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Beilage zu Nr. 37 der »Sächsischen Bolkszeitnng" vom IS. Februar r. Die neuen Zentrnmssteuern". Die Zentrumsfraktion des Reichstages ist entschlossen, die neue Steuerreform zustande zu bringen; nur muß diele innerhalb des Rahmens des Artikels 6 des FlottengesetzeZ sich bewegen. Bisher hat sie alle jene Steuern, die hiermit in Widerspruch stehen, abgelehnt. So siel die Erhöhung der Biersteuer und die Tabaksteuer, ebenso die Frachtbrief- und Ouittungssteuer. Die Ablehnung dieser Steuern hat natürlich in das Stengelsche Projekt ein großes Loch ge rissen und es muß deshalb darnach getrachtet werden, durch andere Steuern diesen Ausfall zu decken. Zuerst ist vom Zentrum auf die von so vielen Seiten geforderte Wehrsteuer hingcwiesen worden, die mindestens 25 Millionen Mark cin- bringt. Ter Bundesrat hat allerdings hierzu noch keine Stellung genommen. Aber diese Steuer hat Aussicht ans Annahme. Der erste Steuerpolitiker des Zentrums, der Abgeord nete Müller-Fulda, wies schon seit Jahren auf die Reformbedürftigkeit der Maischbottichsteuer hin; er tat dies auch wiederum dieser Tage in der Budgetkommission. In der Tat sind hier die Verhältnisse ganz unleidige geworden. Die Großbrauer bereichern sich auf direkte Neichskosten und zwar in folgender Weise: Sie zahlen an Maisckchottichstener wohl 10 Mark; aber seit Festlegung derselben hat sich die Ausbeute derart verbessert und gehoben, daß 60 Prozent mehr als früher gewonnen werden, demnach müßte eigentlich 16 Mark Steuer entrichtet werden; nicht nur diese 6 Mark Steuer stecken die Brenner in die Tasche, sondern es ist noch schlimmer. Wird der gewonnene Branntwein zu gewerb lichen Zwecken verwendet, so wird bekanntlich die Steuer wieder vergütet, hier aber nicht nach der Größe der Maisch gefäße, sondern nach der Ausbeute; die Rückvergütung be trägt also 16 Mark, während für dasselbe Quantum nur 16 Mark Steuern bezahlt werden. Was die Großbrenner also vom Reiche direkt noch erhalten, ist 6 Mark höher, als tvas sie an Stenern entrichteten. Daher kommt cs, daß diese Steuer immer mehr abbröckelt und eine Zeitlang statt 24 Millionen Mark nur noch 9 Millionen Mark einbrachte! Wenn also hier die Reform einsetzt, muß kein Mensch mehr Steuern bezahlen, nur der Gewinn der Schnapsfabrikanten wird geschmälert und dieser ist ein geradezu fabelhafter. Es gibt Großbrennereien, rein gewerblich, die durch die ver fehlte Branntweinsteuer jährlich 260 000 Mark in ihre Tasche stecken. Nun soll endlich die Reform kommen, unser Müller-Fnlda wird dafür sorgen, daß sie diesmal gut wird und solche Zustände einfach ausgeschlossen sind. Das Zentrum hat aber durch die letzten Newvahlen noch einen zweiten Großkaufmann gewonnen, der ein eben so tüchtiger Steuer-Politiker zu werden verspricht: es ist der Abgeordnete Nacken für Aachen-Land, der aus der Menge seiner kaufmännischen Erfahrungen der Steuergesetzgebung gute Dienste leistet. Von ihm siird die beiden neuesten Steuervorschläge ausgearbeitet worden, und es wird sich zeigen, daß sic ebenso gut sind wie die Müllerschen Vor schläge. Er fordert in erster Linie die Besteuerung der so genannten nicht ausgefertigtcn Aktien, die heute stempelfre: sind. Um den Reichsstcmpel von 2 Prozent zu umgehen, ist cs in letzter Zeit wiederholt vorgekommen, daß bei Grün- düng von sogenannten Familienakticngescllschaften die Aktien einfach nicht auf den Markt gegeben wurden, sondern daß man sich mit dem Eintrag derselben begnügte. Der bekannteste Fall dieser Art vollzog sich bei Gründung der Aktiengesellschaft Krupp mit 160 Millionen Mark Aktien kapital; dadurch hat dieselbe 3 200 000 Mark Stempel ge spart; der Antrag Nacken macht eine solche Ersparnis un möglich. Wie sehr geboten er erscheint, beweist auch die Tatsache, daß immer mehr solche Familienaktiengesellsckiaften sich gründen, zum Beispiel erst kürzlich ist die Warenhaus firma Tietz zu demselben System übergegangen und hat bei 12 Millionen Mark Aktienkapital auch 240 000 Mark „ge spart". Da die Großfinanz sich überhaupt immer mehr ver schwägert und versippt, ist dieser Antrag Nacken höchst zeit gemäß und gibt auch eine Menge Geldes! Der zweite Antrag Nacken fordert eine Besteuerung der Tantiemen der Aufsichtsräte und zwar mit 10 Prozent und bei Hinterziehung derselben den 20 fachen Betrag der Steuer. Diesen Antrag würde man in den wei testen Volkskrcisen begrüßen, wie bereits die Hochfinanz sehr erbost über denselben ist. Kein Geld wird leichter ver- dient als das der Tantiemen! Wir selbst kennen eine An- zahl von Aufsichtsratsniitgliedern, die ein Jahreseinkom men von 140 000 Mark allein aus diesem Geschäft beziehen. Und was ist ihre Arbeit? Ein paar Sitzungen im Jahre, und dafür bezahlt zum Beispiel eine sehr bekannte Berliner- Bank 17 000 Mark Tantiemen! Es gibt in Deutschland Leute, die in nicht weniger als 25 bis 30 Aufsichtsrats stellen sich befinden. Wenn das Reich Geld braucht, soll cs hier zuerst anklopfen! Der Abgeordnete Nacken hat bereits eine Tabelle aufgestellt, wonach diese Steuer Pro Jahr min destens ihre 20 Millionen Mark abwirst und sie trifft nicht die Massen des Voltes. Air der Annahme dieses Antrages zweifeln wir nicht, wenn er jetzt auch in einer gewissen Presse große -Opposition erleidet! Endlich fordert der Abgeordnete eine Besteuerung der Ansichtspostkarten mit 2 Pfennig pro Stück und damit trifft er kein notwendiges Bedürfnis. Tie Zahl der vorhandenen Ansichtspostkarten beläuft sich pro Jahr in viele, viele Millionen. Eine Einschränkung ist gar nicht schädlich, wer aber dennoch diesem Lurus sich hingibt, zahlt auch noch zwei Pfennig mehr. Tie gewöhnliche Postkarte wird hierdurch nicht getroffen; ein Bedürfnis zur Versen dung von Ansichtskarten besteht nicht. So sehen die „neuen Zentrumssteucrn" aus. Sie kön nen sich sehen lassen. Eine weitere Anzahl von Vorschlägen sind bereits ansgearbeitet: der Abgeordnete von Zehnhofs hat ein großes Projekt über die Neichserbschaftssteuer fir und fertig. Jedermann wird zugestehen müssen, daß die Zentrumsfraktion eifrig an der Arbeit ist und zwar unter strenger Einhaltung ihres Programms. Aus Stadt und Land. —* „W eil er d c n G o t t e s d i e n st v e r s ä u m t Hatto", so schrieb unlängst eine liberale Zeitung, wnrd' ein Schuljunge von einem Geistlichen in Köln gezüchtigt. Wie die „Rhein. Ztg.", die die Geschichte zuerst erzählte, selbst berichten mußte, wurde der betreffende Knabe nicht gezüchtigt, weil er den Gottesdienst versäumt hatte, sondern weil er den betreffenden Geistlichen im Wiederholungsfälle hartnäckig belogen hatte. Auch die „Dresdner Zeitung" brachte am 28. Januar einen ähnlichen Fall. Unter der Spitzmarke „Ultramontane Pädagogik" meldete sie: Zwei katholische Schüler seien bestraft worden, weil sie mit der pro testantischen Mutter dem evangelischen Gottesdienst unge wohnt hätten. Wir haben bereits in zwei Nummern daS Blatt aufgefordert, uns die katholische Schule zu nennen, wo das geschehen sein soll. Bisher hat sich das Blatt in Schweigen gehüllt. Sollte diese unsere Aufforderung aber mals keinen Erfolg haben, so wären wir zu dem Schlüsse ge- nötigt, daß die Geschichte einfach — erlogen i st. Wir lassen unsere Lehrer nicht angreifen, indem unwahre Geschichten über sie in die Welt gesetzt werden. Heraus mit der Wahrheit! —" Ein Zirkus auf einem früheren Friedhofe. Wie die „Dresdner Neuesten Nachrichten" zu berichten wissen, soll das Areal des alten Annenfried- Hofes am Sternplatz und der Josephinenstraße bereits zum großen Teil an ein hiesiges Konsortium verkauft sein, das die Kapitalien für den Ankauf des Geländes und die Er richtung eines Zirkus bereitgestellt hat. Ein Bai.Projekt zur Herstellung eines massiven Zirknsgebändes auf dem Areal an der Josephinenstraße liegt, wie wir erfahren, dein Rate bereits vor und dürste nach dem auch von den Stadt verordneten seinerzeit einmütig ausgesprochenem Wunsche ans Errichtung eines Zirkus in Dresden, ohne Frage Ge nehmigung finden. Wie erinnerlich, sollte ans dem Areale dieses Friedhofes die Annenkirche neu errichtet werden. Nun sollen über den alten Gräbern die Elowns ihre Possen reißen! Wir glauben nicht, daß der Rat tatsäMich so wenig Pietät besitzt, daß er dem Projekte seine Zustimmung geben wird. - * In der Nacht vom 7. zum 8. d. M. sind von der Gartensänle des Grundstücks Chemnitzer Straße 4a weg zwei Bronze-Firmenschilder im Werte von 140 Mark gestohlen worden. Beide sind 30 Zentimeter lang, 15 Zentimeter hoch und 1 Zentimeter stark; sie tragen in Reliesbnchstaben die Ansschriften: „Heymann u. Fried- länder" und „August Herlt". Der Diebstahl dürfte von einer Person verübt worden sein, die die Schilder zwecks anderweitiger Verwendung gewerbsmäßig verarbeitet. Da ähnliche Diebstähle in letzter Zeit häufig vorgekommen sind, wird hiermit vor dem unbekannten Täter gewarnt. Um Mitteilung sachdienlicher Wahrnehmungen an die Krinnnal- abteilung wird gebeten. Ullersdorf. Bei der Hofjagd ans hiesigem Reviere wurden 11 Stück Hochwild, ein junges Wildschwein sowie ein dreibeiniger Fuchs zur Strecke gebracht. Pirna. Mit Hilfe gefälschter Sparpassenbücher er schwindelte sich ein stellenloser Buchhalter bei einem hiesigen Geschäftsmann 400 Mk. Zum Zeitvertreib hatte er sich auch verlobt. Meißen. Hier geriet in einer Fabrik ein Stanzer mit der rechten Hand unter den Stempel der Ziehpresse, an der „Die Sache ist beim alten," cntgegnete dieser gepreßt. „Aber du wurdest doch —" „Ich wurde sreigesprochen, ja!" „Dann begreife ich deine finstere Stimmung nicht. Allerdings kann ich mir denken —" „Mch drängt's zu meiner Familie, Schweitzer . . . Entschuldige!" sagte Hartfeld, und in Ton und Gebärde lag eine so bestimmte Abfertigung, daß sich der gutmütig aussehendc Herr nach einen: stummen, verlegenen Gruße zur Brücke zurücklvandte. Georg Hartfeld war Prokurist der Firma Karl Lorenz, eines angesehenen Handelshauses in Ingolstadt. Sohn eines Offiziers, sollte er nach dem Willen des Vaters die militärische Laufbahn einschlagen und war bereits Junker, als ihm einiger unüberlegter jugendlicher Streiche wegen die Aus sicht auf Beförderung abgeschnitten wurde. Sein Vater, der pensionierte Oberst Hartfeld, starb bald darauf, und an dessen Sterbebette vollzog sich im Innern des jungen Mannes eine Wandlung zum Besseren, die eine dauernde sein sollte. Er entschloß sich zum kaufmännischen Berufe und kam durch Ver mittelung eines Freundes seines Vaters, des Oberleutnants v. Seebcrg, als Lehrling in das Handelshaus Lorenz. Durch Fleiß und große Verlässigkeit erwarb er sich das Vertrauen und die Zuneigung seines Prinzipals in so hohem Grade, daß dieser ihm bereits nach drei Jahren die freigewordene erste Buch- halterstelle übertrug und nach Verlauf von weiteren zwei Jahren die Prokura erteilte. Hartfeld galt bei der Damenwelt als ein schöner Mann. Und neben diesem günstigen Empfehlungsbrief standen ihm gewandte Umgangsformen und ein liebenswürdiges, heiteres Wesen zur Seite. Nachdem er nun eine Stellung errungen hatte, öffneten sich dem ehemaligen Junker — dem Sohne des Obersten .Hartfeld, die ersten Kreise der Stadt. Gelegentlich eines Kränzchens im Offizierskasino lernte er die Tochter des inzwischen zum Obersten vorgerückten Herrn v. Seeberg kennen und kam dann wiederholt in dessen Familie, v. Sceberg war seit dessen Witwer. Wer ihn nicht näher kannte, hielt ihn für einen verschlossenen Charakter. Ein Mitkämpfender in Deutschlands schweren Tagen, war er auch die langen Friedensjahre hin durch, die den Befreiungskriegen folgten, Soldat mit Leib und Seele geblieben und widmete sein ganzes Denken militärischen Angelegenheiten. Von Natur aus mißtrauisch, wurde er infolge einer Unterschlagung, die sich ein Kassenverwalter zu Schulden kommen ließ und für die er als früherer Bataillonskommandeur aufzukommen hatte, zum ausgesprochenen Pessimisten. Sein einziges Kind Marie liebte er zärtlich. Noch nicht vier Jahre alt, verlor das Mädchen die Mutter und kam dann zu einer nahen Verwandten, die das Kind äußerst streng und einseitig erzog. Marie war eine schöne, stolze Erscheinung, aber ihr tadelloses Gesicht verunschönte ein hochmütig-eisiger Zug. Sie ließ sich bei allen öffentlichen Gelegenheiten ein umuchbares Benehmen angelegen sein und hielt jede junge Dame, die ihrer Natur weniger Zwang auferlegte, für albern oder kokett. Trotz der Verschiedenheit ihrer natürlichen Anlagen entwickelte sich znnschen Hartfeld und Fräulein v. Seeberg eine Neigung, über deren Grad sich allerdings keines der beiden im Klaren war. Der junge Mann, der noch betrachtete Marie als ein kaum zu erringendes Ideal. Freigesxrocheii Familien-Romcm von Ludwig Außer. Fer»iLetN».vett«ge zur „SSchfischeu Bolk-jeitn«-".