Volltext Seite (XML)
Idnter^altuns und V^i88en ^Ir. 34 — 9. bebruar 1930 ^ v„ii-«,^ii, ^Vinterta§e am ^Veiken IVleer dlorä!»«Ler Or>valä — Oer Ale»,«L in 6vr xrvÜen LinsruniLvit — Di« Oes^»iei»te «te» Lolo^vetLlrzr Koster» Der nordisch«. Urwald mit seinen Geheimnissen, mit seinem 'Zauberspuk, mit seiner Wildheit gibt der Landschaft am Weihen Meere einen besonderen Charakter. An der nördlichen Düna, bei Archangelsk, bis hinaus zu den Ufern des Weihen Meere» erstrecken sich endlos- Waldungen, in denen Bären. Elche und Wölfe streifen, in denen Felljäger und Trapper ein entbehrungs reiches und gefahrvolles Leben führen, in denen flüchtige Ver brecher Hausen und in denen fanatische Sektierer seltsamen Zauberspuk treiben. - Land und Leute erstarren in der Uner- mrßlichkrit und Unberührtheit der Landschaft. Das Christentum, das den Urbewohnern des Hohen Nordens, den Samojeden. Tschuktschen, Burjaten usw. gepredigt wurde, hat nicht allzu tiefe Wurzeln geschlagen, es vermengte sich mit allerlei Aberglauben und auch heute noch werden für die Windgötter auf hohen Stangen ausgespannte Tierhäute befestigt, um sie, wenn sie im Sturm heranbrausen, günstig zu stimmen. Der Waldgeist, der Leschuy, geht um, in den See» und Bachen wohnen Nixen, die die jungen Leute heranlocken. Im Oktober fällt der Winterschlaf auf das Land im hohen Norden Russlands. So weit das Auge reicht, dehnen sich reif bedeckter Wald und graue Eisfelder nach allen Himmelsrick>- tungen aus. Wenn die Sonne scheint, schillert der Schnee, als ob Diamanten darüber gestreut wären, meistens aber bedecken Wolken und Nebel den Horizont, die Landsclmst präsentiert sich dann als Totenseld. Schmutzigsarbene, grubige Pfade führen als dunkle Streifen durch die Schnccwüste, man sieht nicht ihren Anfang, und man weih nicht, wohin sie münden,' sie verlieren sich im Horizont, und rechts und links, und vorwärts und rück wärts ist die große Einsamkeit, in die der Mensch als Ein dringling getreten ist, und die ihm mit weichen Armen die Seele umklammert, hinter der sich die Furcht in grauen Schleiern verbirgt. Bei der starken Kalte beginnen die Glieder unter den Fellen im Schlitten zu erstarren. Das Denken stockt und das silberne Klingen der Glocke bohrt sich allmählich tief ins Gehirn, bis es als physische Qual empfunden wird. — Kommt man an den Strom, an die nördliche Düna, so mehren sich die Dörfer und Ansiedlungen. Dort gibt es Fabriken, reiche Fischereien, und die Landschaft belebt sich, verliert ihr eingefrorenes Gesicht. Im Sommer verkehren dort viele Dampfer und rund herum breiten sich auf den Wiesen hellblaue Felder von Vergißmein nicht aus. Unter weißen Birken blühen wilde Narzissen und Nachtschatten. Unter den Weiden am Stromuser spielt vielleicht eine Bärenfamilie. Elche brechen mit plumpen Schritten aus dem Dickicht..., aber der Sommer ist kurz. Schon Ende August beginnen die Nachtfröste und im Oktober ist es Winter. Die Hauptstadt des Nordens. Archangelsk, bildete den Mittelpunkt des russischen Holzhandels. Sie war reich und blühend und in ihr pulsierte das großzügige, breite, sorglose russische Leben. Heute stirbt Archangelsk einen langsamen Tod. Der Handel ist geknebelt, die Wohnungen der reichen Kaufleute sind ausgeplündert, Armut und Elend schleichen durch die ver ödeten Straßen und die Stadt erfriert in Schnee und Eis. Leiter auf den Inseln im Weißen Meer liegt das Solowetzky- Kloster, das in der Geschichte Rußlands eine große Rolle spielte, und das auch heute als Verbannungsort für alle Verdächtige und Sowjetfeinde eine traurige Berühmtheit besitzt. Heute stehen nur noch die leeren Kirchen und die Mauern der Ge bäude, aber unter den vergoldeten Kuppeln läuten keine Elock .. mehr und die Mönche sind verschwunden. Heute cherrsck" oort die Heile des Skorbuts und der Verzweiflung. Da sKlima auf den Solowetzky-Inseln dank einer warmen Strömung weit milder als auf dem Festlande war. konnten die Mönche dort blühende landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebe einrich ten. Es gab dort Sägewerke, Gerbereien, Transiedereien usw., auf denen Novizen arbeiteten. Auch viele Pilger, die das Leben enttäuscht und die hier im Frieden des Klosters sich selbst wiedersinden wollten, ließen sich von den Mönchen anstellen. Es gab in Rußland, im Lande der Gottsucher und Mystiker. Leute, die barhäuptig und barfuß, oft mit schweren Ketten be laden, nach Solowetzk wandelten, um hier in der Stille zu arbeiten und zu beten und um sich von den Eremiten, die in der Waldeinsamkeit lebten, segnen zu lassen. Die Eremiten und Mönche-Asketen sind die einzigen, denen die Bolschewisten nichts nehmen konnten, weil sie nichts besaßen; sie konnten auch nicht wie die Klostermänckxe vertrieben werden, weil ihre Behausung meistens nur in einer Steinhütte in der Wildnis bestand und ihre Nahrung nur ein Stück harten Brotes bildete, das ihnen fromme Besucher spendeten. Die Klosterkirche selbst gehörte zu den reichsten Rußlands. Herrlich Ikonen und Reichtümer an Gold und Edelsteinen schmückten die Mauern, Stiftungen der Moskauer Großfürsten, und später der Zaren. Geschenke von reichen Kaufleuten, von vornehmen Weltdamen. Der Abt. der stets einen hohen geist lichen Rang bekleidete und Anwärter auf den Metropolitensitz in Kiew oder Petersburg war. pflegte nicht nur ein frommer jonder» ei,, Mann von großer Weltbildung zu sein. Einer der letzten Aebte. dessen Organisationstalent der Klosterbesitz viel 8Lcli8tscIie Volirsreiluiig vrrdänkteVUrr ein lrssenslustsger Kärbeosslzser gewesen. Plötz-s lich war ihm die Erkenntnis der Nichtigkeit aller irdischen Ding» gekommen, er hängte seine Uniform an den Nagel, wurde Mönch zuerst im Kloster von Malaam im Ladogasee und nach einige» Jahren Prior von Solowetzk. — Bis Archangelsk führt eia« Eisenbahn und von dort konnte man das Kloster in d«»s Sommermonaten auf Dampfern erreichen. Im Winter ist dts Verbindung sck>wi«rig und die Verschickten, die nach Solowetzt getrieben werden, haben tausend Qualen auszustehen, ehe sie tW ihrem traurigen Nerbannungsort im Eismeere anlangen. — i Der hohe Norden Rußland», namentlich auch das Kloster von Solowetzk, war schon in früheren Jahrhunderten, dank seine« Weltabgelegenheit ein Derbunnungsort für Irrlehrer der grit» chisch-orthodoxen Kirche gewesen. Zur Zeit der Kirchenresor« unter Nikon flüchteten Tausende in die nordisck>en Urwälder und an die User des Weißen Meeres. Auch heute noch leben in de« Wäldern und an den Usern des Weißen Meeres Kolonien dek einstigen altgläubigen Flüchtlinge, strenge Sektierer, die di« ererbten Sitten aufrechterhalten. Dort am Weißen Meere liegt eine Welt, die Europa nur wenig kennt. Ungeheure Wälder, ei» düsterer Strand, Ströme und Wasser von einem unerschöpfliche» Fischreichtum. Im Sommer blühende Wiesen, die Millione» von Rindern ernähren könnten. In diesen unermeßlichen Land» strecken leben nur wenige Menschen, und noch wenigere sind Söhne moderner Kultur und Zivilisation. Im Winter stamme» die Nordlichte in unbeschreiblicher Herrlichkeit aus und be leuchten die stille Schneelaiidjckmst. An den Usern des Weiße» Meeres stauen sich riesige Eisblöcke. Die Bäume tragen weiß« Gespensterbürte aus Reif, und dazwischen bellen Füchse und heulen Wölse. Während des Weltkrieges Halle Archangelsk ein« kurze Blütezeit, und dort im Norden fand auch der erste groß« Aufstand, unterstützt von der Entente, gegen die Bolschewisten statt. Heute herrscht dort Einsamkeit und Wintersterben. L. v. U-51. Oie Lner§iequeHen der Zukunft von >VeUen unä ^turospträre — Oer Orkesu ols 6e*vÄctiskauü» — Kräkte ües HrtomLerkaU» Ende des 18. Jahrhunderts entstand d>e Dampfmaschine, die di« mächtige Entwicklung der Wollindustrie ermöglichte. Ende des 19. Jahrhunderts gewann die Menschheit die Herrschast über die elektrische Energie, und bekam so die Möglichkeit, die Krast in beliebiger Entsernung vorn Orte ihrer Gewinnung zu ge brauchen. Im Jahre 1925 hat die von den Elektrizitätswerken erzeugte Energie eine Höhe von 76 Millionen KV erreicht, die cm Jahr einen Verbrauch von 176 Millionen KV-2tunden ermög lichte. 82 Pro^-nt davon verbrauchte die Industrie, 1» Prozent wurden zu Beleuchtungszwecken benutzt. Von dieser Energie wurden 6S Prozent durch Dampslrasr, 85 Prozent durch Wasser kraft erzeugt. Und wenn wir auch bisher kaum 8 Prozent der uns zur Verfügung stehenoen „fließenden" Wasserkräfte ausnutzen, bei der geometr ich fortschreitenden Steigerung des Bedarfs an Energie ^.z Prozent Zuwachs ini Jahr), besteht kein Zweifel, daß bald überall ein Energiehunger «intrilt. Die internationalen Kampfe um den Besitz der Erdölquellen, die wir seit einem Jahrzehnt beobachten, geben einen Vorgeschmack der Zukunsts- kämpfe, denn das Erdöl wird kaum noch sür einige Jahrzehnte reichen, während die Kohlenreserven der Welt immerhin noch für ein paar Jahrhunderte den Bedarf decken können. Diese Tatsache hat die Gelehrten veranlaßt null, Ecsagiiutteln sür Erd« öl zu suchen, und cs ist kürzlich wirklich gelungen, die Kohl« unter starkem Druck und hoher Temperatur zu verflüssigen. Dies« flüssige Kohle ist ein Heizmaterial, das dem Benzin und dem Petroleum nicht Nachsicht. Aber alle Sparmaßnahmen und Rationalisierungen könne» den Energiehunger nur um kurze Zeit ausschceben, wenn wir nicht lernen, neue Energiequellen zu erschließen. Solche Energie» quellen der Zutunst, von denen Vas Wohl der Menschheit ab» hängen wird, sind: der Wind, die Wellen. Flut und Ebbe, die Wärme der Erbt n gel, die W armereser» ven der Ozeane, die atmosphärische Elekirizi» tat, di« Energie der Sonnenstrahlung und end« lich die Atomenergie. Das ist wahrscheinlich auch die Neibensolge. in der die Men» schen diese Energiequellen erschließen werden. Dce Ausnutzung der Windenergie in modernem Sinne güchietst schon ieu unge» sähr 10 Jahren, seil die ameritannchen Ingenieure den WmS- nioior von ca 16 —lä !'-> bei minierer Windiiarke !m ^ - --i habe», der aber auch hei schcoachem W o immer nach enK-iet. Trotzdem sind auch hier sie Sckuvonluüigen so slarü. >r' man gezwungen !sl"deii Molar mi! einer Anuum-ila:oee::m,t!erlc lll Ore Llo Lrlodnls lo ckor krovln». Iui habe vieles in meinem Leben ausprobiert, aber noch nie war ich Verwandlungskünstler — und trotzdem hat mich das Publikum einmal sür einen solchen Spezialisten gehalten, der auf die Bühne herauskommt, sich vor dem Publikum verneigt, hinter die Bühne geht und dann sofort in einer anderen Rolle, in einem anderen Kostüm erscheint und mit einer anderen Stimme spricht. Es war 192Ü oder 1921, als es sehr schwer war, Brot zu ver dienen. Damals waren ein expressionistischer Dichter, eine Pianistin, ich und ein Lyriker in die Provinz gefahren, um mit einer Reihe musikalisch-literarischer Abende, einige südliche Cowjetstädte zu besuchen. Als erste Nummer sollte die Pianistin mit leichten musi kalischen Sachen auftreten, sozusagen den richtigen künstlerischen Ton für unseren Abend geben. Als zweite Rümmer hatte der Expressionist zu arbeiten, dann kam ich mit humoristischen Er zählungen und endlich unser lyrischer Dichter, der unser ganzes Programm sozusagen lackieren sollte, damit dem Besucher der Eindruck eines leichten, feinen Abends bleibe. Wir wußten, daß wir als erste in Sowjetrußland auf rich tigem Wege sind. Wir ließen uns zu der Masse herab, und wollten zeige», daß die reine Kunst nicht verfallt, daß das Volk hinter uns steht. So kamen wir in die erste Provinzstadt, in der die Pianistin einige Bekannte hatte, bei denen wir übernachte» konnten. Die Tag« verliefen in üblicher Lauferei, man mußte sich Erlaubnis holen, einen Saal miete», sich mit dem Unternehmer verständigen. Er war rin feiner und gescheiter Mensch und»behauptete hart näckig, daß die Poesie kaum dem Provinzpublikum verständlich sein wird, und daß man unser Programm deshalb mit leichteren Nummern durchsetzen müsse. Das war natürlich nicht angenehm, aber wir mußten nachgeben, weil es keinen anderen Ausweg gab. Endlich saßen wir aufgeregt hinter den Kulissen und war teten. Der Sal war überfüllt. Als erste Nummer trat ein musikalisches Trio aus, dann ein Jongleur und ein Exzentrik. Er hatte einen erschütternden Erfolg, das Publikum brüllte, stampfe mit den Füßen. Dann kam unsere Nummer. Als die Pianistin in einem geschlossenen schwarzen Kleid aus dem Podium erschien, geriet das Publikum in irgend eine unklare Erregung. Es erhob sich von seinen Plätzen, starrte aus die Pianistin, und viele lächle». Etwas erregt setzte sie sich an den Flügel, spielte eine kurze Sache und hielt in Erwartung des Beifalls ein', aber es kam keiner. In furchtbarer Verwirrung eilte sie hinter die Kulissen. Beinahe sofort folgte ihr der Expressionist. Der donnernde Applaus, das Geschrei, das Ge- jauchze wollte lange nicht aushören. Von solcher Aufmerksam keit und Berühmtheit in einer kleinen Provinzstadt geschmeichelt, verneigte sich der Expressionist, preßte die Hand ans Herz, las irgendwelche unklare Berschen und ging ebensalls in einer starken seelischen Erregung fort, da es wieder keinen Beifall gab. Buchstäblich kein einziges Händeklatschen. Als Dritter, stark er- schreckt, kam ich. Bet meinem Erscheinen erschallten noch ent zücktere Ausrufe, das Hintere Publikum stellte sich auf die Bänke und blickte aus mich wie aus irgend ein Seewunder. „Bravo!", ries jemand, „glänzend gemacht." „Ein Kerl!", quietschte ei» anderer mit sichtlichem Ent zücken. In großer Angst um mein Schicksal, kaum die Worte aus- sprechend. begann ich meine Erzählung zn lesen. Das Publikum hörte mein Gemurmel und ermunterte mich sogar mit einzelnen Schreien. „Fein, du Lump! Immer los! Tüchtig! Bravo!" Ich lallte die Erzählung schnell zu Ende und entfernte mich, kaum daß ich die Beine noch bewegen konnte. Aber wie die anderen hatte auch ich keinen Beifall. Nur irgend eilt großer Rotgardist stand aus und sagte: „Dieser Lump! Wie der laust! Guckt bloß, wie er absichtlich läuft!" Als letzter mußte der lyrische Dichter heranskommen. Er wollte lange nicht austreten, weinte beinahe laut, klagte über Schmerze» im Bauch. Er schrie und klammerte sich mit beiden Händen an den Kulissen sest, bis wir ihn gemeinsam auf die Szene stieße». Wilder Applaus. Schreie, erschütterten Sen Daal. Das Publikum brüllte und gröbste begeistert Ein Teil stürzte zur Szene und guckte mit wilder Reugier auf den Lnriker. Stumm lehnte er sich an den Flügel und stand, olm« ein Wort zu sagen, etwa fünf Minuten lang da. Dann schwankte er, ösfnete den Mund und kroch, mehr tot als lebendig, hinter di« Kulisse zurück. Ein donnernder Applaus seute ein und wollte nicht aufhören. Jemand schlug hartnäckig mit den Absätzen auf den Boden. Jemand verlangte wie toil: Wiederholung. Wir saßen völlig verschüchtert in »n'erem Künstlerzimmer. Unser Direktor ging um uns herum und bückte besorgt auf unsere z»> sammengekauerten Figuren. Plötzlich erschallte das Gelramoei laufender Beine und einige Leute ans dem Publikum stürzte» tu unser Zimmer. „Wir bitten, bitten!" brüllte begeistert ein Ge müe mit fliegenden Händen. Wir erstarrten. Mit leiser Stimme sagte der Direktor: „Genossen . . . regt euch nicht auf . . . sokort komncr « . . ,