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Sächsische Volkszeitung : 12.01.1930
- Erscheinungsdatum
- 1930-01-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-193001123
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19300112
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19300112
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1930
-
Monat
1930-01
- Tag 1930-01-12
-
Monat
1930-01
-
Jahr
1930
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 12.01.1930
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Steuerabzug vom Arbeitslohn Wen«» Einreichung der Belege über den Steuerabzug vom Arbeitslohn für das Kalenderjahr 1928 wird auf folgendes hin ge iviefen: Es ist nicht sür jeden Arbeitnehmer eine besondere De. scheinigung (Lohnsteueriibenveisungsblatt oder Bescheinigung ans der Steucrkartc) auszuschreiben, sondern es haben diesem, gen Arbeitgeber, die die Lohnsteuer ihrer Arbeitnehmer im Nähre 1929 im allgemeinen Ueberwcisungs- oder Behördenver fahren abgeführt haben, Ucberweisungslistcn einzureichen, in die lediglich die außerhalb der Beschästigungsgemeinde wohnenden Arbeitnehmer auszunehmen sind, Für jede aus- wärtige Gemeinde, in der Arbeitnehmer gewohnt haben, ist eine besonder« Ueberweisungslistc aufznstellen. Den Listen ist eine Bescheinigung nach amtlichem Muster beizusügen. Haben sämtliche Arbeitnehmer in der Beschästigungsgemeinde ge wohnt. so hat der Arbeitgeber eine Fehlanzeige abzugeben. Die Arbeitnehmer, sür die der Steuerabzug vom Arbeits lohn im Jahre 1929 im M a r k c n v c r fa h r e n durchgesichrt worden ist. haben spätestens bis zum 15. Februar 1 999 ihre Stcuerlrartc 1929 und die Einkagebogen. die im Kalondersahre 1929 zuin Einl,leben und Enlnrerten von Steuermarken ver wendet worden sind, an das Finanzamt abzulicfern, in dessen Bezirk sie zur Zeit der Ablieferung ihre» Wohnsitz sgewöhn- sichen Aufenthalt) haben. An Stelle des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber die Einsendung oder Uebergobe der Steuer, barten und Einlageboge» a» das für die Arbeitgeber zuständige Finanzamt übernehmen. Der Ausbau -es Meltzner Bahnhofes Neues Gilterabsertigungsgebäud«. Meißen, 11. Januar Mit der Inbetriebnahme des neuen Empfangsgebäudcs auf Bahnhof Meißen vor Jahresfrist nmr der Umlxni der dem Personenverkehr dienenden Anlagen be. endet und der für die Erweiterung der Giiteranlagen, insbeson dere für ein neues Gntcrabfertignngsgebnude erforderliche Platz sreigewordcn. Das neue Güterabfertigungsgebäude ist vollendet und wird vom 13. Januar 1930 ab für den offen!- sichen eBrkchr freigegeben, das alte Abfertigungsgebäude ver. fällt dem Abbruch, um nunmehr an dieser Stelle den Güter» ichupven erweitern zu können. Auch mit dieser neuen Anlage des Meißner Bahnhossumbaues hofft die Reichsbahn verkehrs werbend zu wirken zu ihrem Nutzen und zum Nutzen ihrer Kunden. Der Talsperrenbau bei Kriebslein Tie Talsperre bei Kriebstein, deren Bau nnnmelii beendet ist, bildet bereits das Ziel vieler Ausflügler zu Fuß, Motorrad und Auto. Zur Zeit ist die Talsperre fast bis zur Hälfte gefüllt. Di« Stauung des Wassers reicht bis zum Wehr der ehemaligen Lauen- hainer Mühle. Die größte Wasserfläche wird man tu der Falken- ihainer Aue beobachte,, können, wo für den Wasser- und Angelsport sich ein neues Tätigkeitsfeld erschließe,, wird. Am Reujahrstag kreuzte bereits das erste Faltboot und auch am lebten Sonntag war zu beobachten, wie von der Lochmühlc ber ein Kahn eine Anzahl Personen nach dem jenseitigen User überlebte. In der Nähe des Steinbrnchcs ans Kricbsteiiicr Flur ist ein neues Hotel im Entstehen begriffen, da? von Herr» von Arni», auf Schloß Kriebsteiii erbaut Wird. Ter Bau ist bereits bis über die Kellertreppen vorgeschritten «nd dürft« iu einigen Monaten unter Dach und Fach sein. Von den, neuen Gasthause aus bietet sich ein berrlicber Ausblick auf die weite Wasserfläche und die diese umrahmenden prächtigen Waldungen. Eine Wanderung nach der von Watdheim aus am bcgucmste» zu errei-« chenden Talsperre ist an schönen Tage» überaus lohnend. Dieses Stück des herrlichen Zschopautales, das jederzeit den Minder er er freute, wird a„ Natnrschönbeii nicht verlieren, sonder» noch gewin nen. Eine stattliche Wasserfläche wird sich nun zwischen den beiden Ufern bilden, beträgt doch die gesamte Staulänge etne Strecke von 9 Kilometern. Die Talsperre, die zur Zeit alz das größte Stau becken von Sachsen anz,«sprechen ist. wird zur Hebung des Fremden- Verkehrs ganz erheblich beitragen. Die Sperrmauer gibt der Land schaft ein völlig verändertes Bild: statt der früheren Idylle mit all dem Zauber einer unberührten Natur entstand ein grandioses Werk der Technik, durch das der nimmer rastende Menscheugcist auch die Kräfte des Zschopauslusscs sich „nd seinen Zwecken dienstbar macht. 15. Helmatdanli-Geldlotterie. Für Kriegsverletzte und Kriegcrhinterdliebene wird jetzt die 15. Heiniatdank-Geldlot- lerie ousgespielt, deren Ziehung ans den 1t. und 12. Februar 1930 festgesetzt wurde. Zum Losprcis von 1 Rillt, enthält der Spiclplan 15101 Gewinne und 1 Prämie im Gesamtwert von 50000 RM. Lose sind in allen einschlägigen Geschälten zu haben vdcr durch Sächsische Wohliahrtslotlerien. Dreodcn-A.. Waiscn- hansstraße 23. Der Lolteriereingewin» wird, wie stets bisher, im Laufe eines Jahres voll verbraucht zum Besten Kriegs beschädigter und KriegerhiiUer'oliebener. deren Rot mit anderen Iffentlichen Mitteln nicht behoben werden kann. Maria Rubio Ein Armenhaus Zwischen Freysing und Landshut über drei Wagenstunden abseits von der Eisenbahn liegt das Landschloß D. Der letzt« adlige Besitzer hatte die weiten Ländereien bis auf wenige Accker an die Bauern verwirtschaftet. Nach seinem Tod fand sich für das Schloß kein Käufer. Es war ein altmodisches, graues Haus; die steinernen Kränze und Medaillons bröckelten von den Wänden. Es stand im Park zwischen dunklen Tuja. bäumen und Taxus wie ein alter Sarkophag. Es sollt« aber Noch einmal Leben in ihn kommen. Die Wohlfahrt schickte nämlich eine kleine Schar Almosen, »mpsänger hinein, Herren und Damen, di« von Krieg und In» flation ruiniert waren. Zur Leiterin wurde ein älteres Fräulein bestellt, eine schle sische Eutsherrcntochtcr, namens Brigitte. Sie tats um Gottes lohn. Tat es aber deswegen nicht lässiger. Fm Gegenteil. Da sie nach einer Woche schon übersah, daß ihre kleine alte Herde mit den zahnlosen Kiefern mehr nagte, als die Wohlfahrt zu beißen gab, sing sie damit an, die kümmerlichen Ucderreste von Grund und Boden mit eigener Hand zu bebauen. Sie pflanzt« Kartoffeln und Roggen und zog Schweine, deren Lob man bald im Lande rings hörte. Die Heiminsasien fühlten sich unter ihrer kräftigen Hand geborgen und sie nannten sie schmeichelnd Mutter Brigitte. „Wie man'» nimmt", sagte Fräulein Brigitte, „eine Mutter erzieht ihre Kinder zum Leben. Aber ich will euch zu einem guten Tod helfen." Donnernd befahl sic ihren Schützlingen, einander zu lieben — Zankteuf«! werfe sie hinaus. So lebt n die buntgewürfelten Gäste dieses merkwürdigen ArmenhaF » sanft miteinander, einen gleichförmigen Tages- lauf, beinahe zufrieden. Bis Brigitte sie das erste Mal allein ließ und auf einen Fernsehen in Farben Aeuarkige Anordnung -er pholoeleklrischen Zellen — Eine Erfindung K. E. Ives Rastlos bemüht sich eine stattliche Zahl von Fachleuten und Ersindern um die Lösung des schon seit einigen Jahrzehnten heiß umkämpsten Problems des elektrischen Fernsehers. Bald vermag dieser, bald jener dem Vorhandenen eine neue Er kenntnis hinzuzusügen. und langsam reist der Fernseher seiner Vollendung entgegen. Sogar die ideale Apparatur die ein Fernsehen in natürlichen Farben ermöglichen soll, ist neuer dings in den Bereich menschlichen Forschungsdrangcs gezogen und jüngst mit zunächst befriedigendem Erfolg in den Versuchs, räumen ver Bell Telephon-Werke in Amerika vorgesührt wor den. Zur Fernübertragung der farbigen Bilder benutzte der Erfinder dieser Apparatur, H. E. Joes, so ziemlich die strichen Vorrichtungen, die er bisher zur Ueberinittlung ein- arbiger Bilder verwendete. Das Besondere seiner Erfindung ind neue photoelektrische Zellen und neue gasgesüllte Röhren. Die farbige Wirkung der Bilder kommt nämlich zustande durch die Art und Anordnung der photoelektrische» Zellen auf der Eendeseite und der Neon, und Argonlampen aus der Emp« sangsseite. Da di« photoelektrische Zell« > eines Fernsehers, der natürliche Farben wiedergeben soll, für das ganze Spektrum empfindlich sein muß, genügte die bisher gebräuchliche Zelle mit Kalium nicht. Eie wurde ersetzt durch eine neue Zelle, die Natrium enthält. Spricht die Kaliuinzelle nur auf das blaue Ende des Spektums an. so ist die Natrium zelle für alle Farben bis zum tiefen Rot enmpfindlich. Der Er finder Joes machte sich bei der Entwicklung seines Fernsehers den glücklichen Umstand zunutze, daß sich durch rin Gemisch der drei Grundfarben blau, gelb und rot jeder Farbton Herstellen läßt. Aus dieser Erwägung ergab sich die Anordnung von drei Gruppen phototelektrischer Zellen an Stelle von einer, wie man sie beim einfarbige» Fernsehen benötigt. Jede Gruppe dieser Zellen hat bei der Zerleguirg eines farbigen Bildes in seine Erundsarben eine besondere Aufgabe zu erfüllen. Cie sind des halb mit Farbfiltern aus farbiger Gelatine abgedlendet. Orangefarbene Filter bewirken, dag die damit abgeblendeten Photozellen die Gegenstände so sehen, wie sie von den rot- empfindlichen Nerven der Auaennehhaut wahrgenommen wer- den. Eelbgrüne Filter vor der zweiten Zellengruppe lassen nur grüne Strahlen hindurch, und grünlichblaue Filter vor der dritten Zellengruppe lassen nur die blauen Farben auf die be treffenden Zellen einwirken. Wird also die Sendeseite des Fernsehers mit drei solchen ellengruppen ausgerüstet, dann sind die Vorbedingungen zum enden farbiger Bilder erfüllt, da die Lochscheibe uno Licht quellen die gleichen bleiben wie bei der Lichtabtastung des ein farbigen Fernsehens. Die photoclektrischen Zellen sind in einem Behälter, dem sogenannten Zellenkäsig, angeordnet. Mit Rück sicht aus die verschieden groge Empfindlichkeit der Zellen den einzelnen Farben gegenüber hat Ives bei seiner Versuchsanord nung zwei Zellen mit Blaufillern, acht mit Erllnsilter» und 14 mit Rotfiltern vorgesehen. Er erreicht damit, daß die von den Zellen ausgelöste» elektrischen Zeichen für die drei Farben di« gleiche Stärke habe». Innerhalb des Zellenkäsigs sind dl4 Zellen in drei Gruppen angeordnet. Eine befindet sich dem auszunehmenden Gegenstand hoch gegenüber und je eine recht« und links schräg zu ihm Die Zellen erhalten also ihre Licht» eindriicke von beiden Seiten und von oben. Damit das vom Gegenstand auf die Zellen geworfene Licht aut zerstreut wird, find von den Zellen große Tafeln aus rauhem Preßglas an« geordnet. Das Senden eines farbigen Bildes geht in bekannter Weise so vor sich, daß die Person, deren Bild übertragen werden soll, auf einem Stuhl vor dem Zellenkäsig Platz »immt. Ein Lichtstrahl tastet dis Person punktweise ab, und die photoelektrischen Zellen ver« wandeln die empfangenen Lichteindrücke in elektrische Impulse, die nach entsprechender Verstärkung drahtlos oder auf Leitun» gen zur Empfangsstation geleitet werden. Die von den sarben» empfindlichen Zellen hervorgerufenen Fernsehzeichen sind elek» Irisch von denen des einfarbigen Fernsehers nicht verschieden, nur muß sür jede Farbe eine besondere Nerstärkereinrichtung vorgesehen werden, desgleichen auch drei Verbindungswege. Da auf der Empsanasleite die drei farbigen Bilder in de« ihnen zukommenden Farven empfangen und übereinadergelagert gleichzeitig betrachtet werden müssen, wenn das Auge den Ein« druck eines farbigen Bildes erhalten soll, so galt es zunächst neue Lichtquellen zu finden, die mit gleicher Emvfinblichlcit wie die zum einfarbigen Fernsehen benutzten Neonlampen auf jeden noch so geringen elektrischen Strom ansprechen und gleich« zeitig rotes, grünes oder blaues Licht ausstrahlen. Rotes Licht ließ sich leicht erzielen mit einer Neonlampe, der man eine» roten Filter vorschaltete. Zur Erzielung des grünen und blaue» Lichtes wurden zwei mit dem Edelgas Argon gefüllte Lampe» verwendet. Ein blauer Filter vor der einen Argonlamve er gibt blaues und ein grüner vor der anderen das gewünscht« grüne Licht. Die drei Lampen mit ihren Filtern sind hinter einer Loch scheibe von 400 Millimeter Durchmesser angeordnet. Ein System von Spiegeln vereint die von den drei Lampen ausgehenden Lichteindrückr und wirst das zusammengesetzte Licht auf ein Linsensystem, da« den Lichtstrahl in eine kleine Ocffnunq vor der Lochscheib« weiterleitet. Hier empfängt das Auge des Betrachters das zu« lammengefaßte Licht der drei Lampen. Sind die Lichtstärke» ver drei Bilder richtig aufeinander abgestimmt, so sieht der Betrachter die vor der Sendeeinrichtung sitzende Person in ibrcn wirklichen Farben. Freilich gleicht das geschaute Bild zunächst nur einem kleinen Kinobildchcn. Don diesem Bildchen bis zur farbigen Wiedergabe bewegter Massenszenen in natürlicher Größe, wie wir sie heute beim farbigen Film sehen, ist es noch ein sehr weiter Weg. Da der Film den gleichen mühevollen Weg gehen mußte und mit Erfolg zurückgclegt hat. so dürft« auch das Fernsehen in natürlichen Farben in absetzbarer Zeit zu einer der vielen Selbstverständlichkeiten unseres Daseins ge worden sein. L. 1rs1>e8>»L I-ripiig und Umgebung Zusammenslötze bei Erwerbsiosen-Demonsirakionen Tumult« in, Stodtparlament. Leipzig, 11. Januar. Am Freitagabend fand wieder eine Crmevbslosendemonstration statt. Nach einer kurzen Versamm lung auf dem Reichsgerichtsplatz wo zwei kommunistische Red ner zu gleicher Zelt sprachen, zogen die Teilnehmer, etwa 3000 Personen zum Volkshauss, wo sie unter „Nieder." und „Not- Front-Nufcn" vorbeidefilierten. Darauf versuchte der Zug zum Burgplatz zu gelangen, was jedoch von der Polizei verhindert wurde. Im weiteren Verlauf kam es zu kleineren Zusammen stößen. Die Demonstranten rissen von in der Nähe befindlichen Verkaufsbuden Latten ab und gingen damit gegen die Polizei- beamten vor, die auch mit Steinen und aufgelesenen Eiscn- stücken beworfen wurden. Die Tumulte spielten sich hauptsäch lich am Eingang der Markgrafenstraße ab. wo auch die Schau fensterscheibe des Kanihauscs Pölich eingeschlagen wnrde. In der neuen Geschäftsstelle der Leipziger Neuesten Nachrichten und im Kaffeehaus „Römisches Haus" in der Zeitzer Straße wurden ebenfalls Fenster zertrümmert. Die Polizei wurde leicht Herr der Lage und nahm auch einige Festnahmen vor. Tag in die Kreisstadt fuhr. Als die alten Leute um den Mittagstisch versammelt wa ren, nickten ihre Köpfe bedeutsamer tzcute. Sie schwatzten wich tig. Sic fühlten sich in ihrer Unabhängigkeit für einen ganzen Tags aber sie musterten sich auch gegenseitig mißtrauisch, ob einer vielleicht so kühn sein werde, den verwaisten Thron am oberen Tischende zu usurpieren; vergaßen darüber ihr Tischgebet, dafür klapperten sie um so geräuschvoller mit den Suppenlösseln. Plötzlich erschraken sic, da war ja noch ein Stuhl leer. Der kleine Schneider, d»r ehemalige Hosschneidcr Ihrer Hoheit der Großhcrzogin von Baden, saß nicht an seinem Platz. Es war niemals geschehen, daß einer von ihnen die Mahlzeiten versäumt hätte. Wenn sie den Tag schläfrig in einem Winkel verdämmerten, zur Futterzeit liefen sie lebendig und froh zu sammen. Das Essen war ihnen allen zum letzten erregenden Ereignis geworden, und zum einzigen Inhalt langer gemein samer Gespräche. Sie suchten das Cchneiderlcin in seinem Bett, in allen Zimmern, auf dem Boden und Hof, im Keller und im Stall, aber er war verschwunden. Einige erinnerten sich jetzt dunkel, ihn morgens noch im Park gesehen zu haben. Wie gewöhnlich sei das Mänitchen durch den ganzen Garten gelaufen, sehr schnell, geradeaus; kurz vor der Mauer stand er ruckhast still. Er drehte sich ganz langsam und steif herum, um wieder geradeaus zur anderen Mauer zu schnurren. Aber seitdem mochten Stunden vergangen sein. „Er wird im Dorf betteln, wie schon einmal", sagte ein wenig schmerzlich und verächtlich der zarte, weißhaarige Konsul, der als einziger noch verwaschene lederne Handschuhe trug. Der Gutsbesitzer lachte aus vollem Halse, während er sich den Kragen auszog. „Er tut's ja nicht sür sich! Er wird wieder sür das Bcttelgeld gute Zigarren kaufen und sie uns schenken!" „Ich habe keine genommen", sagte sanft der Konsul. „Wenn ein Mann nicht pünktlich I>cimkommt, läuft er meistens einem hübschen Müderl nach", nahm die Wienerin in dem betupften Ceidenschal an. Dann vergaßen sie alles über dem Esse»-. Aber unlcr der Mahlzeit sahen sie wieder aus den stummen Die Stadtverordnelensitzung nahm einen sehr erregten Verlauf. Die kommunistischen Erwerbslosen anträge kamen, da sie nicht genügend Unterstützung aus Dring lichkeit fanden, ni ch t zur Verhandlung. Bei Beratung eines Dringtichkeitsantrages Tr. Melzers <V. R. P) der zwecks Beschaffung von Arbeit die Ausstellung von Listen arbeits williger Erwerbsloser fordert, wurde der kommunistische Siadt- vcrordnete Herrmann, der die Erwerbc-lo!enanträge seiner Partei als Zusatzanträge hierzu einbrachte, vom Vorsteher Enke anfgetordert, zur Sache zu sprechen. Die kommunistischen Stadt. rerordneten klapperten mit den Pnttdeckeln. machten ttrt- wahrend lärmende Zurufe. Ein Tribünenbesncher wars faule Eier in den Saa!. von den eines den Stadtverordnctenoorsietzer traf. Die Sitzung mußte unterbrochen wecrden. Schließlich wurde der Antrag Tr. Melzers mit 35 gegen 34 Stimmen äu ge n o m m e n. « Der Rat der Stadt Leipzig nahm Kenntnis von einem Urteil des Bermaltnngsgerichts. wonach der Beschluß der Stadt- verordnetcn. dos Sicgesdenkmal und dos Bismarctzdentzinai zu entfernen, als ungesetzlich aufgehoben worden ist. ) Neues Blindeutzeim. I„ dem Grundstück der Mcndcschcn Stiftung sür Blinde. Salemwnstraße 2!, bat die Stadt jetzt ein Blindenheim eilige,ictztct Des Heim dient als Wo'nnim ntt einige blinde Frauen und bietet Bünden Gesegeimci! rmn Taaesau'ent« halt. Auctz der Allgemeine Blmdenverein für Leipzig und U m gebung tzätt ieinc Bceanslalinnaen künftig dort atz leeren Platz — sonst lallt« der kleine Schneider öfters tn di« feierlich« Essensstillc und sang fröhlich. Plötzlich sagte die Wienerin: „Wißt ihr noch? Neulich in der Kirche sang er laut in das Ave Maria ein Soldatenlied von 1866." „Und wie andächtig er sang!" nickt« einer. Sie waren einstimmig dafür, zusammen ins Dorf zu gehen. Aber er war nicht im Dorf gewesen, und soviel Leute sie auch fragten, niemand hatte das Schneiderlein gesehen. Sie liefen wieder alle ins Schloß zurück, sie begannen hitslos zu jammern. Und einige, die gut bei Fuß wäre», machten sich auf, den Verschwundenen in der Umgebung zu suchen. Der zarte Philosoph Onkel Seraphim ging den Sandweg zwischen den Feldern. Has ganze Armenhaus schwor daraus, daß er ein großer Philosoph sei — denn niemand verstand ihn.) Onkel Seraphim beugte sich mit seiner großen Brille über die Fußstapsen hier ist noch das Gestern, dachte er. Ein Leben, das im selben Augenblick schon verrann, drückte sich in den Sand. Und er begann zu meditieren. Der Konsul und die Wienerin spazierten aus der Landstraße und forschten hinter den Hecken. Der Konsul zupfte gelb« Blätter und brach Aeste ab, die er sür vertrocknet hielt. „Meine Freundin", sagte er lächelnd, „wenn ich das tue — an den Hecken des Staates — kann ich glauben, daß mein Essen hier kein Almosen ist." „Gelt, Sic laufen niemals fort", antwortete die Wienerin leise. „Es wäre sehr schwer für mich." Sic kannten sich von Kairo her — von einem Maskenball, Nach dreißig Jahren hatten sic sich im Armenhaus wieder gctroisen. Der einzige, der wirklich luchte, lvar der breitschultrig» Gutsbesitzer. Mit einem kleinen zerrissenen Schuh de, Schnei ders folgte er allen ähnlichen Tapsen, kreuz uird quer, den dicken Kops fast wie schnuppernd gesenkt, unermüdlich. Der Philosoph, der Konsul und die Wienerin kehrten zurück. Trauernd saßen die Bcuwhner des Heims im sinkenden Abend beisammen. Manetze hotten iyre Rosenkränze hervor. Und eins fragte leise, welliger Heilige sür diesen Fall am beste» anzurukcn lei. Die kleine Ackitziaiabriae iammerte Briailtr hat unr all»
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