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Erscheint täglich nachm, mit Ausnahme der Sonn- und Festtage. Ausgabe I mit .Die Zeit in Wort und Sild" vierteljährlich AI« In Dresden durch Boten S.4« ^ In aan, Tculschlaiid srei Haus S.5« in Oesterreich 4,4» X. Ausgabe « ohne illustrierte Beilage vierteljäkrlich I,»«I -s. Hn Dresden durch Bote» L ,I« ^ ^n gan^Deulschland^srei paus 2,LS in Oesterreich 4«? Tiuzel Br. I« j. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserate werden die sgesvnltene Pelilzeile oder deren Raum mit 15 Rellnmen mit 5« 1 die Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Rabatt. Buchdruiterei, Redaktion und l«cschäf«sstelle: Dresden, Pillniyer Strafte 4». — Fernsprecher I»«« Für Rückgabe »uverlaug«. Schriftstücke keine Berbtndltchkett Rednttions Sprechstundei II bis lL Uhr. Rosarot. Berlin, den 2. Januar 1911. Das Jahr 1011 wird vom Liberalismus und der Sozialdemokratie als ein Jahr von rosaroter Färbung be grüßtin ihren Zeitungen kommen die kühnsten Neujahrs- wünsche zum Ausdruck. Wenn es nach diesen gehen würde, dann wäre gegen Ende des Jahres auch nicht ein einziger rechtsstehender Abgeordneter mehr vorhanden; auch das Zentrum lassen sie verschwinden, obwohl sie wissen, daß am Zentrumsturm keine Steine abbröckeln werden. Ganz Deutschland soll rosarot gefärbt werden, und dieser Wunderblock soll dann politische Wunderdinge ansführei'.. Wir lassen nnii ganz dahingestellt, ob das deutsche Volk das Staatsschiff in dieses Fahrwasser bringen will; wir sind vielmehr überzeugt, daß die große Mehrheit der bürger lichen Wähler keine Selbstmordpolitik wünscht, und es ist ebenso klar, daß in dieser neuen Färbung das 'zarte Rosa von dem grellen Rot einfach erdrückt würde. Der „Vor wärts" hat es auch dieser Tage schon offen ausgesprochen, daß der Liberalismus im Osten nur die Vorfrucht der Sozialdemokratie sei — just wie anderwärts auch. Für heute sei eine andere Frage erörtert: hätte eine rosarote Mehrheit im Reichstage Aussicht ans Bestand? Und diese Frage muß unbedingt verneint werden; schon tlet der ersten bedeutenden Abstimmung müßte sic anscinander- fallcn. Man denke nur an die Wahl des Präsidenten, den nach dem Stärkeverhältnis die Sozialdemokratie zu stellen hätte. Wie würden die liberalen Neservelentnantsherzen in die Kosen fallen, wenn sie hinter einer roten Ballon mütze einhermarschieren müßten? Herr Singer oder Herr Ledebour am Hofe — mit Seidenstrümpfen und Schnallen schuhen, daneben Herr Basserman» in Uniform und Herr Kämpf mit seinen Orden! Welch reicher Stoff für Witz blätter und den Reichstag! Eine rosarote Mehrheit würde nicht einmal das Präsidium zu stellen vermögen und schon hier scheitern. Dann aber nehme man nur die Vor bereitung für die neuen Handelsverträge. Tie National liberalen stehen auf dem Boden des heutigen Schutzzolles, die Freisinnigen wollen in langsamerem oder schnellere':! Tempo die Beseitigung der Schutzzölle, die Sozialdemo kraten sind glattweg für Freihandel. Unsere Industrie und unsere Landwirtschaft müßten einem leid tun, wenn sie m die Behandlung dieses Knrpfnscherkolleginms kommen würden; das ganz blühende Erwerbsleben müßte dadurch ruiniert werden. Bei Versassnngsfragen wäre eine Spaltung ebenso unausbleiblich, besonders da die Sozial demokraten die Republik in den Vordergrund stellen. Dann die Verabschiedung des Militäretats und der Marine- fordernngen. Kurzum: in allen Lebensfragen der deutschen Nation müßte diese Mehrheit versagen. Nur auf einem Gebiete könnte sie „Erfolge" anfwcisen, aber nur Trümmer. Ter neue Kulturkampf würde sofort begonnen und mit aller Macht einsetzen. Herr Everling würde die erste Flöte Pfeifen, Dr. Müller-Meiningen und Dr. David tanzen danach; denn es ist ungemein bezeichnend, daß der sich als Atheist bekennende Sozialdemokrat Tr. David für seine Neichstagsrede die Korrespondenz des Evangelischen Bundes benützte. Das wirft ein Blitzlicht ans die gesamte Situation. Diese rosarote Mehrheit würde sofort mit Ausnahmegesetzen gegen den Katholizismus einsetzen und daß die Sozialdemokratie dabei mitmacht, hat man ja erst letzten Sommer in Baden gesehen. Soll die Ermöglichung dieses Kulturkampfes das Ziel sein? Wir können es uns nicht anders denken, und das ungenierte Auftreten der Kulturkämpfer bestätigt uns in dieser An schauung. i -x- Zur Weltsprachenbewegung. i. „Esperanto" als Knltnrtriigcr. Unbestreitbare Tatsache ist es, daß die Weltsprache Esperanto trotz aller Anfeindungen auf ihrem Siegeszuge durch die Welt u n aufhaltsam vorwärts eilt. Leider ist es aber auch ebenso Tatsache, daß viele, und nicht zum we nigsten auch aus den gebildeten Kreisen, der Wellsprachen- bewegiing nicht nur zweiflerisch, sondern sogar ablehnend gegcnüberstehen. Ein Teil dieser Skeptiker verneint das Bedürfnis und die Möglichkeit einer Weltsprache überhaupt, der andere Teil dagegen verhält sich ablehnend gegenüber einer künstlichen Weltsprache; er sagt, inan solle hierzu eine nationale oder tote Sprache erwählen. Wollen wir nun diese Ansichten auf ihre Nichtigkeit prüfen! Daß eine Weltsprache zur reinen Notwendigkeit geworden ist, dürfte im Hinblick auf den immer mehr sich steigernden Verkehr, auf die stetig wachsende Korre spondenz mit dem Auslande gar keinem Zweifel mehr unterliegen. Eben so wenig braucht auch an der Mög lichkeit einer Weltsprache geztveifelt zu werden, denn tu Amerika znm Beispiel lernt jeder, was auch immer seine Muttersprache ist, Englisch, da der ganze Verkehr dort sich mittels dieser Sprache abwickelt. Als ausgeschlossen aber muß es gelten, irgend eine nationale Sprache, zum Beispiel Englisch, zur Weltsprache zu erheben, da der Ratio.- Liberale Politiker werden kommen und sagen, daß sie keinen Großblock wünschten. Natürlich, so etwas tut man nur, sagt es aber nicht. Man schämt sich seiner Bundes genossen, nimmt aber die Hilfe derselben gerne an. Man will so den Liberalismus zum Zünglein an der Wage machen; er war zwar dies schon im Blockreichstage, aber der blinde Haß gegen das Zentrum hat ihn diese günstige Situation ganz übersehen lassen. Er schaltete sich lieber selber ans, als daß er mit dem Zentrum gehen wollte. Jetzt soll das Zünglein nach einer anderen Richtung sich neigen: der Liberalismus wünscht eine solche Schwächung derselben, daß diese mit dem Zentrum keine Mehrheit bilden kann. Er weiß ganz genau, daß er die abgenommenen Mandate nicht erhalten wird, sondern daß er selbst abgeben muß. Aber es ist ihm ganz egal! Selbst auf die Gefahr der Stärkung der Sozialdemokratie hin führt er seinen Kamps weiter und sägt so den Ast ab, auf dem er sitzt. Pure Machtgier ist es, welche heute den Liberalismus erfaßt hat und ihn so verblendet, daß er alles andere vergißt, seine Vergangenheit verleugnet und seine Zukunft unmöglich macht. Es sind im Liberalismus nur die Großstädter, die diese Politik vertreten, und doch sind diese nicht in der Lage, den Liberalen auch nur ein Mandat zuznführen. Sie er drücken die Ansichten der ländlichen Liberalen, die daher sich auch immer mehr nach rechts wenden. Man sieht diese Entwicklung sehr deutlich in Hannover. Dazu kommt der verletzte Ehrgeiz des sehr empfindlichen Bassermann und die Eifersucht kleinerer Führer. Wir sagen es offen heraus: Möge Bassermann noch lange an der Spitze seiner Partei stehen; er bringt sie dann sicher bis znm Nullpunkt herunter — trotz aller schönen Nenjahrsartikel. PaMsche Rundschau. Dresden, den 3. Januar ION. — Von der Krviiprinzenrkisc. Im Militärlager von Muttra fand am 2. d. M. die Parade des Regiments der Nohal Trngoons, dessen Ebef bekanntlich Kaiser Wilhelm ist, vor dem Kronprinzen statt. Das militärische Schau spiel nahm einen glänzenden Verlauf. Der Kronprinz, der die Uniform der Pasewalker Kürassiere mit lein Küraß angelegt hatte, überbrachte dem Regiment Gniße seines Vaters. Der Kommandeur bat den Kronprinzen, drei Medaillen, welche zu Neujahr drei Wachtmeistern des Regi ments für achtzehnjährige treue Dienste verliehe» wurden, jedem der Dekorierten selbst zu übergeben. — Wie mit dem MarguiS di San Gluliano hat der Reichskanzler auch mit dem Grafen Aehrenthal aus Anlaß der Jahreswende herzliche Telegramme gewechselt. Ferner erhielt der Reichskanzler ein Glückwunschtelegramm von dem russischen Minister des Aeußern Sasonoff. — Eine russische Antwort nach drei Jahren. Die russische Regierung wird demnächst dem Berliner Kabinett sine Note überreichen lassen, die als Antwort auf die deutsche Note von 1007 gelten kann, worin Deutschland Auskunft darüber erbat, in wieweit das englisch-russische Zusammengehen in Asien Deutschland« dortige Interessen berührt. Die Antwort kommt erst nach drei Jahren, weil die bisherigen Beziehungen zwischen Berlin und Petersburg diplomatischen Auseinandersetzungen über die asiatische Frage nicht günstig waren. Nach der Kaiserzusammenkunft von Potsdam sind diese Bedenken geschwunden. Die russische Antwortnote wird daher daS Ergebnis der Pots damer Entrevue sein. — Wertvolle Aufklärungen über dir Rrichötags- niiflösnug lOilii brachten n. a. unsere „Persönlichen Er innerungen" an den Grafen Ballestrem. Graf Ballestrem nalstolz der übrigen Völker dies schon nicht zuließe. Eine Einwilligung käme hier auch einer Selbstaufopfe rung seitens der anderen Völker gleich, da mit der Sprache auch die Weltanschauung, das ganze künstlerische und wissen schaftliche Denken aus jene Völker überginge, die sich dieser nationalen Weltsprache bedienen würden. Ginge es nun aber nicht an. eine der toten Sprachen, etwa die latei nische, zur Weltsprache zu erheben? Nein, dagegen spricht der gewichtige Umstand, daß solche Sprachen sehr schwer er lernbar sind und außerdem viele neuzeitliche Wörter gar nicht in ihrem Wortschätze haben. Wir brauchen aber eine wirklich leicht erlernbare Sprache. Nachdem diese Eigenschaft iveder die nationalen noch toten Sprachen haben, kann also nur eine neutrale, künstliche Sprache als Weltsprache in Frage kommen. Die bestbewährteste und weitverbreitetste hierunter ist zweifellos die E s P e r a n t o s p r a ch e. Diese Behauptung beweist ihre Anwendung im praktischen und wissenschaft lichen Leben. Vor allem spricht hierfür ihre schnelle Ver breitung innerhalb kürzester Zeit. Während es vor drei bis vier Jahren noch ungefähr eine halbe Million Esperan tisten gab. dürften es heute bereits weit über 1^ Millionen sein. In der letzten Zeit hat Esperanto auch Fuß gefaßt in der Türkei, auf Samos, Südafrika, Austra lien und sogar in der russischen Tatarei. Bereits mehrere Tausend Werke und über 10 Millionen Lehrbücher sind in Esperanto herausgegeben. Es existieren zirka 10 6 Espe- nantozeitungen, darunter eine chinesische, japanische. fragte nämlich den Fürsten Bülow unmittelbar vor der Auflösung der Sitzung, ob es wahr sei, daß der Reichstag heute aufgelöst werden würde, wenn die Vorlage abgelehnt würde Ter Reichskanzler erwiderte: „Ich denke nicht daran; es ist kein Wort davon wahr!" Und dabei hatte er schon die Anflösungsorder in der Tasche. Tie Nichtigkeit dieser Darstellung ist auch der „Germania" schon früher in Zentrumskreisen bestätigt worden. Und wenn auch Graf Ballestrem die Augen geschlossen hat, so leben doch noch Zeugen genug, welche für die Wahrheit dieser Darstellung eintreten können. Tie „.Kreuzzeitung" knüpft an diese Be stätigung folgende mpsteriöse Worte: „Trotzdem die „Germania" die Richtigkeit der Dar stellung des Vorganges bestätigt, können wir uns doch nicht denken, daß Graf Ballestrem von dem Fürste» Bülow eine andere Beantwortung seiner Frage erwartet haben sollte." Damit gibt das konservative Blatt indirekt die Richtig keit der Schilderung zu. Aber noch einen erheblichen Schritt weiter macht der gut unterrichtete Berliner Korre spondent der „Frans. Ztg.", der zu unserer Mitteilung bemerkt: „Es sieht dein Fürsten Bülow, wenn er auch aus poli tischen Gründen Verschwiegenheit üben wollte oder mußte, nicht gerade ähnlich, daß er mit den angegebenen Worten die Auflösung des Reichstages abgeleugnet haben wird, die für den Fall der Ablehnung der für Sndwestafrika ge forderten Trnppenzahl bereits beschlossene Sache war. Er war gewandt genug, um der Frage des Präsidenten auch in anderer Form ansznwei ch e n ; die deutsche Sprache war für ihn keine so plumpe Sprak. Aber die Tatsache, daß er bei Beginn der entscheidenden Sitzung nicht nur dem Grafen Ballestrem, sondern auch anderen die Auflösung Vers ch w iegen hat, i st u n b e st r e i t b a r und i st b e k a n u t. Es gab nur wenige, welche wußten, daß Bülow mit Zustimmung des Kaisers und des Bnndesrates schon seit einiger Zeit entschlossen war, gegen die Herrschaft des Zentrums, wie sie sich namentlich in den .Kämpfen um die Kolonialpolitik zuletzt besonders augenfällig geoffen- bart batte, an die Wähler zu appellieren. Beim Beginn und noch während des größeren Teiles der Sitzung des Reichstages vom 13. Dezember wußten nur ganz wenige Eingeweihte, daß für den Fall der Ablehnung der Re gierungsvorlage betre die Trnppenzahl in Südwestafrika oder des in letzter Stunde mit Zustimmung Bülows ge stellten freisinnigen Vermittlnngsantrages die Auflösung bevorstand und daß der Kaiser und der Bundesrat bereits zngestimmt hatten. Es kam aber außerdem hinzu, nament lich nach der Rede Bülows, die er ungefähr um 3 Uhr hielt, und in der er in kaum mehr mißznverstehender Weise auf die Auflösung hindeutete, daß die älteren Parlamentarier fast alle überzeugt waren, das Zentrum werde nicht vn t)nm>>il- spielen, es würde eine Anzahl seiner Mitglieder abkommandiere» und es würde, wenn nicht die Negierung» Vorlage, so doch der freisinnige Vermittlungsanirag schließ lich mit schwacher Mehrheit angenommen werden. Es hat ja auch an einem Haare gehangen; ist doch der freisinnige Antrag nur mit einem halben und die Regierungsvorlage dann mit einem Dutzend Stimmen abgelehnt worden. Jene Neichslagsauflösnng war, wie keine zuvor, eine Ueber- r a s ch u n g , und Bülow hat gewollt, daß sie mit der Kraft der Ueberraschung wirke, und daher hat er sie bis zuletzt mit einem Geheimnis umgeben und sie, das kann man glauben, auch dem Reichstagspräsidenten gegenüber nicht verraten. Dieses Verhalten erklärt sich aber auch noch aus der Tatsache, daß er jene Auflösung damals als einen Appell an die Wähler zur Einleitung der Politik, die man später Blockpolitik genannt hat, gewollt hat, und daß er australische, chilenische, kubanische, zwei Blinden und meh rere Arbeiterzeitungen. De» besten Beweis für die prak- lische Anwendung der Esperantosprache liefern die inter nationalen Kongresse der Psiichologen, Mediziner, Zahn ärzte, Geologe», der Friedensliga, des Roten Kreuzes, der Elewerkschaften, Variätäkünstler usw.; sie alle erwählten Esperanto zur K o » g r e ß s p r a ch e. Auch in den Schulen findet Esperanto immer mehr Eingang. An der Spitze steht Frankreich mit über 600 Mit telschulen. Alsdann folgt England, Bulgarien, Rumänien. Schweden. Rußland »sw. Neue Stndentengrnppen an den Universitäten entstehen fast überall. Was unser deutsches Vaterland anlangt, so scl>einen auch hier die Schranken des Vorurteils, das der den Deutschen eigentüjmliche Schulstolz, sowie besonders das Fiasko der Volapüksprache dem Esperanto errichteten, zu fallen. Deutschland zählte vor drei Jahren noch zirka -1 0 Ortsgruppen, jetzt hat es deren bereits zirka 260 mit sieben Esperantozeitungen. Offiziell wird Esperanto bereits an folgenden unserer deutschen Schulen gelehrt: Handelshochschule Leipzig, Polytechni kum Eöthen, Handelsschulen zu Ehemnitz, Augsburg und in Kobnrg-Gotha, Volksschulen der Stadt Hannover, nun auch Magdeburg, sowie etlichen klösterlichen Instituten. Ferner ist zu erwähnen, daß verschiedene Schutz leute in Dresden, Ehemnitz, Augsburg, analog Wien. Paris, Budapest, Amsterdam, Galatz, Scheveningen usw. bereits in Esperanto ausgebildet wurden. Ebenso die!