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Beilage zu Nr. 51 der „Sächsischen Volkszeiturist" vom li. März 1L»0V. AuS Stadt und Land. —* Auf dem Trinitatisfried Hofe fand am Donnerstag die Beerdigung des im Alter von 62 Jahren verschiedenen vormaligen Direktors der Königl. Kunst gewerbeschule, Herrn Geh. Hofrat Professor Karl Graff, unter sehr zahlreicher Teilnahme statt. Das Professoren- und Lehrerkollegium der Königl. Kunstgewerbeschule hatte sich mit den Studierenden dieser Anstalt um das umflorte Banner vollzählig geschart. Der Kunstverein und der Ver- ein HanS Holbein mit Fahnen erwiesen ihrem Ehrcnvor- sitzenden bez. Ehrenmitglied»: durch Deputationen und Niederlegung von Palmen und Lorbcergcwinden letzte Ehren, wie auch der Dresdner Architektenverein, die Kunst- gewerbcschule München usw. Abordnungen zum Grabgeleit und zur Niederlegung von Blumenschmuck entsandt hatten —* Zum Rektor Magnificus an der Technischen Hochschule wurde Herr Geh. Hofrat Prof. Dr. Drude ernannt. Am Mittwoch fand die feierliche Uebergabe des Rektorates statt. Der scheidende Rektor, Herr Professor Dr. Mollier, gab einen Bericht über das verflossene Jahr, dem wir folgendes entnehmen: Bei Uebergabe des Rektorates zählte die Hochschule 1213 Hörer (davon 1040 Studierende und Zuhörer): außerdem 9 Damen-Hospi- tanten. Zu betrauern ist der Verlust von 6 Studierenden. Unterstützungen und Beihilfen wurden insgesamt gewährt 41 746 Mk., davon 10 000 Mk. von der Stadt Dresden. — Zu Dr.-Ingenieuren wurden promoviert 22 Diplom- Ingenieure. Die Diplomhauptprüfung bestanden 114, di: Vorprüfung 118 Studierende: 3 Kandidaten die Prüfung für das höhere Lehramt. —* D i e S ch a n f e n st e r f r a g e, d. i. das Offen halten der Schaufenster au Soun- und Festtagen, beschäftigte auch die Dresdner Handelskammer in ihrer letzten Sitzung. Sie hat sich mit der Absicht des Stadtrates, bei Negierung und Landtag um die Gestattung des Offenhaltens der Schaufenster au Sonntagen zu petitionieren, nicht einver standen erklärt, sondern eine Unterstützung der Eingabe ab gelehnt. Die Begründung der Ablehnung ist hauptsächlich auf die Befürchtung gestützt, daß das Offenhalten der Schau fenster vielen Ladenbesitzern, sowie zahlreichen Handlungs gehilfen und Angestellten die Sonntagsruhe sehr beein trächtigen werde, und zwar durch das Oeffnen und Schließen der Schaufenster und das Anstecken und Löschen der Beleuch tung. Nun ist aber diese Befürchtung schon durch Herrn Oberbürgermeister Beutler in jener Sitzung der Ersten Kammer, in welcher die bekannte Zittauer Petition zur Be ratung stand, dadurch fast einwandfrei widerlegt worden daß ein Schließen und Oeffnen der Schaufenster überhanp: nicht in Frage komme, da die Fenster einfach offen bleiben, wie es schon in vielen Geschäften während der Nacht jetzt geschieht und die Beleuchtung derselben bei den weitvorge- schrittenen mechanischen Einrichtungen kaum mehr als eines Handgriffes bedarf, wenn sie nicht etwa auf automatischem Wege eingeschaltet werden kann. Also würde eine Belastung der Handlungsgehilfen und Angestellten so gut wie ausge schlossen sein. Dagegen ist das Gesicht der Stadt bei offenen Schaufenstern ein viel freundlicheres, als bei geschlossenen und die Eintönigkeit des Straßenbildes würde verschwinden. Zweifellos ist aber auch ein großer Nutzen damit verbunden, weil die Schaufenster von Tausenden von Personen besichtigt werden könnten, welche an Wochentagen erst spät abends von ihren Arbeitsstätten kommen, namentlich aber auch von den Landbewohnern, welche darin eine neue Anregung zum Besuche der Städte finden würden. Ganz besonders auch im Hinblick darauf, daß jetzt eine aussichtsvolle Agitation auf den Achtuhrladenschluß in allen Städten hinarbeitet, würde das sonntägliche Offenhalten der Schaufenster für fast alle arbeitenden Klassen ein großer Vorteil und angenehmer Anreiz sein. Diesen Anschauungen pflichtete nicht nur die große Rcajorität der Ersten Kammer bei, sondern es be tonten auch sämtliche geistliche Würdenträger, welche Mit glieder der Kammer sind, daß vom kirchlichen Standpunkte aus nichts dagegen cinzuweuden sei. Jedenfalls ist der Vor teil, der das Offcnhalten der Fenster bietet, weit größer, als die angeblichen Nachteile. Namentlich sind auch die Be leuchtungsmehrkosten nicht allzu hoch anzuschlagen, da ja während der Frühlings- und Sommers-, sowie einem Teile der Herbstzeit eine Beleuchtung überhaupt nicht nötig sein wird. Daß nun aber die „Warenhäuser" den größten Vor- teil aus der Einrichtung ziehen würden, ist schon deshalb nicht als zutreffend anzusehen, weil es ja im eigentlichen Sinne des Wortes nur zwei Warenhäuser in Dresden gibt. Wir verstehen deshalb die Haltung sonst liberaler Kreise und deren Preßorgane nicht, welche eine fortschrittliche Be- wegung, zu der sich in der genannten Petition wirtlich ein mal der hiesige Stadtrat aufgeschwungcn hat, bekämpfen und unterdrücken wollen. Nach der oben geschilderten Stimmung iin Landtage, die auch in Negierungskreisen, wie wir wissen, geteilt wird, dürfte indessen der Petition eine vollberechtigte Berücksichtigung zuteil werden. Bleibt doch übrigens jedem Geschäftsmanne die Freiheit, zu tun oder zu lassen, was er will. —* „Religion ist Privatsachc." Dieser Spruch, den die Sozialdemokratie Au Unrecht in ihrem Programm führt, wird jetzt wieder hier in recht ausfallender Weise dadurch illustriert, daß der frühere evangelische Pastor Stern von der Dresdner sozialdemokratisclßm Par teileitung engagiert ist, Vorträge zu halten, die natürlich jeder Religion Hohn sprechen und nur darauf berechnet sind, die Genossen, die noch einen Funken Religion im Leibe haben, ganz zum Heidentum zu bekehren. So sprach Herr Stern kürzlich in Dresden-Neustadt im Lindeugarten über das Thema: „Gibt es ein Fortlebcn uach dem Tode?" Natürlich behandelte der Referent nach seiner Meinung den Vortrag „streng wissenschaftlich", indem er die Ansicht der Theologen zu widerlegen suchte. Die anwesenden Genossen klatschten Herrn Stern jubelnd Beifall, obwohl sie wahr- scheinlich wenig oder gar nichts von dem Vortrage verstau- den hatten. Aber es ist ja so schön, gegen das Christentum herzuziehen, denn das ist für die Genossen eine unbequeme Sache, die ihnen noch viel zu schaffen machen wird. Am Schlüsse forderte ein Redner die Genossen auf, da sic doch ihren Beifall mit den Ausführungen des Referenten kund- gcgebcn hatten, sich jetzt auch von der Religion freizumachen. Angesichts dieser Tatsache ist cs eine ziemliche Unverfroren heit, den Satz zu gebrauchen: „Religion ist Privatsack>e." —e. Meißen. Seit dem Schulschluß ist jetzt ein Stillstand in der Ausbreitung der Zitterkrankheit eingctrctcn. Berggießhübel. Der Fuhrwerksbcsitzer Jentzsch, mit Langholzfahren beschäftigt, wurde durch das Holz eines umstürzeuden Wagens getötet. Schaubau. Am Dienstag vormittag havarierte zwischen Wendischfähre und Prossen ein mit Braunkohlen beladener Dcckkahn. LaS Schiff hatte ein Leck im Boden erhalten, durch welches das Wasser so schnell kindrang, daß die Schiffsmannschaft das Fahrzeug eiligst dem Ufer nahe bringen mußte. Pirna. Seit sechs Monaten wurde auf der Dorf Wehlener Flur eine mächtige Felswand unterhöhlt. In sehr ' günstiger Weise ist sie jetzt abgestürzt. Das Gewicht der.ge stürzten Masse mag 500 000 Zentner betragen. Lößnitz. In Dittersdorf brannte das Kcllcrsche Gut. bestehend aus drei Gebäuden, vollständig nieder. Glauchau. Hier wurde von der Staatsanwaltschaft Zwickau die Beerdigung des Leichnams des im achten Lebensjahre stehenden Schulmädchens Lina Wetzel bcan- standet. Das Kind erkrankte vor einigen Tagen unter Er scheinungen, die auf Vergiftung hindeuteten, und ist am Sonnabend gestorben, ohne daß man die Ursache der Er krankung erkannt hat. Bad Elster. Die vor kurzem in Leipzig verstorben Frau verw. Beuth von hier hat der Königl. Kurkapclle 20000 Mk.. dem Augustusstist Bad Elster 10000 Mk., dem Kurverein 8000 Mk., dem Fraueuverrin 5000 M.. der Stadt Posen (als Uuiversalerdin) 250000 Mk. vermacht. Die Zinsen von 20000 Mk. von dem Vermächtnis der Königl. Kurkapelle werden alljährlich zum Johaunisfeste an acht fleißige, strebsame und unbescholtene Musiker ver- ! teilt. Der Gemeinde hat die Verstorbene bereits vor Jahren einen Betrag von 8000 Mk. überwiesen, der zu Stiaßenbauten und zu Verschönerungen im Orte verwandt wird. Kunst, Wissenschaft und Literatur. I Die Eröffnung der Großen Berliner Kunst- Ausstellung 1906 findet a-n 23. April statt. Für den Schluß ist dec 39. September vorgesehen. I In der Kunstzeitschrift „Die christliche Kunst- waren kürzlich verschiedene Werke von Jos. Guntermann veröffent licht worden. Dieser Künstler, ein Westfale, verdient es, daß auf se»n Schaffen auch weitere Kreise aufmerksam gemacht werden. Sein Deckengemälde in der Aursegnungtzhalle des östlichen Fried hofes in München ist ein grandioses Werk, nicht minder wirkungs voll sind seine Wandmalereien in der Kirche zu Echloßberg bei Rosenveim. Zur Zeit arbeitet Guntermann an einem K,euzweg für eine kathol. Kirche in Iserlohn i. W. Von all diesen Bildern hat die Gesellschaft für christliche Kunst in München, die auch die genannte Zeitschrift herausgibt, eine Auswahl in Form von Künstler Postkarten in Mezzotinto-Gravüre erscheinen lösten. Es ist dies sehr zu begrüßen, da durch solch billige Reproduktionen sich jeder leicht mit hervorragenden Kunstwerken bekannt machen kann. Die vorliegenden Karten sind vorzüglich ansgefübrt und werden 02 s mal. Es hat niir sehr gut gefallen dort. AnchJrsee, das etwa zehn Minuten von Bickenried entfernt liegt, ist ein freundlicher Ort. Sie haben wohl dort die Volksschule besucht, gnädiges Fräulein?" „Ja, die ersten vier Jahre: dann kam ich ins Kloster nach Kanfbeuren." „Ich habe Jrsee noch lebhaft im Gedächtnis. Es liegt halb im Tale, halb auf einer beträchtlichen Anhöhe, und man hat von der kleinen Kirche aus, die der Friedhof umgibt, eine prächtige Aussicht. Im unteren Markt befindet sich in einem ehemaligen Benediktinerklostcr eine Irrenanstalt. Nach Norden zu schweift das Auge über Laub- und Nadelwaldnngen hinweg in eine end lose Ferne." „Das freut mich, daß Sie meine Heimat so gut kennen, Herr Major. Wenn Sic wieder in diese Gegend kommen, müssen Sie uns aber besuchen. Ich bitte Sie recht darum." „Wenn ich wieder dorthin komme — gewiß!" sagte Berger mit auf fallendem Nachdruck. „Von Ihrem Herrn Großvater haben Sie wohl keine Photographie?" „Leider nicht, zu Hanse haben wir sein Bild als Oberst. Es ist ein altes Porträt auf Glas." „Ihre Frau Mutter scheint sehr ernst zu sein," bemerkte Berger, nach dem er wiederholt das Bild derselben anfgeschlagen hatte. „Aus ihren Zügen spricht die Sorge. Verzeihen Sie mir, wenn ich niir eine etwas seltsame Frage erlaube: Lieben Sie Ihre Mutter? Ich meine so recht Pom Herzen?" Irma sah den Major überrascht an. Er war bewegt und seine Augen senkten sich fragend und teilnahmsvoll in die ihren. Was war das für ein sonderbarer Mann! Ein allmächtiges Gefühl zwang sie plötzlich, die Hand Bergers zu erfassen, und mit erstickter Stimme erwiderte sie: „Meine Mutter ist unendlich gut und ich liebe sie über alles! Ach Gott, sie. ist sehr Unglück- lich!" Dann brach sie in ein heftiges Schluchzen aus. „Warum weinen Sie, mein liebes Fräulein! Was ist geschehen?" fragte Berger bestürzt. „Ich kenne das traurige Geschick meiner Eltern ans einem Briefe meiner Mutter, den ich vor einer Stunde erhalten habe," erwiderte sie sich mit Go- lvalt bezwingend. „Mein Bruder weiß noch nichts davon. Sagen Sie, Herr Major, ist Ihnen das Unglück unserer Familie vielleicht bekannt? Gewiß kennen Sie es: Ihre warme Teilnahme läßt mich darauf schließen, und um so mehr muß ich Ihre edle Gesinnung ehren." «Ich habe für alles, was Ihre Familie betrifft, ein lebhafteres Interesse, als Sie ahnen, liebes Fräulein. Warum ich mich dafür interessiere, das kann und darf ich nicht sagen; aber seien Sie versichert: Es gibt auf dem Erden- runde keinen Menschen, der es treuer mit Ihnen und den Ihrigen meint als ich." Irma entzog dem Major ihre Hand und sah ihm mit allen Zeichen des Schreckens ins Gesicht. Ein Gedanke, der ihr blitzartig durch den Kopf schoß, machte sie erblassen. War der Major jener Mann, an den ihr Vater die Spiel- fumme verloren, von dem die geheimnisvollen Geldsendungen herrührten? Mit stockendem Atem fragte sie: „Waren Sie früher in Ingolstadt, Herr Major?" „Ja," erwiderte Berger nach einigem Zögern. „Kannten Sie meinen Vater?' — 49 — Mit dieser Sendung ist die Unglückssummc voll geworden, die mein Lebensglück zerstörte und den Tod Eueres Vaters zur Folge hatte — zehn tausend Gulden! Es besteht für mich kein Zweifel mehr: Der unbekannte Spender ist jener Spielpartner, der die Tat Eueres Vaters unschuldig ver ursacht hat, und der nun, von Gewissensbissen gequält, sich des unseligen Geldes entledigen will. Es ist alles mit Zins und Zinzeszinsen gut ange legt. Ich hoffe, daß es Euch Segen bringt! In längstens acht Tagen erklärten wir Deine Rückkunft. Der Groß vater besteht darauf, daß Tn anfangs der nächsten Woche kommst. Georg wird hoffentlich Urlaub erhalten. Ich freue mich sehr darauf, ihn zum ersten Male als Leutnant zu sehen. Herzliche Grüße vom Großvater und mir an Dich und Georg und an die Familie Fernwald. Deine Dich liebende Mutter." Irma war eben im Begriff gewesen, ihr Zimmer zu verlassen und die Baronin anfznsnchen, als ihr ein Dienstmädchen den Brief übergab. Das zarte Rot ihrer Wangen war beim Lesen des langen Schreibens einer tiefen f Blässe gewichen, und in ihren Zügen walten sich Angst und Schrecken. Nun saß sie da und sah durch das offene Fenster ans die gegenüberliegenden grünen Höhen, die Plötzlich allen Reiz für sie verloren hatten. „Es kann nicht sein ... es ist ja ganz unmöglich!" ries sie auf einmal verzweifelnden Tones. Tann erhob sie sich und ging erregt im Zimmer auf und ab. Ein leichtes Klopfen an der Türe gab Irma die Fassung wieder. „Ich möchte Ihnen nur Mitteilen, liebe Irma, daß der Herr Major kommt," sagte die eintretendc Baronin, indem sie ihren Arm unter den des Mädchens schob; „ich sah ihn vorhin über die Jlzbrncke gehen." Die freudige Uebcrraschung Irinas gewahrend, setzte sic lächelnd hinzu: „Mein Vater und der Herr Ritt meister sind in die Stadt hinab und der Herr Major hat Ihre Gesellschaft am liebsten." „Das glaube ich nicht, Frau Baronin," erwiderte Irma mit einiger Verlegenheit. „Ich bin doch dem Herrn Major gegenüber nur ein albernes Mädchen." „Das sind Sie nicht, Irma; und selbst lnenn Sie es wären, so würde Ihnen das in den Augen des Majors kaum zum Nachteil gereichen." „Ich erhielt soeben einen Brief von meiner Vttitter," sagte Irma ab- lenkend. „Ich soll Ihnen viele Grüße von ihr und meinem Großvater über- Mitteln." „Ich danke Ihnen herzlich! Wie geht es zu .Hanse?" „Es ist alles beim alten. Der Großvater will leider, daß ich innerhalb der nächste acht Tage heim komme." „Ach, das wäre aber schade!" rief die Baronin nnt aufrichtigem Be dauern. „Sic dürfen nicht fort; da muß mein Vater an Ihren Herrn Groß vater schreiben, daß er Sie noch einige Wochen hier lassen soll." „Sie sind zu gütig, Frau Baronin; allein ich glaube nicht, daß mein Ä Großvater von seinem Beschlüsse abgehcn wird." " „Sie haben Wohl selbst ein wenig Heimweh. Irma?" „Wie hätte bei der liebevollen Aufnahme, die ich bei Ihnen gefunden. ' " „Freigesprochen." 18 ...