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— 2« — kielten ihn die Fischer mit Mihe zurück; er hätte es aber doch getan, wenn er die Strafe nicht gefürchtet hätte. Darauf ließ er sie leben, aber sie mußte hungern, daß sie mager wurde wie ein Gerippe. Er wollte sie zu Tode hun gern. aber sie starb nicht. Während die Häuser wieder aufgebaut wurden, künrmerte sich niemand um Karin; da lag sie den ganzen Tag am Strande, fing Fische und briet sie in der leerstehenden Hütte. Und später, als sie zur Schule mußte und das Leben im Dorf wieder seinen alten Gang lief, da warfen die Leute ihren Haß auf das Mädchen, das an all ihrem Unglück, ai ihrer Armut und Sklaverei schuld war. Sie taten ihr alles Ueble an und sie wurde geschlagen, gestoßen, verhöhnt, verachtet — sie war die Sklavin des ganzen Dorfes. Keiner mochte sie leiden, jeder verachtete sie - nur Niels Märten, der weiche Zunge mit dem tvarmen Herzen, der ganz seiner Mutter gleicht, der nahm sich ihrer an und beschützte sie, aber nur, wenn es sein Vater nicht sah. Und so ist Karin unter Haß und Verachtung groß geworden, dir beiden aber sind heimlich immerfort gute Freunde geblieben. Und das wir'; jetzt auch ein Ende nehmen, seit Lars Märten weiß, wie es nm seinen Niels steht; dann ist die Karin wieder allein und schutzlos — und sie dauert mich!' Der Pfarrer war nachdenklich geworden. „Ein schauerliches Los," sagte er endlich, „von allen gehaßt, von keinen geliebt, da glaube ich wohl, daß dem Mädchen das Leben zur Dual geworden ist und sie sich den Tod wünscht. Hat man nie etwas davon vernommen, wie das gestrandete Schiff hieß? Und ha* sich nie jemand nach einem verlorenen Kinde erkundigt?" Die Alte schüttelte das .Haupt. „Niemals," sagte sie. „Unsere Insel liegt auch zu weit ab von den Menschen und wir haben wenig Verkehr mit fremden Mensckxm und Städten. Nur Lars Märten kommt aufs Festland und er duldet nicht, daß andere Großhändler jö zu uns kommen und unsere Fische kaufen, weil ihm sonst der reiche Gewinn verloren ginge. Ueberdies ist Lars Martens Wille hier für alle Gesetz; was er nicht will, das muß unterbleiben." In des Pfarrers Geist reifte ein Plan, wie er das arme, unglücklich- Mädchen aus seiner unwürdigen Lage befreien und ihm ein besseres Los be reiten könnte. Er war fest entschlossen, sie in seinen besonderen Schutz zu nehmen und nicht zu dulden, daß Lars Märten seine rohe Wut an ihr ansließ; er wollte Karin in sein Hans nehmen und für sie sorgen, selbst auf die Gefahr bin. daß er sich Lars Märten und das Dorf zum Feinde machte. Seine Pflicht, die Pflicht der christlickxm Liebe und die Menschlichkeit trieben ihn an, sich dieses armen Geschöpfes anzunehmen und es einem helle ren. sonnigen Leben zuzuführen. Die alte Bed war durch ihre lange Erzählung ermüdet und schlief ein. nachdem sie den Nest von Niels Wein getrunken hatte. Der Pfarrer hielt Umschau in der ärmlichen Hütte, welche kaum die nötigsten Geräte enthielt und so feucht und dumpf war, daß sie unwürdig war, eine menschliche Wohnung genannt zu werden. Trotzdem fand er hinter einen Brett in der Mauer einen Schatz, den er hier am allerwenigsten ver mutet hätte — ein Dutzend Bücher, gute Reisebeschreibungen und Erzählun gen. mit denen sich Karin die endlosen und gualvollen Stunden der Einsamkeit vertrieben haben mochte. Wie sie in ihren Besitz gekommen waren, war leicht zu erklären, denn überall stand auf dem ersten Blatt in Niels sauberer Hand schrift eine kurze Widmung: „N. N. seiner wilden Karin." Das Mädchen lvar also nicht so ungebildet und unlvissend, wie er ge glaubt hatte, ihr Geist verlangte nach Nahrung, ohne Zweifel hatte sie Niels selber gebeten, ihr Bücher zu verschaffen. Das freute ihn und er nahm sich vor, diesen bisher zwangsweise medcrgehaltenen Bilduugstrieb Karins zu fördern, er sah eine große, hohe und schöne Aufgabe vor sich: Dieses Unglück- liche Geschöpf seiner Niedrigkeit zu entreißen, es dem Leben wiederzugeben, ihm ein menschenwürdiges Dasein zu bereiten — eine junge, durch fremde Schuld vom rechten Pfade abgeirrte Menschenseele zu retten! Fast mit Andacht betracküete er die feuchten Bücher mit den abgegriffe nen Einbänden. Wie oft mochte sie Karin durchgelesen haben? Wie oft. wenn sie in der düsteren Hütte, bei der schwelenden Lampe, einsam und von allen Menschen verlassen hier saß, mochte sie ihre heißen Tränen auf sie ge weint und sich nach Erlösung gesehnt haben! Niemand hatte sie verstanden, keiner hatte fick) ihrer erbarmt diese Bücher uxrren ihre einzigen Freunde im Leben gewesen! Er legte sie vor sich hin. schlug sie auf und durchblätterte sie, und wenn er an manchen Stellen dunkle Flecken, wie von Tränen, die darauf geweint worden waren, sah, so krampfte sich ihm das Herz zusammen und er fragte sich zagend: Bin ich nicht ein saumseliger Hirte geruesen? Ich liabe das ver lorene Sck>äflein in der Wüste gelassen, ohne ihm zu folgen, inmitten von Dornengestrüpp bade ich es sich ängstigen lassen, ohne auf sein heimliches Rusen zu hören. So ist es manchmal im Leben: man gebt an den Stillen, an den Freudearmen und Unglücklichen achtlos vorüber, obwohl gerade sie der Hilfe und der Liebe am meisten bedürfen, viel mehr als die Starken, die fest auf eigenen Füßen stehen und fremder Hilfe nickt bedürfen. Aber die bleiche Hand des Elends, die sich uns schüchtern und zagend entgegenstreckt, die über sehen wir oft, lvenngleich sie der Stütze am meisten bedürfte. Aber nun weiß ich meinen Weg und nichts soll mich abhalten, ihn zn gehen; ich will ein guter Hirte sein und dem verlorenen Schäflein nachgehen, bis ich es gefunden liabe. Und wenn ick es gefunden habe, will ich es auf meine Schultern nehmen und auf gute Weide tragen . . . Er lächelte wie einer, dem ei» großes Glück beschieden ward. Sein etwas hageres Gesicht überzog sich mit leichter Röte und die Hellen blauen Augen strahlten in sanftem Schimmer — sein Gesicht schien verklärt, wie das ein"» Apostels, der in die Welt gesandt ist, anderen Gutes zu erweisen und die Hei- landslehre nicht nur in Worten, sondern in Taten zu verkünden. So schlief er ein, von Müdigkeit ermattet. Das Feuer erlosch, das Lichr brannte matter und matter und es ward fast ganz dunkel. Aber inmitten dieser Finsternis war es, als ginge der Engel des Frie- dens durch die niedere, unwirtliche Hütte, in weißem Gewände, den Palm zweig in der Hand, mit lächelndem, strahlendem Gesicht und mit ausgebreitc- ren Händen. Und mit seinem Palmzweige und mit seinen Lippen berührte er wie segnend die Stirn der friedlichen Schläfer. 4. Am anderen Tage gegen Mittag begab fick der Pfarrer zu Lars Mär ten. der sich eben erst vom Bett erhob, da er gestern bis tief in die Nackt hinein getrunken hatte. Er faß im Wohnzimmer an dem großen Kiefernholztisch,