Anspielung auf den Daves-Plan habe er nur eingeflochten, um uns einen Wink zu geben, datz nach seiner Ansicht die in Thoiry in Aussicht genommene Eesamtlösung eine dauernde Sicher stellung des französischen Reparations a n t e i l e s ent halten müsse; unter dieser Voraussetzung sei über die Re- viston des Dawes-Planes zu reden. Wir nehmen von dieser Interpretation Kenntnis. Wir verlangen nicht mehr, als datz sie wahr wäre. Wenn sie wahr wäre, würde sie be weisen, daß Poincar« ein «twas besserer Autzenpolitiker ge worden ist. als er vor vier Jahren war. aber auch datz er ein noch schlechterer Diplomat ist, als wir bisher glaubten. Deutschland ist bereit, den Pakt der Verständi gung mit jedem Staatsmann zu schließen, der im Namen des französischen Volkes auftrcten kann. Herrn Poincare aber möchten wir-den Rat geben, in der Wahl seiner Ge währsmänner, die ihn über den Stand der Dinge bei uns informieren, kritisch zu sein. Mag er doch selbst kom men und mit eigenen Augen sehen! Wenn er gewillt ist, unvoreingenommen zu beobachten, und wenn er. was wir annehmen müssen, die Fähigkeit besitzt, das Unwesentliche von dem Wesentlichen zu scheiden, so könnte ein Augenschein an Ort und Stelle für die Sache der Verständigung nur wünschenswert sein. Allerdings steht das ganze deutsche Volk einmütig auf dem Standpunkt, daß die Fortdauer der Besatzung der Rheinlands mit der Locarnoidee unvereinbar ist. Wenn wir von den Franzosen — denn sie sind die einzigen, die noch Widerstand leisten — verlangen, datz sie die Besatzung zurückziehen, so muten wir ihnen kein Opfer zu. Wir ver langen ja gar nicht, daß sie etwas aufgeben, was ein dau erndes Mtivum ihrer Bilanz ist. Wir verlangen nur. datz sie einen Stachel aus unserem Fleische herausziehe», einen Stachel, der uns ärgert und ihnen nichts ein bringt als böse Stimmung. Ist die Blindheit gegen diese non der ganzen Welt erkannte und anerkannte elementare Wahrheit ein Ausfluß bösen Willens? Ist es nur Taktik, zu erklären aus dem Bestreben, die vorzeitige Zurückziehung der Besatzung in andere Vorteile umzu- setzen? Oder ist es De ka d e n z der französischen Staatskunst? „Der Sieger ist immer dumm", sagt der Philosoph. Wie den Liebenden die Leidenschaft, wie den auf dem Sessel der Macht klebenden Staatsmann der Machtwille, so blendet das siegreiche Volk der Götzenglaube an das physische Uebergewicht. Sollte das Dogma Nietzsches auch für die Grande Nation gelten? Staatskunst, das heißt voraussehen, das heißt heute freiwillig tun, r^as man morgen zu tun gezwungen sein wird. Heute kann Frankreich noch unter dem Schein der Freiwilligkeit und ohne durch die Umstände gezwungen zu An, die Besatzung amfgeden. Und es wird, wenn es in dieser Lage räumt, einen um so größeren psychologischen und moralischen, daher auch politischen Nutzeffekt ein beim»