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Beilage zi» Nr. S7V der „Sächsischen Bolkszeitnng" »»« 8. Dezember N»«S. Die Sozialpslitik in der neuen Meich-tRO-sesfi»«. „Die Fortbildung der sozialen Gesetze bleibt eine der Hauptpslichten des Reiches. Auf Jahre hinaus wird die Ge setzgebung mit der Vereinheitlichung des gesamten Arbeiter- verficherungsrechtes und mit der Ausgestaltung der Witwen- und Waisenfiirsorge beschäftigt sein. Gegenwärtig wird ihre Mitwirkung erbeten, um den gewerblichen Berufsvereinen den Erwerb der Rechtsfähigkeit zu erleichtern und die Mö^- lichkeit freier Betätigung ihrer wirtschaftlichen Interessen innerhalb der durch das gemeine Wohl gegebenen Grenzen zu gewährleisten. Auch mehrere andere Gesetzentwürfe werden sich auf dem Gebiete sozialer Aufgaben bewegen." Mit diesen Worten wendet sich die Thronrede in sozial politischer Beziehung an den Reichstag. Wir nehmen diese Worte, so bemerkt dazu die „Soziale Praxis" (Nr. 9), mit der Ehrerbietung auf, die wir jeder Aeußerung des Kaisers entgegenbringen, und warten ab, wie die Taten der Re gierung aussehen werden. Was der vom Bundesrat am 24. November angenommene „Gesetzentwurf betr. gewerb liche Verussvereine" in seinen Einzelheiten bringen wird, ist den: sonst stets gut unterrichteten Zentralblatt für Sozial- Politik noch nicht bekannt. Abgesehen davon wird sich der Reichstag mit einer Neu regelung des Hilfskassenwesens zu befassen haben, die zur Verhütung schwindelhafter Unternehmungen schärfere Zu- laffungsbedingungen und ständige Ueberwachungsmaßregeln einführt. Auch der bereits veröffentlichte Gesetzentwurf über den Versicherungsvertrag berührt im weiteren Sinne sozial politische Interessen, desgleichen eine Vorlage zur Sicherung der Bauforderungen und ein Entwurf auf Einführung des Befähigungsnachweises im Baugewerbe, die schon vom Bundesrat angenommen sind. Aus dem Etatsentwurf für 1006 werden folgende sozialpolitische Forderungen bekannt: 5 Millionen für Arbeiter- und Beamtemvohnungen (wie in den Vorjahren): Reichszuschuß für die Invalidenversicherung 51.6 Millionen (gegen das Vorjahr 1 Million mehr); 179 500 Mark zur Erweiterung der Räume der ständigen Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt'. 30 000 Mark für di» Bearbeitung der im November 1904 gepflogenen Erhebung über die Lohnbeschäftigung von Kindern in der Landwirt schaft und im Haushalt. Wo aber bleibt ein Gesetzentwurf über die Arbeits- kammeru, der doch vor fast Jahresfrist ausdrücklich in Aus- ficht gestellt worden? In diesen Tagen, wo die Regierung mit außerordentlichen Forderungen für Flottenzwecke auch an die Arbeitermassen herantritt und diese mit dem notwen digen Schutz nach Außen begründet, sollte sie vor allem auch den Schutz der unteren Volksklasse im Innern nicht vergessen und der besteht in einer kräftigen Sozialpolitik! Aus Stadt r nd Land. — * Die Kochkunstausstellung aufge- schoben. Für 1906 war hier in Dresden eine inernatio- nale Kochkunstallsstellung geplant, deren Veranstaltung der Verein Dresdner Gastwirte in die Hand genommen hatte. Auf Grund der Mitteilungen verschiedener in Betracht kommender Berufszweige (Köche, Konditoren, Bäcker, Fischer), sowie mit Rücksicht darauf, daß für das kommende Jahr bereits 16 Kochkunstausstellungen geplant sind, hat der Verein vorgestern beschlossen, von der Veranstaltung einer Kvchkuustausstellung vorläufig abzusehen. —* Keine Säle zu Versammlungen an Sonn- und Fe st tagen. Aus Anlaß der am vorigen Sonntag in Dresden abgehaltenen Demonstrationsversamm lungen hat der Saalinhaberverband Dresden-Stadt und Amtshauptmannschaft Dresden-Altstadt und -Neustadt an die Mitglieder ein Rundschreiben gerichtet, in dem es zum Schlüsse heißt: Wir erachten es für unabweisliche Pflicht, nickst nur unsere Mitglieder, sondern jeden Saalinhaber im Stadtbezirk Dresden und auch der bereits am Eingang des Schreibens erwähnten beiden Dresdner Aintshauptmann- schäften dringend auszufordern: die seinerzeit getroffenen Bestimmungen aufs gewissenhafteste einzuhalten, mithin ihre Säle an Sann- und Festtagen nicht zu Versammlungen herzu geb eil. X Der einzige sozialdemokratische Abgeordnete im sächsischen Landtage, Goldstein, hat gestern bei der Zlvei- ten Ständekammer folgende Interpellation eingebracht: „Am 18. und 19. November d. I. hat ein großer Teil des sächsischen Volkes in Versammlungen ein besseres Landtags wahlreckst gefordert. Die Arbeiter Leipzigs insbesondere haben dies durch friedliche Demonstrationen auf der Straße in eindrucksvoller Weise zum Ausdruck gebracht. Gleich wohl haben bei Wiederholung der Meinungskuudgebungen des Volkes die Polizeidirektionen in Dresden und Chemnitz am 3. Dezember d. I. ihre unteren Organe angewiesen, in schärfster Weise gegen Straßendemonftranten vorzugehen. Die Polizei hat in einzelnen Fällen, namentlich in Dresden, mit der blanken Waffe eingehauen, eine große Zahl von Personen verletzt und hierdurch viele Bevölkerungskreise in maßlose Erbitterung versetzt. Angesichts dieser Vorgänge richtet der Unterzeichnete an die Regierung folgende Fragen: „1. Ist die Regierung gewillt, das von der Dresdner und Chemnitzer Polizei am 3. Dezember d. I. angewandte be dauerliche Versehen gegen friedliche Volksmassen gutzu heißen, oder welche Maßregeln denkt die Regierung zu er greifen, um der Wiederkehr solcher gewalttätigen Hand lungen vorzubeugen? 2. Glaubt die Regierung, angesichts der großen Empörung, wie sie sich in den sozialen Kund gebungen vieler Tausende gezeigt hat, an ihrer in der Kammersitzung vom 27. November dargelegten Auffassung über die Wahlrechtsreform festhalten zu müssen? Goldstein." Die Besprechung dieser Interpellation wird schon in den nächsten Tagen im Landtage erfolgen. Döbeln. Bei der Versteigerung des Rittergutes Klein- bauchlitz, auf dessen Grund und Boden der Hauptbahnhof Döbeln angelegt ist, wurde das Höchstgebot von einen: der Erbberechtigten mit 166 000 Mark abgegeben. Wegen der Nähe des Rittergutes an der Stadt bot auch ein Vertreter der Stadt Döbeln, ebenso war die Gemeinde Kleinbauchlitz beteiligt. Der Zuschlag wird erst in acht Tagen erteilt. Nach der Versteigerung wurde mit den Erben eine Einigung dahin erzielt, daß das Rittergut der Gemeinde Kleinbauch litz oder einem dort bestehenden Konsortium überlassen wird. Werdau. Der Beamtenverein, vereinigte Innungen und Reichsverein haben sich dahin geeinigt, zu der nächsten Donnerstag stattfindenden Stadtverordnetenwahl eine ge- nwinsame Kandidatenliste aufzustellen. Die sozialdemokra tische Partei ist ebenfalls mit einer Kandidatenliste auf den Plan getreten und hält morgen Mittwoch eine öffentliche Wählerversammlung ab. Zwickau. Der Kaiser hat dem Königlich Sächsischen Militärverein Kavallerie, Pioniere und Train hier anläßlich dessen Standartenweihe Schleife und Nagel als Standarten- geschenk verliehen. — Die Lohnbewegung der Bergarbeiter im Zwickauer tvie Oelsnitz-Lugauer Revier kann durch die gewährte, von den Konsumenten zu tragende Teuerungs zulage als beendet betrachtet tverden. Auerbach. An: Sonntag war der Bundesvorstand des Vogtländischeu Sängerbundes hier anwesend, um mit dem Gesangverein „Liederkranz" über den im nächsten Jahre hier abzuhaltenden Sängertag zu beraten. Das Fest soll in der aus Anlaß des vorher hier stattfindenden sächsischen Bundes kegelfestes errichteten Halle, und zivar an: 26. August, abge- lialten werden. Für den Sonnabend ist Kommers, für den Sonntag geistliches und iveltliches Konzert geplant. Bautzen. Nach den: vorläufigen Volkszählungsergeb- uisse hatte die alte Feste Budissa am 1. Dezember d. I. 29 371 Einwohner, gegen 26 024 im Jahre 1900. Bautzen. (Volkszählungsergebnisse.) Löbau (vor läufig) 10 632, 5340 männliche, 5292 weiblick>e Einwohner (1900: 0637), Ebersbach 9269 (1900: 8846), Dewitz- Thuinitz 1652 (1900: 1514), Großharthau 1326, 659 männliche, 667 weibliche (1900: 1247), Seishennersdorf 8040 (1900: 7731) Einwohner. V. Bautzen, 5. Dezember. In vergangener Nacht hat sich hier in seiner Wohnung der Expedient Herfurth aus Neugersdorf erhängt; die Veranlassung zu den: Selbstmord war nicht zu ermitteln. V. Bautzen, 5. Dezember. Das gestern vormittag feier lich eingeweihte, überaus splendid ausgestattete „Armen- uud Siechenhaus" (König-Albert-Stift) lxst Raum für 80 Insassen (das Armenhaus für 40 männlick>e, 20 tveibliche, das Siechenhaus für 10 männliche und 10 weibliche). Zur Zeit ist die Besetzung 19 (Arme 7 männliche, 4 weibliche), Sieche 3 männliche, 6 weibliche). — Der Armenhausver walter Weißflog wurde zun: Inspektor der neuen Doppel- anstatt ernannt. Ebersbach. Ans den: hiesigen Bahnhofe verunglückte an: Sonntag mittag der Nangiervormann und Hilfsheizer Kießling. Er war mit den: Fuße zwischen die Schienen an der Drehscheibe geraten. Er erlitt dabei so schwere Ver letzungen, daß er mit einem Geschirr nach seiner Wohnung gebracht werden nrnßte. Ohbin. Von unbekannten Tätern ist am Sonntag das Bergrestaurant auf den: Hochwalde erbrochen worden. In den Lokalitäten lagen die Einrichtungsgegenstände wüst durcheinander, die Flaschen und Gläser lagen zertrümmert — 84 -- Ein Kellner erschien und flüsterte Klementine ein paar Worte ins Ohr. Diese erhob sich und ging. Nach Verfluß einer Viertelstunde kan: sie, die Gräfin von Freidorf an: Arm führend, zu der kleinen Gesellschaft zurück. Diese erhob sich. Ein be friedigtes Lächeln glitt über die welken Züge der Matrone und mit verbind lichem Danke winkte sie einen Gruß. Viktor war auf sie zugeeilt und führte ihre Hand an den Mund. Von ihn: und Klementinen unterstützt nahm die hohe Frau Platz. Klementine mußte sich neben sie setzen, während der Sohn einen Stuhl auf der entgegen gesetzten Seite einnahm. Die Gräfin beteiligte sich in der ungezwungensten Weise an den: Ge spräch. Sie richtete an jedes Mitglied der heiteren Tafelrunde ein verbind- liches Wort. Eine geradezu auffallende Herzlichkeit aber bekundete sie gegen ihre jugendliche Nachbarin, welcher sie die kleinsten Dienstleistungen jedesmal mit innigen Dankesworten oder einer mütterlichen Liebkosung vergalt. Im Laufe des Gespräches wurde der Plan zur Ausnützung des schönen Tages ge- macht. Man beschloß, in verschiedenen Booten eine Fahrt auf dem heute un- gewöhnlich ruhigen See zu veranstalten und bis zun: Abend, auf den eine ungarische Kapelle zum Konzertieren angesagt ivar, wieder in dem Gasthof zu sein. Dieser Vorschlag fand allseitige Billigung. Während die Damen sich nachher mit den: Professor zurückzogen, begaben Viktor und Titus sich nach den: Hafen und bestellten die nötigen Boote zu der verabredeten Fahrt. Wie ein klarer Spiegel lag der See da, als einige Stunden später die kleine Gesellschaft in mehreren Booten vom Ufer abstieß. Da sich keiner weit von dein Gestade zu entfernen gedachte, Wied man die angebotenen Dienste der Botfllhrer zurück. Auch Viktor hatte, so schwer es ihn ankam, auf einen Platz in dem Nachen der Mutter verzichten müsse::, da, wie diese ihn: erklärte. Fräulein Klementine mit dem Ruder schon allein zurecht kommen werde und für die in Aussicht genommene Fahrt seine Ungeduld höchst unnötig sei. In folgedessen mußte er sich um einen anderen Platz umsehen, den er auch bei den: Herrn Professor und dessen Gemahlin erhielt. Die Tante Klementinens war im Gasthof geblieben und nahm an dem Vergnügen nicht teil. Jda und ihr: Mutter, Titus un- dessen Frau befanden sich ja in einem weiteren Kahn. Die letzteren kamen den zwei anderen bald um eine beträchtliche Strecke voraus. Sie fuhren um die Wette, und der kräftige Landwirt fand schon nach wenigen Minuten, daß die junge Amerikanerin sich fast besser als er auf die Führung des Ruders verstand. Auch Viktor, der die FährmannSarbeit im dritten Boot besorgte, nahm an der unterhaltenden Kunstprobe teil, blieb aber ziemlich weit hinter den beiden zurück. Nach einer Weile kehrte man um und durchhuschte bald da, bald dorthin in launigem Zickzack den See. Dieser belebte sich immer mehr. Kleinere und größere Nachen schaukelten sich auf dem Wasser, und mit Windeseile flog da und dort ein, zierliches Segelboot über die Fläche dahin. Klementine hatte auf den Wunsch der Gräfin mit Rudern aufgehört und sich zu dieser gesetzt. Ein« leichte Brise trug sie langsam über die da- Schifflein «mgaukttnden Wellen hinweg. — 81 — Titus ergriff seine Hand. „Sei ein Mann," mahnte er, „und füge dich in das Unabänderlich. Man muß nicht gleich den Kopf verlieren, iveun von: Schicksal ein Wunsch versagt Uürd. Ich darf dir, wie du schon gehört hast, über die Verhältnisse der Dame und das deine Hoffnungen vereitelnde „Warum" keine näheren Aufschlüsse geben. Du mußt dich lediglich mit der Tatsache be- gnügen, die übrigens auch genügend sein wird. Wenn es zu deiner Beruhi gung dient, oder dir das Entsagen erleichtert, so magst du immerhin annehmeu. die Dame sei bereits gebunden. So oder anders hat es die gleiche Wirkung für dich. Die Vorzüge Klementinens kenne auch ich. Diese empfindet in erster Linie ihre leidende Tante, die sie hierher begleitet und welcher sic jeden Wunsch an den Augen absieht. Diese Vorzüge weiß jedes Mitglied unserer kleinen Kolonie zu schätzen, die der Zufall aus allen Himmelsgegenden und selbst über den Ozean an den: Gestade des herrlichen Sees zusammengeführt hat. Du bist mir ohnehin noch die Antwort auf meine Frage schuldig, wie es deiner ehe maligen Braut in ihrem Ehestand geht!" Viktor antwortete nicht gleich. Er ivar verstimmt. „Sie ist schon wieder geschieden," stieß er endlich hervor. „Die Herrlichkeit dauerte nicht lang. Die ganze Heiratsgeschichte hat übrigens bewiesen, wie großen Dank ich unserem Herrgott schuldig bin, daß ich noch zur rechten Zeit aus den: halbzugezogcnen Netze entkam. Zuerst, als Ferdinandine den hochgeborenen Herrn Rittmeister, den Fürstensohn, freite, gab es ein gewaltiges Fest und mit stolzen: Hohn über den verschmähten Bräutigam — denn so stellte die Gräfin Hahnau den voll- zogencn Bruch hin — verkündete man das mächtige Glück aller Welt, als aber nach der Hochzeit die ungeheueren Schulden des Herrn Gemahls bezahlt wer den sollten, als Jude:: und Christen mit den zahllose:: Wechseln und Ver schreibungen heranrückten, da ivehte auf einmal ein ganz anderer Wind. Ich habe meine Erfahrungen gemacht und weiß, wessen jene zwei Damen fähig sind, wenn Ihnen etwas gegen den Strich geht. Als Ergänzung ihrer früheren Liebenswürdigkeitei: trat bei dieser Veranlassung noch eine weitere zu tage, ein niaßloser Geiz. Die Frau Schwiegermaina ließ es el>er auf den ärgerlichsten Eklat ankommen, als daß sie einen Teil ihres Mammons zum LoSkanf des Rittmeisters aus den Krallen seiner Wucherer preisgab. Was sonst noch drum und dran hing, weiß ich nickst, kurz, die Leutchen wurden nach kaum halb jährigen: Zusammenleben wieder geschieden und die Mutter lebt mit ihrer trauernden Exrittmeisterin in einen: kleinen Bade der Schweiz." In diesem Augenblicke wurden die beide:: durch das Erscheinen von zwei Franengestalten, welche die Terrasse betraten, in ihrer Unterhaltung gestört. Eine Matrone mit leidenden Zügen stützte sich auf den Arm einer jungen Dame, deren prächtige Formen das einfache schivarzc Kleid noch mehr hervor- hob. Der freundliche Ausdruck des feinen Gesichts milderte den sinnigen Ernst, welcher in den: dunklen Augenpaar lag. Mit einer höflichen Verbeugung traten Viktor und Titus ihnen ent- gegen. Sowohl die Frau als das Mädchen reichten den beiden unbefangen mit herzlichem Morgengruße die Hand. „Wir bekommen Besuch," nahm die junge Dame das Wort, „der mit dem nächsten Zug von München eintreffen wird. Meine Frau Cousine und Namens schwester, die ihren vielbeschäftigten Herrn Gemahl für einige Stunden aus der dumpfen Luft seiner Studierstube entführt. Ich wollte allein, sie abzu- SL „De» Herzen» Recht.