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Ursache und Wirkung in -er Natur EtnewifsenschaMcheDiskussion Eine bedeutsame Debatte zwischen Max Planck, dem Meister der physikalischen Forschung, und seinem Nachfolger an der Berliner Universität, Prof. Erwin Schrödinger, gab der diesjährigen Leibniz-Sitzung in der Preußischen Akademie der Wissenschaften ihr Gepräge. Handelte es sich doch um nichts Geringeres als um die Frage der Kausalität, die bisher unver brüchliche Forderung, das; jedes Geschehe» in der Statur eine Ur sache haben müsse, auch wenn diese noch nicht festzustellen ist. Die klassische Mechanik ist nicht zuletzt durch die Plancksche Quanten- Theorie bedroht, uno es fragt sich, ob damit auch ihre Methode aufzugeben ist. der Grundsatz nämlich, daß feste Gesetze im Ver ein mit Len zufälligen Anfangsbedingungen das Geschehen im Einzelfall eindeutig bestimmen. In seiner Antrittsrede, die jetzt in den Sitzungsberichteil der Akademie vorlicgt, erinnerte Schrö dinger daran, daß man auf die Kausalität allerdings schon im Rahmen der klassisch-mechanischen Naturerklärung hat verzichten müssen. Für Schrödinger ist diese Tatsache mit einem tiefen Iugendeindrnck bei der Antrittsvorlesung Fritz Haseuöhrls ver knüpft, des allzufrüh durch den Krieg entrissenen Wiener Ge lehrten. Es würde, so erklärte Hasenöhrl, nicht gegen die Na turgesetze verstoßen, wenn dieses Stück Holz sich plötzlich ohne erkennbaren Grund in die Luft erhöbe. Nach der mechanischen Naturerklärung ist ein solches Wunder als Umkehrung des ent gegengesetzten Vorganges nicht unmöglich, es ist nur außer ordentlich unwahrscheinlich. — Aber die Wakrscheinlichkeitsauf- fassung der Naturgesetze, die Hasenöhrl bei diesen Worten im Auge hatte, verstößt noch nicht wirklich gegen das Kausalitäts postulat. Die Unbestimmtheit entspringt dabei nur aus der praktischen Unmöglichkeit, den Anfangszustand eines aus Billio nen von Atomen zusammengesetzten Körpers genau festzustcllcn. Heute dagegen werden Zweifel an der eindeutigen Bestimmtheit des Naturgeschehens in ganz anderem Sinne laut. Die Schwie rigkeit bei der Feststellung des Anfangszustandes soll nicht nur eine praktische, sondern eine prinzipielle sein, sie soll nicht nur für ein kompliziertes Gebilde, sondern schon für das einzelne Atom oder Molekül vorliegen. Da das prinzipiell nickt Be obachtbare für den Naturforscher als Naturforscher nicht existiert, ist der Sinn dieser Meinung: schon der Zustand des Elcmentar- gebildes liegt nicht in solcher Weise fest, daß eine ganz be stimmte Einwirkung ein ganz bestimmtes Verhalten des Ge bildes nach sich zieht. FranH Exner, der Wiener Gelehrte, war der erste, der für die Möglichkeit und die Vorzüge akausaler Naturaussassung in den Vorlesungen erörterte, die er 1!>19 publiziert hat. Seit 1926 ist die Frage durch die Quantentheorie unter neuem Gesichts punkt aufgerollt. Sie scheint in der Tat von grundlegender Wichtigkeit. Aber Schrödinger glaubt nicht, daß sie in dieser Form jemals beantwortet werden wird. Es handelt sich bei dieser Frage seines Erachtens nicht um eine Entscheidung über die wirkliche Beschaffenheit der Natur, wie sie uns entgegentritt, sondern über die Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit der einen oder der anderen Einstellung unseres Denkens, womit wir der Natur gegcnübertrcten. Henri Poincarä hat ausgcfiibrt, daß wir auf den wirklichen Raum ebensowohl die Euklidische wie ein« beliebige Nicht-Euklidische Geometrie anwenden dürfen, ohne eine Widerlegung durch Tatsachen befürchten zu müssen. Aber die physikalischen Gesetze, die wir finden, sind Funktion der Geometrie, die wir anwenden, und es kann sein, daß die eine Geometrie verwickelte, die andere weit einfachere physikalische Gesetze herbciführt. Dann ist die eine Geometrie bequem, die andere unbequem, ohne daß doch die Worte „richtig" oder „falsch" am Platze wären. Aehnlich dürfte es sich mit dein Postulat der unverbrüchlichen Kausalität verhalten. Es sind wohl kaum Er fahrungstatsachen denkbar, welche endgültig darüber entscheiden, ob das Naturgeschehen in Wirklichkeit absolut bestimmt oder partieN unbestimmt ist, sondern höchstens darüber, ob die eine oder die andere Auffassung einen einfacheren llebcrblick über das Beobachtete erlaubt. Selbst bis zu dieser Entscheidung ist wohl noch eine lange Frist. Sind wir doch auch hinsichtlich der Geometrie der Welt nur um so unsicherer, seitdem wir uns mit Poincarö Wahlfreiheit bewußt geworden sind. Diesen Ausführungen, in denen der Berliner Forscher dem Gedanken einer akausalcn Theorie mit einer gewissen wohl wollenden Neutralität sich gegenllberstelltz antwortete Planck. Er kegte für die streng kausale Physik eine Lanze, selbst auf die Ge fahr hin, als engherziger Reaktionär zu erscheinen. Und dazu trieb ihn das Bewußtsein, daß es sich ja hier um eine Ange legenheit handelt, die, wenn sie nicht von oer Physik befriedi gend erledigt wird, sich weit über deren Grenzen hinaus viel leicht recht verhängnisvoll auswirkcn könnte. Die Frage, ob die Gesetzmäßigkeiten, auf die wir in der Na tur stoßen, im Grunde lämtlick nur Kukallsckarakter besitzen, also statistischer Art sind, küßt sich auch folgendermaßen formulierest: sollen wir die Erklärung für die tatsächlich allenthalben auftre tende Unsicherheit und Ungenauigkeit, die jeder einzelnen phy sikalischen Beobachtung anhaftet, stets nur in speziellen Eigen tümlichkeiten des jeweils vorliegenden Falles suchen, sei es in der komplizierten Beschaffenheit des betrachteten physikalischen Objektes, sei es in der Unvollkommenheit der benutzten Meß geräte einschließlich unserer Sinnesorgane, oder sollen wir die Unsicherheit weiter rückwärts verlegen in die Fassung der ele mentaren Grundgesetze der Physik? Zunächst stimmt Planck darin völlig Schrödinger bei, daß diese Frage im Grunde eine Frage der Zweckmäßigkeit ist. Denn eine jede physikalische Theorie ist ein Gerüst, das sich der Geist des Forschers nach freiem Ermessen, so gut wie er es eben ver mag, zurechtzimmert, und wenn dasselbe seinen Zweck, ein mög lichst getreues Abbild der Natur vorzustellen, auch noch so gut erfüllt, so wird man doch niemals beweisen können, daß es keiner Verbesserung fähig wäre. Aster das Gerüst bedarf auf jeden Fall eines festen Grundes, wenn es nicht in der Luft stehen soll, und wenn die Forderung der unverbrüchlichen Kausalität sich nicht mehr wie bisher als Grundlage eignen sollte, so liegt doch zunächst einmal die Gegen frage nahe, was denn nun für die „akausale" Physik als Grund lage eingeführt werden soll. Denn ganz ohne irgendeine Vor aussetzung läßt sich doch überhaupt keine physikalische Theorie entwickeln, es sei denn, daß man die bloße Registrierung ein zelner Vcobachtungstatsachen schon als eine Theorie ausgeben wollte. Doch Planck will hier nicht einmal so weit gehen, eine Be antwortung dieser Frage zu verlangen. Es würde auch ganz ge nügen, wenn nur irgendein Grund dafür angegeben werden könnte, daß die kausale Physik nicht ausrcicht, um den Tatsachen der Erfahrung gerecht zu werden, daß also vielleicht der Rah men, in den sie die Natur-reignisse einfassen will, zu eng ge spannt ist. Nun weist aber gerade das Beispiel Fritz Hasenöhrls nach der entgegengesetzten Richtung. Denn daß die Atome eines Holzklotzes bei ihren schnellen unregelmäßigen Bewegungen zu fällig einmal gerade alle nach oben fliegen, ist vom Standpunkt der kausalen Physik nicht nur nicht unmöglich, sondern sogar innerhalb eines hinlängUch langen Zeitraumes mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten, und gerade die experimentelle quantitative Bestätigung derartiger Schwankungsgesetze bedeu tet in Plancks Augen eine ausgezeichnete Stütze zugunsten des Postulates der strengen Kausalität, mit dessen Hilfe sie ja doch abgeleitet worden sind. Einen Punkt gibt es allerdings in der bisherigen Physik, der einer Revision bedarf, und dieser Punkt ist es vermutlich auch, der den ganzen Zweifel an der Zuverlässigkeit des Kau salgesetzes heroorgerufen hat. Wir müssen künftig die bisher stets stillschweigend gemachte Voraussetzung fallen lassen, daß mir die Bedingungen, welche einen Vorgang kausal determinieren, auch stets experimentell bis zu einem prinzipiell unbeschränkten Grade von Genauigkeit verwirklichen können. Diese Voraus setzung ist in der Tat mit den Gesetzen der Quantenmechanik nicht vereinbar. Aber das ist in der exakten Naturwissenschaft durch aus nichts Unerhörtes. In der Biologie z. B. nimmt man cs als etwas Selbstverständliches hin; und doch arbeitet die Bio logie durchaus mit dem Postulat der strengen Kausalität. Ja Planck glaubt nicht zu weit zu gehen, wenn er behauptet, daß in der Biologie die eigentliche Wissenschaft erst da ansängt, wo das Kausalgesetz in sie eingeführt wird. So wird es, wie es Planck scheint, auch in der Physik künf tig darauf ankommcn, die Frage nach den Bedingungen, welche den Verlauf eines Naturvorganges eindeutig kausal bestimmen, grundsätzlich getrennt zu halten von der weiteren Frage, ob und inwieweit diese Bedingungen experimentell zu verwirklichen sind. Die chknegschen Sakral-Bronzen. — TNtrg Dravncr, der Sohn Wilhelm Trübners, Spezialist für Chinakunst, veröffent licht eben ein großes Werk über die Typologie der chinesischen Bronzen unter dem Titel „Pu und Kuang" (im Leipziger Ver lage Klinkhardt u. Biermann). Er weist darin nach, daß die absolute Entstchungszcit dieser großartigen Schöpfungen chinesi scher Eefäßkunst vor der festdatierten Han-Zeit liegt, und daß sich auch die chinesische Kunst der Bronze- und Eisenzeit nach den gleichen Gesetzen entwickelt hat wie jede andere Kunst. Die Natur liefert dafür die Vorwürfe, die der Mensch dem zu schmückenden Material anpaßt und umstilisiert. Die natura listischen Darstellungen liegen zeitlich auch hier vor den ab strakten. Ein neuer Komet entdeckt. — Von dem Observatorium in Johannisburg ist ein neuer Komet entdeckt worden. Die bis her hcrgestellten Photographien sollen bestätigen, daß es sich um einen Kometen und nicht, wie man zuerst annahm, um irgendeine andere Erscheinung Handel Die Angriffe gegen Präsident Tempel Dresden, 8. August. Von zuständiger Stelle wird nunmehr endlich zu de» von dem nationalsozialistischen „Sächsischen Beob achter" kürzlich wiederholt veröffentlichten Angriffen gegen den Präsidenten Tempel der Landesvcrsichcrungsanstalt Sachsen erklärt: „Der Vorstand der Landesvcrsichcrungsanstalt Sachsen, Herr Prä> sident Tempel, hat seine Anwälte beauftragt, wegen der seit einige, Zeit gegen ihn in der Presse verbreiteten Angriffe Strasantrag we gen verleumderischer Beleidigung gegen die Beteiligten zu stellen In den, Verfahren, das nunmehr die Gerichte besckäsligcn wird, wird sich lwrausstcllen, daß Herr Präsident Tempel seine Bcsuguisse niemals überschritten, namentlich keinerlei össcntliche Mittel in un zulässiger Weise verwendet bot. Alle von der Landesversichcrnngs- anstalt Sachsen getrossencn Maßnahme» sind durch Beschlüsse sowohl des Vorstandes als auch des Ansschitstes gedeckt," Es ist nicht leicht verständlich, warum diese Erklärung nicht schon nach den ersten An griffen des nationalsozialistischen Organs erfolgt ist. und Umgebung Die täglichen Derkehrsopfer Leipzig, 8. August. In den frühen Morgenstunden des Mittwoch ereignete sich Ecke Wurzener und Noßdncher Straße ein schwerer Unglücksfall. Beim Ucberschreiten der Straße wurde die -14 Jahre alte Alwine Niedlitz von einem Kraft- ivagen ersaßt und zur Seite geschleudert. Schwer verletz: und bewußtlos wurde sie nach dem St. Ja Kobs Haus gebracht, wo sie bald daraus starb. Die Schuld trifft die Verunglückte selbst. Ein ähnlicher Unfall, der jedoch glücklicherweise keinen so schlimmen Ausgang nahm, ereignete sich in der Frankfurter Straße. Hier versuchte der 22 Jahre alte Markthelfer Kör. nig auf seinem Fahrrad uniniitelbar vor einem ankommenden Straßenbahnzng die Schienen zu kreuzen. Die Straßenbahn ersaßt« jedoch den Radfahrer und schleuderte ihn beiseite. Durch das Aufschlagen auf das Pflaster erlitt der Markthelfer Kopf-, Knie-, und Schulterverletzungcn. Am Mittwochvormittag wurde die 18 Jahre alte Erika Grellert von einem Kraftwagen Hingerissen, Das junge Mädchen erlitt eine, schwere Gehirnerschütterung und wurde dem Krankenhaus St, Jakob zugefiihrt. Borna, 8. August. An der Ecke Königsplatz und Heinrich- stratze stießen in voller Fahrt zwei Motorräder zusammen, so daß beide Fahrer und eine anf dem Soziussitz mitfahrende Dame auf dos Pjiaster stürzten. Die Fahrer kamen mit leichteren Verletzungen davon, dagegen erlitt die Begleiterin einen Schlüsselbeinbruch und schwere innere Verletzungen. Torgau, 8. August. Infolge Platzens eines Reifens verlor der Führer eines Leizigcr Lastkraftwagens die Gewalt über sein Fahrzeug und stieß an der Straßenkreuzung Düben—Targa»— Mucrcna—Roitzsch mit einem Lieferkraflwagen zusammen, ivo. bei e§ zwei Schwerverletzte und einen Leichtverletzten gab. ) Die Sondcrschau „Fremdenverkehr und Bäder", bisher eine Einrichtung nur für die Frühjahrsmesse, wird jetzt ziim ersten Riale auch auf der Leipziger Herbstmesse vorhanden sein. An ilir werden sich u. a, der Bund deutscher Pcrkebrsvereinc. der säch sische Verkchrsverband, die Schweizer Bundesbahnen, der sranzö- sische Lustsahrtdienft, die französischen Eisenbahnen und das jugo slawische Reisebüro Puinik beteilige». — Weiter wird ans der Leipziger Technischen Messe in diesem Herbst in Halle 1 zum ersten Male eine P la na » S st c l l n n g für Jndnstriege. läiide stattfinden. An ihr beteiligen sich Städte, Gemeinde» und Kreise, die im Besitz vou Jndnstricgclände sind und hicrssir In teressenten zur Bebauung oder Erschließung suche». ) Beteiligung am Flugtag i» Weißcnfels. Ter Weißcufeiser Verein für Luftfahrt und Flugwesen veransialiei am 18, August ein Flugttiinicr, an dem außer der Sächsischen Fliegerschule in Leip zig der Schweizer Pilot und Knnsistieger Bader »nd Ekes- pilol Notbe von der Sächsischen Fliegerschule teilnchinc»; auch die Teilnahme des vor kurzem verunglückten Tr. Gullmann war an dein Wettbewerb vorgesehen. Eine Wasserleitung aus dem 11. Jahrhundert entdeckt. In Bad Harzburg wurde zwischen dem Großen Burgberg und dem Sachsenberg eine Wasserleitung a»S dem 11. Iakrhnndert von einem Forstaussehcr entdeckt. Bei den ErdauShcbungcn stießen die Arbeiter auf einen 7 Meter langen Strang iiicinandersteckcndcr Ton röhren. Es handelt sich um ein Tcilstück der alten Burgwasscr- leitung, di« schon von Heinrich IV. Heini Vau der Harzburg »>» 1663 angelegt worden sein dürste. Mensch unter Menschen Roman von Victor Hugo. <85. Fortsetzung.» „Tu bist immer zu liebenswürdig gegen mich, Jondrctte", pro testierte Frau Jondrctte mit all der Ziererei, deren Ungetüme bei Schmeicheleien fähig sind. „Jondrctte?" fiel Leblanc ei». „Ich glaubte, Sic heißen Fal>a»tc»i?" „Fabantou. genannt Jondrctte!" erläuterte lebhaft der Mann, „ein Beiname, wie er unter Schauspielern üblich ist." Und indem er seiner ungeschickten Gemahlin durch ein von Leblanc unbeachtetes Achselzucken seinen Acrger zu erkennen gab, fubr cr in pathetischem und zärtlichem Tone fort, über die herzlichen Beziehungen in seiner Ehe und über sein großes Mißgeschick zu sprechen. Während Jondrctte scheinbar ohne Zusammenhang, ober mit feiner gewöhnlichen verschmitzten Miene sprach, wandle Marius seinen Blick seitwärts und bemerkte im Hintergründe einen Man», den er bisher »och nicht gesehen hatte. Der Betreffende war so leise iicrcingckommcn, daß Morins nichts gehört l>attc, cr trug eine alte, akgenntzlc, fleckige, mit Schnittwunden bedeckte Weste ans Strick stoff, eine weite Manchesterhose, Socken, aber kein Hemde; der Hals und die tätowierte,, Anne waren bloß »nd das Gesicht geschwärzt. Er saß mit gekreuzten Arme» ans dem Bett nahe der Tür, und da er sich hinter Fra» Jondrctte versteckt hielt, konnte man ihn nicht leicht sehen. Aber vermöge jenes magnetischen Instinktes, den der mensch liche Blick anzurcgen pflegt und der schon Marius anfmcrkjain ge macht hatte, wendete sich auch Leblanc fast i» dcmsclbe» Augenblick um. Er konnte sich eines gewissen Erstaunens nicht verwehre», das Jondrctte nicht entging. „Ach so, Sie wundern sich, wie gut mir Ihr Uebcrzieher paßt!" bcmcrllc er, indem er sich wohlgefällig betrachtete. „Ja, ja, «r klei det mich ganz ausgezeichnet." ,M«r ist der Mann?" forscht« Leblanc. „Bloß et» Nachbar." Der Rachbar sah recht sonderbar aus. Indessen da sich In der Vorstadt Soiitt-Marcca» eine Menge chcmisckc Fabriken befinden und Arbeiter mit schwarzem Gesicht dort nichts Seltenes sind, s« begnügte sich Leblanc, wie es schien, mit Jondreltes Erklärung und fuhr fori: „Verzeihung, Herr Fabantou, was sagten Sie eben?" „Ich sagte, mein werter Gönner", erwiderte Jondrctte, indem er Leblanc zärtlich wie «ine Boa Constrictor fixierte; „ich sagte so eben, daß ich ein Gemälde zu verkaufen l>«bc." In demselben Augenblick hieß sich von der Tür her ein leichtes Geräusch vernehmen. Ein zweiter Man» war hcreingekoinmcn »nd hatte sich anf das Beit hinter Frau Jondrctte gesetzt. Auch er ging mit bloßen Armen, und sein Gesicht war mit Tinte oder Nuß ge schwärzt. So leise er sich aber auch in das Zimmer hereingeschlichen hatte, so wurde Leblanc doch zugleich aufmerksam auf ihn. „Lassen Sie sich nicht stören", hob Jondrctte »nieder an. „Es sind Leute aus dem Hause. Ich wollte Ihnen also das Bild zeigen." Er stand auf, ging hin und drehte die Tafel um, die an die Wand gelehnt stand. Das Ding sollte gewiß ein Gemälde vorstellcn, aber soweit cz Marius erkennen konnte, war es eine grelle Kleck» serei, die an die Schilder der Jahrmarktsbuden erinnerte. „Was ist denn das?" „Ein Gemälde von Meisterhand," beteuerte Jondrctte, „ein wertvolles Bild, dos mir ans Herz gewachsen ist. Aber wie gesagt, ich bin so unglücklich, daß ich mich dazu verstehen würde, cs los- znschlagcn." Sei es ans Zufall, sei eS. daß sich Mißtrauen In ihm z» regen begann, lenkte Leblanc jetzt wieder seine» Blick nach dein Hinter- grund des Zimmers. Es waren jetzt vier Männer da; drei, die auf dem Bett saßen uyd einer an der Tür. alle vier mit bloßen Armen und schwarzen Gesichter». Keiner hatte Schuhe oder Stiefel an. Jondrctte bemerkte, daß Leblanc die verdächtige» Gestalt«» Im Auge behielt. „Die Leute sind Ofensetzer; darum sehen sie so schwarz ans. Lassen Sie sich nicht stören. Sehen Sie mein Gemälde an und er barme» Sie sich meines Elends- Ich verlange nicht viel dafür. Wi« hoch schätzen Sic es?" Leblanc fixierte Jondrctte sehr scharf und antwortet«: „Das kst ein Wirtshausschiid, das ganz gut drei Franke» wert ist." Jondretl« antwortete in gemütlichem Ton«: „Haben Sie Ihre Brieftasche bei der Hand? Ich würd« mich mit dreitausend Fraickcn begnügen." Leblan« stand auf. lehnte sich an dl« Wand und überblickt« rasch das Zimmer. Neben ihm links und nach dem Fenster zu stand Jondrctte, rechts nach der Tür zu Frau Jondrctte und die vier schwarzen Mäiuwr, die sich nicht rührten und ihn nicht einmal zu sehen schienen. Jondrctte aber sprach jetzt wieder in den: allen kläglichen To» und mit einem eigentümlichen Ausdruck der Augen, daß Lc- blanc glauben konnte, der Mann sei vor Elend irrsinnig geworden. „Wenn Sie mir mein Gemälde nicht abkauscn, teurer Wohl täter, so bleibt mir uichis mehr übrig, als ins Wasser z» gehen und meinem Leben ein Ende zu machen." lind wieder ließ cr ein verlogenes Gerede los. das aber aus seinen großmütigen Wohltäter keinen Eindruck zu mache» schien. Während er so sprach, sah er Leblanc, der ihn beobachtete, nicht an, sondern nach der Tür. Marius' Augen wanderlen von dem «inen zu dem anderen. Leblanc schien sich zu fragen: Ist der Mann geisteskrank? Namentlich als Jondrctte in ein langgedelmles flehentliches Gewinsel überging und zwei- bis dreimal wiederholte: „Mir bleibt nichts übrig, als daß ich mich ertränke " Plötzlich aber leuchtete ein unheimliches Feuer i„ seine» glanzlosen Augen auf; der kleine Man» richtet« sich zu seiner ganze» Höhe empor, trat an Leblanc heran und schrie ihn nut einer Ton- »erstimme an: „Erkennen Sie mich?" Die Tür war Plötzlich geöffnet worden und drei neue Kerle waren erschienen, alle drei in blauen Leiiiwandkittcln und mit Masken aus schwarzem Papicr. Der erste war mager und trug einen langen, mit Eisen beschlagenen Knüttel. Der zweite, ein wabrcr Koloß, war mit einer lange» Art bewaffnet. Der Lriit«, ci„ vier schrötiger Kerl, der weniger dürr als der erste und nicht so plump wie der zweite >var, hielt einen ungeheuren Torschlüssel in der Fanst. Aus die Ankunst dieser drei Halunken hatte Jondrctte offen bar noch geivartet. Sofort entspann sich «in Gespräch zwischen ihm und dem Mann mit dem Knüttel, dem dürren, alles fertig?" fragt« Jondrctte. „Jä". antwortete der Dürre. ,Mo ist denn Montparnasse?' Der G«ck hält sich mit dein«r Tochter auf und schwatzt mit ihr.' „Welche?' „Die ältest«.' „Steht ein« Droschke unten?' ,^Ist der Wagen bei der Hand?' „Jawohl. Mit zwei tüchtigen Pferden davor.' (Lorljrtzung folgt.)