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zweites Blatt Deutscher Reichstag. S-iMsLe B^!kSzettÄ«q 1. Dezember 19t tt Nr. 273 Sitzung vom 29. November. 1 Uhr 20 Minuten. vingegangen ist die M i l i t ä r v o r l a g e. Die erste Lesung des Wasser st raßengesetzes lSchiffahrtsabgaben) wird fortgesetzt. Abg. Dr. Zehnter (Ztr.): Wir sind als Badener nicht grundsätzliche Gegner der Schiffahrtsabgaben, denn wir haben die anliegenden Gemeinden bei der Rheinkorrek tion zu den Kosten herangezogen. Wenn nun das Reich ebenso die Interessenten heranzieht, so läßt sich hiergegen nichts Prinzipielles einwenden. Der frühere Entwurf über die Abgaben von 1909 aber mußte wesentliche Bedenken Hervorrufen: der neue beseitigt sie erheblich. Vielleicht hätte es schon genügt, wenn man nur den Artikel 64 völlig klargestellt hätte; daun hätte jedes Land für sich die Sache regeln können. Wir Badener liegen am Oberrhein und haben daher infolge der weiten Entfernungen die höchste Belastung zu tragen. Die Kanalisation des Neckars bringt für Mannheim nicht den erhofften Vorteil. Andere wün schen nicht die Vertiefung des Rheins zwischen St. Goar und Mannheim: selbst Schiffer sind lebhafte Gegner hier von. Die Einteilung der Güter in Tarifklassen muß gesetz lich festgelegt werden. Abg. Dr. Wagner-Sachsen (Kons.) erklärt sich im Namen der sächsischen Abgeordneten der konservativen Par tei, der Reichspartei, der Wirtschaftlichen Vereinigung und der Reformpartei gegen die Schiffahrtsabgaben. Es ist anzuerkennen, daß es der Haltung der sächsischen Regierung mit zu danken ist, daß der vorliegende Gesetzentwurf eine Gestaltung gewonnen hat, die den Bedenken Rechnung trägt, die vom verfassungsrechtlichen Standpunkte aus gegen die frühere Planung erhoben werden mußten, und daß er m einigen Punkten die Schäden zu mildern sucht, die die sächsische Volkswirtschaft durch die Aufhebung der Abgaben- sreiheit auf der Elbe, der Hauptlebensader Sachsens, er leiden wird. Trotzdem müssen wir betonen, daß die Ein führung solcher Abgaben auf der Elbe auch mit den erlang ten Zugeständnissen für Sachsen, namentlich für unsere be deutende Industrie gegenüber dem bisherigen Zustande einen erheblichen Schaden bedeutet. Wir werden hiernach gegen die Vorlage stimmen. Alle politischen Parteien Sach sens sind einig in der Ablehnung. In beiden Kammern des sächsischen Landtages erhob sich nicht eine Stimme dafür. Alle Berufsstände, Industrie und Landwirtschaft, marschie ren Arm in Arm. Staatsminister v. Breitenbach hat gestern erklärt, die aus dem Ertrage der Abgaben herzustellenden Verbesserungen der Fahrrinne minderten die Beförderungs kosten. Dadurch werde ein Ausgleich geschaffen, indem die Minderung dieser Kosten sogar höher sein werde, wie die Belastung durch die Schiffahrtsabgaben. Der Einwand geht fehl. Er würde nur dann zutreffen, wenn die Ab gaben nur für künftige Stromverbesserungen, nicht auch für die laufende Stromunterhaltung erhoben würden, und wenn außerdem die Erhebung erst dann beginnen würde, wenn und soweit die Stromverbesserungen, von denen die Ermäßigung der Beförderungskosten erwartet wird, schon vollendet wären. Dem steht der Paragraph 3 unter n ent — 44 gegen. Das ist der bedenklichste Punkt. Wenn rnan null einmal Schiffahrtsabgaben absolut einführen will, dann mag man wenigstens diese Bestimmung beseitigen. Bei der jetzigen Vorlage ist damit zu rechnen, daß die Einfüh rung der Befahrungsabgaben auch eine Erhöhung der Schiffsfrachten nach sich ziehen wird. Das muß unsere wirt schaftlichen Verhältnisse in Sachsen beeinträchtigen. Es be steht die Gefahr, daß der Betriebsbereich unserer sächsischen Elbeschiffahrt verringert, die Verkehrsverhältnisse der ver schiedenen Umschlagsplätze auf der Elbe zum Nachteile der von Hamburg entfernteren Plätze, also zum Nachteile der sächsischen, verschoben werden. Das würde ein Rückgang auch der Einnahmen der von unseren Umschlagplätzen aus gehenden sächsischen Staatsbahnen bedeuten. Die niedri- gen Zahlen, die Herr v. Breitenbach gestern anführte, waren sehr überraschend, aber es waren nur Zahlen für eine Tonne. In Sachsen kann die Bilanz eines größeren In dustrieunternehmens durch die Abgaben jährlich allein um 30 000 Mark belastet werden. Auch kann die Abgabe für eineil Elbkahn auf einer Fahrt bis Hamburg insgesamt 300 Mark betragen. Solche Beträge können weder die Schiffer , noch die Verarbeiter auf sich nehmen. Sie wer den dann höhere Warenpreise nach sich ziehen. Auf die jetzt so billige Zufahrtsstraße der Elbe für Erze. Roheisen, Holz. Düngemittel, Spinnstoffe, Petroleum haben sich unsere In dustriellen, aber auch unsere landwirtschaftlichen Betriebe in Sachsen eingerichtet. Mit der Verteuerung dieser Roh- stoffe durch die höhere Fracht werden diese Betriebe in ihrem Wettbewerbe beeinträchtigt. Allein nach Freiberg werden jährlich für rund 10 Millionen Mark ausländische Erze über Hamburg, Riesa gebracht und in den staatlichen Werken verhüttet. Diese Hüttenbetriebe werden die geplanten Ab gaben allerdings nachteilig empfinden. Die Abgaben be deuten aber auch eine Gefahr für den Absatz der sächsischen Produkte, die bisher auf der Elbe befördert wurden. Das gilt insbesondere für den Kahnverkehr mit den geringwerti gen Massengütern. Man denke an unseren sächsischen Sand stein: er würde wahrscheinlich zum Teil unrentabel wer den, weil auch nur eine geringe Erhöhung der Unkosten den jetzt schon bescheidenen Gewinn aufzehren würde. Die Abgabenfreiheit auf der Elbe habe zum Segen unseres Landes gewirkt Sie entspreche dem seit der Neichsgrün- dnng bestehenden Rechtszustande, und wir wehren uns mit vollem Rechte ganz energisch gegen eine Aenderung. Abg. Korfanty (Pole): Der Entwurf ist keine För derung des Verkehrs, sondern schädigt diesen, darum sind wir Gegner. Abg. Stolle (Soz.): Das Gesetz hat einen agrari schen Charakter und kann nur in einem Junkerparlamente Annahme finden. Die Regierung will die Eisenbahntarise erhöhen, darum unterbreitet sie dieses Gesetz. Der Ent wurf ist das Eingeständnis des Fiaskos der Reichssinanz- reforni. (Zuruf: Au!) Denn trotz der neuen Steuern haben die Bundesstaaten kein Geld für Kulturzwecke. Wie will das Reich die Zustimmung von Oesterreich und Holland gewinnen? Abg. Dr. Junk (Ntl.): Man braucht ganz anderes Material, um zur Vorlage Stellung nehmen zu können; man sollte dem Bundesrate die Vorlage wieder zurückgeben, daß er Pläne ansarbeitet. (Heiterkeit.) Wie hat man die süddeutschen Brüder durch Versprechungen gewonnen? Aber wir Sachsen sind und bleiben Gegner dieses Entwurfes. In der Verfassungsfrage soll nun Klarheit geschaffen wer den; das ist erfreulich, aber auch sonst nichts an der ganzen Vorlage. Die kleinen Schiffer haben von der Vorlage kei nen Vorteil. Es ließe sich darüber reden, wenn das Reich die Abgaben erheben würde: das wäre eine großzügige Reichspolitik. Aber so verzichtet das Reich auf seine selbst ständige Politik und schon darum sage ich: Vorsicht! Man bildet Strombauverbände, das heißt G. m. b. H., mit be scheidenen Hoffnungen. (Heiterkeit.) Müssen die Einzel staaten den Staatsverträgen zustimmen oder nur den er forderlichen Anleihen? Wie hoch sind die Kosten der Er hebung und wie umständlich wird dies sein? Wie der Ent wurf vorliegt, ist er für uns unannehmbar. (Beifall links.) Abg. Haußmann (Freis. Vp.): Der deutsche Reichs- gedanke leidet durch den Entwurf nicht, denn dieser hat unter den: Drucke der öffentlichen Meinung eine Fassung angenommen, nach der die Abgaben nicht mehr für allge meine Zwecke verwendet werden dürfen, sondern nur für den Ausbau der Wasserstraßen. Diese Gesamttendenz kann fruchtbar gemacht werden für die nationalökonomische Ent wickelung. Die ablehnende Haltung Badens gegen die Schiffbarmachung des Neckars hat in Württemberg den Wunsch nach einer reichsgesctzlichcn Regelung gezeitigt. Manche Einzelheiten des Entwurfes sind noch zu verbessern, damit er ein brauchbares Gesetz werden kann. Die Tarif sätze sind im Gesetze genauer zu fixieren Eisenbahnminister v. Breitenbach: Die Vertiefung des Rheines soll in erster Linie dazu dienen, um die Rhein flotte stets in voller Fahrt halten zu können, damit sie nicht in St. Goar leichtern muß. Die Schiffbarmachung des Rheins liegt im Bereiche der Möglichkeit. Die Schiff fahrtsabgaben führen zu keiner Erhöhung der Eisenbahn tarife. Die Sozialdemokratie allein lehnt das Gesetz prin zipiell ab, obwohl Schippel den Grundgedanken für ganz zutreffend hält. Herr Junk will Vorsicht walten lassen. Die Strombaiiverbäude sollen Werke finanzieren, die der Staat nicht bauen kann. Die Kanalisierung der Mosel kann zur Zeit nicht in Frage kommen, und zwar aus wirt schaftlichen Gründen. Abg. Ge rstenbcr ger (Ztr.): Wenn die Lächerlich keit töten kann, hat Junk die Vorlage zu Falle gebracht, aber er war mehr eiu Karikaturenzeichner. Aber dafür ist die Sache zu ernst. Die Sachsen vertreten hier ihre Son derinteressen am schärfsten. Die Schiffahrtsabgaben sind prinzipiell gerechtfertigt. Die Gegner fordern Privile gien für einen einzelnen Zweig des Erwerbslebens. Wir treten für gleiche Rechte aller Erwerbsstände ein. Gerade die Erhebung von Abgaben fördert eine Reihe von Kultur aufgaben und Unternehmungen. Der Verkehr wird hier durch nicht gehemmt: eine Tonne Kohle, 20 Zentner, von Rotterdam nach Mannheim kostet 6 Pfennig, ebenso ist es mit Getreide. Ist es denn national, wenn einzelne Städte alles behalten wollen, was sie haben? Ohne die Abgaben kann man die Flüsse nicht ausbauen. Das ganze Hinter- Von da an war seine Miene düster und verschlossen, während er an die Ausführung seines verbrecherischen Planes ging. . . Zuerst schloß er das Fenster und zog sorgfältig die Vorhänge vor. worauf er den Leichnam Remis gänzlich entkleidete. Dies war ein schreck liches Stück Arbeit, welche er wiederholt im Stiche lassen wollte. Drei- oder viermal meinte er, der leblose Körper wende sich ihm zu, um ihn über das. was er, Georg, für eine Profanation ansah, zur Rede zu stellen. Ferner war die Sache ungemein schwierig. Die Gliedmaßen waren be reits kalt und steif geworden, und er mußte dem Toten die Wäsche vom Körper schneiden, da er sie anders nicht zu entfernen vermochte. Keuchend, mit schweißbedeckter Stirne, ängstlich blickenden Augen und von Gewissensbissen gepeinigt ging er hastig zu Werke, ohne recht zu wissen was er tat. Hierbei zog sich ein Arm, den er ausstrecken mußte, um den Hemdärmel herabzuziehen, plötzlich zusammen und die zurückschnellende Hand des Toten versetzte Georg einen leichten Schlag auf die Wange. Der Unglück liche sprang erschrocken zurück und hätte auf ein Haar die Flucht ergriffen. Er erinnerte sich aber neuerdings an seine Frau und Tochter, und kehrte an sein trauriges Werk zurück, um es schließlich zu vollenden. Nachdem er den Leichnam entkleidet hatte, legte Georg die eigenen Kleider ab und zog die seines Bruders an, worauf er diesem die soeben abge legten Kleidungsstücke anzog. Als dieser ebenso traurige als schwierige Kleidungswechsel vor sich gegangen, begab sich Georg vor einen Spiegel, um sich in demselben zu be trachten. In den Kleidern seines Bruders war er so genau dessen Ebenbild, daß er unwillkürlich murmelte: „Renn!" Dieser Anblick beruhigte ihn einigermaßen über den Ausgang seines verwegenen Unternehmens, und er sagte sich: „Nun gilt es, Laurenca in Kenntnis zu setzen. Einen Moment war er ratlos, dann fügte er hinzu: „In Kenntnis zu setzen? Wovon denn? Soll ich ihr sagen, was ich ge- tan, und sie ohne weiteres in mein Geheimnis einweihen, oder soll ich ihr und Gencvidve gegenüber ebenso die Nolle meines Bruders spielen wie allen anderen Personen gegenüber? ... Ich muß mich wohl für daS letztere ent scheiden, denn ich kenne sie gut. Sie würde niemals sich dazu verstehen, mich in meinem Vorhaben zu unterstützen: in ihrer Rechtschaffenheit und Gerech- ligkeitsliebc würde sie mir ihre Entrüstung keinen Moment vorenthalten. Ja, noch mehr, sie würde mich gewiß zwingen, meine verzweifelte, sorgenvolle Situation weiter zu ertragen . . . Was soll ich tun? . . . Und meiner Unentschlossenheit muß ich trotzdem ein Endo machen. Ich habe einen Pfad betreten, auf welchem es vorwärts- »uschreiten gilt, wenn auch nicht ohne Furcht, so doch ohne Zögern. Ich werde sie also selbst von meinem Tode in Kenntnis setzen. Erkennt sie mich, nun, jo werde ich sie zu veranlassen suchen, an meinem Wagnis teilzunehmen. — 41 — Georg eilte zur Tür des Salons; doch bevor er hinausging, glaubte ec ein unbestimmtes Geräusch zu vernehmen. Es schien ihm jetzt, als hätte sein Bruder einen Seufzer aus-gestoßen. „Er wird endlich zum Bewußtsein erwachen," sagte er sich, zu dem Regungslosen zurückkehrend. „Ich hatte schon große Angst." All dies hatte viel Zeit in Anspruch genommen, und es war nahe an Mitternacht. In den: ganz isoliert inmitten eines großen Gartens gelege nen kleinen Pavillon nahm sich der traurige Vorgang recht gespenstisch aus, worüber sich Georg instinktiv klar wurde. Während er seinen Bruder unverwandt anstarrte, vollzog sich bei die- scm eine erschreckende Veränderung. Die Augen wurden vollständig gläsern, die Lippen mit jeder Sekunde dünner und farbloser, die Nasenflügel sanken ein, wodurch die Nase spitzig hervortrat, und die Daumen krümmten sich gegen das Innere der Handfläche. Wieder erfaßte Georg das Handgelenk seines Bruders und wollte aber mals dessen Namen nennen: doch war jetzt kein Zweifel mehr möglich. „Er ist bereits ganz kalt!" sagte er sich voll Schrecken. Und ohne recht zu wissen, was er tat, drückte er das Ohr auf die Brust Remis, um zu lauschen. Das Herz pochte nicht mehr. Ein kleiner Spiegel, den er an die Lippen des Unglücklichen hielt, blieb klar und ungetrübt. „Tot! er ist tot!" rief Largcval in höchster Verzweiflung aus. „Armer Bruder! Mein armer Renn!" Er sank auf das Sofa zu den Füßen des Leichnams nieder, von schmerz lichen Gedanken bewegt, wobei sein Kinn fast seine Brust berührte. Plötzlich aber fuhr er in die Höhe und hob die geballte Faust gen Himmel empor. „Ich Unglücklicher! Ich tausendmal Unglücklicher!" rief er dabei aus. „Wieder bin ich cs, den diese Katastrophe am schwersten hcimsucht. Gott> Gott! womit habe ich mich gegen dich vergangen? Er wollte mir in meiner Not zu Hilfe kommen, und nun stirbt er da plötzlich, ohne mir einen Sou ge geben zu haben. Er hat keine hundert Franken im Hause, wie er mir vorhin sagte! ... So entgeht mir denn alles. An wen soll ich mich jetzt wen den? . . . Das Unglück hat sich an meine Fersen geheftet, es weicht nicht von mir, sondern drückt mich zu Boden, daß ich mich nicht mehr zu erheben vermag und den Kampf aufgeben muß . . . Besser wäre mir, tot zu sein, als ohne Unterlaß den Felsen des Sisyphus vor mir einherzuwälzen, der immer wieder auf mich zurückfällt . . . Renn ist tot, und mit ihm erlischt auch die Rente. Er bewohnt hier einen Pavillon, wo nicht einmal die Möbel ihm gehören, und ich besitze keinerlei Anspruch auf eine Erbschaft, die nicht einmal hinreichen wird, um die Begräbniskosten zu decken. Es ist geradezu entsetzlich, und ich bin verloren. Ich wollte, ich wäre tot . . . Tot! Und was sollte aus meiner armen Laurenca und meiner kranken Genevidve werden, wenn sie aller Hilfs mittel entblößt Zurückbleiben?" Er sank wieder auf das Sofa nieder und verharrte wohl eine Viertel stunde lang völlig regungslos. Woran mochte er denken? W r> -Schuld UN« «M- «.«