Volltext Seite (XML)
' Beilage z« Nr. 2 der „Sächsischen Bolkszeitung" vom 4. Jannar 1VV«. J«hreSr»«dscha«. Das Jahr 1905 mit seinen wechselreichen Ereignissen liegt hinter uns; das deutsche Volk hat ein hohes Gut be wahrt erhalten: Den europäischen Frieden. Niemand war eifriger um diesen bemüht als unser Kaiser; er selbst hat es als eine Pflichtverletzung bezeichnet, wenn er nicht alles tun wollte, um dieses unschätzbare Gut zu erhalten. Und das deutsche Volk glarrbt dieser Versicherung! Die Mittelmeerreise im letzten Frühjahr ist ja vom Kaiser zu einer Kundgebung des Friedens benützt worden; sein Besuch in Tanger sollte die Unabhängigkeit des Scherifenreiches be kunden. Freilich lvar der Besuch etwas riskant und man hat in manchen Kr-eisen darob den Kopf geschüttelt; aber er ist gut abgelaufen. In die kaiserliche Familie hat das Jahr 1905 die Kronprinzessin gebracht; anfangs Juni vermählt: sich der Kronprinz Friedrich Wilhelm mit der Herzogin Cecilie von Mecklenburg. Nicht nur das gesamte deutsche Volk nahm an diesem Ereignis freudigen Anteil, sondern auch alle fremden Nationen beteiligten sich durch Sonder gesandtschaften. Der Heilige Vater ließ durch Kardin Kopp seine Glückwünsll>e und sein Geschenk übermitteln. Es war ein schönes Familienfest, das hier gefeiert worden ist und ergreifend lvar, wie der Kaiser dem Neuvermählten Paare Christus als das Lebensideal vor Augen stellte. Jn- zwiscl)en hat sich auch der zweite Sohn des Kaiserpaares. Prinz Eitel Friedrich, verlobt mit der Herzogin Sophie Charlotte von Oldenburg. Der Vermählungstag ist noch nicht festgesetzt. — In den Reihen der deutschen Bundes- fllrsten hat 1905 der Tod nicht Einkehr gehalten. Wohl hat der jugendliche Regent von Sachsen-Koburg-Gotha selbst die Negierung übernommen und der Regentschaft des Erbprinzen von Hohenlohe-Langenburg ein Ende bereitet. Bald nach dem Regierungsantritt vermählte er sich mit einer Nichte der Kaiserin. Ter LipPesche Erbsolgestreit ist nun auch glücklich aus der Welt geschafft, das Reichsgericht hat ent schieden, daß die gräfliche Linie Biesterfeld erbfolgeberechtigt sei und der Bückeburger Fürst war der erste, der seinen glücklichen Konkurrenten (die Fürstenwürde trägt 1 Million Mark ein) gratulierte. Auch der Kaiser hat die endgültige Beilegung des Streites sehr begrüßt. Ob Braunschweig im neuen Jahre seinen rechtmäßigen Regenten in der Per son des Herzogs von Cumberland erhalten wird, das ist die bange Frage, die die Bewohner dieses Landes erregt; wir wünschen, daß hier endlich definitive Zustände geschaffen werden. Unter dem deutschen Episkopate hat der Tod schmerz- liche Lücken gerissen. Am 24. Jannar starb der Erzbischof von Bamberg, Dr. I. v. Schork, am 18. März der Bischof von Speyer, Georg v. Ehrler, am 5. Sept. der Bischof von Eichstädt, Freiherr v. Leonrod, am 18. Dez. der Bischof von Hildesheim, Wilhelm Sommerwerk gen. Jakobi. Unsere beider: sächsischen Diözesen stehen noch unter dein schmerz lichen Eindruck, den der Tod unseres geliebten Oberhirten Bischof Dr. Georg Wuschanski am 28. Dezeniber hervor- gcrufen hat. Die Bischofsstühle Bamberg und Speyer sind bereits wieder besetzt. Unsere innere Politik hat eine Reihe wichtiger Etappen hinter sich und doch verlief sie sehr ruhig. Das hervorragendste Ereignis ist die Annahme der Handels verträge, die am 1. März 1906 in Kraft treten. Mit ihnen beginnt eine neue Epoche für unsere Landwirtschaft, die bei den Caprivischen Verträgen die Zeche bezahlen mußte. Die Zollsätze für Getreide und Vieh sind sehr wesentlich er- höht. Andererseits hat die Industrie den großen Vorteil, daß sie auch 12 Jahre sich einrichten und mit feststehenden Sätzen rechnen kann; dieser Vorsprung ist von nicht zu unter- schätzender Bedeutung, da die Zollsätze nur einen Teil der Spesen bilden, von denen das wichtigste ist, daß sie nicht schwanken, sondern auf lange Zeit gleich hoch bleiben. Die neuen Handelsverträge bringen diese Stetigkeit; daß sie nicht alle Wünsche befriedigen, ist ganz selbstverständlich, sie sind eben Verträge, bei denen eben beide Teile nachgeben urüssen. Aber im allgemeinen muß man sagen, daß sie für uns günstig ausgefallen sind und das haben namentlich die Vertreter der Landwirtschaft selbst unumwunden einge standen. — Für des Reiches Wehr ist von hoher Bedeutung die im verflossenen Jahr angenommene Militärvorlage. Sie bringt zunächst als wichtigsten Fortschritt die gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit für alle Fußtrrrppen; daneben läuft eine bis 1911 allmählich eintretende Ver mehrung rrm 10 338 Mann, die zur Ausfüllung der Lücken der Armee dienen; in erster Linie muß die Kavallerie ver- mehrst werden; manche Divisionen haben gar keine Kavallerie, die anderen Waffengattungen sind seit 1870 sehr vermehrt worden, die Kavallerie blieb sich fast gleich. Diese Gründe haben auch das Zentrum veranlaßt, für die Militärvorlage zu stimmen und so dem Reiche zu geben, lvas ihm gebührt Ein trübes Blatt in der Geschichte des Jahres 1905 aber bildet unsere Kolonialpolitik. Zu dem schon ein Jahr dauernden Kriege in Südwestafrika kommen Un ruhen in Deutsch-Ostafrika und Kamerun. Bis jetzt sind 2000 Deutsche in diesen! Kriege gefallen; die Opfer an Gerd sind bereits über 250 Millionen Mark und noch mehr dürs ten es werden. Und weshalb all diese Opfer? Daß die armseligen Kolonien diese nicht wert sind, darüber herrscht allseitige Uebereinstimmung. Der Aufstand in Ostafrika scheint auch bereits zu Ende zu sein, in Südwestafrika sind die Stämme der Herero vernichtet; die meisten wehrfähigen Männer sind umgekommen. Die Hottentotten stehen noch teilweise im Felde. In der Leitung des Kolonialamtes ist bereits ein Wechsel eingetreten; der bisherige Kolonialdirek- tor geht als Gesandter nach Christiania, wo er nichts ver derben kann; der frühere Regent von Sachsen-Koburg- Gotha, Erbprinz von Hohenlohe-Langenburg, ist an die. Spitze der Kolonialverwaltung gestellt worden; er will jedoch nicht als „Kolonialdirektor" dem Reiche dienen, sondern nur als „Kolonialstaatssekretär". Ob der Reichstag das neue Kolonialnmt genehmigen wird, ist noch sehr zrveifelhaft. Wir halten es für sehr überflüssig und mindestens für verfrüht Der im Oktober stattgcfnndene Kolonialkongreß hat die Klagen der Missionare zu laut ertönen lassen; zu groß sind die Hindernisse, die man den glaubenseifrigen Missionaren macht und doch haben für uns die Kolonien den ersten und höchsten Wert darin, daß die heidnischen Eingeborenen zu Christen erzogen werden. Wenn das Reich diese Aufgabe nicht unterstützt, ihr gar Schwierigkeiten bereitet, so sehen wir nicht ein, weshalb das Zentrum noch Gelder für die Ko lonien bewilligen soll. Der konfessionelle Friede hat im abgelaufe- nen Jahre gegenüber 1904 wohl einige Fortschritte gemacht. Das Jahr 1904 war aber auch das Jahr der konfessionellen Spannung. Kardinal Fischer m Köln hat wiederholt daran erinnert, wie sehr das Deutsche Reich dieses kostbaren Gutes bedarf. Leider aber hält es der Evangelische Bund immer noch für seine Aufgabe, die Gemüter zu erregen und aufzu hetzen; hinter ihm steht in erster Linie der Liberalismus, der vom konfessionellen Zwiste lebt. Der wirtschaftliche Friede ist immer noch in weiter Ferne; drei große Kriege fanden hier statt. Zu Be ginn des Jahres flammte der Bergarbeitcrstreik im Westen auf; im Herbste traten die Berliner Elektrizitätsarbeiter in den Ausstand und bald darauf wurden im Thüringischen 40 000 Weber ausgesperrtI Wann endlich ergreift der Staat Maßnahmen, nm solche Kämpfe zu mildern oder zu ver- hindern? (Fortsetzung folgt.) v In sechs Jahren über 300 Schulen be - sucht haben die Kinder des Artisten M. aus Wolfenbüttel Der Künstler zieht mit seiner Familie in den Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover und den beiden Großherzog- tümern Mecklenburg vou einem Ort zum anderen; daher kommt es. daß seine Kinder seit dem Jahre 1899 inehr als 300 Schulen besuchten, natürlich haben sie meistens nur aus einen oder zwei Tage in die Schule „hineiugeguckt". — Nicht viele Menschenkinder können von sich sagen, daß sie von über dreihundert Lehrern unterrichtet worden sind. v Das amerikanische Fußballspiel artet in geradezu unglaubliche Roheiten aus. Präsideut Roofe- velt hatte vor Kurzem Gelegenheit, sich selbst davon über zeugen zu können. Der Präsident, der einem „Spiel" zwi schen der Militärakademie von West Point und der Marine akademie von Annapolis beiwohnte, sah, wie Spieler sich vor Schmerzen wie in Todeskrämpfcn auf dem Boden wanden und wie andere bei dem Kampfe um den Ball so brutal nicdergeschlageu wurden, daß sie bewußtlos liegen blieben. Tie Gegner rissen einander die Wollhenrden in Fetzen vom Leibe, so daß die blutig geschundene Haut offen lag, die bald mit Schmutz vom HerunNmilzen auf dem Erdboden bedeckt lrxrr. Mindestens elf Spieler wurden so zugerichtet, daß sie die Partie ausgebeu mußten. Nach dem Spiel wurde Gene ral Mieles, einer der angesehensten Offiziere der amerika nischen Armee, um seine Meinung darüber befragt. Er äußerte sich folgendennaßen: „Meiner Meinung nach ist Fußball, so wie er hier gespielt wird, das roheste, gefähr lichste und unsinnigste Sportspiel, das bei irgend einem Volke in der ganzen Welt geübt wird." Der General er klärte, das amerikanische Fußballspiel sei schlimmer als Stierkämpfe und Preisboren. — 40 „Fast will es mir scheinen, der Fremde belüge dich aus irgend einem Grunde. Wahrscheinlich ist er ein Hochstapler. Man liest ja jede Woche von solchen Betrügern. Er kennt deine Verhältnisse oberflächlich, wie Hunderte sie kennen, und sucht dich auszubeuterr. Wenn er eines Tages mit einer Geld förderung an dich herantritt, weißt du, was du von der Sache zu halten hast." „Wenn er aber die Wahrheit sprillst? —" Dann, mein lieber Felix, heißt es abwarterr." „Ja, ablrxrrten! Es ist so unendlich schwer, stille zu halten, wenn die Unruhe im Herzen wühlt." Ta fiel ein rötlicher Sonnenstrahl fast quer durch die Aeste der Bäume. „Es wird spät. Komm, mein Felix! Mama ängstigt sich über unser Ausbleiben." Dennoch beeilen sie sich nicht. In ruhigem Trabe, als wollten sie die Minuten des Alleinseins verlängern, erreichen sie das Landhaus. Ein Feld- arbeiter öffnet das Tor, langsam gleiten die Schratten der Reiter durch die Allee der Edclwciden, deren feines Laubwerk an den Zlveigen wie grüngolde- nes Filigranwerk leuchtet. Jetzt schießt der letzte Strahl der untergchenden Sonne zitternd über die Steppe. Felix springt vom Pferd. Irma gibt Zügel und Reitgerte dem herbeigecilten Diener und löst den Fuß vom Bügel. „Fange mich auf!" ruft sie Felix zu. Seit den Tagen ihrer Kindheit war sie gewöhnt, ihr Reitpferd in dieser Weise zu verlassen, wenn Felix zur Hand lvar. Sie freiste sich, wenn die Wucht des Sprunges und die Schwere ihres jugendlichen Körpers ihn zum Wanken brachten. Heute soll ihr dies nicht gelingen. Mit starken Armen fängt Felix sie auf und hält sie einen Augenblick umschlossen — nur einen Augenblick. Irma errötet tief, nimmt rasch ihr schleppendes Reitkleid auf und geht nachdenklich dem Hause zu. „Es ist unpassend, so vom Pferde zu springen. Felix hat recht, wir sind keine Kinder mehr," philosophiert sie vor sich hin. „Kinder, kommt schnell! Wir haben mit dem Essen ans euch gewartet," ertönt Frau Wildners Stimme aus der Halle. Bald ist die Familie um den Tisch versammelt. Frau Mathilde trägt fast allein die Kosten der Unterhal tung: die Vorbereitungen auf den Empfang der Gäste und die Unzuverlässig, keit der Dienstboten bilden ihr Thema. So beachtet sie Irmas ungewöhnliche Schweigsamkeit nicht. 7. Kapitel. Die Gäste kamen an: Frau Thomsen, eine liebenswürdige Matrone, ihr Sohn Heinrich und ihre Tochter Bella, ferner Adela Minden und ihr Bruder Carlos. Heinrich Thomson, ein strebsamer, junger Mann, hatte vor kurzem das medizinische Examen bestanden und sich den Doktortitel erworben. Er hatte seine Studien auf der Universität von Buenos Aires vollendet und beabsichtigte, einige Jahre in Deutschland zuzubringen, um berühmte Professo- ren zu hören und sich in Kliniken nud .Hospitälern unter der Leitung medizini- scher Größen weiter auszubilden. Zuvor aber mußten seine durch das ange strengte Studium erschlafften Nerven in der freien Steppenluft ihre Spann- kraft wieder erlangen. Carlos Minden, den wir schon an Bord dos „HelioS" kennen gelernt, ist Landwirt mit Leib und Seele. Er hilft seinem Vater bei der Verwaltung eines Besitztums, das an Flächenraum manches deutsche Fürstentum übertrifft. > i — „Wie gütig ist die Senora, an uns arme Leute zu denken! Hörst du, Nosita, wir sollen am heiligen Abend zum Landhause gehen, um den schönen Baum mit den vielen Lichtern zu sehen. Du bist noch nie dort gewesen. Wie wirst du staunen! Frage nur Floro, wenn er heimkommtI Er kann dir davon erzählen! — Und nun wird mir die Senorita die Ehre erweisen, einen Mato (Paraguay-Tee) mit uns zu trinken. Es ist die richtige Tagesstunde, das Wasser kocht schon." Irma wußte, daß man diese Einladung nicht abschlagen darf und ließ sich den aromatischen Aufguß iu der herkömmlichen, birnförmigen Schale rci- ll>cn. Sie sog vorsichtig den heißen Trunk durch die metallene Röhre; dann gab sie dankend das Gefäß zurück, das nun für Felix gefüllt wurde. Auch dieser nahm cs aus der Hand Nositas in Empfang und brachte mit würdigen! Ernste der Gastfreundschaft seinen Tribut. Die junige Frau, sie lvar kaum älter als Irma, hatte nur Augen für diese. Sie war ein Kind der Steppe und kannte die Stadt und die Städter nicht. Irma erschien ihr wie ein Wesen höherer Art. „Ist der junge Herr Ihr Bräutigam?" fragte sie kindlich naiv. „Nein, er ist mein Bruder," antwortete Irma rasch. Nosita wandte sich zu der Alten. Hatte diese ihr nicht hundertmal ge sagt, daß Don Ernesto, der Besitzer des Gutes, nur ein einziges Kind, eine Tollster, habe. Aber die Alte nickte zuslimmend. „Der Senorito ist ihr Bruder." Das schlummernde Kind war erwacht und kündigte dies mit lautem Krähen, an. „O, bitte, lassen Sie mich das Kind sehen!" bat Irma. Der Kleine wurde ausgenommen und blickte mit seinen verschlafenen Augen die Fremden erstaunt an, benahm sich aber, durch Zureden der Mutter ermuntert, wie ein kliner Held und bewegte die Lippen, die erst ganz verräterisch gezuckt hatten, zu einem freundlichen Lächeln. Irma küßte das braune Gesiclstchcn und spen dete der jungen Mutter reichliches Lob, das diese stolz entgegennahm. „Wie wenig braucht der Mensch zu seinen: Glück!" sagte Irma, als sie, von den Segenswünschen der Alten begleitet, davonritten. „Gut sein und genügsam," antwortete Felix, „es scheint so leicht und die Menschen machen es einander so schwer." Schweigend trabten sie über die Steppe. „Was meinst du, Felix, sollen, wir nicht dort zum Brunnen reiten; es ist noch früh. Wir können dort ein wenig plaudern, und die Pferde ruhen lassen." Sie lenkten ihre Tiere einer Baunigruppo zu, in deren Nähe sich ein Ziehbrunnen befand. Ringsum standen Trinkbrunnen für das Vieh. Die Szenerie versetzte den Beschauer um Jahrtausende zurück auf die Ebenen des Morgenlandes, wo die Hirten Abrahams und die Söhne Jakobs ihre Herden tränkt::,. — Nur die starke eiserne Kette und die Form des Eimers, der ge wöhnlich von einem Reiter zu Pferde hochgezogcn wurde und sich am Rande des Brunnens selbst in den Trog entleerte, erinnerten an die Neuzeit. Felix goß Wasser in die Rinne und ließ die Pferde trinken. Irma setzte sich im Schatten auf einen Steig und sah ihm nachdenklich zu. „Wir reiten heute zum letzten Male allein," sagte sie, mehr zu sich selbst. -Li Z r W i io m. .,