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Nvlizen Der Rcichstagsabgeordnete Josef Ivos schreibt in einem Artikel „Der Sinn des Wahlkampfes" der Sozialdemo kratie Worte ins Stammbuch, die sestgehalten zu wer den verdienen: „Was hat die 152 Mann starke Fraktion der Sozialdemo kratie getan, um ein positives Ergebnis möglich zu machen? Nichts! Sie drehte sich um sich selber. Ihre Vorschläge konnten weder als „ernsthaft" noch als „positiv" gewertet werden. Diese Vorschläge waren unrealisierbar. Es gab für sie in diesem Reichstag keine Mehrheit. Die Scheinangebote der Sozialdemo kratie waren für die Regierung keine Unterstützung, sondern mutzten zu ihrem Sturz führen. Wie schrieb doch der Vorwärts am Donnerstag, den 17. Juli, nachdem der Artikel 2 der Dek- kungsvorlagen abgelehnt und Artikel 48 notwendig geworden war? „Verhandlungen mit der Sozialdemokratie? Wären sie ernst geführt worden, so wäre das bestimmt die parlamen tarische Lösung der Krise, ebenso bestimmt aber auch das Ende der Aera Brüning gewesen." Damit ist das Gerede von der Verhandlungsbereitschaft als das abgetan, was es ist: eine Täuschung, ein Trug. ... Die Sozialdemokratie bezichtigte Dr. Brüning durch die letzten Monate hindurch, gegen die Ueberzeugung der Wis senden, der Illoyalität gegenüber dem Kabinett Müller, dem er tatsächlich in den gefährlichsten Augenblicken mit seinem Wissen und Können geholfen und eine Niederlage um die andere erspart hatte. Er hatte die entscheidenden Fingerzeige zur Etatbalan- zierung 1929 gegeben. Er hatte jenen Vorstotz Dr. Schachts gegen das hilflose Kabinett Müller abgeschlagen. Er hatte bis zur letzten Stunde das Kabinett Müller durch unermüdliche Kompromitzvorschläge zu retten versucht. Aber die Sozialdemo kratie wollte das nicht, durfte das nicht gelten lassen. Sie mutzte den Mann „reaktionärer Pläne und Vorhaben" bezichtigen. Sie tut es noch heute aus bloher Angst vor einer Gesundung der Parteiverhältnssie in Deutschland, die ihr abträglich sein könn ten. Darum ihr aufreizender Wahlaufruf. Darum jener Satz: „Die Regierung Brüning wollte die Reichen und Leistungs fähigen verschonen und die Lasten den Armen und Schwachen auferlegen". Das ist nicht die Sprache einer Partei, die Volks wohl und Staatswohl will. Das ist die verderbliche Sprache von Demagogen, die die Wege Moskaus ebnen." » Und auch die folgenden Ausführungen, die wir einem Leit artikel des „Westfälischen Volksblatts" entnehmen, verdienen sestgehalten zu werden: „Nun denkt und rechnet man im Volke etwa so: Was ko st et eine Reichstagsneumahl? (Die Zionswächter der Deutschen Republik und Demokratie mögen platzen, — aber das Volk denkt und rechnet so.) Es ist häufig genug ausgerech net worden, datz eine neue Reichstagswahl nur allein an direk ten Ausgaben nicht weniger als einige Millionen verschlingt. Das mag in den Augen der Wahllllsternen „ein Dreck" sein, — für das notleidende Volk, das keine Diäten bezieht, sondern neben allem anderen auch diese Millionen aufbringen mutz, ist es eben keine Bagatelle. In jeder Familie, wo ein Hausvater sitzt und er ist arbeitslos oder er ist vom Abbau bedroht, und wo die Söhne, Töchter oder Verwandten In derselben Notlage sind, und das sind heute Millionen von Hausvätern, da rechnet man und rechnet und kann nicht damit fertig werden: datz der Reichstag, die oberste Vertretung des deutschen Volkes, diese paar Millio nen nicht besser anzuwenden wutztel Zehn grotze Fabriken wenigstens, die heute oder in den nächsten Tagen schließen und ihre Leute aus die Stempelämter schicken müssen, hätten auf rechterhalten werden können, — falls nian ihnen für diese Be träge lohnende Aufträge gegeben hätte. Zehn Städte, die nicht mehr wissen, woher sie das Geld für die Wohlfahrtsunterstützun- gen nehmen sollen, wären wieder einmal für einige Zeit ge rettet gewesen..." Zweifellos denkt man so im Volk. Und wir wollen nur hoffen und wünschen, datz das Volk diesmal aus solchen Er kenntnissen die richtigen Folgerungen zu ziehen weitz! Zahlen vom Gutenberg-Bund. Der Gutenberg-Bund, die christliche Gewerkschaft deutscher Buchdrucker, hat, wie schon be richtet, vom 19. bis 22. Juli im Künstlerhaus in Dresden die 14. Generalversammlung abgehalte». Aus dem der Generalver sammlung erstatteten Geschäftsbericht ging hervor, datz die christliche Buchdruckergewerkschaft sich in den letzte» vier Jahren günstig entwickelt hat. In der G e h i l f c n a b t e i l u n g stieg die Mitgliedcrzahl auf 4200, in der Lehrltngsabteilung auf 1020. Das Vermögen hat sich in der Berichtszeit von 126 000 Mark auf 266 000 Mark erhöht. Vorzüglich ausgebaute Unter stützungseinrichtungen schützen die Mitglieder in den Wechsel fällen des Lebens. Die vom Gutenberg-Bund den alten Arbeits veteranen und dauernd arbeitsunfähigen Mitgliedern gewährte Invalidenunterstützung geht weit über die Sätze der staatlichen Invalidenversicherung hinaus. — In einem Vortrag des Bum desredakteurs Bernoth (Berlin) wurde zu der Entwicklung des deutschen Buchdruckgewerbes, zu den Arbeits-, Lohn- und Lehrverhältnissen Stellung genommen. Gefordert wurde die Einschränkung der Sonn- und Feiertagsarbeit und der Ueberstunden, sowie die Verkürzung der effektiven Arbeitszeit zur Milderung der großen Arbeitslosigkeit, die Er haltung der Kaufkraft der Löhne, der Abbau der Preise an der Produktionsquelle und beim Endverkauf an den Konsumenten. Die Lehrlingsausbildung müßte noch mehr einge schränkt werden, da der übergroße Teil der jungen Leute nach vierjähriger Lehrzeit keine Existenz mehr findet. In einem zweiten Vortrag des Bundesvorsitzenden Thränert (Berlin) über das Arbeitsgerichtsgesetz und die tarifliche Rechtsprechung wurde der Ausbau des Arbeitsrechts nach sozialen Gesichtspunk ten gefordert. Die Organisationsleitung wurde einmütig wiedcr- gewählt. Die 15. Generalversammlung wird 1934 in Saar brücken sein. / Das Deutsch« ln Finnland. — Deutsche Sprache und deutsche Kultur haben im Norden und Osten eine so starke Stellung inne, datz den Deutschen, wenn sie sich dessen bewußt sind, kein anderes Volk vorauskommen wird. Dies war das Hauptergebnis der Ausführungen, die der bekannte finnische Volkskundeforlcher Prof. Kaarle Krohn als East des Ostpreutzilchen Freundes kreises der Deutschen Akademie in Königsberg über die Bedeu tung der deutschen Sprache als Verkehrssprache im Norden und Osten machte. Danach ist der Frühere Einfluß des Französischen allmählich weitgehend durch das Deutsche zurückgedrängt wor den, und die Versuche, statt dessen das Englische als internatio nale Verkehrssprache durchzusetzen, ist nicht gelungen. Soweit eine Fremdsprache gebraucht wird, ist Deutsch die übliche Um gangssprache geworden. Alle Gebildeten in Skandinavien und Finnland lernen es als erste fremde Sprache: es wird auch von der sinnischen Kaufmannschaft bevorzugt. Mehr als die halste der Doktordissertationen an den finnischen Hochschulen wird in deutscher Sprache geschrieben. Prof. Krohn sprach den Wunsch ans, datz die Universität Helsingsors von deutschen Studenten und Wissenschaftlern ausgesucht werden möge. 387000 Arbeitslose in Sachsen Weilere V-richlechl-run, »es UichlUche» ArOeiismarliles Keine Aussicht aus Besserung Größere Betriebst!»schränkungen und Entlassungen haben auf dem sächsische» Arbeitsmarkt eine wesentliche Ver schlechterung hervorgerusen: vor allem gaben die Holz industrie, das Bekleidungsgeiverbe, das Nahrungs- und Gcnutz- mittelgewerbe zahlreiche Kräfte frei, und di« Zahl der arbeit suchenden kaufmännischen Angestellten erfuhr eine außerordent liche Zunahme. Die stellenweise lebhaftere» Einstellungen in der Landnwirtschast und dem Spinnslosfgewerbe waren nicht mehr in der Lage, dem Zustrom an Arbeitsuchenden Einhalt zu gebieten, und so verleiht denn die um rund 9500 in der ersten Iulihälfte anwachsende Arbeitsuchendenkurve dem Arbeitsmarkt allmählich wieder ein herbstliches Bild. Es wurden Mitte Juli rund 387 000 Arbeitsuchende gezählt gegenüber rund 160 000 zur gleichen Zeit des Vorjahres. Darunter befinden sich in diesem Jahre rund 32 600 Baufach- und 20 000 Baufach-Hilssarbeiter, d. s. rund 13,5 v. H. aller Arbeitsuchende», ein für die gegen wärtige Jahreszeit ganz außergewöhnlicher Prozentsatz. Es ist zu hoffen, daß die aus Grund der von der Negie rung ausgeschütteten Wohnungsbaumittel ermöglichten Neubauten schnellstens in Angriff genommen werden. Bis her ruht die Neubautätigkeit in den meisten Städten vollkom. men, und nur kleinere Reparaturarbeiten und Umbauten brach ten für eine geringe Anzahl von Bauarbeitern kurzfristige Be- schäftigungsmöglichkeitcn. Die Zahl der Hauptunterstützungsempfänger in der Ar beitslosenversicherung. di« vom 30. Juni bis 15. Juli 1930 eine Abnahme von 198 841 auf 196 453, also um 1,2 v. H., erfuhr, kann zur Beurteilung der Arbeitsmarktlage nicht mehr in dem Maße wie früher herangezogen werden, da die Aussteuerungen aus der Arbeitslosenversicherung die hauptsächlichste Ursache des Absinkens waren. Die Zahl der Hauptunter-stützungseinpfänger in der Kriscnunlcrstützung steigt ständig weiter, und zwar von 69 925 am 30. Juni auf 73 723 am 15. Juli, also um 5,4 v. H. Setzt man die Zahl der Hauptunterstützungsempfänger in der Arbeitslosenvcrsiäierung zur Einwohnerzahl in Beziehung, so zeigt sich, daß am 30. Juni die Arbeitslosigkeit in den sächsischen Gemeinden unter 10000 Einwohnern und in den Orten von 10 000 bis 50 000 Einwohnern größer war als in den Nüttel- und Großstädten, nämlich 40,4 v. T. und 41,8 v. T. gegenüber 35,7 v. T. in den Orten von 50 000 bis zu 100 000 und 37.8 v. T. in den Orten von 100 000 und mehr Ein wohnern. Bei den Zahlen der Krisenunterstiitzungscmpfünger sieht jedoch das Bild etwas anders aus. Dort sind die Orte mit 10 000 bis zu 50 000 Einwohnern mit einem Tausendsaß von 10,3. und die Großstädte mit über 100 000 Einwohnern mit einem Tauscndsatz von 15 stärker betroffen als die Orte mit weniger als 10 000 Einwohnern (12,3 v. T ). Sachsens Finanzen im Jahre 1929 Das sächsische Finanzministerium legt jetzt de» Ausweis über die Einnahmen und Ausgaben des Staates im Rechnungs jahr 1929 vor. Danach betrugen die Steuereinnahmen 252,72 (veranschlagt waren 244.48) Mill. RM. Die staatlichen Unter nehmungen und Beiriebe brachten 21.78 (18,33). die Justiz 28,7t (24.34), die Volksbildung !K4,15 (34.05). Wissenschaft, Kunst und Kultus 6,50 (6.92) und die übrige Landesverwaltung 65.79 (64.62) Mill. RM. Insgesamt betragen die Einnahmen mithin 409.65, während nur 392,74 Mill. NM. veranschlagt worden waren. Dieser Mehreinnahme steht eine Minderaus gabe gegenüber, denn die Gesamtausgaben betragen nur 415.41 Mill. NM. (432.17) Mill. RN!. Tie Justiz, di« 4.3 Mill. RM. Mehreinnahmen brachte, hat fast 3 Mill. RM. mehr Aus. gaben, nämlich 52,76 (49,91) Mill. RN!., ebenso haben Mehraus gaben die sonstige soziale Fürsorge mit 16.74 <15.23) und de« Schuldendienst mit 16,78 (16,15) Mill RN!. Dagegen betrugen die Ausgaben für Volksbildung nur 117.07 <119.11). für Wissen schaft, Kunst und Kultus nur 31.78 <33.82), die Ruhegehälter die — allerdings immer noch enorme — Summe von 58,0k (59,52) Mill. RM. und sonstige Ausgaben erforderten nur 122.2k (138,43) Mill. NM. Es ergibt sich mithin kassenmäßig ein Fehlbetrag von 5,77 Niill. NM., der sich rechnungsmäßig durch Hinzunahme der Ausgabevorbehalte am Schluß und Abzug der Ausoabe- Vorbehalte am Anfang des Rechnungsjahres 1929 noch etwas erhöht, nämlich auf 6.04 N! i 11. N M., während bekanntlich der Haushollplan ursprünglich einen Fehlbetrag von 39 13 Mill. RM. vorsah. Das Ergebnis ist zwar natürlich nicht befried!» gend, aber dock) wesentlich besser, als man voraus-gesehen hatte. — Im außerordentlichen Haushalt erforderten Wasser, bauten 10.22: (vorveranichlogt: 14.04). Verkehrswesen 8.67 (11,03), wertschaffende Arbeitslosensürsorge 8.46 <10.211. Woh- nungswesen 2.10 <3.49). sonstige Aufgaben der Hoheitsverwal« tung 0.06 <0.42) und Belriebskapilale und Neuanlage» für Unternehmungen und Betriebe »sw. 22.01 <23.01) Mill. RM. Es ergibt sich somit ein kasscnmäßiger Auüvand von 51.62 Mill, NN!, bei einem veranschlagten Aufwand von 02 23 Niill NM., dach beträgt der rechnungsmätzige Answand nur 49,60 Niill. RM. Solidarismus — Nell-Brerming und Professor Spann In Ggenwart des Altbundkanzlers Seipel und des deut schen Gesandten Graf Lerchenfeld veranstaltete die Soziale Sek tion der L e o gesellschast (Wien) kürzlich einen Vortragsabend, der zu einem bemerkenswerten Gedankenaustausch zwischen dem Redner des Abends. ?. O s w a l d v. N e l l - B r c u n i n g 8. 3. aus Frankfurt a. M., und dem bekannten Wiener Volkswirt schaftslehre!: Prof. Othmar Spann führte. Zu dem Gegen stände „Sozialphilosophie — Sozialrcsorm — Sozialpolitik" machte ?. v. Nell-Vreuninq Ausführungen, die inhaltlich weit gehend mit ieinem soeben im Iuliheft der „Sozialen Revue" er scheinenden Aufsatz zum gleichen Gegenstände übereinstimmen. Die heute vielbercgte Frage nach der „Gestaltungskraft katholischer Sozialprinzipien" beantwortet er da hin, datz die allein in der katholischen Schultradilon lebendig und rein erhaltenen Nernuiistprinzipien über Gesellschaft und Wirtschaft, die wir als christliche oder katholische Sozialprinzipien zu bezeichnen gewohnt sind, ebensowenig ein bestimmtes, jederzeit und allerorts gültiges Geseltschaftsbild ergeben als — nach der Lehre Leos XIII. — eine bestimmte Staatsform aus diesen Grund sätzen abgeleitet werden kann. Nichtsdestoweniger gestatten diese Sozialprinzipien nicht bloß allgemeinste Auslagen über die unumgänglich notwendigen Wescnsstiicke der Gesellschaft, insbesondere rechtliches Einheitsband und gesellschaftliche Autori tät. sondern auch eine gewisse Beschreibung des der Gesellschaft naturgemäßen und zukommlichen Zustandes. Dieser natur- ge mäße und zukömmli che Zustand der Gesell schaft besteht in der organischen Gliederung des Eesellschaftskörpers. Da diese Gliederung nach gleich artigen Funktionen im Geselllchastsganzen und für es vor sich gehen mutz, da ferner die Gesellschaft grundlegend Wirtschafts gesellschaft sein mutz, indem alle höhere Kultur sich unter Men schen nur aus materieller Grundlage aufbauen läßt, da endlich die Mehrzahl der Menschen wirtschaftlicher Berufstätigkeit ob liegen mutz und darin ihren Dienst am Gcscllschaftsganzen leistet, so ergibt sich die naturgemäße Gliederung des Eesellschaftskörpers nach B e r u f s g r u p p e n, die zahlenmäßig überwiegend wirt schaftliche Bcrufsgruppen (Wirtschastsgruppen oder Gewerbe zweige, wie Landwirtschaft. Bergbau, Erotzgewerbe, Verkehr usw. mit Untergliedern»»«») sein werden, denen sich zahlenmäßig weniger umfangreiche, aber gesellschaftlich nicht weniger wichtige autzerwirtschaftliche Bernfsgruppcn anreihen, um im geordneten Zusammenspiel der Kräfte den Eesellschastszweck, d. i. das Ge meinwohl, zu verwirklichen. Diese organische Ecsellschafts« gliederung, in der sich nochmals die Fruchtbarkeit der Auffassung der Gesellschaft als moralischer Organismus bewährt, ist die real-konkrete Verwirklichung des christlichen Solidarprinzips. Gegenüber den bekannten „Wiener Richtungen" wies Redner harauf hin. wie sie alle trotz ihrer „grundsätzlichen Kapitalis- muskritik" bzw. ihrer betonten Gegnersck>ast gegen die kapita listische Wirtschaftsweise in Wahrheit viel kapitalistischer eingestellt seien als die von ihnen angefeindete solidarische Lehre. Die For derungen der beiden extremen Wiener Richtungen (Lugmayers „Neue Ordnung" uud Orels „Neues Volk"), nämlich Recht aus den vollen Arbeitsertrag und Beseitigung jeglichen Rentenein kommens, bleiben ebenso im kapitalistischen Raume stecken und im kapitalistischen Schema besangen, wie die Lehre des grmztcn Kapitalismnskritikers Karl Marx, bei dem sie ihr geistiges Rüst zeug entliehen haben. Nur die solidaristische Sozial - Philosophie erhebt sich wirklich über den Kapitalismns hin aus, indem ihr das kapitalistische Schema Produktionsinittcl- bcsitzer/Nurlohnarbciter nicht als absolut, sondern nur als historisch bedingt (kontingent) gilt und sic in der organisch-korporativen Gesell) chasts- und Wirtschaftsverfassung den Weg weist zu einer wirk lichen Ordnung der Wirtschast^zesellschaft, also zu einer össenl- lich-rcchtllchen Ordnung, während die „Richtungen" mit ihrem Vroaramm einer Reform des Eiaentumsbegrisfs durchaus im Universalismus Individualismus stecken bleiben und den anarchisthen Zustand der Wirtschaftsgeselljchajt grundsätzlich unangetastet lassen. Da alle Wiener „Richtungen" gegen die solidariftische Lehre, namentlich M.-Gladbach und die Pesch-Schule, sich aus Prof. Spaiiu, den Vater des mit dem Solidarismus im Wettstreite liegenden Universalismus, zu berufen lieben, begegnete es größ ter Aufmerksamkeit, als dieser in der Aussprache das Wort ergriff zu Ausführungen, die sich fast zu einem Kor referat ausweiteten. Prof. Spann glaubt allerdings auch heuie noch die Praxis der von M.-Eladbach inspirierren deutschen Sozialpolitik und den „Lehrbegrisk" bei H. Pesch 8. 3. von atomistisch-individualistischer Gesellschaftsaufsassung nicht frei sprechen zu können. Er meint, H. Pesch habe zivar zur organi schen Gesellschaftsauffassung vorstotzen wollen, doch habe er diese Aufgabe Legriftlich noch nicht gemeistert: wenn heute Peschs Fortsetzer (G. Gundlach, O. v. Nell-Brcuning) die organische Gesellschaftslehre und die organisch-korporative Gliederung der Gesellschaft vortrügen, so schritten sie insoweit über ihren Meister hinaus. M>t den diesbezüglichen Ausführungen des Redners erklärte er sich voll nnd ganz einverstanden. Ganz besonders erstreckte er diese Zustimmüngserklärung auf die Kennzeichnunz der Richtungen Lugmaycr und Orel (von ihm ausdrücklich mit Namen genannt), deren Preis- und Wertlehrc keine andere ist als diejenige Ricardos und der klassisch-individualistischen Schule die sie auf dem Umweg über Karl Marx übernommen Huben Im Gegensatz zu diesen Richtungen erläuterte Prof. Spann seine „aanzheitliche" Preis- und Wertlehre, die überhaupt erst den Weg zur Preüsgcrcchtigkeit wieder srcilegt. Lugmayer und Orel haben die gleiche Preismcchanik (Marktmechani-mus) wie Ri cardo und'Marx: ihre Arbeitsivcrtlehre (die Arbeit einzige Quelle des Werts!) ist ein Erzeugnis individualistin!' mechanisti schen Denkens, zu dessen Widerlegung es genügt, einen einzigen Arbeitsvorgang einmal in seiner Gliedhasligkeit iin gesellschaft lichen Vorgang der Wirtschaft durcbzudciiken. Das bekannte Beispiel vom Eiscndreher an der Drehbank, von Spann r packender Plastik durchzesührt, verfehlte nicht seinen ncsen Ein druck auf die Zuhörer. Die „Richtungen" Lnamaycr und Orel werden es wohl schwer haben, in Zukunft Othmar Spanns wissen schaftliches Aipehcn noch für sich ins Feld zu führen! In einem Schlußwort versuchte P. v. Nell-Breu ning, Aehnlichkeit und Verschiedenheit auszuzeigcn zwingen Spanns Universalismus einerseits, dem christlichen Solidaris mus anderseits. Unter Vorbehalt anderweitiger grundsätzlicher Unterschiede verglich er Spanns „ganzheitliche" Betrachtungs weise mit der von den Solidarisier! mit Vorliebe angewandten Ziel- oder Zwcckbetrachtung. Versuche ich mit Spann, das „Ganze" eines gesellschaftlichen Vorgangs oder Zustandes zu er fassen. so enthüllt es mir sein Wesen am deutlichsten, wenn ich begreife, was es will oder soll, wozu cs da ist. also in seinem Ziel oder Zweck. Will ich umgekehrt mit den Solidnristen Ziel oder Zweck eines gesellschaftlichen Gebildes, Zustandes oder Vorganges klarsten«», so werde ich stets mein ganzes Bemühen darauf richten müssen, es in seinem Sein, also in seinem Weser., und zwar als Gebilde, als Ganzes, mir verständlich zu machen. So erscheinen Ganzheitsbetrachtung des Universalismus und Ziel betrachtung des Solidarismus aufs engste miteinander verkniinft, kaum voneinander zu unterscheiden, höchstens durch eine kleine Schwerpunktsverschiebung, sozusagen eine Akzentverlagerung voneinander verschieden. Beide führen, richtig gehandhabt, zu gleich richtigen Ergebnissen: darum bleibt aber Raum sür einen sinnvollen Wettstreit der beiden Verfahren um die Palme des rein begrifflichen Vortrags. Achnlich bedient sich ja die philo sophische Ethik der „Sittennorm" in einer doppelten Prägung und gelangt mit jeder der beiden zu den gleichen Feststellungen: nicht-destowcniger lxit die Frage nach der begrifflich vollkommen sten Fassung der Sittcnnorm die besten und schärfsten Denker zu ange<paniitestcn Anstrengungen gereizt mit dem Ergebnis, datz jede Fassung der Sitteiinorin eigenlüiiiliche Vorzüge a»:weist, aber auch an eigentünilichcn Schwierigkeiten leidet. So dürsten auch Ganzheitsbetrachtung des Universalismus und Zielbetrach- tunq des Solidarismus jede ibrer Vorzüge und Nachteile aus- weisen. in gegenseitiger Ergänzung zur Höchstleistung be». rufen sein. ^