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2. Beilage zu Nr. 5H der „Sächsischen Bolksze«t»ng- vom 1t. März irmiZ. Pariser Brief. («»«druck verdaten., cx> Pariö, im März 1906. Mit 612 gegen 5 Stimmen hat die Kammer den Kom missionsentwurf der Altersversicherung angenommen. Es wäre aber eine Täuschung, wollte man jetzt von diesem günstigen Abstimmungsergebnis auf eine baldige Verwirk« lichung des dem Senat übergebenen Projekts rechnen. Die Abgeordneten wußten nämlich, als sie so wohlwollend stimm ten, daß in zwei Monaten die Allgemeinwahlen stattfinden und daß sie dazu ein l-albwegs greifbares Beispiel ihrer Ar- beiterfllrsorge mitbringen mußten. Es spielte also Wahl- taktik in die Kammcrsitzung hinein. Die Volksvertreter wissen ferner, daß der Senat noch wesentliche Streichungen vornehmen wird. Das Gesetz ist in seiner jetzigen Form durchaus undurchführbar, und zwar wegen seiner finanzi ellen Wirkungen. Wenn man den Durchschnittsbetrag des Ruhegehaltes auf 407 Frank pro Jahr annimmt — eine Mindestsumme von 360 Frank ist garantiert — und ferner die Zahl der gesetzlich zur Versicherung verpflichteten Arbei ter auf 12Z4 Millionen schätzt (von denen 25 Prozent in den Genuß der Altersrente gelangen), so beträgt die lau fende Mehrausgabe pro Jahr rund 1 Milliarde 270 Mil lionen Frank. Dazu kommen noch 25 Millionen Verwal- tungskostcn und ein Mehr von 30 Millionen, das aus der nicht zwangsweisen Versicherung erwächst. Ferner ist den Mitgliedern der Gesellschaften für gegenseitige Hilfe gestat tet worden, ein Viertel und in gewissen Fällen die Hälfte ihres Altersversicherungsbetrages für ihre Krankenkasse zu verwenden, woraus dein Staatsbudget ein neues Defizit von 60 Millionen entsteht. Nicht in Betracht gezogen ist hierbei das fortwährende, wenn auch langsame Fallen des Zinsfußes der Staatsrente, die aber ihre Wirkung tut. da der Staat für das schon genannte Minimum der Versiche rungsrente einsteht. Die Kriegsanleihe von 1871 wurde mit 6 Prozent verzinst, heute bringt die Staatsrcnte noch 3 Prozent ein. Der Zinsfuß ist mithin in 35 Jahren uni die Hälfte gesunken. Ferner ist eine Steigerling der Ar beitslöhne sicher, wenn nicht soziale Störungen eintreten, und damit eine Steigerung der durchschnittlichen Alters rente. Die schon gemachte Kostenveranschlagung von 1 270 000 000 Frank ist demnach eher zu niedrig als zu hoch. Zwar bezahlen Arbeiter und Arbeitgeber mit ihren Beiträgen jährlich zirka 400 Millionen. Dem Staat aber verbleibt so immerhin noch eine laufende Arsgabe von rund einer Milliarde. Das erscheint selbst für das kapitalkräftige Frankreich zu viel, besonders in einer Zeit, in welcher man zur Hebung des Handels und der Industrie ein mächtiges Bautenprogramm durchführen will und das Kriegs- und Marineministerium wieder größere Summen beanspruchen. Der Finanzminister Mertou hat es ganz unterlassen, einen Finanzplan zum Gesetze vorzulegen und klug gemeint: „Der Senat hat noch nicht gestimmt. Wenn der Gesctzeswortlaut abgeschlossen ist, wird die Regierung ihre Pflicht kennen und die Finanzquelle entdecken." Gewiß weiß es Herr Mer lau sehr gut, daß er, wenn einmal diese Pflicht ruft, längst nicht mehr Minister ist. Die Finanzquelle ist nämlich nichts «mderes als eine Finanzreform, das heißt eine sehr schwi'- rige und langsame Operation. Die sozialpolitisch ohnmäch- > tigcn Jakobiner sehnen sich jetzt natürlich wieder nach dem „klerikalen Gespenst" zurück als einem ägyptischen Fleisch, topf, aus dem sie nach Herzenslust zehrten, Ob aber die große Masse wieder auf den Leim geht, ist eine Frage. Die Arbeiter sind der hohlen Phrasen satt. Das päpstliche Rundschreiben an den Klerus und da-5 Volk hat nicht allein in kirchlichen Kreisen, sondern auch in den politischen Kreisen einen nachhaltigen Eindruck gemacht. Gerade solche Blätter, die immer so tun möchten, als ob Nom gar nicht mehr existiere, haben sich lebhaft mit ihm be schäftigt. Man warf dem heiligen Vater vor, daß er keine praktischen Anweisungen an die Katholiken erlassen habe. Ja, konnte er das, da er die Vcrtvaltnngsordnung, an welcher der Staatsrat noch arbeitete und welche noch vieles verschieben kann, selbst nicht kannte? Tie Stunde war noch nicht gekommen, uni praktische Lehren für eine verschleierte Zukunst zu erteilen, sondern nur, um gegen das Gesetz der Trennung und die unrcchtliche Art der Auflösung des Ver trages mit dem Vatikan ganz entschieden zu Protestieren. Wenn einmal die genannte Verwaltungsverordnung ver öffentlicht ist — ivas nächstens geschieht — dann werden durch PiuS X. Uare und bestimmte Verfügungen zum künftigen Verhalten der Katholiken erlassen. Vorläufig ist er noch, wie er drei französischen Journalisten bekannt hat, im ge nauen Abwägen begriffen über alles, was auch nur der ge ringsten Beachtung wert erscheint. Es ist das gewiß eine sehr schwierige und verantwortungsreiche Angelegenheit. Wie nun auch der heilige Stuhl das Trennungsgesetz sehr scharf verurteilt hat, so ist doch tvahrscheinlich, daß er schließlich unter vorheriger Wahrung der kirchlichen Grund sätze einen Versuch mit dem Gesetze macht. Eine Zurückwei sung auch in der Praxis hätte nämlich die Schließung aller Kirchen zur Folge und die Erklärung, sie als Staats- und Gemeindeeigentum zu betrachten. Das wäre nichts anderes als Bürgerkrieg. In seinem Rundschreiben jedoch empfiehlt Pius X., die Ungerechtigkeiten mit Gerechtigkeit und Wohl- ^ tun zu vergelten. Andererseits hat er auch die Bischofs- ! ernennungen aus eigenem Antriebe vorgenommen und sich so eigentlich auf den Boden des neuen Gesetzes gestellt, wel ches bezüglich der Bischofs- und Pfarrerernennungen völlige Freiheit läßt. Das ist einer der wenigen Vorteile, die den Katholiken aus der Auflösung des Konkordats erwachsen. Jedoch ist dieser Vorteil sehr bedeutend. Die Hauptfrage für die Entscheidung des Vatikans bleibt nun: Werden die künftigen Kultusvereine unter dem geistlichen Einfluß blei ben? Man hat neulich in der Presse behauptet, daß der - Staatsrat in diesem Punkte erschwerende Maßregeln er- ! greise. Tann allerdings schwinden die Chancen der Ge- ! setzesannahme um ein Bedeutendes. Ob sich indes der Staatsrat zu einen: solchen unüberlegten Schritt perleiten läßt, erscheint uns trotz alledem noch zweifelhaft. Tie näch- s sten Tage werden übrigens schon die Veröffentlichung der Verwaltungsbestimmungen und die Aufklärung bringen. Vis dahin muß jedes Urteil als verfrüht bezeichnet werden. Die vom Trennungsgesetz vorgeschriebene Aufnahme ^ des Kircheninventars hat in Paris und besonders in der letzten Zeit auch in der Provinz zu den bekannten höchst be dauerlichen Gcwaltauftritten geführt. Der Widerstand hat die gute Seite, daß er der Negierung, und vor allem den Jakobinern zeigt, daß es doch noch Katholiken in Frankreich genug gibt, die bereit sind, für ihren Glauben einzustehen. Die Sektierer wollten ja immer glauben machen, das Land sei fast einstimmig der Auflösung des Konkordats hold ge- sinnt. Wenn sie ihrer Sache so sicher gewesen wären, dann hätten sie die Trennung in ihr nächstes Wahlprogramm ausgenommen. Die rohen Gelvaltakte müssen aber auch vom katholischen Standpunkte verurteilt werden, und ge rade von diesem. In diesem Sinne hat sich auch die En zyklika geäußert. Tie Kircheninventarisierung wurde von den katholischen Abgeordneten befürwortet. Sie ist auch nötig zur Uebertragnng der Kirchengüter auf die Kultus vereine. Es ist also ganz unverständlich, wenn ein katho lisches Blatt, wie der „Soleil", zum gewalttätigen Wider stand aufsordert und schreibt: „Hoch die Sensen!" Nein, j nieder mit den Sensen. Tenn die Katholiken müßten die Kosten bezahlen. Zudem schulden sic den Friedensworten des Papstes Gehorsam, der in dem letzten Rundschreiben so eindringlich gefordert wurde. Eine Verbesserung der Lage kann nur auf dem gesetzgeberischen Wege erzielt werden. Der große Unterschied! ^Ger^enkcrffee ist kein s „Malzkaffes" 1 und „Malzkaffes" ist noch lange kein 406 .Schreiners MairkaNee" Tenn der echte „Kathreiner" ist nach dem Urteile der Wissenschaft« lichcn Autoritären nicht unr in bezug aus seinen Gehalt ein in jeder Hinsicht vollkommener „Malzkaffec", sondern besitzt vor allen: allein unter sämtlichen Erzeugnissen seiner Art einen würzigen, vollen, kasfccähnlichen Wohlgeschmack. Man verlange in den Geschäften deshalb ausdrücklich nur den erbten »Kathreiners Malzkaffes" und achte scharf darauf, das; man diesen auch wirklich erhält und keinen anderen. Die untrüglichen Kennzeichen des echten „Kathreiner" sind: Geschlossenes Paket in seiner bekannten Ausstattung, Bild und Unterschrift des Pfarrers Kneipp als Schutzmarke, und di« Firma: Kathrciner'S Malzkasscc-Fabrikcn. — 76 — Der Greis stand lange regungslos. Tann trat er leise an den Tisch und legte die Hand auf die Schulter seiner Tochter. „Verzeihe, Marie," sprach er gerührt, „ich war besorgt, es sei dir etwas Unangenehmes zugestoßen." Dann bemerkte er die Glasphotographie auf dem Tische. „Mas — der unglückliche Georg?" fragte er überrascht. „Ich habe nicht gewußt, daß das Bild noch existiert." Als keine Antwort erfolgte, fuhr er nach einigen Augenblicken fort: „Vergiß nicht, Marie, daß Besuch da ist. Ich kann dir's zwar nicht verübeln Kind, aber du hast das Zimmer verlassen, ohne dich bei Herrn Lorenz zu ent- schuldigen." „Ich will ihn: nicht mehr unter die Augen treten — keinen Menschen mehr! Ich bin eine Verworfene, eine Mörderin!" sprach sie mit dumpfer, ge brochener Stinrme. „Nein Marie, das bist du nicht," erwiderte der General. „Du warst jung und unerfahren, hattest keine Welt- und Menschenkenntnis, hast deinen Mann nicht gekannt . . . meine Pflicht wäre es gewesen, das Unglück zu ver hindern, ich hätte Georg besser kennen müssen-, mich trifft alle Schuld!" „Tu standest ihn: fremd gegenüber, Vater — ich war seine Frau. Ich hätte unter allen Umständen zu ihn: halten müssen, und würde ich das getan haben, so lebte Georg noch. Sein Tod ist einzig und allein meine Schuld! Vater — heute noch muß ich an sein Grab, das ich Herzlose noch niemals aufge sucht habe. Tort will ich kniecn und betei: und zu dem Toten flehen ... er wird mir seinen Trost senden, der Georg; aber ich muß an sein Grab, Vater! Ich muß!" „Ja, tue das, Kind," sprach der General mit fast lallender Stimme. „Reise heute noch nach Kelheim! Dort wird sich vielleicht der Alp von deiner Brust lösen . . . Wein dich aus dort, Kind! Und wenn du ai: seinem Grabe kniest, Marie, dann — dann schließ mich ein in dein Flehen und bring nur . . gelt, Marie — bring mir ein wenig Erde mit von Georgs Grab!" Die Füße des Generals wankten, und er sank neben seinem verzwei felnden Kinde in die Knie. Durch die schmale Oeffnung eines Fenstcrvor- Hanges drang in diesem Augenblicke ein Sonnenstrahl. Er fiel aus die glän zenden, blonden Wellenhaare der Frau und streifte den kahlen Scheitel des zitternden Greises, als wollte er Trost und Hoffnungsschimmer in die beiden niedcrgebcugten Menschenkinder gießen, in deren Herzen die verzehrenden Qualen einer unfruchtbaren Reue wühlten. 10. Ein trüber Rcgcnhimmcl lag über den düsteren Höhen und Pässen des Argonncrwaldcs, den die Heeressäulen der dritten deutschen Armee in Eil- Märschen durchzogen. Die ausgefurchten Straßen der teilweise schluchtartigcn Pässe wurden von enggeschlossenen Postenketten bewacht, und die bunten Uni formen patrouillierender Husaren belebten die dunklen Waldgehcge. Ließen auch Gang und Haltung eines großen Teiles der Fußmannschaften Müdigkeit und Abspannung erkennen, so ging es doch in raschem Tempo vorwärts. Dw erhöhten Sicherheitsmaßnahmen deuteten darauf hin, daß man in der Näh«' eines wichtigen Punktes sich befinden und wieder Fühlung mit dem Feinde ge- : k"h"n nii^te. den man seit Wochen aus dem Auge verloren hatte. — 73 — „Wenn der Dieb nach Amerika ausg'wandert ist und von: ganzen Un glück nir g'wnßt hat, das er ang'richt hat, nachher begreif i eins nit: Wer schickt denn nachher das Geld?" fragte Joseph, der von: General dazn aufge fordert, anwesend geblieben lvar. Diese Frage wirkte fast verblüffend auf den alten Herrn und seine Toch ter. Lorenz blickte verständnislos in das Gesicht des Dieners. „Sonderbar . . . vollkommen unerklärlich," sprach der General für sich. Dann erhob er den Kopf. „Die zehntausend Gulden sind uns in: Verlaufe der letzten vierzehn Jahre von einen: Unbekannten nach und nach bereits er setzt worden," sagte er zu Lorenz gewendet. „Anfangs Juli traf die letzte Sendung ein." „Das ist allerdings sehr sonderbar," erwiderte dieser nachdenklich, „sollte der Dieb vielleicht durch eine Mittelsperson . . . aber das ist nach sei nen: Brief nicht anzunehmen; er hatte ja von allen: keine Kenntnis." „Diese rätsclliaftcn Geldsendungen bestärkten mich hauptsächlich in dem Glauben an die Schuld meines Schwiegersohnes," fuhr der General fort. „Meine Tochter und ich waren bis heute der Anschauung, daß die uns zugc- schickten Beträge von demjenigen hcrrühren müßten, der die Unglückssumme von Hartfeld gewonnen hat. Ich habe auch jetzt noch die Ueberzcugnng, daß diese Geldsendungen mit jenem Diebstahl in: Zusammenhänge stehen. Eine andere Erklärung dürste sich kann: finden lassen." „Nachdem der Diebstahl nunmehr aufgeklärt ist, fällt das Gerücht, das über den Vorstorbcnen damals umlies, in nichts zusammen," versetzte Lorenz. „Ja, wer ist dann jener geheimnisvolle Geldsender, wenn cs der Dieb nicht ist?" fragte der General. Und nach einer Pause voll trüber Gedanken fuhr er fort: „Ich muß immer wieder an eine Persönlichkeit denken, die uns seit einigen Wochen sehr beschäftigt. Diese wäre vielleicht in der Lage, einiges Licht in diese dunkle Sache zu bringen. Ein Major Berger, Bataillonskom- Mandant in Passau, interessiert sich nämlich in außergewöhnlicher Weise für meine Familie. Er behauptete meiner Enkelin Irma gegenüber mit aller Be stimmtheit, daß der Verstorbene unschuldig gewesen sei. Berger, der zur Zeit in: Felde steht, tvar früher in Ingolstadt und mit meinen: Schwiegersohn be freundet. Sagen Sie, Herr Lorenz, erinnern Sie sich eines Herrn Namens Berger, der seinerzeit mit Hartfeld verkehrte. Uns ist dieser Name gänzlich unbekannt." Lorenz sann eine Weile nach. „Nein," sagte er dann, „ein Berger, der in der besseren Gesellschaft verkehrte, lvar damals nicht in Ingolstadt. Der betreffende Herr wird Ihren verstorbenen Herrn Schwiegersohn wohl in Mün chen kennen gelernt haben. Es ist auch möglich, daß er sich vorübergehend in Ingolstadt ausgehalten l)at." „Das ist wohl möglich," versetzte der General. „Merkwürdig ist nur. daß Major Berger von der Unschuld des Verstorbenen überzeugt ist, meine Familie kennt und uns dennoch keinen Besuch machte, wiewohl er sich wieder- holt in allernächster Nähe von Bickenried ausgchalten hat. Berger soll eine große Ähnlichkeit mit Hartfeld haben." Lorenz erhob bei den letzten Worten überrascht den Kopf. „Von woher kamen denn die Geldsendungen?" fragte er nach einiger Zeit. „Die Briefumschläge trugen sämtlich den Poststempel München," er- widerte der General.