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Sächsische Volkszeitung : 20.07.1930
- Erscheinungsdatum
- 1930-07-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-193007201
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19300720
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19300720
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1930
-
Monat
1930-07
- Tag 1930-07-20
-
Monat
1930-07
-
Jahr
1930
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 20.07.1930
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Warum Artikel 48? Die Reden der Reichsminisler Dr. Wirlh und Dielrich in der letzten ReiHslagssitzuns In der letzten Sitzung des nunmehr aufgelösten Reichs tages, über die wir bereits berichtet haben, haben die Reichs minister Dr, Wirth und Dietrich eingehend die Gründe dar gelegt. die zur Anwendung des Artikels 48 geführt haben, Dr, Wirth behandelte dabei die verfassungsrechtliche, Dietrich die finanzpolitische Seite. Besonders eindrucksvoll war die Rede des Ministers Dietrich, der mit brutaler Offenheit die Schwäche dieses Parlaments, seinen Mangel an Mut und Ver antwortungswillen und seine Unfähigkeit, grotze Entscheidun gen in ernster Stunde zu treffen, kennzeichnete. Wir geben diese beiden Reden ihrer grundlegenden Bedeutung für die kommenden Auseinandersetzungen wegen nochmals ausführ lich wieder. Wirlhs Appell Reichsinnenminister Dr. Wirth, fortgesetzt von Zurufen der Linken unterbrochen, führte aus: Die Tatsache, daß wir finanzpolitisch in einer deutschen Krise ind darüber hinaus Deutschland, verflochten mit der Weltwirt- chast, in die große ökonomische Krise der Welt hineingerissen st, gibt uns die Verpflichtungen-,'« dis'in Deutschland bisher nicht ür möglich gehalten worden find. Bisher war kein Finanz minister da, der Ihnen in dieser brutalen Offenheit sagen mutzte datz die bewilligten Ausgaben des Reichshaushalts gar nicht durchzufiihren find. (Zurufe links.) Wenn soeben gesagt worden ist, dah ja die Frage der Gemeindefinanzierung nicht derartig sei, dag in bezug auf die Gemeinden sich auch eine Notverord nung rechtfertigte, so wissen wir, das, eine grob« Anzahl von Gemeinden in kürzester Frist nicht mehr in der Lage find, ihre Wohlsahrts« vusgaben zu leisten. (Hört! Hört?) Sie müssen zuerst mit uns prüfen, ob für das Reich, für die Länder und Gemeinden ein finanzieller Notstand vorhanden ist. Und er ist vorhanden, ihn können Sie mit keinem Zwischen ruf aus der Welt schaffen. (Lärm links.) Wir stellen also fest, daß wir ausgehen von der drohenden Gefahr in Reich und Ländern, die Aufgaben des Reichshaushalts nicht durchführen zu können. Deshalb unser Bestreben, alles zu versuchen, auch im Hinblick auf die außenpolitische Lage — und die Fortführung einer Außenpolitik gebietet uns, zu handeln und zwar auch in dem Augenblick zu handeln, wo es offenkundig ist. daß eine Mehrheitsbildung in diesem Hause nicht möglich war. (Wider spruch links und rechts.) Ja, Herr Dr. Breitscheid, ich wünschte mit Ihnen, das Zustandekommen einer solchen Mehrheits- Lildung ich wünschte auch eine Mehrheitsbildung unter großen Parteien dieses Hauses. Ich habe aber jetzt lediglich in diesem Zusammenhangs mit Bedauern zu kon statieren, daß eine solche Mehreitsbildung nicht möglich ist. Wen die Schuld daran trifft, das steht nicht zur Debatte. sLärm.) Zur Debatte steht lediglich die Frage, daß eine Mehrheitsbildung mit Ihnen (zu den Soz.) oder eine Mehrheitsbildung von rechts bis zur Mitte der Demokratie nicht in die Erscheinung getreten ist. Ob sie versucht worden ist. ist eine ganz andere Frage. (Heiterkeit und lebhafte Zwischenrufe, Glocke des Präsidenten.) Ich gehe in der Beurteilung der Lage von der für die Demokratie wichtigsten Tatsache aus^ daß im Deutschen Reichstag in einer Stunde großer nationaler und finanzieller Sorgen eine Mehrheitsbildung unmöglich geworden ist. Es ist eine interessante Tatsache, die Lage des deutschen Parlaments zu vergleichen mit der des englischen Parlaments unter der Labour-Regierung. Die englische Minderheitsregie rung ist wiederholt ohne Aussicht gewesen, eine Politik aus lange Sicht zu machen. Auf der Interparlamentarischen Union in London sollten David und ich über das Thema sprechen: „Die Krise des Parlamentarismus." Di« Rede, die in London zu halten gewesen wäre, kann man auch in diesem Parlament Palten. Es rvar offenkundig, daß in diesem Hause während der Krisen eine Minderheitsregierung die Geschäft« führen konnte. Es ist offenkundig, daß, wenn die Regierung Brüning zum Sturze kommt, die Frage der Regierungsbildung wieder auf die selbe Linie einer Minderheitsrcgierung hinausgeht. Sie wissen, daß die Krise im Parlament sich auch ausdehnt auf die einzelnen Parteien, wie schwierig sie immer zu ringe» haben, um selbst in der Fraktion auf ein« gemeinsame Linie zu kommen. Sie ver- k«MM"nlM dt« fchwiKM L<Mder Parteien im Vaterland. Sie I eingeschlossen. (Zu den Soz. — Heiterkeit.) Es ist sinnlos für di« Entwicklung des politischen Lebens eine Regier»»« zu stürzen ohnes zu wissen, was naOommt. 's' (Ruf bei d«n Soz.: Auslösung!) Rufen Sie mir nicht Aus» . , lösung zu. (fortgesetzter,Lärm und Zwischenrufe links.) Lösen g -Sie die Regierung auf, lösen Sie das Parlament aus, so ist -E- es ausgemacht, daß imch.der Wahl die Mehrheitsbildung noch Mt Kiel schwieriger sem.wird. i. (Lebhafte Zwischenrufe b. d. Soz.)! !-" §Wer die Verfassung, kfthren Sinn j und Geist beachtet, der kst sich der Verantwortung-der Stunde bewußt. Stürzen Sie diese Regierung, bzw. treiben Sie es zur Auflösung, dann laufen Sie das Risiko, von der Krise des Parlaments in die Krise oes Systems der Demokratie zu geraten. (Fortdauernder Lärm bei den Soz. und Zwischenrufe. Auf einen unverständlich bleibenden Zwischenruf erwidert Redner.) Soviel Kollegialität sollten Sie aufbringen, mich vor solchen Zwischenrufen zu bewahren. Ich fühle mit dem Al>georonetcn Landsbcrg die Schwierigkeit dieses Präzedenzfalles, aber ist es nicht so, daß die Zahl der Verord nungen, die vor mir liegen, di« Zahl fünfzig überschritten haben? Als ob man in der Vergangenheit nicht auch auf finanz politischem Gebiet solche Dinge gemacht hat! Die waren auch nicht leicht zu nehmen. Wir nehmen es heute wahrhaftig nicht gleicht. Ich habe vor mir aus den Akten des Ncichsslnanzmini- stcriuino Verordnungen, die aus Gruud des Artikels 48 er lassen sind, es sind an Zahl allein im Bereich des Finanz ministeriums zwölf Verordnungen. (Zwischenruf bei den Soz.: 'Keine Verordnung dieser Art!) Ich stelle fest, daß die große Mehrheit dieser Verordnungen dann erlassen worden ist. wenn der Reichstag nicht versammelt wahr. (Ruf bei den Soz.: Na also!) Ist cs möglich, vom Stand punkt der Verfassung aus. in dieser Situation, wo eine Mehr heitsbildung nicht in Aussicht steht, auf Artikel 48 der Neichs- verfassung zurückzugreifen? Wir in der Negierung sind dieser Meinung und tragen insgesamt die Verantwortung für diese politische Tatsache. Ich selbst übernehme die Verantwortung ieibstvLrständljch auch. Unie.re polttifche.Armut Leigt fick darin. daß Sie (zu den Soz.) die Mehrheitsbildung nicht ermöglicheiL (Lebh. Widerspruch bei den Soz.. Zuruf des Abg. Pieck (Kom»i.)( Sie können sich als Armcnpsleger anstellen lassen!) Auch Kotz lege Landsbcrg wird zugeben müssen, daß Art. 48 eine versa« kungsmäßige Bestimmung ist. mit anderen Worten, daß das. wai daraus fließt, in einer Zeit des Notstandes aus der Verfassuitz selbst hervorgeht. Man kann niemals sagen, daß hier bei de Anwendung des Art. 48 eine Unzulässigkeit oder auch eine Un Möglichkeit vorliege. Ich sage mit Ihnen (zu den Soz.): We» Len Art. 48 anwendct. muß sich pslichtmäßig und in seinem Ge wissen prüfen, ob ein Notstand vorlicgt. Wir behaupten da« (Zuruf bei den Soz.: Die Mehrheit ist anderer Meinung!) Uni zwar handelt es sich um einen finanziellen Notstand. Ich nehmt es auf mein Gewissen (Zuruf bei den Soz.: Das ist sehr weitl) daß auch die Demokratie in einer solchen Stunde einer Minder heitsrcgicrung solche Möglichkeit geben kann und muß. Sie (z« den Soz.) haben durch Ihre Abstimmung zu zeigen, ob Sie uni die Chance nicht geben wollen, mit Hilfe des Art. 48 eine Brückt zu schlagen von der augenblicklichen Situation, in der eine Mehr hcitebildung nicht möglich ist, zu einem besseren Zustand, oder oll wir zu der befürchteten Krisis der Demokratie selbst komme» füllen. (Erneute Zurufe: der Feind steht rechts!) ' Wenn wir die politische Verantwortung für die Anwe„ ^ düng des Art. 48 trage», so tun wir das um der deutsche, Demokratie willen. Ich bin mir klar darüber, was das Vok davon denkt. (Große Unruhe im ganzen Hause.) Das Vol ist müde des Handels in diesem hohen Hanse. (Zustimmung il der Mitte. Unruhe bei den Soz. und Ruse: Ihres Handels! Das Volk will eine Entscheidung. Die Mindcrheitsregieruitz hat, gestützt aus Art. 48, gleichsam im Vorgriff eine Sanierung der Finanzen angestrebt. Von Ihnen haben wir zu erwarten versucht, um eine parlamentarische Lösung der Deckungsvorlag« daß, wenn Sie uns diesen rechtmäßigen Vorgriff nicht gestatte^ Sie uns die Möglichkeit geben, diesen Vorgriff so zu gestalte» daß er ein Brückenschlag wird von der gegenwärtigen unmögliche» Situation zu einer gesunden Entwicklung der deutschen Dem« kratie. (Lebh. Beifall in der Mitte. Zij.che.ir be. d^Soz.) Karle Works Dietrichs Reschssinanzminister Dietrich wird von den Kommuntsteir mit lärmenden Rufen einmaligen. Abg. Nemmele (Komm.) er hält für einen solchen Ruf einen Ordnungsruf und die An drohung der Ausweisung. Auch Abg. Illbrich (Komm.) zieht sich «inen Ordnungsruf zu. Der Münster führt daun aus: Unsere Finanzen sind in eine schwierige Lage geraten, weil die Steuern und Zölle Mindereinnahmen erbringen, und zum ande ren, weil die Durchführung der Arbeitsloseuversorgung stei gende Ausgaben erfordert. Schließlich geht ja der Etat des Deutschen Reiches nicht deswegen kopfüber, weil er um hundert oder zweihundert Millionen nicht stimmt. Außerdem ist dieses Defizit immer noch zu einem erheblichen Teil zu decken durch Ersparnisse. Den Versuch zu Ersparnissen wollen wir auch machen. Für die Arbeitslosenversicherung war im Etat zunächst ein Zuschuß von 150 Millionen vorgesehen. Er ist daun erhöht worden um 34 Millionen und außerdem um ein Darlehen, das wir ja auch nicht in der Kasse haben, von vierzig Millionen. Hinzukommen noch 150 Millionen mehr für die Krisenfürsorge und außerdem elf Millionen für die Kosten der Krijeiiiürfolge. In diesen Ausgabensteigerungen ist der entscheidende Punkt zu suchen. (Zuruf bei d"n Komm.: Sie haben doch aber Geld für die Osthilse!) Wenn Sie sich nun die Frage vorlegen, was wir durch die Deckuugsvoriagen aufbriugcu wollten, so werden Sie finden, daß wir ungcsähr das ausbnngcn was wir an der Ar beitslosenversicherung zusetzen. (Lärm bei den Komm. Der Redner fährt mit erhobener Stimme fort:) Mir kämpfe» nicht um die Erhaltung des Etats, sondern um die Erhaltung der Arbeitslosen! (Zuruf bei den Komm.: Lttas l>üet denn aber Herr Eroener?) Seit Tagen werden wir bestürmt init der Erklärung, daß eine ganze' Anzahl größerer Städte, die be- jouoers darunter leiben, vatz sie viele Arbeitslose haben, die bereits ausgesteuert sind und dcsrvegcn in die Wohlfahrts pflege übergehen, nicht mehr imstande seien, ihren Verpflichtun gen'nachzukommen. wenn wir ihnen nicht einen Ausweg zeigen und eine finanzielle Möglichkeit geben. Sie alle wissen, wie unbeliebt die Kopfsteuer ist, die wir Vürgersteuer genannb haben. (Rufe links: Eine Ncgersteuer ist es!) Sie wissen auch, daß ich darauf gedrängt habe, daß diese Steuer sich in mäßigen Grenzen halte. In der Verordnung, dis wir hcrausgegeben haben, ist diesem Wunsch Rechnung getragen.' Darüber hinaus hat die Regierung den Vorschlag gemacht, daß die Gemeinden berechtigt sein sollen, eine Getränke steuer zu erheben, weil die Gemeinden, wenn sie dies« Mög lichkeit haben, sich eine hohe Kopfsteuer ersparen können. Nu«! werden Sie sagen: Weshalb haben Sie das im letzten Augen« blick in die Verordnung hineingebracht? Aus dem einfache« Grunde, weil sich unsere Plane hier nicht so abaewickelt haben,! wir wir es erwarteten. Wir hatten erwartet, daß cs darüber zy einer Verständigung kommen würde. Wenn cs zu dieser Ver ständigung gekommen wäre, dann würden die Gefahren nicht so bedrohlich geworden sein, wie cs setzt der Fall ist. Natürlich soll die Gemeindegetränkcsteuer nicht eine Daucrregelung sein,' die tonn nur so verstanden werden, daß sie in das Finanz-' Programm iin ganzen eingebaut und in Zusammenhang gebracht wird mit der Höhe der Realstenern. Ter Abg. Landsbcrg sprach davon, daß Ruhe und Ordnung nicht gestört oder gefährdet sei. Aber wenn wir die Dinge so weiter lausen lasse» wollten, so würden wir in zwei drei Monaten wieder die Kassenschwicrig» keitcn haben: mir müssen bei Zeiten voriorgen, da samt in zwei» drei Monaten Rübe und Ordnunas auis iMwcrite gestört wer- IS. Juli 1SL« — IS. Iu» 187« Ein Rückblick. Am 19. Juli sind zwei Menschenalter verflossen, seit das preußisch-deutsche Heer zum Kampfe gegen Frankreich antrat. 60 Jahre — eine kleine Spanne im großen Weltengeschehen, und doch, wieviel trennt das deutsche Volk schon von jener Zeit! Die Erinnerung daran scheint uns oft weiter zurückzuliegen als die Ereignisse der friderizianischen oder der Befreiungskriege, so wenig wird im allgemeinen heute noch von ihnen gesprochen. Fast wie ein Traum mutet es uns an. dah damals das Deutsche Reich noch nicht vorhanden war, sondern erst ein Jahr später in Blut und Eisen entstehen sollte, dah das deutsche Heer damals in einem eben erst nach auhen geeinten Bateriande seinen ersten erfolgreichen Waffengang wagte. Alle führenden Männer jener Tage deckt schon der Kühle Rasen, und auch diejenigen, die als junge Männer Zeugen und Teilnehmer des großen Geschehens waren, zählen nur noch nach Tausenden. Fast keiner von denen, die damals auf preußisch deutscher oder auf französischer Seite in das !>kad des Weltgeschehens cingreifen durften, haben den Wendepunkt des Glückes im Diktat von Versailles 1919 erlebt. Nur einer Frau war es beschieden, die einst eine führende Rolle in jenen Tagen gespielt hatte, der Exkaiserin Eugenie van Frankreich: 1920 kniete sie als Greisin in der gleichen Kirche zu Paris, in der sie 1870 den Sieg der französischen Waffen er fleht hatte. Sie sah diesen Erfolg fünfzig Jahre später. Und auch ein Mann auf der Gegenseite, der zwar 1870 noch nicht zu den Grützen der Weltgeschichte gehörte, eine solche aber 1919 sein sollte, Clömenceau, erlebte diesen Umschwung des Glückes. Heute sind auch diese beiden aus der Welt geschieden. Damals stand der heute 82jährige Hindenburg als jun ger Oberleutnant im Felde, während'sein späterer-Gegner aus dem Weltkriege Fach noch die Schulbank drückte: denn er trat erst 1873 in die französische Armee ein. Ueber den beiden Kriegen aber, die jene beiden Männer schauten, prangte auf deutscher Seite der Name: Moltke. Bor sechzig Jahren erstrahlte er im höchsten Glanze, als Hellmuth v. Moltke, der grohe Schweiger, in meisterhafter Strategie die deutschen Waffen zum Siege lenkte, in Versailles die deutsche Kaiserkrone schmieden half, die nicht einmal 50 Jahre über dein deutschen Volke strahlen sollte und die ein ziveites Versailles der blonden Germania vom Haupte riß. Im düstern Nebel verblaßt, dagegen der Name seines Ref fen, jenes Mannes, dem ein unseliges Geschick die Last einer Aufgabe auserlegie, der er nicht gewachsen war, an der er ln jener verhängnisvollen Stunde an der Marne zerbrach und mit ihm die Zukunft des ganzen deutschen Volkes. Der gleiche Name verbürgte nicht das gleiche Genie, wie der Kaiser und alle, die jenem Manne die verantwortuiigsreichste Würde im deutschen Heere anvertrauten, zu ihrem Schrecken erkennen mußten. Gleich blieb sich auch in beiden Kriegen das wundervolle Instrument, deutsches Heer genannt. Wie 1870 gehorchte es dem leisesten Drucke der führende» Hand. Was konnte es dafür, daß diese Führung 1870 und 1914 in den großen Ideen und im Enderfolge grundverschieden war! Mit derselben Begeisterung, mit der die Väter dem Rufe des greisen Preußcukänigs gefalgt waren, griffen auch die Söhne zu den Waffen. Die gleiche hel denmütige Tapferkeit, die bei Spicheru und St. Privat gegen von Nalur und Kunst befestigte Steilungen anstürmte, schlug auch die Schlachten von Langemark und Vi'"'>i, van Verdun und an der Somme. Dieselbe todesmutige Kühnheit und der gleiche Wagemut von Führung und Truppe, die 1870 ein Sedan heraufführle, bewirkten 1914 den siegreichen Vorstoß in das Herz des Feindes und den weitgeschichliicheu Erfolg von Tannenberg. Und der gleiche kraftvolle Wille zum Siege, der 1870 das Ka nonenboot Meteor im Kampfe gegen die Uebermacht leitete, trug die Marine des Reiches im Weltkriege zum siegreichen Er folge von Coronet und Skagerrak. Neben dem Versagen der Führung 1914 aber lag der Miß erfolg des Weltkrieges, wie uns allen bekannt ist. in den Feh lern der deutschen Politik vor dem Kciege. — Während Bis marcks geniale Staatskunst dem aufstrebenden Preußen-Deutsch land zu seinem entscheidenden Wasfengange init-dem Erbfeind in den umliegenden Staaten, wenn nicht überall Freunde, so doch wenigstens keine Feinde zu schaffen wußte, brachte es Veth- manns diplomatisches Ungeschick dahin, daß selbst die Staaten, die wir als unsere Freunde bezeichnet«!!, sich gegen uns ver schworen, von den andern gar nicht zu reden. Bismarck glückte es, nicht nur Rußland als treue Rückendeckung verwenden z> können, das seinen Schild schirmend über das än'türmend« Preußen-Deutschland hielt, sondern auch das vor wenigen Iah> rcn niii den Waffen überwundene Oesterreich an einem feind seligen Auftreten zu verhindern. Dagegen vermochte VethmanN nicht einmal Vas verbündete Italien und Rumänien an unsere Seite zu fesseln Es muß allerdings auch zugegeben werden, daß Preußen- Deutschland 1870 vom Glück überaus begünstigt wurde, unv zwar politisch und militärisch. Politisch verhinderte Napoleons Starrsinn, mit dem er sich weigerte, Rom zu räumen, ein be waffnetes Eingreifen Italiens auf französischer Seite. Militärisch brachte ein Zufallserfolg der sonst in der Aufklärung fast über all versagenden Kavallerie der Obersten Heeresleilung die Nach richt vom Rechtsabmnrsch der Armee Mae Mahon und damit die entscheidende Wendung des ganzen Krieges, die in ihren Folgen auch die beabsichtigte Landung der französischen Flotte an den doulschcn Küsleu verhinderle. 1914 18 dagegen waren wir direkt vom Unglück verfolge Ueber die unglückselige Sendung des Obernleuinaitts Henlsch bis zu den Offensiven van Verdun und Amiens führt eine Kette unglücklicher Zufälle. Wir wallen dabei nach gar nicht van der Politik rede», wo es iu jeder Bezietzuug abnlich ging, den ken wir nur au den Kriegseintt'ilt Italiens und Rumäniens» die Gründung des Königreichs Palen und an das mexikanische Abenteuer. Während 1870 71 i» seiner weiteren Entwicklung des Feldzuges das deutsche Heer und die Politik auf die höchste Höhe des Erfolges Hab und Europa plötzlich staunend einen neuen Bewerber um den Platz au der Sanne in seiner Mitte sah, stürzte der politische und militärische Ausgang des Weltkrieges das deutsche Volk van dieser Höhe herab, lratz aller mililärischen Wundertaten, die Heer und Flotte vollbrachten, raubte uns fast alle Früchte des Sieges van 1870. Ich sage absichtlich: fast alle: denn ein Gewinn de» großen Zeit blieb uns erhalten, allen Feinden zum Trotz: das deuische Reich. Gatt sei ewig Lob und Dank, dies« durch den Krieg von 1870 71 vollendete Schöpfung hielt! Wohl schien es in den ersten Jahren nach der Revolution, als soll» die trennende Mainlinie wieder aufleben. Heute aber könne»
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