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Die Aufnahme dev Hrüedensverhandlungen Berlin, v. Nov. Slmtl. (W. T. B.) Die deutsche Delegation zum Abschluß des Waffenstillstandes und zur Auf nahme der Friedensverhandlungen ist heute nachmittag von Berlin nach dem Westen abgereist. Diese Nachricht, die heute mittag kurz nach 2 Uhr hier eingetroffen ist, ist außerordentlich überraschend. Während das ganze Volk seit Tagen in atemloser Spannung auf die Bekanntgabe der Waffenstillstandsbedingungen wartet, kommt die Meldung, das? die deutsche Delega - Im Kern gesund. Staatsminister D r. Heinze hat in seiner gestrigen Red«, die er namens der neuen Negierung gehalten hat, be tont, daß ein Volk, das im Felde vier Jahre gegen eine un geheure Ueberinacht ruhmvoll gekämpft, das in der Heimat alle Entbehrungen willig getragen hat, im Kern gesund sei und nicht untergehcn könne. Ter Staats minister hat mit diesen Worten sozusagen ins Schwarze getroffen. Tatsächlich hat es keinen Zlveck, im gegenwärtigen Augenblick nach den Gründen der Katastrophe zu fragen. Wir müssen uns mit den gegebenen Verhältnissen abfinden, und alles versuchen, uns die Ent wicklungs Möglichkeiten zu sichern. Darum muß die Parole lauten, alle Kräfte zu- sammenzufassen. Einer Katastrophenpolitik, die tatsächlich durch das Treiben unverantwortlicher Elemente droht, kann nur dann erfolgreich entgegengearbeitet werden, wenn unser Volk in. der richtigen Weise aufgeklärt >vird. Dazu muß heute jeder initheisen, der sein Vaterland und sein Volk liebt und cs darf niemand verärgert beiseite stehen. Der Ruf zur Be sonnenheit gilt vor allem den Ele.nenten auf der äußersten Linken, die bewußt Katastrophenpolitik treiben. Ihnen hat der Minister gestern mit vollem Recht gesagt, Laß kein Tu- nmlt imstande ist, die Vorräte zu steigern, mehr Brot zu schaffen, die Zahl der Eisenbahnwagen zu vermehren. Im Gegenteil! Dadurch würden sich die Verhältnisse noch bedeu- tend verschlechtern und wir würden nur unseren Feinden einen Gefallen damit erweisen. Abgesehen davon, sollte auch sonst niemand verärgert beiseite stehen. Wir haben schon in unserem gestrigen Leit artikel angedeutet, daß mancher manches anders gewünscht hätte. Und gewiß gibt es Grenzlinien, die unbedingt ein gehalten werden müssen, ja, die unseres Erachtens sogar ruhig betont werden können. Diese Grenzlinien dürfen nicht überschritten werden. Heute jedoch dürfen wir, wie die Der- hältnisse nun einmal liegen, aber nicht allein das Trennend: hervorheben, sondern wir müssen auch Las Gemeinsame bc-' tonen? Wir können das eine tun. ohne das andere zu unter- lassen. Vor allem aber müssen nur das festhalten: Das Va- terland äst in höchster Not und bedarf die Kraft eines jeden. Diesen Gesichtpunkt mögen auch die nicht außer acht lassen, die bis jetzt geglaubt haben—u. das gewiß aus schwerwiegen, den, nicht mit einer Handbewegung abzutuenden Gründen geglaubt haben — die Entwickelung nicht mitmachen zu können. Auf den Boden der neuen Verhältnisse haben sich auch die Einzelstaaten gestellt und deshalb sollte jeder sich damit abfinden, daß es ein Zurück nicht mehr gibt. Und keiner sollte seine Mitarbeit versagen, damit der gesund« Kern erhalten bleibt. Wenn das so bleiben soll, dann darf auch an dem Auf- bai« des Reiches nicht gerüttelt weiden. Es,hat uns daher in außerordentlichem Maße sympathisch berührt, daß Staats- minister Dr. Heinze betont hat. es müsse an der Selb ständigkeit der Einzelstaaten festgehälten wer- den. Er hat dann weiterhin die Fragen der Volks ernährung ohne Beschönigung dargelegt. Wir dürfen uns auch in dieser Hinsicht keinen Illusionen hingeben. In der Proklamation der deutschen Regierung heißt es zwar: „Mit dem Friedensschluß wird sich bald eine Besserung der Er- nährungs- und aller Lrbensvcrhältnisse cinstellen." Das ist wohl richtig? Aber doch nur mit einer gewissen Einschrän kung. Denn die^Berhriltnissd können und werden sich nicht von hellte auf morgen bessern. Wir dürfen aber hoffen, daß vielleicht'das iM Kern gesunde deutsche Volk die Schwierig- tion zum Abschluß des Waffenstillstandes und zur Aufnahme von F r i e d«„ s v e r h a n d l u n ge n bereit nachdemWrsteuunter Wegs ist. DaS beweist, daß sich in den letzten Stunden schwerwiegende Verhandlnn- gen abgespielt haben, die die Dinge eher zum Reisen brachten, als man gemeinhin angenommen hat und annehmrn konnte. Diese Nachricht läßt aber auch die leise Hoffnung anskonimcn, daß die Sache für uns nicht gar zu ungünstig steht. Das deutsche Volk, vor allem aber das deutsche Heer bat ja gerade in den letzten Wochen «nd Tagen gezeigt, daß es nicht gewillt ist ,sich unterjochen zu lassen, wohl aber einen Rechtsfrieden abzuschlicßen. Die viereinhalb Kriegsjahre geben dazu anch vollste Be rechtigung. ll»I. ketten rascher überwinden wird, als man heute voranssehen kann. Ernste und schlvere Tage sind es, die unser Volk jetzt durchlebt. In Köln haben am Sonntag zwei Kundgebun gen stattgefundcn, in denen der Zentrumsabgeordnete Ma r x, der sozialdemokratische Abg. McerfeId und der nationalliberale Abg. Vöttger sprachen. In diesen Ver sammlungen wurde folgendes schöne Wort gesprochen: „Wir all« sehnen uns selbstverständlich nach Frieden/ wir wollen aber durch diese Zeit als aufrechte Männer schreiten, keine Memmen sein. Wehe uns, wenn einstens die Geschichte über «ns «rteilcn müßte, daß diese Zeit, die größte und zugleich grausigste, ein jämmerliches, kleines Geschlecht gesunden habe!" Das sprach nun kein Alldeutscher, auch kein Vaterlands- Parteiler, sondern der Sozialist Meerfeld. Wenn das deutsche Volk wirklich diese Worte in die Tat umsetzt, dann ist der Beweis erbracht, daß es im Kern »och ge sund ist.dsl. Da- Programmn unserer Reyierunfl. Die ZweiteKa in .n e r trat gestern vormittag l 1 Uhr zu einer für die parlamentarische Geschichte Sachsens und für die künftigen Geschicke des sächsischen Volkes und Vaterlan des hochbedentsainen Sitzung zusammen, deren Tagesord- unng lautete: Entgegennahme einer Erklärung der Regierung Sck)on äußerlich lag auf dem Hanse das Gepräge eines gro ßen Tages. Sofort nach Eröfnung der Sitzung nahm der Vorsitzende Stautsminister des Gesaintininisterinms, Mini- ster der Justiz und des Auswärtigen Dr. Heinze das Mort. Er entwickelte in gehaltvollen Ausführungen, die oft von lebhaftem Beifall unterbrochen wurden, das Programm der neuen Negierung, die in einer ernsten Zeit vor den Landtag trete,, in der Feinde uns allerseits bestürmen, in der der Bestand des Reiches auf dem Spiele stehe, und in der schwere Sorgen für die Ansrcchterhaltnng nnscrcr Wirtschaft uns im Innern bedrängen. In dieser Zeit und für die Zu kunft müsse es oberster Grundsatz sein, alle lebendigen Kräfte in den Dienst des Vaterlandes zu stellen. Diesem Grundsatz entsprechn auch die großen verfassungsrechtlichen Forderun gen im Reiche, denen die sächsische Negierung im Bundesrat dnrck)weg zugestimmt habe. Diesem Grundsatz verdanke anch die gegenwärtige Regierung ihr Dasein. Die politischen Kräfte, die im Volke wirken, und die in der Volksvertretung ihren Ausdruck finden, haben bei der Bildung der-Ncgierung maßgebend mitgewirkt. Neben den fünf Ministern treten vier vollberechtigte Minister ohne Departement, den Mehr- heitsparteien der Zweiten Kammer unmittelbar entnommen, und.auf ihren Vorschlag hin ernannt, hinzu. Hierdurch sei die Gewähr geboten, daß das Gesamtministerinm in engster Fühlung mit der Volksvertretung stehe. Dr. Heinze besprach dann die innere Gestaltung der einzelnen Ministerialdepartrmcnts «nd kündigte ein Ver- kehrsministerium sowie die Trennung des Kultusministe riums vom Unterrichtsministerium an. Das Wahlrecht stir die Zweite Kammer solle ans brerter Grundlage aus- gebaut werden und das Vorrecht' des Besitzes solle hierbei Wegfällen. Das Wahlrecht solle- auf dem Syste m der'- Verhältniswahl beruhen. Die Neuwahlen dürfen nickt vor Friedensschluß »nd nicht vor Heimkehr unserer Kriegtr stattfinden. Er hoffe, daß im Spätsommer oder im Herbst 1919 nach dem neuen Gesetz gewählt werde, so daß heute übers Jahr der neue Landtag bereits in der Ardeik begriffen sei. Auch der E r st: n Ka m .u e r könnten Mini ster entnommen inerden. Der lebhafte Wunsch der Ersten Kammer, fruchtbringend an der Entwickelung Sachsens milch zuarbeiten, stehe fest. Die Erste Kammer müsse sich auch orga nisch in den Verfassungsneubau eiirfügen und eine grund sätzliche Neuformung werde unvermeidlich sein. Die Schwierigkeiten der vorhandenen Probleme sei groß. Er ivarne davor, dunst Unbedacht oder durch Gewalt Un ordnung zu schassen. Besonders schwierig sei die K n a P p - heit der Vorräte und der T r a n s p o r t m i t t ' l. Auch die Ausspeicherung der Zahlungsmittel bringe Schwie rigkeiten. Die nächste Zukunft werde bedeutungsvolle Auf- gaben bringen, z. V. die Schaffung lohnender Arbeit für die heiinkchrenden Krieger, die Versorgung mit Rohstoffen, die Gründung eines Arbeitsamtes und die Hebung unserer Vvlksernährnng, Kriegswncherer und gewerbsmäßig Schleichhändler hätten keine Duldung und Schonung zu er warten. Die Landwirtschaft habe ihre schwierige Aufgabe vortrefflich gelöst tvas dankbar anerkannt werden müsse. Auch die W o h n u n g s kn a p pH e i t müsse baldigst behoben werden. Der Minister kündigte weiter eine durch greifende Reform des Bolksschnlwrsens und eine freiheitliche Abänderung des Grmeindewahrrrchts an. Das Verlangen nach der Erfassung der Krirgsgewinne sei ebenfalls berechtigt. Für eine gedeihliche Entwicklung unseres Staatsnaesens er eintüchtiges Beamtentum unerläßlich, dem eine ge sicherte Existenz gewährleistet werden müsse. Das Beamtenrecht und das Zivilstaatsdienergesetz ei verbesserungsbedürftig. Für die Grsaintpolitik des Landes solle eine Staatskanzlei eingerichtet werden, deren Chef die Fragen der Beziehungen zum Reiche und die Fra- gen der inneren Politik zu bearbeiten habe. Die Beziehun gen zuni Reiche sollten besonders gut gepflegt werden. Feind lich« Stimmen, die einen Verfall des Reiches in seine Ein» zelstaaten prophezeien, verkennen den Geist des deutschen Volkes. Der gewaltige Aufschwung Deutschlands würde nicht- möglich gewesen sein, wenn sich die Einzelstaaten nicht zu de.n großen mächtiaen Reiche zusammengeschlossen hätten. Sach sen sei bereit, seine besten Kräfte in den Dienst deS Reiches zil stellen. Deutschland habe einen Anspruch ans Frieden, der ihm seine Eutwickliingsmöglichkrit für dir Zunknust ver- bürge »nd ihm seinen Platz an der Sonne sichere. In der Aussprache erklärte Abg. U h l i g (So;.)- Die Umwandlung des Staates ans dcmokratiscl)«r Grundlage und die Berufung von So zialdemokraten in die Negierung ist ein Akt von geschicht licher Bedeutung. Die Aufrichtung einer deutschen Republir! würde dem Empfinden der überwältigenden Mehrheit des Volkes Rechnung tragen. Abg. Dr. Niethammer (ntl.): Ter Weg, auf dem der Staats-Wagen dahinrollt, i st schmal und gefahr voll. Eine Beseitigilng des Kaisertums selbst würde und müßte zu einem Zerfalle des Deutschen Reiches führen, und darüber, was das zu bedeuten hätte, kann niemand im Zweifel sein. (Zustimmung.) Abg. D r. B ö h m e (Kons.): Der Minister habe die end gültige und volle Turclsiühning des parla»ientarischen Sy stems in Sachsen als Ziel der neuen Negierung bezeichnet. Voraussetzung sei dafür, daß Homogenität der politischen Auffassung innerhalb des Ministeriums vorhanden sei. Das beztneifle er. Znsainmensassend erklärt Dr. Böhme, seinc: Fraktion sei grundsätzlich mit der vypi Minister entwickelst!» Politik einverstanden, sie glaube aber nicht, daß er es tnijs der ihm zur Seite stehenden Regierung restlos werde durch« führen können. Staatsminister Nitzschke: Der Vorredner hat dass inertvolle Geständnis abgelegt, das; die konservative Fraktioi» sich hinter die Neuordnung stellen wolle. Ja, er lwt sogap der neuen Negierung ihre Unterstützung zugesagt. Er haß jedoch bemängelt, daß der neuen Regierung die wünschens werte Homogenität fehle. Es ist richtig, daß die politische«! Parteiprogramme innerhalb der Frationen volle Selbstän digkeit behalten 'ollen, und daß man sich bei den nicht zu, umgehenden Auseinandersetzungen in Güte sachlich einigt. Die Regierung bringt allen Bernksständen das gleiche In- stresse entgegen. Ihre schweren Aufgaben wird die Negie rung mn so leichter lösen können, wenn sie sich auf das Ver trauen der Kammer und des Volkes stützen ann. Abg. Broda iif (Fortsistr. Vp.): Das Rad der Zeit ist über diejenigen hinweggegaiigen, die ihm in die Speichei»