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Blatt SächsMe Bo!k«zeitu«q vom 7. Dezember 191 El Nr. 278 Deutscher Reichstag. Sitzung vom 6. Dezember 2 Uhr 20 Minuten. Auf der Tagesordnung steht die zweite Beratung der Arbeitskammern. Zu 8 1 liegt ein Antrag Albrecht (Soz.) vor, der ein Neichsarbeitsamt, in jedem Bezirk ein Arbeitsamt und eine Arbeitskammer fordert. Berichterstatter Dr. Will (Ztr.) berichtet über die Kommissionsverhandlungen. Nbg. Wiedeberg (Ztr.): Wie heute die Situation steht, wollen wir keine Anträge mehr einbringen, um die Sache nicht aufzuhalten. Wir wünschen das Zustande- kommen des Gesetzes. Der sozialdemokratische Antrag macht eine Neuberatung des Entwurfes erforderlich; er würde den gesamten Behördenorganismus durchbrechen. Das heutige Gesetz soll man nicht mit neuen Materien belasten. Wir sind für paritätische Kammern, also für Arbeitskammern, wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer Zusammenarbeiten. Abg. Legien (Soz.) hält Arbeiterkammern für besser und begründet den Antrag seiner Partei. Abg. Graf Westarp (Kons.): Die Vorlage wird von Len Arbeitgebern nicht gewünscht; auch die Arbeiter wollen sie nicht, wenn man den Sozialdemokraten glaubt. Diese wollen die Einrichtung nur dazu benützen, um für die Ein- sturzbestrebungen Stimmung zu machen. Wie bei den Krankenkassen soll es hier gehen; dann dienen die Arbeits kammern nicht dem Frieden, sondern der Verhetzung. Redner zählt eine weitere Reihe von Bestimmungen auf, gegen die er sich wendet. Die Öffentlichkeit der Verhand lungen wird zu neuem Terrorismus führen. Wir lehnen das Gesetz einmütig ab. (Beifall rechts.) Abg. Manz (Ars. Vpt.): Wir nehmen das Gesetz nur dann an, wenn einige Punkte darin bleiben. Dazu rechnen wir, daß es paritätische Kammern bleiben, die die Inter- essen der Arbeiter vertreten. Man richte nicht zu viele fach liche Arbeitskammern ein. Abg. Horn-Reutz (Natl.): Der Antrag der Sozial demokratie hat nur agitatorischen Wert. Man sollte eine neue Enquete über die Notwendigkeit der Vorlage veran stalten; er hat erhebliche Bedenken gegen diese. Abg. v. Dircksen (Rpt.): Für uns ist das Gesetz ganz unannehmbar. Wir hoffen auch, daß die Regierung heute ihr Unnannehmbar hat bei der Frage der Wahl der Ar beitersekretäre usw. Wir sind geschlossen gegen den Ent wurf und zwar aus sehr wichtigen Gründen. Die Arbeit geber find sehr verdrossen gegen dieses Gesetz. Die Uner sättlichkeit der Sozialdemokratie macht uns vor weiterer Sozialpolitik stutzig. Wir sind eher für Arbeiterkammern. Die Macht der Arbeiter ist ungemein gestiegen besonders Lurch die Gewerkschaften. Kein Land hat eine so umstürz- lerische Sozialdemokratie wie Deutschland. Solange wir -keinen Briand haben, so lange können wir die Eisenbahner nicht sich organisieren lassen. (Heiterkeit.) Wenn man die Arbeitersekretäre in die Kammer zuläßt, geht die letzte Hoffnung auf ein friedliches Zusammenwirken verloren. In Holland hat die Arbeitskammer sich gar nicht bewährt; kein vernünftiger Arbeiter hält es in diesen aus. Die deutsche Industrie hat sich einmütig ablehnend gegen die Arbeitskammern gewendet. Staatssekretär Delbrück: Der sozialdemokratische Antrag ist für uns unannehmbar; er greift in die Be- hördenorganisation der Bundesstaaten ein und schafft eigene Behörden für einen Stand. Man darf die Sozial politik nicht loslösen vom Neichsamt des Innern! Wirt- schaftspolitik und Sozialpolitik müssen in einer Hand liegen und dürfen nicht getrennt werden. Gegen einzelne Beschlüsse der Kommission habe ich das Unnannehmbar der Regierung zu wiederholen: Wahl der Arbeitersekretäre, Einbeziehung der Eisenbahnarbeiter. Ein Scheitern des Entwurfes würde ich beklagen. Was ich in der Kommission für unannehmbar erklärt habe, bleibt für den Bundesrat unannehmbar, auch die Herabsetzung des passiven Wahlrechtes auf 25 Jahre. Wenn die Eisenbahnarbeiter dem Gesetz unterstellt werden, ist dieses für uns unannehmbar. (Beifall.) Man hat viele Vermittlungsvorschläge gemacht, aber ich muß sie alle ab- lehnen. Die allerhöchste Stelle hat mir einst den Wunsch nahegelegt, die Neichsversicherungsordnung zustande zu bringen. (Heiterkeit.) Ich glaube, daß diese Meldung von einer Seite stammt, die mich hindern will, das Gesetz zu stande zu bringen. (Beifall.) Abg. Behrens (W. Vg.): Die nationalen Parteien sollten dem Entwürfe nicht so viele Schwierigkeiten in den Weg legen. Eine lange Debatte hat keinen Wert; man muß eine Entscheidung herbeiführen. Wir werden alles tun, um das Gesetz zustande zu bringen. Halten Sie fest am Arbeitersekretärparagraphen. (Beifall.) Abg. Kulerski (Pole): Wir stimmen dem Gesetze nicht zu, da es unsere Hoffnungen nicht erfüllt hat. Wir stimmen für die Beschlüsse der zweiten Lesung. Abg. Dr. Naumann (Frs. Vpt.): Der sozialdemo kratische Antrag ist ganz unannehmbar; man kann ein Reichsarbeitsamt nicht so nebenbei hier einführen. Redner empfiehlt die Annahme der Kommissionsbeschlüsse. Staatssekretär Delbrück: Für die Eisenbahnwerk' statten läßt sich die Ausnahmebestimmung recht gut reckt' fertigen; das liegt in der Natur der Sache. Wir müssen an unserem Unannehmbar festhalten. Abg. Legien (Soz.): Der Staatssekretär will die Eisenbahnarbeiter als Staatsbürger niederen Rechtes be handelt wissen. Redner polemisiert gegen den Abgeordneten v. Dircksen. Gewiß wollen die Arbeiter Macht erzielen, sonst geht man über die Arbeiterinteressen hinweg. Ein Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit ist eine Utopie, eine Unmöglichkeit. Man hat bei diesem Gesetze nur zu fragen, was die Arbeiter dazu sagen, denn für sie ist das Gesetz bestimmt. Abg. Dr. Fleischer (Ztr.): Vom „schwarz-blauen" Block kann man heute nicht reden; das Zentrum treibt Zen trumspolitik, unbekümmert um die momentane politische Lage. Wir wollen den Frieden zwischen Arbeiter und Arbeitgeber durch dieses Gesetz fördern. Das Gesetz enthält Bestimmungen hierfür. Weite Kreise der Arbeiter wünschen das Gesetz; der Reichskanzler hat sich warm für den Ent Wurf ausgesprochen. In der Kaiserlichen Botschaft von (890 sind die Arbeitskammern angekündigt. Wer heute noch Arbeiterkammern fordert, der schädigt die Arbeiter Wir wünschen das Zustandekommen des Gesetzes. (Beifall.) Der Antrag der Sozialdemokraten wird abgelehnt und 8 1 nach der Kommissionsfassung gegen die Stimnien der Konservativen und Reichspartei angenommen. Die Weiterberatung wird um ^7 Uhr aus morgen vertagt Kardinal Fischer über seine Romreise. Die „Kölnische Volkszeitung" veröffentlicht nach dem „Kirchenanzeiger" einen Hirtenbrief des Kardinals Fischer über seine Nomreise. Derselbe soll am 8. Dezember von den Kanzeln verlesen werden. Der Erzbischof ermahnt in diesem Hirtenbrief die Katholiken, sich in ihrer kirchlichen Gesinnung nicht verwirren und beunruhigen zu lassen durch allerlei Gerede, wie es seit Wochen verbreitet worden ist. Der Hirtenbrief geht sodann direkt auf den Kernpunkt der Streitfrage ein und sagt darüber: „Man sprach von bevorstehender Verurteilung der einen oder anderen unserer Organisationen; man sprach von einer drohenden Spaltung unter den deutschen Katho liken; man sprach gar von einem Riß im deutschen Episkopat. Und was für abenteuerliche Sachen hat man nicht in der Presse des In- und Auslandes erzählt über meine Romreise! Noch jetzt fahren gewisse Blätter fort, in gleichem Sinne zu schreiben und leichtgläubige Leser irre zu führen; es hat fast den Anschein, als wüßten sie besser, was meinerseits mit dem Heiligen Vater und seinem Staatssekretär besprochen worden ist, als ich selber. Ich wiederhole, geliebte Erzdiözesanen: laßt euch nicht verwirren und nicht beunruhigen! Der Heilige Vater denkt gar nicht an irgendwelche Verurteilung irgend einer unserer Organisationen. Im Gegen teil, er belobt und segnet sie. Wir können, so llen und wollen sie weiter erhalten und immer mehr entwickeln. Klebt ihnen Unvoll kommenes an, so werden wir es beseitigen, werden uns be mühen, sie immer vollkommener zu gestalten im Interesse der heiligen Sache, der wir dienen, und zum Wähle unsere- Volkes. Das ist nicht die bloße Ansicht eures Erzbischofs: es ist die Gesinnung des Heiligen Vaters. Ich füge noch eigens bei, daß der Papst mit Entschiedenheit erklärt hat^ daß er in der sogenannten Gewerkschafts frage nach wie vor den bisherigen Standpunkt einnehme, nämlich daß er den beiden Richtungen, die in dieser Hinsicht in Deutschland bestehen, gleichmäßig neutral gegenüber st ehe. Das dient zur Beruhigung für unsere katholischen Arbeiter, die den „christlichen Gewerkschaften" beigetreten sind oder bei zutreten gedenken. Nur knüpfe ich daran, wieder im Sinne und im Geiste des Heiligen Vaters, zwei Bemerkungen: Erstens wird es für die Zukunft immer mehr unser Be streben sein, neben den Gewerkschaften unsere spezifisch katholischen Arbeiterorgani sationen — Arbeitervereine, Jünglingsvereine, Ge sellenvereine, Kongregationen usw. — weiter auszubauen, sie nach Möglichkeit zu fördern und so den religiösen, den katholischen Geist in unserer braven katholischen Arbeiterwelt zu pflegen und zu vertiefen. Zweitens (und das liegt dem Heiligen Vater und eurem Erzbischof — 64 — datz die Damen eine Artzahl elender Oeldrucke in noch elenderen Rahmen besitzen." „Und aus diesen Erzeugnissen der zeitgenössischen Industrie gedenkst du Kapital zu schlagen?" „Ich bewundere deinen Scharfsinn, Freund Raphael." .Mas aber nicht ausschließt. Laß mir die Sache ganz unverständ lich ist." „Unter dem Vorivande, mich nach dem Befinden des Fräuleins Gene- viave zu erkundigen, werde ich mich morgen bei Frau Largeval einfinden. Ich werde die kleinen Bilder entdecken und in Entzücken geraten, dann aber den Damen auseinandersetzen, daß man seit einiger Zeit auf der Rücken wand ganz ähnlicher Bilder kleine Aquarellzeichnungen, Oelbilder und Radierungen entdeckt hat, die wahre Meisterwerke sind." „Nun und weiter?" „Dann werde ich sagen, daß, wenn man das hinter dem Bilde befind lich« Papier entfernt, man die dort verborgenen Meisterwerke findet." „Davon werden sie sich aber sofort überzeugen wollen." „Allerdings, doch werde ich ihnen sagen, daß man, um das Papier zu entfernen, ein besonderes Verfahren beobachten muß, und zugleich um die Erlaubnis bitten, zwei dieser Bilder mit mir zu nehmen. Dann bringe ich dieselben hierher und male auf die Rückseite irgend ein Aquarell oder hübsches Oelbild, welches ich um drei-, vier- oder fünfhundert Franken an Onkel Largeval verkaufe, der darob ganz entzückt sein wird. Diese List wird, denke ich, lange genug Vorhalten, damit der glückliche Bräutigam Fräulein Gene- viöve heirate und das Oberhaupt dieser Familie werde, die wir hoffentlich noch mit dem Onkel und Rentier werden aussöhnen können." „Ja, beiläufig, — weshalb nanntest du diesen Herrn so hartnäckig den Vater von Fräulein Genevidve? Er war darob ganz entrüstet." „Weil ich, wie bereits erwähnt, in seinen Augen einen Ausdruck zu ent decken meinte, welchen ich in dem Blick des anderen nicht wahrgenommen. Dies kann eigentlich nicht einmal auffallen, da ich mit dem Onkel nur einen Moment, und das auch nur im Dunkel der Nacht, gesprochen habe." 11. Während die beiden Freunde die vorstehend wiedergegebene Unter haltung mit einander führten, war Georg wieder daheim angelangt. Im Hausflur bereitete ihm Tak einen sehr üblen Empfang: der scheuß liche Köter wies ihm knurrend die Zähne und begleitete ihn unter zornigem Bellen bis zur Tür des kleinen Pavillons. „Warte nur," sagte sich Largeval im stillen, „du wirst nicht mehr lange in diesem Hause bleiben." In dem kleinen traulichen Raum angelangt, welcher früher das Ar beitszimmer Remis gewesen, versank Georg in tiefes Sinnen. Er konnte sich mit dem Gedanken nicht befreunden, daß Laurenca seinem Bruder einen so schwerwiegenden Fehler vorzuwerfen hatte. Laß sie denselben weder zu vergessen noch zu verzeihen vermochte. Den Kopf in beide Hände gestützt, erwog er die Frage, in welcher Weise er wohl die Lösung dieses Geheimnisses finden könnte, , — 61 — Nach wenigen Minuten schon wich die Trunkenheit wie durch Zauberei von ihm, und ein wenig bleich, mit beschämter Miene, die man bei ihm nur sehr selten beobachten konnte, kehrte Montussan in das Atelier zurück, wo er. auf Largeval zuschreitend, sagte: „Ich bitte Sie nochmals, Herr Largeval, zu vergessen, was ich vorhin gesprochen haben mag und dessen ich mich selbst nicht mehr zu erinnern ver mag; doch wäre ich trostlos, wenn ich den Vater von Fräulein Genevidve ver letzt hätte." Daß Montussan auch jetzt noch bei seiner Behauptung beharrte, versetzte Georg in die größte Verwirrung. Offenbar ging Lucien mit Absicht zu Werke, und dazu mochte er seine geheimen Gründe haben; Largeval erwog bereits besorgt die Argumente, mit welchen er den Hartnäckigen eines besseren belehren sollte, als ihm Riaux glücklicherweise dabei zu Hilfe kam. „Aber, lieber Freund, Herr Largeval sagte dir ja schon, daß er nicht der Vater, sondern der Onkel des Fräuleins Genevidve ist." Montussan schlug sich vor die Stirne und sagte: „Ja, das ist wahr; verzeihen Sie mir, mein Herr. Was meinen Irr tum verschuldete, ist der Umstand, daß ich in Ihren Augen einen Strahl, einen Schimmer der Redlichkeit und Rechtschaffenheit zu entdecken glaubte, welchen ich bei Ihrem Bruder vermißte." „Wirklich?" fragte Georg erstaunt über diesen Scharfblick. „Nun sehe ich aber, daß ich mich getäuscht habe, und datz dieser redliche, ehrenhafte Blick beiden Brüdern gemeinsam war. Womit kann ich Ihnen also dienen?" . „Könnte ich einen Moment allein mit Ihnen sprechen?" „Ohne Zweifel; bitte, treten Sie hier ein," sagte Montussan, auf die Tür eines kleinen Kabinetts deutend. Als sie dort eingetreten waren, Hub Georg an: „Wenn ich nicht irre, Herr Montussan, so interessieren Sie sich für meine Schwägerin und meine Nichte?" „Das heißt, Fräulein Geneviöve hat mir Gelegenheit gegeben, die Ueberzengung zu schöpfen, daß ich noch ein Herz habe, welches von Zeit zu Zeit pocht, und bin ich ihr für diesen Dienst so dankbar, daß ich zu dem größten Opfer für sie bereit wäre." „Ich danke Ihnen, Herr Montussan. Mein Anliegen ist kurz folgendes: durch den Tod meines Bruders sind dessen Frau und Kind fast in Not zurück geblieben . . ." „Dafür sind Sie ja da, und wie man sagt, sind Sie ein vermögender Mann." „Ich bin allerdings da, wie Sie sagen; zum Unglück will aber die Witwe meines Bruders keinerlei Hilfe von mir annehmen." „Weshalb denn nicht?" „Das weiß ich nicht." „Sie wissen eS wirklich nicht?" »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf. Vielleicht ist die Sache auf ein Mißverständnis zurückzuführen: ich selbst weiß aber nichts und kann mich auch an nichts erinnern, was Anlaß geben könnte, mir derart zu zürnen«* ^Schuld und.Sühne,' M —- Hrar