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Beilage z« Nr. 1SV der „Sächsischen BokkSzeit»«,«- vo« SS. August 1l»v« H '-u!4 L Essen, den 18. August. Schon in die liebe Heimat voraus hatte uns die freund liche Fcststadt Essen einen Willkommengrub gesandt, indem sie den Mitgliedern den elegant ausgestatteten Führer über mittelte. In meiner Bibliothek habe ich nun 20 dieser Bänd- chen stehen als liebe Andenken an die gastlichen Stätten, wo die Generalversammlungen, denen ich bisher beiwohnen durfte, ihr Heim aufgeschlagen hat. Form und Inhalt und ihr Wert ist sehr verschieden, aber alle überragt in jeder Hinsicht die freundliche Festgabe, welche die Stadt Essen selbst in einer Auflage von zirka 5000 Stück dem Katho> likentag zur Verfügung gestellt hat. Es ist ein Muster von Eleganz bei den: nach jeder Hinsicht aus dem Vollen ge schöpft worden ist. Das beste aber bei der Sache ist jedenfalls, daß die Wirklichkeit die sckwnen Bilder nicht erblassen macht. Ein Rundgang durch die Stadt belehrt uns, daß wir in der Tat in einem großartigen, modernen Stadtgebilde zu Gaste sind. Legen wir das von Bruyn und Hogenberg gezeichnete Städtebild Essens aus dem Jahre 1581 mit seinem fast länd lichen Anstrich neben die heutige Vignette der Stadt, so müssen wir dem Schreiber der Geschichte der Ruhrstadt Recht geben, wenn er sagt: „Kein größerer Gegensatz läßt sich denken, als der zwischen der ältesten Vergangenheit von Essen und seiner Gegemvart. Welch eine Entwickelung von einem Nonnenkloster zur größten Waffenschmiede der Welt!" Heute ist alles in Essen auf den Beinen und fleißig bei der Arbeit, es gibt noch so vieles zu tun und zum Empfang zu rüsten, da tun wir gut, wenn wir nach dem freundlichen Willkommengruß den Leuten etwas aus den Füßen gehen, um auf eigene Fällst eine kleine Entdeckungsreise zu machen. Das Wetter ist heute am Sonnabend nicht besonders einladend, ab und zu saust so ein scharfer Regen nieder und wenn es ohne Schnupfen in diesen Tageil abgeht, mag man es loben. Die zrveifelhafte Witterung hat jedenfalls auch die Dekoration der Straßen noch zurückgehalten, immerhin bietet die vom Bahnhof in das -Herz der Stadt einführende .Hauptstraße schon einen recht festlichen Eindruck. Die Stadt- sarbeil blau und gelb drücken hier in der Dekoration dem Strahenzuge ein lebhaftes Gepräge auf, reiche Laubgewinde und bunte Wimpel vervollständigen das festliche Bild. Tie neu angelegte elektrische Bahn führt uns in wenig Zeit zur Festhalle hinaus. Blitzsauber schaut der imponie rende Bau mit seinem Hellen Steinbraun lind dem freund lichen Not seines Daches drein. Der erste Anblick läßt uns an solideres Material denkeil, als er tatsächlich an sich birgt. Was wir bei so mancher Festhalle vermißten, finden wir hier in schönster Weise, nämlich ein freundliches Entree. Mächtige mit Blumen und Bäumen gekrönte Säulen um kränzen eine hübsche gärtnerische Anlage, in deren Mitte sich die kolossale Statue des Gründers der Stadt, Bischof Alt sried von Hildesheim erhebt. Wirkungsvoll überragt das Ganze der hohe Bogen des Portals der Festhalle, aus dessen Mitte die imponierende Gestalt des Weltheilandes hervor- tritt, der gebietend sein Szepter ausstreckt. Ehrimug reAnkt, Oßristus impvrat, Christus herrscht, Christus befiehlt, das ist ja auch der Grundzug, welcher sich durch alle Katholikenversammlungen als Leitfaden zieht. Wir finden ihn auch hier in Essen wieder in den verschiede- nen Tklemen, welche die Redner darlegen werden, indem sie die Pflichten und die Stellung der Katholiken auf allen Gebieten erörtern. Daß die soziale Frage hierbei wesent lich in den Vordergrund treten muß, entspricht sowohl der heutigen Zeit, wie auch den speziellen örtlichen Verhältnissen. Die Rednerliste ist bereits bekannt und lassen wir die selbe hier folgen: Professor Tr. Einig aus Trier: Gottcsglaube, Offen- barungsglanbe und Wissenschaft. Professor Seiler tv ck., ans Feldkirch: Die Kirche und die soziale Frage. Arbeitcrsekretär Giesberts aus M.-Gladbach: Aufgabe der Katholiken bei Lösung der sozialen Frage. Reichs- und Landtagsabgeordneter Landgerichtsrat de Witt: Ter Katholik im wirtschaftlichen und öffentlichen Leben. Graf Friedrich von Galen, Haus Assen: Bonifatius- vereine und Cl^nitas. Ritter von Kralik aus Wien: Volksbildungsbestrc- bungen. Neichstagsabgeordneter Oberlandcsgerichtsrat Burlagc aus Oldenburg: Die römische Frage. Seminarpräses Lausberg aus Köln: Die Frauensrage. Universitätsprofessor Tr. Zahn aus Straßburg: Er ziehung durch die Kunst. Kaufmann Nicola Racke aus Mainz: Familienleben und gesellsck>aftliches Leben nach christlicher Nnsckxmnng. Landtagsabgeordneter Justizrat Dr. Porsch aus Vres- lau: Die Sclmlfrage. Neben altbetvährten Kämpen tritt vor uns eine Reihe von Männern, deren Namen uns zivar vorteilliast bekannt, welche wir aber noch nicht auf unseren Versammlungen be grüßen durften. So hat also die diesjährige Nednerkom- mission auch reichlich für den Reiz der Neuheit gesorgt. lieber die Namen des Präsidiums herrscht ja allerdings noch offizielles Geheimnis, aber unter dem Siegel der Ver- schviegenheit erzählt es sich schon der eine wie der andere. Da diese Zeilen erst am Dienstag zur Veröffentlichung kommen, so dürfen wir wohl die Namen schon gleich an die- ser Stelle nennen. Als ersten Präsidenten toerden wir den wackeren Führer der württembergischen Katholiken, Land gerichtsdirektor Groeber begrüßen können. Er, der ge nau von zehn Jahren in Dortmund das Präsidium so mei- sterlxstt führte, er wird auch über Essen einen guten Stern aufgehen lassen. An seiner Seite wird ein Edelinann aus Westfalen stehen, Freiherr von TWickel aus Salzbergcn. Die dritte Stelle neben dem Gelehrten, neben dem Adeligen, hat man dem Mann der Arbeit, Reichstagsabgeordneten Giesberts, zuerkannt. So tritt uns schon im Präsi dium die Einigkeit der verschiedenen Stände im Nahmen der Katholikenversammlung vor Augen. Mit diesen Männern an der Spitze vermögen wir zuversichtlich an die sckgvieri.ien Aufgaben l>eranzutretcn, ivclche in so reickxnn Maße unserer warten. Ein Besuch bei Krupp. Ein Nachmittag bei Friedrich Kruvp gebürt nicht ge rade zu den Alltäglichkeiten und seltener noch offenbart di: Weltsirma ihren Betrieb in einer solchen Vollstäirdigkeit, wie sie es gestern dein Lokalkomitee der Katholikenversannm lung und etwa 20 Männern von der Feder getan l>at. Mit einer gewissen Scheu und mit den höchsten Ernartungen be- tritt man dieses Niesengebiet und wie weit überflügelt die Wirklicksteit rwch alle Vorstellungen, die man sich gemacht hat. Von 2 bis 8 Uhr haben wir nun ununterbrochen die Werk stätten durchuxmdert und knapp ein Zivanzigstel der ganzen Anlage haben wir flüchtig gesehen. Mit Recht nannte ein Redner dieses Werk, das auf der Welt seinesgleichen nicht mehr hat, eine Stätte des Triumphes des deutsclien Fleißes, der Energie nnd des rastlos sckchfendcn Geistes. Man weiß nicht, lvas man mehr bewundern soll, die Donnerschläge des Hammers „Fritz" oder die geräuschlosen hydraulischen Nie- senpressen, die das Metall in den hohen glühenden Blöcken beliandeln. als ob es Kuchenteig nxire. Hier ergießt sich die silberhelle Flut des Dtetalls zischend in die verschieden artigen Formen und bald daraus sch,neben vor unseren Allgen die durckchühten Riesenstücke, jedem Wink der Meister gehorchend, als ob es Kinderspielzeuge seien. Bei Krupp gewesen und nicht die Kanonen in Tätigkeit gesehen haben, das ist gleichbedeutend mit „Rom besuchen und nicht beim Papst gewesen sein". So führte man uns denn in liebens würdigster Weise ans deni im Werke gelegeilen Schießplätze die Feld- und Gcbirgsgeschntze vor, wie sie sich in den letzten 30 Jahren bis zum heutigen großartigen automatisch feuernden Geschütz gestaltet haben, das vor wenigen Tagen vor uiüereni Kaiser die erste Probe bestand. Auch unser armerMiopf bat trotz der dicken Wattepfropfen sein Teil unterhalten. 2000 Kanonen fertigt jetzt täglich daS Wer" an, 800 Ingenieure tun nichts als auf dem Papier Kon struktionen entwerfen. Welche Niesenmacht, wenn der Ernst des Krieges diese ehernen Stimmen löst. Bewundern mußten wir aber Krupp nicht nur in seinen glühenden Essen, sondern vor allem auch in den gewaltigen Werken, die er dem sozialen Frieden gesächsen hat. Wohl- tätigkeitsanstalten. wie sie in der Welt auch nur Knipp l>a: und nur er sie Habei. kann. Den Bedürfnissen der Bildung dient die großartige Bibliothek, welche im letzten Jahre kostenlos 150 000 Bände auslieh. 2sch Millionen Mark Spareinlagen sind von 3000 Angehörigen des Werkes ge macht worden, für welche die Firma zu den 3>t. Prozent, welche die städtische Sixwkasse zahlt, 1s/> Prozent hinzusügt und ein weiteres Prozent bereitstellt, nin auf dem Wege der Lotterie den Sparern eine angenehme Ueberraschung zu versckchfen. Auf dem Gebiete des Arbeiterwohnungswesens marschierte die Firma Krupp schon lange an der Spitze. Das ln'ikle System des Mehrfamilienhauses findet in der Kolonie Friedrichsbof eine glückliche Lösung. Geradezu vorbildlich ist aber die Kolonie Altenhof, deren 500 Einzelvillen eben so viel Invaliden der Firma unentgeltlich bis zum Lebens- ende eine so hübsche Wohnung bietet, daß man sie um die- — 16 — zu bringen: es war aber meines Lebens Ziel von Anfang an!" Er lehnte sich zurück und sah wie selbstvergessen vor sich hin. Mir war es im Augen blick durch den Sinn gefahren, daß es doch für einen einfachen Arbeiter un möglich sei, derartige Summen zu erschwingen, überdies hatte ich doch kein Recht, nach einer Aufklärung zu fragen. Immerhin empfand ich Achtung vor diesem Manne, der sich über seine Vaterpflichten hinaus so hohe Ziele gesteckt. Noch einmal stieß ich an sein Glas mit dem mcinigen und sagte: „Auf das Glück und Wohl Ihres Sohnes!" Ein Heller leuchtender Schein flog über das eben so ernste Gesicht: freudig tat er Bescheids. Tann neigte er sich zu mir und sagte halblaut wie im Ton des Geheimnisses: „Ich muß Ihnen noch was anvertrauen. Sic sind so gütig und ver- ttauenerweckerid und haben auch Interesse für meinen Sohn, wie Tie eben zeigten —" „Gewiß," fiel ich ein, „es wäre mir sehr interessant, ihn keimen zu lernen und seine Kunst zu hören — wird er nickst einmal hier auftretcn?" „Das ist es eben — es wäre das,größte Glück sür mich — aber — einem anderen paßt das nickst, der sucht eS auf alle Art zu Hintertreiben, und wissen Sie, Herr Doktor, wer das ist?" „Ich bin zu unbekannt mit den Derhältn^sen." „Das ist richtig — Sie sind ja noch nickt lange hier, sonst — ich glaube, cs ist gerade kein Geheimnis mehr, und ick habe auch keine Ursack)e, mir eins daraus zu machen — mein Sohn nämlich und die jüngste Tochter meines Cl>efs sind sich gut und haben sich im Geheimen — natürlich ohne die Einwilligung ihres Vaters — verlobt!" „Ah!" rief ich unwillkürlich aus, ich war wirklich überrascht und sah mit erneutem Interesse auf meinen neuen Freund. „Nicht wahr, das hätten Sie nicht gedacht?" fragte er mit großer Ge nugtuung in Blick und Gebärden. „Er ist ein Prachtkerl, mein Junge, uns könnte au jedem Finger eine haben, die kleine Erika hat es ihm aber gerade angetan. Es ist eine groß gewachsene Kinderliebe, dagegen läßt sich nichts machen: mein Joachim war immer der kleinen Erika Schutzengel und wird's auch bleiben, dem Alten und der ganzen Sippe zum Trotz!" Die stahlblauen Augen flammten in tiefer Ercgung, drohend ballten sich die Hände zur Faust. „Herr Franke will das Verhältnis nicht und macht den jungen Leuten Schwierigkeiten?" „Er quält das arme Ding zu Tode und duldet kein Wort darüber: mir gegenüber freilich — da wagt er's nicht. Er sollte mir auch nur konrmcn." „Die Kunst adelt! Warum sollte der Herr Rat sich gegen den HerzenS- bund sträuben, wenn er zugeben muß. daß Ihr Sohn sich von der großen Menge ausgezeichnet und seiner Tochter etwas zu bieten hat?" „Warum? Erstens aus Hochmut und Dünkel und zweitens — na. mehr kann ich nicht sagen, es ist mir aber lieb, daß Sie cs wissen, wer weiß waS kommen kann — Sie haben meinen Jüngsten gerettet — vielleicht — ich habe zu Ihnen so großes Vertrauen!" Er sah mich fast siebend an. „Das freut mich von Herzen. .Sie sind ein Biedermann — Sie können immer auf mich rechnen." ^ „Still, Herr Doktor, ich möchte nicht, laß Sie daS, was Sie jetzt gesagt. bereuen." — 13 — „Er hat so seine Launen", sagte nun Frau Herting im entschuldigende» Ton, „aber — er meint es gut, ich weiß es — ganz besonders mit Ihnen, Herr Doktor, Sie haben ja doch unser Kind gerettet." „Davon ist keine Rede," lehnte ich ab. Sie schwieg, unangenehm be drückt von der Art und Weise ihres Mannes. „Ist der.Herr Kommtssionsrat oben?" fragte ich die Frau. „Ich glaube kaum, daß er zu sprechen ist. Es waren schon Käufer da. die wohl noch oben sind." „Ich werde auch nickst erst hinaufgehen," erwiderte ich, indem ich nach der Uhr sah. „Es ist halb zehn, um diese Zeit wollte er mir das Instrument schicken." „Es ist schon verladen — nrein Mann kommt selbst mit," bemerkte Frau Herting „So!" sagte ich verwundert darüber, „daß er vorhin kein Wort darüber geäußert. Falls sich im Befinden Ihres Kindes etuias ändern sollte, so schicken Sie zu mir, anderenfalls komme ich morgen wieder herein." „Sic sind sehr gütig. Herr Doktor, wir sind Ihnen für Ihre schnelle Hilfe zu großem Dank verpflichtet!" Zögernd entfernte ich mich. Ich hatte eigentlich erwartet, Frau Her- ting würde auf das gestrige Gespräch zurückkommcn, da wir doch ganz allem und ungestört nnren; sie schien es aber zu vermeiden, mich daran zu er innern. Ich sagte niir, daß bei der beseitigten Gefahr für das Kind wohl auch die Angst und Sorge für alles andere ans dem Herzen der Frau gcsckiwunden sei; selbst an die Unterredung von gestern zu erinnern, widerstrebte mir. Ohne weiter etlvas Besonderes bemerkt zu liaben, sckstendcrte ich nach denklich nach meiner Wohnung. Meine Frau und meine Sckgvägerin hatten für die Ausnahme des er- Wartenten Flügels, als des ersten nrusikalischen Freundes der Familie, alles bereit gemacht, aber trotz allen Ausschauens darnach, wollte er sch nickst zeigen. „Es ist jedenfalls nur eine kleine Verzögerung dazwischen gekommen," suchte ich zu trösten, „man sagte mir doch, daß er schon verladen sei." Wir wartenden Flügels, als des ersten musikalischen Freundes der Familie, alles mein Studierzimmer, um eine Zigarre zu rauchen. Gegen halb drei Uhr öffnete meine Frau unvermittelt die Tür meines Zimmers: „Er kommt — er ist da!" und fort >var sie wieder. Ich fühlte mich bewogen, ihr zu folgen und den Transport des neu er- wordenen Schatzes in das für denselben bestimmte Zimmer zu überivachen. Diese Absicht erwies sich jedock, als überflüssig, denn — warnend und schützcird, jedes Hindernis aus den, Wege räumend, schritt rückwärts der mir schon be- kannte Herting den drei handfesten Leuten voraus,,das Instrument sickier und unbeschädigt an Ort und Stelle zu bringen. Mit einem Wink, kurz und herrisch wie der eines Herrschers, entließ er die Leute, denen ich schnell folgte, um mit einem guten Trinkgeld ihre Mühe zu lohnen. „Der spielt sich heute wieder einmal ordentlich auf," sagte der eine zu seinem Gefährten, „gerade so. als ob unsereins gar nichts leistete." Die anderen lackten. Ich konnte nicht umhin, zu fragen, ob er sich wirklich so über- hebe. „Ter kennt ihn nur noch gar zu wenig, er ist noch nickst lange bei uns. „Das Geheimnis der Brüder.*