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2. Beilage zu Nr. 20S der „Sächsischen BolkSzeituug" vorn 8. September 1V015< 8. B lder von der Euerer Katholiken- Versammlnng. Bon u Ke em besonderen Ber chlerstatter. (Fortsetzung.) Jetzt kommen wir zur dritten Aufgabe. Die dritte Aufgabe, die wir zu lösen haben, besteht darin, daß wir Ka tholiken die rechten Mittel anwenden, um aus diesem Wirr- sal herauszukonimen. Das erste Mttel ist der siegreiche Kampf für die konfessionelle Schule. Das ist einem jeden klar, daß von der Schule unsere Zukunft abhängt. Ist die Schule religiös, wird auch ein glaubensstarkes Geschlecht heranwachsen, sonst wird das kommende Geschlecht glaubens- schwach oder ganz dem Unglauben ausgcliefcrt sein. Wir sehen es schon an manchen unglücklichen Leuten, die genau so viel Religion gelernt haben, daß sie über diese spotten, also viel zu wenig, um sie zu lieben und zu schätzen. Manch mal sprechen vierzehnjährige Buben und Mädchen in einem Tone über die Religion, daß einem das Blnt in die Wangen steigen möchte. Was in dieser Beziehung das katholische Volk fordern kann und muß, ist, daß niemals etnxrs vor getragen wird in unserer Sckmle, was der Religion zuwider läuft. Wir fordern im Gegenteil, daß in der Schule die Religion zur Grundlage des gesamten Menschenlebens zu machen ist, daß unsere Kinder nicht bloß Unterricht genießen. Laß sie nicht bloß da oben kuriert werden, drittens, daß ka tholische Kinder von katholischen Lghrern und Priestern erzogen werden, und österreichische Kinder von österreichisch gesinnten Lehrern. Wie das Kind erzogen und in »velcher Religion es unterrichtet werden soll, hat niemand anders zu bestimmen als einzig und allein die Eltern. Ta soll sich heute früh ein Verein „Freie Schule" gegründet haben. Die Freiheit derselben kennen wir schon, das ist jene, womit diese Herren tun können, was sie wollen, und wodurch wir tun müssen, n>as sie wünschen. Eine wahrhaft freie Schule ist auch mein Wunscp. Freiheit für alles Gute, für das Schlechte aber nicht. Und wenn man schon einmal den Professoren die Lehrfreiheit gegeben hat, so soll man den Eltern auch die Unterrichtsfreiheit geben. Ich lobe daher den katholi schen Schnlverein, der mit solchen Mitteln das Banner hoch hält und für die katholischen Interessen eintritt. — Das ztveite Mittel, das wir anwenden müssen, ist das der Fort bildung, die Presse. Es« ist darüber schon sehr viel ge sprochen worden. Tie Presse ist eine Predigt, die täglich verkündet wird. Tie Presse ist die Werkstätte der Politik, die Fabrik der öffentlichen Meinung, die Peitsche, durch die die Männer zur Wahlurne getrieben werden, das Szepter, mit dem die Welt regiert wird. Was unsere Gegner davon denken und sagen, hat nur ein guter Freund verraten: Als ich in Marienbad den Kurgästen Predigten hielt, kamen auch sehr viele Protestanten, einige Hundert, und auch sehr viele Juden. Ging da auch der Aron mit der Sarah aus der Kirche, mein guter Freund hinter ihnen. Und er berichtet mir folgendes Zwiegespräch: Sarah: „Tu, Aron, das muß ich sagen, ein Redner ist er." Aron: „Ach. tvas willst de, Journalist ist er noch keiner!" — Darum begrüße ich auch so lebhaft den Bonisatiusverein mit seinem Blatte, das monat lich in 800 000 Exemplaren durch die Lande geht, und ich begrüße auch den Piusverein, der sich zur Aufgabe gemacht k>at, unsere Presse würdig auszugestalten. Katholisches Volk, ich bitte dich, erhebe dich einmal und schüttle die pa- piernen Ketten ab, die du trägst. Schüttle dich, und d'e Ketten liegen am Boden! — Drittens braucl>en wir eine große, gewaltige Katholikenorganisation. So lange wir ge trennt sind, sind wir keine Macht. Wenn einem Katholiken zehn Gegner begegnen, können sie ihn leicht durchprügeln. Aber wie wir heute versammelt sind, fällt es keinem ein. Und wenn wir einmal organisiert sind und dastehen wie ein geordnetes Lbriegsheer, dann treten wir ans und stellen un sere Forderungen, die Forderungen des katholisck>en Volkes. Und diese Forderungen sind folgende: Wir fordern in reli giöser Hinsicht, daß man es uns nicht zu schwer mache, fest zuhalten am katholischen Glauben, wir fordern, daß man unsere Religion nicht beschimpfe und verhöhne, wir fordern, daß man hier endlich anfhöre mit der Beschimpfung der Priester. Mag sein, daß manche Priester nicht so sind, wie sie sein sollen; sind vielleicht die Herren, die uns anklagen, Jdealmänner? Wagen Sie, meine Herren, einem dieser Männer eine Lilie in die Hand zu geben? (Lachen.) Wenn sie nicht aufhören mit ihrer Rubrik: „Wieder einer", da könnten wir eine Rubrik eröffnen und täglich schreiben: „Wieder zehn!" oder „Wieder zlvanzig!" Werden Sie nie mals, meine Herren, irre an unseren Priestern; wir gehören zum Volke, ihr seid unsere Väter und Brüder, und wir werden niemals aufhören, für die höchsten Güter des katho lischen Volkes einzutreten und dafür kämpfen bis zum Lebensende. — In politischer Beziehung fordern wir, daß man am Bestände unserer Monarchie nicht weiter rüttle. Wir sind Oesterreicher und wollen es bleiben, und wem es nicht gefällt, soll von der AnsNxmderungssreiheit Gebrauch machen; wir geben ihm gerne das Reisegeld zum Nordpol mit dem Wunsche, nicht mehr wiedcrznkommen. Wir wollen deshalb, daß der Bestand unseres Landes gesichert sei und bleibe, und insbesondere wollen wir auch, daß eine Wahl- reforin zustande komme, die nicht einer Partei ans den Leib geschnitten ist, sondern den Wünschen des Volkes Rechnung trägt. In nationaler Beziehung fordern wir. daß der wüsten Natioiialitätenhelze ein Riegel vorgeschoben werde, daß einer jeden Nation ibr Recht werde, daß keine mehr verlange, als ihr gebührt. Früher haben die Nationen so schön neben einander gewohnt, die Magyaren und die Deutschen, die Italiener und die Tschechen. Warum sollte es jetzt nicht mehr möglich >ein? Wir sind Deutsche und werden es blei ben. Wir tragen unser Deutschtum nicht bloß ans den Lippen, um zu parodieren, oder für unsere Taschen zu pro fitieren. wir tragen es auch in unserem Herzen und zeigen nicht dadurch, daß wir die anderen Nationen hassen, unser Volkstum, sondern wir sind bestrebt uns so edel und so glücklich als möglich zu machen. — Soll ich noch ein bißchen weitersprechen? (Lebhafte Zustimmung.) Es ist Große.- erreicht. In wirtschaftlickwn Beziehungen sind unsere Forderungen w zahlreich, wie in keiner anderen. Weder ein extremer Kapitalismus, der das Volk ans sangt. wird uns glücklich machen, noch komme man zu uns mit einer unmöglichen Gütergemeinschaft. Gerechtigkeit und Liebe haben zu gelten. Wir wollen den Schutz des christ lichen Handwerts. Schutz sür die ehrliche Arbeit. Wir wollen, daß man >n den Parlamenten anshört zu trompeten und Kinderspiele zu macl>en und dafür aniange, Gesetze zu schaffen, solche Gesetze, welche die größtmöglichste Ausbeu tung der Natur fördern und die mindestmöglichste Ausbeu tung des Nebenmcnsck>en anstrebcn. Wir wollen, daß der Zwischenhandel aushört, der sich zwischen Konsumenten und Produzenten drängt, der den Produzenten möglichst billig zu verkaufen zwingt und den Konsumenten möglichst teuer einzukaufen. Wir wollen, daß die Rinnsale, in denen das Geld rinnt, nicht in den Händen einzelner Milliardäre sind, sondern daß der Strom in die Taschen des ganzen christlichen Volkes geleitet werde. Wir wollen mit einem Wort, daß das ganze Erwerbsleben auf die alte Ehrlichkeit, auf den Boden des Christentums gestellt werde, weil wir nur so die Ueberzeugnng lmben, daß das Glück unseres Volkes geför dert werde. Freilich werden sie uns Reaktionäre nennen; ich >veiß nicht, ob unsere Gegner lauter Aktionäre sind. Si > werden selbst nicht wissen, tvas reaktionär ist. Wenn man nur auf die Füße tritt und ich sage: „Ich bitte Sie, treten Sie ans ettvas anderes!", so kann man mir antworten: „Was reagieren Sie denn darauf, Sie Reaktionär?" Und wenn mir jemand in die Tasche greifen tvill und ich meinen Ellenbogen gebrauche, so heißt es wieder: „Aber sind Sie ein Reaktionär!" Wir wollen auch reaktionär gesinnt sein, und dabei einen gesunden Fortschritt mitmachen, aber jenen Fortschritt brauchen wir nicht, wenn einige wenige reich werden und das katholische Volk verarmt, jenen Fortschritt, bei dem unsere Kinder einmal verhungern müssen. Gestern hat es in den „Egerer Nachrichten" zum Schlüsse des Leit artikels geheißen: „Die Kirche der Religion der Deutschen hat Luther erbaut." Tie Religion der Dentsckwn, sowie aller Völker hat nicht Luther, sondern hat Christus erbaut und ich und wir alle wollen nur jener Kirche angehören, die in un unterbrochener Reihenfolge nicht ans Luther, sondern aus Christus den Herrn znrückführt. Und du, Oesterreich, du muß treu bleiben; wenn du treu bleibst deinem Gott, dann werden auch deine Völker treu bleiben ihrem Herrscher auf Erden. Und du, schönes Egerland, du bist klein unter den Ländern Oesterreichs, aber ein kostbares Juwel in der Krone unseres Vaterlandes sollst du bleiben, immer katholisch und immer österreichisch und immer deutsch. Dann soll unser Wahrsprnch wahr werden: „Für Gott und Kaiser, sür Kirche und Vaterland!" (Langanhaltender Beifall.) Diese Tagesfragcn, in kurzen Resolutionen zur Ab- sliinmnng gebracht, wurden darauf einstimmig angenom men. Damit schloß die woblgelnngene Versammlung. Abends fand ein Kommers der beiden katholisch-deut schen Studentenverbindungen Böhmens statt, an dem zahl reiche Katholikentägler, Redner und Besucher, Adel und Bürgerstand teilnahmen. Als Kreuzbündler und Reichs deutscher zog ich es vor, lieber den Familienabend des Volks- Vereins sür das katholische Deutschland zu besuchen. Die Egerer Ortsgruppe ist eine der wenigen Gruppen im Aus lande. Trotzdem ihr ans politischen Gründen Zurückhaltung — 68 — 10. Bei meinem Eintritt in die Wohnung drangen mir die gefühlvollen Weisen deutscher Nbschiedslieder entgegen. Sophie saß im Salon am Flügel, die ganze Familie um sie herum. Auch ein Gast war zugegen — Maximilian Heidorn hatte einen Abschiedsgruß ge bracht; ein köstlich duftender Blumenstrauß lachte mir in sprühenden Farben entgegen. „Laßt euch nicht stören — spiele und singe nur weiter, ich werde mich deinen Zuhörern anschließen." Es lvar ein echt deutsches, gemütlicl>es Familienstündchen, dem man festlichen Glanz zn verleihen gewußt hatte. Im Kamin brannte ein loderndes Holzfeuer, der Kronleuchter sandte seine Strahlen nieder, die Kinder steckten in ihren Feiertagskleidern und auf dem Scrviertischchen lockte duftiges Ge bäck und deutscher Wein und Berge von friscl-cm Obst zum Genuß. Zn jeder anderen Zeit wären diese Tische belagert worden, heute aber drängte man sich um die scheidende Sängerin, die nun bald als traute Hausgenossin in unse rem Kreise fehlen würde. Mt Andacht lauschten die Kinder, »nährend ich an der Seite meiner Frau, in deren Augen es verräterisch blinkte, Platz nahm und tröstend ihre Hände drückte. Später, als wir bei Tisch saßen und Sophie alle ihre Lieblingsgerichte vor sich ausmarschiert fand, merkte man den Druck der Trennungsstunde noch etwas mehr. Es schmeckte keinem so recht von Herzen und am wenigsten ihr, obwohl sie fortwährend versicherte, die Speisen wären vorzüglich und sie würde dieselben schwer vermissen. Als die Stunden langsam und doch auch wieder allzu schnell vorrückten, fand ich es geraten, den kleinen Gast von unseren Buben heimgcleiten zu lassen. Besonderer Ermahnungen bedurfte es dabei nicht — die Kerlchens N'aren ku riert. Somit wurde das Feld der Abfahrt etwas frei; cs währte auch nicht lange und der Wagen, der uns abholen sollte, stand vor der Tür. Ich suchte die Abschiedsszenc möglickist abzukürzen, ein paar Minuten — und wir saßen im Wagen. Die Nacht war finster und wenig zur Reise einladend; fröstelnd hüllte sich Sophie in ihren Mantel und lehnte sich zurück. Einige gute Ratschläge lvärcn wohl auch bei ihr am Platze, dachte ich und ermahnte sie, bei etwaigen Neiseunfällen oder Störungen, die wohl uner- wartet cintreten, den Kopf oben zu behalten und nach bestem Wissen und Willen zu l)andeln. „Das klingt ja förmlich feierlich, bedenke doch, daß ich sck>on ein sehr altes Kind bin," erwiderte sie sckxrzcnd. „Herr Franke hat mich angcsteckt. er fand es auch angemessen, allerlei Vorsichtsmaßregeln zu treffen." „Da möchte uns Damen ja allerdings bänglich »verden, ich versichere dir aber, daß ich Mit labe für drei!" „Diese Gewißheit ist mir sehr tröstlich; ich weiß nicht, seit heute früh peinigt mich eine eigentümliche Unruhe, welcher ich nicht Herr werden kann. Ich will dir durchaus deine Reiscfreuden nicht stören, aber ich bitte dich, labe Heine Augen offen nach jeder Richtung und sei meine kluge Schwägerin I" — 65 — „Für Sie, verehrtes Fräulein, gewiß nicht. Möchten Sie recht frohe Erinnerungen mit zurückbringen." „Das wird mir nicht viel Mühe bereiten, denn der beste Weg dazu ist vorlanden!" „So reisen Sie mit Gott!" sagte er noch, worauf wir beide in mein Zimmer gingen. „Nun?" fragte ich, ihm einen Sessel anbictend. Er lehnte ab. „Nur auf ein paar Worte," sagte er und stützte die Hand auf meinen Schreibtisch. „Sie hatten doch versprochen, Herr Doktor, mir Mitteilung zn machen, sobald Herr Frauke von seiner Krankheit genesen würde," hob er an. „Hatte ich das? Davon ist mir eigentlich nichts bewußt!" „Ich fragte Sie doch über seinen Zustand und Sie teilten mir mit, daß derselbe der größten Schonung bedürfe." „Gewiß tat ich das. Eine bestimmte Frist aber konnte ich nicht geben." „Und nun trarnin will er plötzlich reisen?" „Weil er Plötzlich gesund geworden —" „Sie scherzen — so überraschend schnell konnte das nicht geschehen —" „Sie haben das rechte Wort gesunden. Es ging wirklich überraschend schnell — selbst ich, der Arzt, konnte mir das nicht erklären." „Dazu habe ich mich doch nicht verpflichtet, »vas lwt denn auch — ver zeihe» Sie die Polizei damit zu sclxiffen?" Er schwieg und strich sich sinnend mit der .Hand über seinen sclvöncn, vollen Bart. „Werden Sic heute abend auf dem Bahnhöfe sein?" „Gewiß, ich werde doch meine Schwägerin hinbcgleiten." „Ihre Frau, Herr Doktor, bleibt doch zurück — es ist schlechtes Wetter?" „Sie wird wohl wenig Lust verspüren, ihren Trennnngsschnierz in die Oeffentlichkcit zn tragen," sagte ich. amüsiert über die Sorgsamkeit des In- spcktors. Ich schrieb sein sonderbares Interesse den Gefühlen zu, die er sür Sophie hegte, cs ging ihm ganz gegen den Strich, daß sie überhaupt mitreiste Wir standen immer noch und es kam mir vor, als ob er mir immer noch et>vas zu sagen hätte. Endlich richtete er sich auf: „Sind Sie nur nicht böse, daß ich Sie gestört — ich bin unruhig und zer- streut — cs liegt eine fckswere Pflicht vor mir — vielleicht sehen wir unS heute noch — auf alle Fälle bleiben Sie mir wohl gesinnt wie bisher, Herr Doktor, und nun Adieu!" Er ging und ich begleitete ihn, seltsam berührt von seiner Bitte. Als ich wieder in mein Zimmer trat, sah ich auf meinem Schreibtisch ein Zcitungsblatt liegen. Es N'ar znsamuiengerollt und trug das Datum des Tages. Vielleicht lwtte cs Heidorn liegen lassen, denn mein Leiborgan nxir es nickit. Zerstreut schlug ich eS auseinander, um einmal hincinzusehen. Da lwftete mein Blick auf einer blau angestrichenen Stelle, natürlich faßte ich diese ins Auge. Da stand als Notiz verzeichnet: „Seit einiger Zeit tauckxm wiederum Gerüchte auf über den seinerzeit verübten Diebstahl im gräflich R.schcn Palais. Es bandelt sich um die Ent wendung einer Lbassette, die das ganze Barvermögen der Familie in Höhe von achtlmnderttansend Mark nebst den wertvollen Familienjuwelcn enthielt. Wie bekannt, war der Graf im Begriff, mit seiner Tochter zu verreisen und ist bei „DaS TeHeimniS der Brüd«.* 17