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Beilage z« Nr. 211» -er „Sächsischer» Volkszeitung" r»om 23. September 1VVV. Revolution und Berbrechertrm. „Das ist keine Freiheitsbewegung mehr, sondern Raub und Mord!" So l)at, wie der Petersburger Korrespondent der „Augsb. Postzeitg." mitteilt, der Zar ausgerufen, als ihm Ende Anglist der Wochenbericht aus dem „Regierungs boten" unterbreitet wurde. Bis dahin habe der Zar immer noch an eine Freiheitsbewegung, wenn auch an eine terro ristische und ungerechtfertigte, geglaubt. Tann aber, führt obiger Gewährsmann aus, ist ihm klar geworden, daß unter dcui Deckmantel der „Befreiung Rußlands" nicht nur die Aufrichtung der Herrschaft des vierten Standes erstrebt, wndern auch die Ausführung der gemeinsten Verbrechen versteckt wird. Tie „Nowoje Wremja" hat völlig recht: Wo ist die Bürgschaft dafür, das; das von den Revolutionären zusam mengeraubte Geld nicht für egoistische Zwecke ausgegebcn und der Sache der „Volksbefreiung" entzogen wird? Ter Bankräuber Bjelenzow, der die Moskauer Kreditbank über fallen hatte, nxir im Champagncrransch, als er in der Schweiz verbaftet wurde. Er hatte einige Tausende bei sich, die verjubelt werden sollten. In Warschau ist ein Revo lutionär Hawergritz fcstgenommen, der eine Garderobe fein ster Art besaß und Dutzende wertvoller Ringe an den Fin gern hatte. Vorher war er ein arnier Kommis gewesen. u.ie „Revolution" ist also ein recht einträgliches Geschäft, das denken auch die Herren Schulbubcn-Nevolutionäre, die zu den Räubern das größte Kontingent stellen. Viele ope rieren auf eigene Faust, so das; die komische Situation wie in Smolensk entsteht: Die offizielle sozialrevolutionäre Partei (die niemand den Personen nach kennt) erklärt in einer Zuschrift an den Bezirkschef, die ihr zur Last gelegte Beraubung einer Apotheke durch junge Revolutionäre sei nicht ihr Werk. Ihr Name sei von „gemeinen Räubern" mißbraucht worden! Tie Räuber waren Gymnasiasten, die sich Taschengeld zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse und zur Unterhaltung ihrer Liebschaften bescl>affcn wollten, dafür aber ins Gefängnis wandelten. In Orel sind 13 junge Räuber verhaftet worden, darunter neun im Alter von kann: 17 Jahren. Sie erklärten, eine „eigene" revolutio näre Partei zu bilden und mit den anderen Revolutionären nichts zu tun zu haben. Es ist gar nicht im ricbtigen Umfange gewürdigt wor den, das; sogar die Revolutionäre des vierten Standes zu der Einsicht kamen, die Räubereien seien nur geeignet, der Revolution zu schaden. Ter jüdisch-sozialistische „Bund" und die Sozialdemokraten haben kürzlich erklärt, sie wollten von der Nanbtheorie nichts wissen. Es ist ihnen eben ganz einfach so viel in die Schuhe geschoben worden, was voll „gemeinen Räubern" verübt wurde, daß es ihnen geraten 'chien, auf den Programmpunkt ganz zu verzichten. Was alle guten Worte der Regierung bei dem fieberhaft erregten Volke, das dorthin lief, wo ihm goldene Berge verheißen wurden, nicht vermochten, haben die Räubereien mit ihren Mordtaten im Gefolge zuwege gebracht: dem Volke und be sonders dem Bürgerstand, der im Freiheitstaumel mit den Kadetten zog, sind die Augen aufgegangcn. Wenn an das Privateigentum getastet wird, hört alle freiheitliche Poli tik auf. Blut fließt gegen Blut! Tie Naubversuche werden ab geschlagen. die Räuber werden vou den ausersehenen Opfern uiedergeschossen, das „hands Pu", das so lange Kraft be- sessen, hat alle Stärke verloren. Tie Antwort darauf ist eiil Schuß dcS Angegriffenen. „Schämen wir uns nicht," sagt Golos Prawda, „daß junge Burschen uns durch ihre sroche Entschlossenheit im Zaum halten konnten?" Scham wäre allerdings am Platze, aber vor allem über die schlechte Erziehung der Söhne, die ein solches Chaos ermöglichte. Die Kirche Rußlands verstand es nicht, ins Leben des gebildeten Voiles einzudringen. Wie eine Politur haftet die kirchliche Lehre obenan, leicht springt sie ab, dann ist der Russe nicht nur ein französischer Atheist, sondern auch ein roher Natur mensch. Aus Stadt und Land. —* Der zweite Termin der Staateinkommen- steuer und der Ergänzungssteuer auf das laufende Jahr ist am 30. d. M. fällig. —* Alle diejenigen, die im Laufe des Monats Ok tober als Rekruten bei den Truppenteilen eintreten, haben noch vor Beginn des Militärdienstes die etwa rück- ständigen Steuern zu bezahlen, damit eine Anrufung der Militärbehörde zum Zwecke der Erlangung des Rückstandes vermieden wird. Die Einkommensteuer der in das Heer oder in die Kaiser!. Marine Eintretenden ist vom 1. des- jenigen Monats ab. in dem der Eintritt erfolgt, auf An langen durch die Hebebehöcde in Wegfall zu stellen, sofern feststeht, daß der nunmehrigen Militärperson ein nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes steuerpflichtiges Einkommen von über 400 Mk. nicht mehr anzurcchnen ist. Anträge solcher Art würden bei der Gemeindebehörde an zubringen sein. —* Eine am Mittwoch nachmittag hier stattgcfundene starkbesuchte Gastwirts - Versammlung beschloß, sich finanziell an der Aktienbierbrauerei zum Planerischen Lager keller zu beteiligen und einen Verband Dresdner Gastwirts vereine zum Schuhe der Interessen des Dresdner Gastwirts standes zu begründen. —* Militärische Belehrung. Unsere Armee und unsere Marine stehen im Mittelpunkte des nationalen In teresses. Die trefflich zusammengestellte Bibliothek der Dresdner Lesehalle (Waisenhausstr. 9) enthält nun eine ganze Anzahl der besten militärischen Werke (Encyklopädien, Ranglisten u. s. w.) und Zeitschriften, zu denen die eben falls dort vorhandenen Konversatious-Lexika, die Weber- schen Katechismen (z. B. die Uuiformkunde) und andere praktische Nachschlagewerke eine ausgezeichnete Ergänzung bilden. Man wird in den gastlichen, geschmackvoll einge richteten Räumen, die eine ausgewählte Bibliothek, eine überraschende Fülle von Zeitungen und Zeitschriften jeden Genres bieten, auch noch in anderer Hinsicht reichlich seine Rechnung finden. — Die Parterre-Räumlichkeiten find^sür jederman ohne Weiteres unentgeltlich zugängig. V. Bautzen, 20. September. Zu Ehren des scheidenden Gymnasialrektors, Herrn Professor Tr. Friedrich, ist ein Fackelzug geplant, der von der Scbülcrsclraft voraussichtlich am Dienstag ausgeführt werden wird. V. Bautzen, 20. September. Gestern vormittag 11 Uhr ist mit einem kurzen Weiheakt unser neues Justizgebäude lau König-Friedrick>-August-Platz) in Benutzung genom men worden. Auch der augenblickliche Bestand an Unter suchungsgefangenen (zur Zeit nur etuxr -10 Personen) ist seit vorgestern in das neue Untersuchungsgefängnis übergc- führt worden. Tie Gefangenen wurden unauffällig einzeln zu Fuß unter Begleitung dahingcbracht. V. Bautzen, 20. September. Ter Turnverein zu Stützen besteht seit 4. Mai d. I. bereits 00 Jahre. Zur Feier dieses Jubiläums veranstaltet der Verein am Sonn tag, den 23. September, nachmittags Uhr, in der städti schen Turnhalle (Steinstraße) ein öffentliches Sckxmturnen, dem sich am Abend ein Kommers nebst Tafel und Ball an- fchiießen wird. — Tie hiesige Tischlerinnumg beging gestern in festlicher Weise im Saale des „Bürgergarten" die Er innerungsfeier an die von 560 Jahren erfolgte Gründung der Tischlerinnung zu Bautzen. Berrnischtes. V Brunnen auf Viehweiden. Aus Rastede schrei ben die „Oldenburger Nachrichten für Stadt und Land": Eine erfreuliche und nachahmenswerte Tatsache ist die. daß Landwirte aus ihren Viehweiden Brunnen Herstellen lassen, um das Vieh daraus zu tränken. Manchmal sind die Vieh weiden so belegen, daß ein Brunnen für mehrere genügt. Kann man sich etwas Besseres denken, als wenn das Vieh eine gute Tränke haben kann? Wie sind die Viehtränken, Kuhlen u. s. w. beschaffen, ebenso die Gräben, woraus das I Vieh aus Not das schlechte, gesundheitsschädliche Wasser saufen muß! Landwirte, stellt Brunnen zu Viehtränken her, die Kosten sind nicht hoch und stehen zum Wohle des Viehes in keinem Verhältnis! Sport. „Unter dem Protektorate Sr- Majestät des Königs findet in den Tagen vom 2l.—23. September die Her bst zuverlässig» keitsfahrt der Deutschen Moiorradfahcer-Vereinigung je. V. München! für Motorräder und Kleinwagen bis zum KalalogpreiS von 3500 Mk. statt. Die Veranstaltungen dieser Vereinigung — der Blumenkorso 1905 dürste Wohl noch in bester Erinnerung stehen — haben fick bisher stets dadurch ausgezeichnet, daß keinerlei Unfälle dank der vorzüglichen Streckenorganisation zu verzeichnen waren. Es handelt sick auch diesmal nicht um Entwickelung großer Schnelligkeiten — dieselbe wird nicht gewer'et —, sondern um die Prüfung der Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit der einzelnen Fahr zeuge, sodaß derjenige Anspruch auf Preis hat, welcher innerhalb einer reichlich bemessenen Minimalzcit von einer Kontrollstalion zur anderen gelangt. Die Fahrt beginnt am Freitag tv Berlin und endigt an diesem Tage in Breslau. Der Sonnabend bringt die Fahrtteilnehmer über das Riesengebirge n ch Dresden. Um jede Verkehrsstörung zu meiden, wird das Ziel in Wetßig am Gastbos sein. Ein gemütlicher Gesellschaftsabend wird im „Tivoli" den Tag beschließen. Am Sonntag, früh >^6 Uhr. geht die Tour von Wölfnitz über Freiberg. Chemnitz, Leipzig. Oschatz, Meißen, Wilsdruff fnach Neu-Gompitz, um hier nachmittags etwa 4 Uhr wieder einzutreffen. Außer 12 von der Vereinigung ausgesetzten Preisen, sind von zwei Mitgliedern der hiesigen Ortsgruppe, Herrn Direktor HanS Dieterich-Helfenberg und Herrn Generaldirektor „Das will ich meinen. T-a ist zunächst der Wirtschaftsinspektor vom Schlosse drüben, dann der herrsctiaftliche Oberjäger, der immer so viel graus liche Geschichten erzählt, der alte Kammerdiener unseres gnädigen Herrn, dann ein Gutsverwalter, der Lehrer — alles sehr respektable Persönlichkeiten." Der Oberförster wandte sich der Tür zu und saß nach der allgemeinen gegenseitigen Begrüßung und Vorstellung bald mitten unter den ihn neu gierig betrachtenden Stammgästen. Er tvar ein auffallend hübscher, statt licher Mann, mit dunklen: Vollbart und lebhaft blitzenden, braunen Augen. Er mochte zu Anfang der Dreißig stehen und bildete eine wahrhaft vornehme Erscheinung mit tadellosen Manieren. „Nun, Herr Hellborn," begann der Inspektor Grollmann, „haben Sie sich hier schon eingewöhnt, wie gefällt Ihnen Ihr neues Heim?" „Ganz gut, ich bin zufrieden, und ich denke, cs läßt sich hier angenehm leben. Das Forsthaus liegt zwar recht einsam, so mitten im Walde, aber was tut's — man gewöhnt sich schließlich an alles, und ich finde ja angerrehme Ge- sellschaft hier, wie ich mit Freuden bemerke, und das halbe Stündchen Weg hierher scheue ich nicht. Also meine Herren, nehmen Sie mich freundlich auf in Ihre Mittel" Man sah es der Stammgescllschast an, daß sie sich geschmeichelt fühlte von Hellborus Rede. Man stieß an auf gute Freundschaft. „Sie sind also noch Junggeselle, wenn ich recht vernrute?" fragte einer aus der Runde. „Jawohl, — und ich werde es auch voraussichtlich bleiben, denn ich bin in bezug auf diejenige, die ich zu meiner Frau erwählen würde, sehr anspruchs voll, und es ist mir bis jetzt keine begegnet, die meinen Ansprüchen genügt hätte." „Na, na, wer weiß, was hier geschieht," — lachte der alte Kammer diener, „wir haben sehr hübsche Mädchen hier, die sich sehen lassen können, nehmen Sie sich in acht. Herr Hellborn, ich bin ein alter Kerl, aber mir gefiel so marrche im Ort." Der Oberförster strich nachdenklich seinen schönen Bart; das Thema schien ihm nicht recht zu behagen und cS trat eine kleine Pause ein. Der Aprilrcgcn schlug heftig gegen die Fensterscheiben, der Sturm sang draußen seine gewaltige Melodie lveiter. Um so gemütlicher saß es sich bei dem trau- lichen Schein der Lampe am runden Tisch. Die Gesellschaft plauderte bald wieder lebhaft von allerlei Vorkommnissen im Dorfe und zuletzt drehte sich die Unterhaltung um Schloß Riedheim und seine Bewohner. Die alten Ge schichten waren ztvar in dem kleinen Kreise schon oft erörtert worden, doch da man bemerkte, daß Oberförster Hcllborn sich lebhaft dafür interessierte, so kraurte man ihm zu Liebe längst Vergangenes wieder aus. „Weißt du noch," begann der alte Inspektor Grollmann, sich an den neben ihm sitzenden Kammerdiener wendend, „eS war just um diese Jahreszeit und es ist nun schon über dreißig Jahre her, daß auf dem Schlosse Unglück auf Unglück folgte. Damals konnte es einem schon recht unheimlich werden, — cs waren schreckliche Tage und Nächte, die ich all mein Lebtag nicht ver gessen werde." »Ja. ja." nickte der Alte still vor sich hin, „cs war des Unheils fast zu viel. Schlag auf Schlag ging es da, man wagte kaum mehr zu hoffen, daß wieder bessere Tage kommen würden. Ich sehe meinen armen Herrn noch vor mir, als ob seit der schrecklichen Zeit erst ein paar Jahre vergangen wären. Der Erbe DM vsn Riedheim. Roman nach einer Idee von K. Felden von Irene v. Hellmuth. Fr«illrt,«-Vella,e der „Siichfischea v,tt»zeit««,".