Volltext Seite (XML)
Nr. Mittwol», den Ätt« Janua» >s»L4V v. Jahrgang SiichsMeNolksMmg Er!chktnt täatiih nachm, mit NuSmihmi: der Eonn- und Festtaze. SluSnabe L.: Mit .Tie Zeit in W^rt und B!ld" vierteljährlich- 2.10 2» Dresden durch Boten 2,40 ^1. In ganz ind frei s Dcutichlai!, HauS 2,52 Sln?aabe V-: Ohne illustrierte Beilage diertelj. 1,80 I» Dresden d. Voten 2,10 .2. In ganz Deutschland frei Haus 2.22 - Sinzcl-Nr. 10 4 - ZettungSpreisl. Nr. 0858. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht nnd Freiheit Inserate werden die «gespaltene Pctitzkile oder deren Raum mit LS Reklamen mit SO L die Zeile berechnet, bet Wiederholungen entsprechenden Rabatt. Buchdrnckeret, Redaktion und Geschäftsstelle, Dresden, Ptllnitzer Strafte 40. — Fernsprecher LOOS AürRülkgabe »nt,erlangt. Schriftstücke keine«vcrbindlichkett RcdaklionS-Lprechstunde: 11-12 Ubr. Die Lage der Katholiken in Rußland und in den Valkanländern. (Von unserem römischen Spezialkorrespondentcn.) Nom. den 22. Januar 1910. In Rußland und unter den Völkern der Balkanhalb- insel ist die Lage der katholischen Kirche keineswegs so gut und tröstlich zu nennen, wie in den Staaten Süd- und Mitteleuropas. Das ist eine Folge der historischen und r chirographischen Verhältnisse. In Rußland mußte erst die Konstitution die Ketten sprengen, die das russische Volk an den Karren des ortho doxen Glaubens festbanden nnd ihm den Uebertritt zu einer anderen Religion unmöglich machten. Freilich wurde diese anscheinende Freiheit rasch durch zahlreiche einschränkende Maßregeln nahezu illusorisch gemacht. Will z. B. ein orthodoxer Russe katholisch werden, muß er dies zunächst dem Popen anzeigen, und dieser hat das Recht, ihn einer langen Prüfung (30 bis 40 Tage hindurch) zu unterziehen, in der er alle Argumente gegen seinen Uebertritt ins Treffen führt, Dazu kommt noch die Propaganda des orthodoxen nationalen Gesetzes unter den Katholiken Litauens und Klein-Nußlands, so daß tatsächlich fast alle Vorteile, die man von dem neuen konstitutionellen Regime erwartete, ausblieben. Dessenungeachtet fanden zahlreiche Uebertritte zum Katholizismus nnd zur linierten Kirche statt. Unheilvoll wirkt die Sekte der Mariaviten. die von den Orthodoxen gefördert wird. Mit großem Interesse ver folgt man in Rom alle Maßregeln des katholischen Klerus ,pir Eindämmung dieses Irrglaubens, der bereits Tauseilde zu seinen Anhängern zählt, und selbst einen Bischof hat. Mit Schmerz sieht man, daß das unermüdliche Wirken der katholischen Bischöfe nicht die erwarteten Erfolge zeitigt. So ist die Lage der Katholiken Rußlands eine traurige zu nennen. In den Balkanländern ist das Geschick der katholischen .Kirche an jene wechselvollen ernsten Ereignisse geblinden, die das Leben dieser Völker so dramatisch gestaltet. In Griechenland ist unter den Katholiken der lateinische Ritus verbreitet. Aus diesem Grunde betrachtet das Volk die nationalen Interessen in Widerspruch stehend mit denen der katholischen Kirche. Daher gelingt es der uneigennützigen Tätigkeit des Heiligen Stuhles nicht, das herrschende Miß trauen zu zerstreuen. So kann man heute den Versuch Leo XIII., in Athen ein Zcntralseminar für den lateinischen Klerus in Griechenland zu gründen, als fehlgeschlagen mi schen. ES fristet ein äußerst dürftiges Leben und dürfte bald geschlossen werden. In Rumänien, Bulgarien und Montenegro sind die Beziehungen zwischen den Bischöfen und Katholiken einer seits und den jeweiligen Regierungen nicht immer gute zu nennensie sind auch durch kein besonderes Uebereinkommen geregelt. Nur ein vor mehr als 200 Jahren mit Monte negro abgeschlossenes Konkordat wurde stets gewissenhaft beobachtet. Was die Griechisch-Katholischen betrifft, setzt der Heilige Stuhl auf die Rumänen Ungarns die größte Hoffnung für ein Wiederaufblühen des Katholizismus im Orient. Unter ihnen pulsiert kräftiges Leben im Gegen sätze zu dem kirchlichen Leben der übrigen europäischen Katholiken orientalischen Ritus. Die Orientfrage erweckte stets das lebhafteste Interesse des Heiligen Stuhles. Man erinnere sich nur der großen Hoffnungen, die Leo XIII. auf sie gegründet hatte. Die Ergebnisse waren freilich spärlich genug im Vergleiche zu den aufgewendeten Mitteln. Unter den großmütigen Bestrebungen auf diesem Gebiete sind namentlich jene der aus Frankreich vertriebenen Assnmptio- nisten hervorzuheben, die ihre religiöse Tätigkeit nach Griechenland verlegen wollten und sich zu diesem Behufe vom Heiligen Stuhle die Erlaubnis geholt haben, zum griechischen Ritus übergehen zu können. Aber auch dieser Versuch scheiterte an dem Mißtrauen der Griechen. Mehr erwartete man sich in Rom von der üblichen Missionierung, die gute Erfolge erzielte und zumeist von Priestern, die ge bürtige Griecl>en sind, geleitet wird. Auch in der Türkei stehen die Katholiken, ähnlich wie in Rußland, einem neuen Regime gegenüber. Unter dem alten Regime besaßen die Katholiken gewisse Privilegien und standen, soweit sie dem lateinischen Ritus angehörten, unter dem französischen Protektorate. Die Griechisch- Unierten besaßen verschiedene nationale Organisationen, die dem jeweiligen Patriarchen unterstanden. Das alles sollte nach der Einführung der Konstitution verschwinden. Tatsächlich ließ sich aber diese Konstitution nicht unver ändert durchführen und so hatte die jungtürkische Negierung die christlich-nationalen Organisationen anerkannt. Auch gegen das europäische Protektorat, geübt durch eine euro päische Macht, hat man bisher keine Schritte unternommen, nur wird es nicht mehr ausschließlich von Frankreich geübt. Im großen und ganzen betrachtet ist daher die Lage der Katholiken in der Türkei eine gute zu nennen. Mit großem Interesse verfolgt man hier die Verhand lungen der armenischen Synode, die einen neuen Patri archen zu wählen hat, bisher aber infolge der Zwistigkeiten zwischen den Laien und Bischöfen zu keinem Ergebnis führten. Letztere wollen einige Wahlbestimmungen durch setzen, die die Autorität des Patriarchen einschränken wür den. Mit besonderer Genugtuung wurde in Rom auch die Tatsache begrüßt, daß die jungtürkische Regierung den Ka tholiken gegenüber große Achtung zeigt. Dies zeigt sich ins besondere in der Bewilligung, daß der bulgarische Bischof Mir off in Konstantinopel seinen Sitz nehmen durfte, was von der alten Regierung nie zu erlangen war. Auch die Ehrfurcht des neuen Sultans vor dem Papste, die sich in der Entsendung einer Deputation, die dem Papste von der Thronbesteigung des Sultans Kenntnis gab, und in dem Glückwunschschreiben des Sultans kundgibt, lassen erwarten, daß die Verhältnisse zwischen der katholischen Kirche nnd der Türkei in der Zukunft gute sein werden. Politische Rundschau. Dresden, den 25. Jarunr 1910. — Die alljährliche Drukschrtft über die Entwickelung beS Kiautschangrbiet- ist dem Reichstage zugegangen. Das Jahr 1909 hat auch dem Kiautschaugebiet eine entschiedene Besserung seinrr Lage gebracht, indem die Krise langsam überwunden wurde, die während der vorangehenden Jahre den Weltmarkt beherrscht hat. Der Gesamtwert des Handels ist um 86,8 Prozent gestiegen. Gegenüber der bislang günstigsten Entwickelungsperiode 1906/07 beträgt die Steige rung rund 26 Prozent. Hierzu ist besonders die Ausfuhr beteiligt. Die Seezoll - Einnahmen in Tsingtau betrugen 25.2 Prozent mehr. Der Gesamtbetrag der eigenen Ein- nahmen der Kolonie belief sich auf 2 299 000 Mk. Die eigenen Einnahmen übersteigen bereits den für die Deckung der fortdauernden Ausgaben der Zivilverwaltung erforder lichen Betrag. Das Berichtsjahr hat erhebliche Fortschritte im Ausbau des Bahnnetzes im Hinterlande gebracht. Die deutsche Schantung-Etsenbahn selbst weist eine erhebliche Steigerung des Güterverkehrs auf. sodaß für das Kalender jahr 1908 wiederum die Verteilung einer Dividende von 4^/4 Prozent möglich war. — Das preußische Adgcsrdnetenhaus befaßte sich am Montag zunächst mit der 1. Beratung einer Anzahl von Gesetzentwürfen über Erweiterung von Stadtkreisen. Die Vorlagen wurden allesamt an die verstärkte Gemeinde- kommiksion überwiesen. Alsdann wurde in der Beratung des Etats sortgefahren und zwar beim Etat der Landwirt schaft. Die Redner brachten ihre Wünsche in der Richtung zum Ausklang, indem sie betonten, daß eine Hebung der ländlichen Fortbildungsschulen und eine Fortentwicklung der inneren Kolonisation unbedingt notwendig seien. Abg. Human (Zt.) trat noch besonders dasür ein, daß die Kosten der Fleischbeschau aus öffentlichen Mitteln gedeckt werden mögen, sehr schürf sprach er sich aber gegen eine Oeffnung der Grenzen sür die Vieheinsuhr aus. — Dcruburg als Sieger. Wenn die Leute recht haben, die das Gras wachsen hören, wird Herrn Dernburg der rühmliche Lohn für seine Arbeit an der Hebung der Kolonien sehr bald ereilen. Es soll in kürzester Zeit die Verleihung des Adels an den Kolonialsekretär zu erwarten sein. UebrigenS gibt es auch im Südwest und sogar in Lüderitz- bucht Leute, die über Herrn Dernburg anders denken als Herr Bürgermeister Kreplin und seine Hintermänner. Von solchen ist dem Staatssekretär eine Depesche zugegangen, die besagt: „Die Unterzeichneten beglückwünschen Ew. Ex zellenz zu dem Erfolge in der Etatsberatung und betonen, entgegen allen Angriffen der irregeleiteten Bevölkerung, ihr Vertrauen in die Leitung des Kolonialamtes." Man sieht also, daß der Reichstag mit Recht sich für Dernburg aussprach. — Die Fleischtrueruug. Der Vorsitzende des Bundes der Viehhändler Deutschlands. Herr Hermann Daniel aus Dierdorf (Bez. Koblenz), wurde, wie die „Deutsche Fleischer- Ztg." meldet, von dem LandwirtschaftSmlnister v. Arnim empfangen. Herr Daniel überreichte Vorschläge des Bundes zur Verbesserung der Fleischerzeugung im Inlands. Der Besprechung wohnten noch bei: Unterstaatssekretär v. Conrad. Ministerialdirektor Küster und Gehetmrat Hesse. Die Vor schläge gehen im wesentlichen darauf hinaus, die Grenzen nicht zu öffnen, dafür aber tm Innern einen stärkeren Wettbewerb durch Unterstützung von Mastanstalten hervor« zurufen. — Ein grvßer deutscher Ueberseeverbuud soll in den nächsten Wochen gegründet werden; die einleitenden Schritte sind schon getan. Alle deutschen Firmen, die Interessen im Ausland haben, sollen sich hierfür zusammenschließen, um diese zu vertreten und zwar auch dann, wenn das Auswärtige Amt versagt. — Eine Forderung der Kattowitzcr Debatten. Frei herr v. Zedlitz hat als Kern der Wahlreform vorgeschlagen, die geheime Wahl fakultativ einzuführen, so daß man also öffentliches und geheimes Wahlrecht nebeneinander hätte. Daß sich der preußische Landtag auf diesen ganz unmöglichen Vorschlag einlassen sollte, ist zwar nicht anzunehmen, denn gerade in einer solchen Wahlrechtsfrage kann es doch keine Halbheiten geben. Man kann die Gründe für die öffent liche Wahl achten, aber doch finden, daß die geheime Wahl vorzuziehen ist oder umgekehrt: aber zu sagen, daß in einem Wahlgange beide Formen der Abstimmung Anwendung zu finden hätten, ist eine Unmöglichkeit. Sobald man den Die Areidenkerkirche. Es ist bei den Freidenkern so gekommen, wie es kom men mußte und wie es längst vorauszusehen war, nämlich zur Kirchenbildung. In Bern hat sich ein internationaler Orden für Ethik und Kultur aufgetan, der als Kopie der katholischen Kirche gedacht ist und gleich dieser über die Erde sich verbreiten soll, um denen, die der Kirche den Rücken kehren, einen Er satz zu bieten. Professor Forel in Wonne erläßt eben einen Aufruf folgenden Inhaltes: „Während die Religion neben ihren unhaltbaren, den Geist des Menschen verödenden (I) und den Fortschritt des Wissens, ja oft eine höhere Ethik hemmenden (I) Glau bensdogmen, dem Gemüt, besonders i n s ch w e r e n S t u n - den, Trost und Erbauung spenden, haben bis her die rein ethische Kultur und das Freidenkertum zwar dem Geiste freie Bahn geschaffen (??), aber dem Gemüt keine Nahrung gegeben. Und diese Nahrung braucht der Mensch in hohem Grade. „In dieser Erkenntnis haben Ende 1908 einige Perso nen den Internationalen Orden für Ethik und Kultur ge gründet. Er bezweckt möglichst viel ethisch-sozial denkende ernste Menschen zu vereinen, die soziales Derantwortlich- keitSgefühl besitzen und den intensiven Willen haben, nicht nur in der Theorie st ecken zu bleiben, sondern praktisch und tatkräftig vorzugehen. Da aber diese Arbeit hart und aufreibend ist, muß etwas geschaffen wer den, woraus wir stets neue Kraft schöpfen. Dazu soll un sere Organisation helfen, die auf diesbezügliche Erfahrun gen gegründet ist. „Unsere Ortsgruppen nennen sich Heime. Ihre wöchent- lichen Versammlungen (an einem Wochenabend oder am Sonntagmorgen) sollen zur Hälfte mit Beratungen, zur Hälfte mit erbauenden Vorträgen, Lektüren oder Entwür fen ausgefüllt werden, die zum Gemüte sprechen und uns an unsere Pflichten erinnern. Taten der Propaganda und der Hilfe können aber auch dafür ein- treten oder hinzukommen. Unsere brüderliche Freund schaft darf nie zur engherzigen Gemütlichkeit eines Kon- ventikels ausarten; sie muß vielmehr auf gegenseiti ger Aufmunterung zur sozial-ethischen Tat beruhen. Darin wollen wir einen Ersatz für die zer fallenen Religionen (!) finden. Das starre, verödende, den Geist knebelnde Glaubensdogma (I), die trügerischen Ver sprechungen eines zukünftigen Lebens (!) nnd die darauf gegründete ans Paradiesberechnungen fußende falsche Mo- ral (!) fallen bei uns gänzlich fort; aber das menschliche Sozialgefühl, die tatkräftige Nächstenliebe, das Wohl unserer Rasse als Ganzes, sowie unserer einzel nen Mitmenschen auf Erden, das wollen wir kräftig mit allen Mitteln fördern. „Wir gedenken deshalb auch, wo es gewünscht wird, bei Beerdigungen, Hochzeit und dergleichen solchen, die es wünschen, oder wo der Geistliche das Geleit verweigert, aus zuhelfen nnd hoffen, mit der Zeit diesem brennenden Bedürfnisse durch Schaffung geeigneter An- sprachen und Anstellu.ng passender Perso nen abzuhelfen. „Ebenso wollen wir Einfluß auf die Jugenderziehung dadurch gewinnen, daß wir Lehrer und Mütter in unseren Orden hereinziehen. Daß wir im letzteren den Frauen die gleichen Rechte wie den Männern gewähren, versteht sich eigentlich von selbst. „Die ganze Organisation wird von der in Bern be findlichen Zentrale geleitet, die zu jeder Auskunft gern be reit ist. Wenn unser Orden genügend erstarkt sein wird, ist erstere vielleicht berufen, eine internationale Zentrale zu bilden für Aktion und Agitation in allen fortschrittlichen, freiheitlichen Strömungen der sozialen Ethik. „Wir haben bereits eine größere Anzahl Männer und Frauen der Wissenschaft und der Sozialreform als Mit arbeiter gewonnen und auch Freunde in den meisten Kul turländern. Wir reflektieren in erster Linie auf geistig Ge bildete, die den Trieb zur sozialen Arbeit besitzen. Erst dann, wenn wir über die nötige Arbeitskraft und Organi sation verfügen, gedenken wir auch unter den Massen zu arbeiten. „Aber wenn wir unser Ziel erreichen wollen, muß jedes Mitglied an seinem Orte agitieren und überall müssen Heime entstehen. Man komme uns nicht mit der Ausrede des Zeitmangels. Wer will, kann. Zur Gründung eines Heims braucht es nur zunächst fünf beherzte Personen, die jede Woche anderthalb bis zwei Stunden unserer guten Sache opfern. Damit kann schon viel erreicht werden, wenn jedes Heim zu einem Herd der Gemütswärme, der Güte und Liebe und zugleich der Aufklärung und der sozialen Arbeir wird. Mögen unsere Heime bald überall wie Pilze aus der Erde schießen und Trost, Freude nnd Wärme in alle Hütten tragen in edler wahrer Reinheit. Das Arbeitsfeld ist unge heuer. wir brauchen Tanscnde freudiger Arbeiter. Helft uns!" Einige Bemerkungen zu diesem sehr interessanten Aktenstück: