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Deutscher Reichstag. Sitzung vom 13. November. 2 Uhr 20 Mi». Auf der Tagesordnung steht folgende sozialdemo kratische Interpellation Albrecht und Genossen: „Ist es dein Herrn Reichskanzler bekannt, daß Arbeiter der Neichseisenbahu nach langjähriger, durchaus zufrieden stellender Arbeit auf ihrer Arbeitsstelle entlassen wur den, weil sie zur Vertretung ihrer wirtschaftlichen Interessen im Nahmen der bestehenden Reichsgesetze tätig waren? Was gedenkt der Herr Reichskanzler zu tun, um solch will kürliches, der Gleichberechtigung der Staatsbürger wider sprechendes Vorgehen der Reichseisenbahnverwaltung sür die Zukunft unmöglich zu machen?" Eisenbahnminister v. Breitenbach erklärt sich be reit, die Anfrage sofort zu beantworten. Abg. E n: m e l (Soz.) begründet die Anfrage. Man habe Arbeiter entlassen, die 26 Jahre dort beschäftigt waren und denen man grobe Disziplinlosigkeit vorgeworfen habe, weil sie außerhalb der Arbeit etwas getan haben, was der Generaldirektion nicht gefällt (Verhalten in einer Berufs- Versammlung). Ein solches Verhalten stellt mit dem Neichs- vereinsgesetze im Widerspruch, denn dieses gestattet allen Neichsangehörigen die Bildung von Vereinen. Wer dies tut, darf nicht gemaßregelt werden. Es handelt sich zudem um gor keinen sozialdemokratischen Verband. Minister v. Breitenbach antwortet sehr eingehend. Tie Verwaltung hat recht viel Geduld an den Tag gelegt, sie hat die Arbeiter lange gewarnt. Aber die betriebene Agitation überstieg alles Mas;. Wir fordern für die Ne gierung, das; sie allen Versammlungen der Arbeiter an- wollnen kann. Tie Lage ist eine ernste; die bürger lichen Parteien möchten sich ans den Standpunkt der Ver waltung stellen. Tie Sozialdemokratie greift die Autori tät stetig an. Darin liegt System. Tie Sozialdemokratie sucht unsere Angestellten zu umschmeicheln und zu werben. Selbst Abg. Legten erklärt, das; die Sozialdemokratie der Eisenbahner bedürfe, um das Gebiet der Staatsbahnen lalnn zu legen. Alle bürgerlichen Parteien müssen uns unterstütze», um das Eindrängen der Sozialdemokraten zurückzuweisen. (Beifall rechts, in der Mitte und bei den Nationallibcralcn.) Abg. Becker-Arnsberg (Ztr.): Es liegt im Interesse der Arbeiter und der Regierung, wenn an den Versammlun gen der Arbeiter Beauftragte der Negierung teilnehmen: in Kassel und Münster ist dies nicht geschehen. Man darf freilich nicht solche Beamte hinsenden, die sich znm Spitzel erniedrigen. Die nichtsozialdemokratischen Eisenbahner organisationen haben allesamt auf das Streikrecht verzich tet; man mus; dafür die Rechte der Arbeiterausschüsse er weitern und Direktionsaudschüsse zulassen; man darf solche Arbeiter nach zehnjähriger Beschäftigung nicht so leicht kün digen. Die Löhne der Eisenbahnarbeiter sind stets von Zeit zu Zeit zu erhöhen. Alle bürgerlichen Parteien müssen einig sein und bleiben in der Ablehnung des Streikrechtes der Eisenbahner; so geschah es noch bei den letzten Etats- dcbattcn. An eine Sicherung der Koalitionsfreiheit der Arbeiter muß gedacht werden. Den Sozialdemokraten fehlt Recht zu einer Klage auf diesem Gebiete, da sie selbst Terrorismus üben. In der Reichsdrnckerei dulden die Sozialdemokraten keine christliche Organisation. Tic Sozialdemokraten mögen für die Beseitigung des Terroris mus Sorge tragen. (Lebhafter Beifall.) Abg. Westarp (Kons.) stimmt dem Minister zu. Ein Streikrecht der Eisenbahner dulden wir unter keinen Um ständen. Abg. Beck-Heidelberg (Ntl.): Wir wollen den Arbei tern das Koalitionsrecht unter allen Umständen wahren. Die Eisenbahnarbeiter müssen aber bedenken, das; sie ganz besondere Verpflichtungen der Oeffentlichkeit gegenüber haben. Anderseits darf die Verwaltung keinen Einslus; auf die Organisation auSzuüben suchen, der einer Ausübung der Polizeiaufsicht gleichkünie. Die Disziplin ums; gewahrt bleiben. (Beifall bei den Nationalliberalen.) Abg. Müller-Meiningen ,(Vp.): Jedenfalls liegt s nur ein Taktfchler eines Arbeiters vor, der nicht gleich so drakonisch mit Entlassung bestraft werden durfte. Die Be vormundung reifer Männer wirkt aufreizend. Uns-w Koa- litionSrecht ist geradezu unhaltbar-geworden, es »ins; refor miert werden. «Beifall links.) Abg. Tr. Heefsel (Rp.) unterstützt in seinen Aus führungen den Minister. Abg. N o w i ck i tPole): Das Koalitionsrecht der Staatsarbeiter, insbesondere bei den Eisenbahnbetrieben, muß unter allen Umständen voll gewahrt werden. Auch die in polnischen Vereinen organisierten Staatsarbeiter sind ähnlicher Behandlung ausgesetzt, wie es in der gegenwärti gen Jntcrrellation beklagt wird. Abg. B e l> i e n s (W. Verg.): Tie Agitatoren sollten bedenken, das; die Arbeiterschaft in unserem Verkehrswesen besondere Verpflichtungen hat und deshalb mit ihrer Agi tation Zurückhaltender sein. Daß ein Eisenbahnarbeiter nicht wzialdemokratisch agitieren darf, hat seine Berechti gung. (Beifall rechts, Zischen links.) Darauf wird die Weiterberatung ans Dienstag 1 Uhr vertagt. — Schluß gegen 6 Uhr. Gememde- VereZn.WaHrrchr«m. 8 Nadeve'.g. Donnerstag den 16. November bei Nasser Katholisches Kasino. 8 Wurzen. Letzten Sonntag feierte der Katholische Männerverein (im Namen der hier bestehenden Vereine) das Kirchweihvergnügeu. Mit Konzert, gespielt von Mit gliedern der Jnfanteriekapelle Nr. 179, wurde die Feier eingeleitet. In der folgenden Begrüßung besprach Herr Pfarrer Lange die Bedeutung der Freude für den Arbeiter- stand. Die zwei Theaterstücke „Die Brüder" und „Ans der Festung" wurden wie gewöhnlich mit Geschick und Fertigkeit gegeben. Eine Anzahl Couplets hielt die Ver- sammelten bei guter Stimmung. Den Schluß bildete der Ball, dem jung und alt huldigte. Allen die zur Ver- schönerung deS Abends beigetragen haben, sei herllich gedankt. .7 Vermischtes. V Ein eigenartiges Wiedersehen auf der Hundeausstellung in Berlin konnte am Sonn tag ein Hundelicbhaber mit seinem ihm gestohlenen Terrier feiern. Dem Seltcrwasserfabrikanten Kronblum aus Friedrichshagen war vor etwa einem halben Jahre ein wert voller Aigredalterrier entwendet worden, alle Nachforschun gen nach dem Verbleib waren vergeblich. Am Sonntag besuchte nun Kronblum die Hnndeansstelliing am Zoo und besichtigte insbesondere die dort ausgestellten Aigredal- Terrier. Als er an den Käfigen der prämiierten Hunde vorbeikam, sprang plötzlich eines der Tiere freudig bellend in seinem Käfig empor und gab deutlich zu verstehen, daß es in dem Besucher einen guten Freund erkannt habe. Der Fabrikant, durch das Verhalten des Hundes aufmerksam gemacht, sah sich den mit einem Preis ausgezeichneten Pracht vollen Terrier etwas genauer an und entdeckte nun zu sei ner nicht geringen Freude, das; das Tier der ihm gestohlene Hund war. Herr Kronblum erstattete sofort die Anzeige bei der Polizei, die den angeblichen Besitzer des Hundes verhaftete. Der Eigentümer konnte seinen lange vermißten Liebling mit nach Hanse nehmen. v Tie Spra ch e des N e gens ch i r m s. Es gibt nicht nur eine Zeichen- und eine Blumensprache, es gibt auch eine Regenschirmsprache. Znm Beispiel: Wenn man seinen Regenschirm in eine Ecke abseits stellt, so zeigt dies an, daß bald ein Wechsel in seinein Besitztum eintreten wird. — Wenn inan den Regenschirm auf der Straße rasch öffnet, so bedeutet das, daß jemandes Auge in Gefahr ist. — Wenn man ihn rasch schließt, bedeutet es, das; ein oder zwei Hüte weggestoßen werden. — Ein Schirm, der über einem weib lichen Wesen getragen wird, so das; der Mann nichts als die seitlichen Tropfen in den Hals bekommt, bedeutet Liebe. Trägt der Mann den Schirm so, das; die Frau die seitlichen Tropfen bekommt, zeigt dies Ehe an. — Ten Regenschirm jemandem in den Rücken zu stoßen und dann beim raschen -Oesfnen eine kurze Entschuldigung auszustoßen: Ich hasse Sie. - Den Regenschirm fröhlich über die Schulter ge schwungen zu tragen, bedeutet: Ich bin ein Ekel und eine öffentliche Gefahr. — Den Regenschirm im Staub hinter sich hcrzuziehen, bedeutet: Ter Mann hinter dir dürstet nach deinem Blute. Literatur. Fi» Glanze der Hostie. Erzählungen für Erstkommn- uikanten und für andere. Von 1'. Urban Bigger O. 8. 7i. Mit einer Ehromoautotypie, 1 Einschaltbildern und 38 Originalzeichnungen von Philipp Schnmacher. 168 Seiten. Oktav. Gebunden in Leinwand mit reicher Geldpressung, Hohlrotschnitt 2,60 Mark, gebunden in Leinwand mit reicher Goldpressung, Feingoldschnilt 3 Mark. Einsiedeln, Walds- Hut, Köln a. Rh. Verlagsanstalt Benziger n. Co., A.-G „Und für die anderen." Ja, ja. Das sind Erzählungen nicht nur für Erstkommunikanten, sondern auch für Er wachsene. Und ich wollte, das Büchlein würde ein Liebling des christlichen Volkes werden. Es zeichnet uns ja natur getreu nach dem Leben Lichtgestalten des Volkes an-Z einer nicht gar fern liegenden guten alten Zeit, wo starker Glaube, kreuztragendes Gottvertranen, ungeschminkter Frommsinn und einfacher Frohsinn selbstverständliche Dinge waren, übergosseu vom Glanze der Hostie, in der die Wurzeln des christlichen Lebens Boden gefaßt. Eine Fülle edelster Lebensgrundsätze ist hier weniger in Worte gekleidet, als — 16 — Viktors Rechtlichkeitsgefühl empörte sich; sein edler, ritterlicher Sinn bäumte sich auf. „Steht es wirklich so schlimm?" rief er voller Entrüstung „Schlimmer als wir glauben —" ' „Wenn ich das gewußt hätte — nicht angeschaut würde ich Alice haben." Und er erzählte seine Begnung mit Alice Bergmann. Aber zu seiner Verwunderung fing der Major nicht zu wettern an. „Das sieht ihr gleich," sagte er. „Sie wirft ihre Millionen als Köder aus, um einen Mann von Adel zu angeln." „Papal" „Ist ja tvahr, mein Junge. Du bist jung, hübsch, von Adel — was liegt da näher, als daß dir Alice Bergmann liebe Augen macht? Sie will unter allen Umständen einen Adeligen znm Mann, und ihre Millionen werden ihr auch über kurz oder lang die Tore öffnen. Sic kauft sich einfach einen Gatten — und er muß ihr dafür Namen, Rang und Wappen übertragen." Viktor war durch diese Enthüllung ganz verblüfft. Also deswegen war Alice so liebenswürdig zu ihm gewesen? Nein, das war zu lächerlich: Alice Bergmann Schloßherrin auf Sonneck? Niemals! ... Er lachte zornig und ballte die Faust. Sein Vater verstand ihn. „Nicht Ivahr, mein Junge," sagte er, „so weit sind wir noch nicht? Verkaufen wird sich ein Sonneck niemals. Dazu sind wir zu stolz und zu vornehm — lieber untergehenI . . . Gold ist eine Groß macht -- aber die Ehre steht noch höher. Und die Ehre, mein Junge, die haben wir immer hochgehalten," Viktor geleitete seinen Vater in dessen Zimmer, wo er ruhen wollte; er selber begab sich dann in sein Tnrmgemach, das er bei seiner Anwesenheit stets bewohnte, und dachte über seine fatale Lage nach. Jetzt, da er Papas Verhältnisse jo ungefähr kannte, ward es ihm noch schwerer, seine Schuld zu bekennen, und er suchte vergeblich nach einem Auswege. Auch Bautz von Sonneck fand die erwünschte Ruhe nicht. Eben als er sich in seinem Schlafsessel so recht behaglich reckte, und eine Havanna be reitlegte, öffnete sich die Tür und seine Gemahlin trat lautlos ins Zimmer. „Ich will nur eine Minute mit dir reden," sagte sie. Ihre Stimme hatte den tiefen, lamentablen Klang, den er fürchtete. Er wußte zum voraus, was kam. Die „Minute" wuchs zu einer Stunde aus, und er mußte nun ihre Klagen über „die Kinder", die Dienstboten, den Verwalter — über die ganze Welt über sich ergehen lassen. Diese ewigen Jcrcmiaden, mit denen ihm Elga immer in den Ohren lag, verbitterten ihm das Leben und entleideten ihm oft den Aufenthalt im Schlosse. Daß sie ihm heute gerade damit kam, an seinem Geburtstage, ärgerte ihn, und etwas gereizt sagte er: „Ich wollte eben ein kleines Schlummerstiiirdchen halten —" „Ich bin gleich zu Ende," sagte Elga, „aber anhören mußt du mich." „Na also — in GotteS Namen denn — schieß los>" Elga von Sonneck setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, stützte das Haupt in die.Hand und mochte eine Miene wie ein Kind, das sich beim Vater beklagt. „Ihr habt mich alle so sehr gekränkt," Hub sie an. „Kaum beachtet ihr mich. Immer Viktor und Hilde — und Hilde und Viktor! ... An deine arme Frau hast du gar nicht gedacht." In diesem Tone ging cS nun fort eine halbe Stunde lang. . , . — 13 — In toller Jagd waren die beiden hintereinander her und der Major lachte aus vollem Halse. Als Viktor znrückkehrte, ohne seinen Zweck erreich: zu haben, klopfte ihm sein Vater auf die Schulter. „Na, tröste dich, mein Junge! Denn siehst du — die Weiber führen uns schließlich alle ein bißchen an der Nase herum! . . . Deiner Mama brauchst du das natürlich nicht zu sagen. Das ist nur so meine Privatansicht." „Das sieht ja aus wie eine Verschwörung," sagte Hilde, die hochatmend und mit brennenden Wangen herbeigekommen war. „Da sieh, da hast du was Schönes angerichtet," fügte sie alsbald schmollend hinzu. Sie war bei der wilden Jagd an einem Oleanderbusch hängen geblieben und das reiche schimmernde Haar hatte sich gelöst. Nun flutete es wie eine leuchtende Woge über Hals und Nacken, über das weiß: Kleid hinab bis weit über den Gürtel. Wie Hilde so dastand, mitten im Hellen Sonnenschein, mit heißen Wangen, mit Hellen, blauen, blitzenden Augen, hoch und schlank, da glich sie in ihrer hehren, reinen Schönheit so recht einer herrlichen Walküre. Auch Herr von Sonneck und Viktor waren von ihrem Anblick betroffen. Viktor sprang auf und rief in ehrlicher Bewunderung: „Himmel, Hilde — wie schön bist du! Nie sah ich dich so!" Und mit ritterlicher Artigkeit beugte er das Knie und sprach, Wotans Worte aus der „Walküre" variierend: „Ich grüß dich, du kühnes herrliches Kind!" Hilde trat erzürnt von ihm weg. „Ach, du — laß deinen Spott!" „Es ist mir heiliger Ernst — du schöne, stolze Walküre!" Er erhob sich, während Hilde zu Papa flüchtete und sich an ihn schmiegte. „Sag ihm mal ordentlich die Meinung, Papa." Herr von Sonneck zog seine Tochter an sich und fuhr ihr zärtlich über das Weiche, schimmernde Haar. „Er hat recht. Hilde," sagte er. „Du bist ja doch mein herrliches Kind. Meines Herzens heiliger Stolz! . . ." Er küßte sie auf den Scheitel und es wurde ihm plötzlich klar, wie reich er in diesen seinen Kindern war. In dieser Stunde fühlte er sich glücklich wie nie zuvor. Hilde lief niit heißen Wangen weg, um ihr Haar aufznstecken. und Bautz von Sonneck und Viktor blieben allein zurück. Frau Elga war vor Abend nicht mehr zu sehen. Die lag jetzt in ihrem Zimmer auf der Chaise longue, rauchte Zigaretten und las französische Romane, die ihr so unent behrlich waren, wie ihrem Gatten seine Havannas. Viktor fragte sich, ob er jetzt seinem Vater seine Schulden bekennen sollte. Aber als er dessen heitere Stimmung sah, gab er den Gedanken auf. Nein, dieser Tag gehörte der Freude, dem Glück . . . Der Major lag behaglich in seinem Sessel, blieS blaue Rauchwölkchen in die Luft und blickte hinüber zur Villa Bergmann, die sich kräftig von dem blauen Hintergründe abhob. Die Fenster sahen wie drohende Augen herüber, in deren Tiefe der Haß lauerte. Viktor mußte unwillkürlich an zwei Riesen denken, die sich als zornige Kämpfer gegenübcrlagen, der eine stolz und bis an die Zähne in Wehr und Waffen, mit grauem Haar und verwittertem, zer- narbtem Gesicht — der andere jung und stark mit braun gebranntem Gesicht 1. I («Gl . ^ ' 1 »Schloß Sonneck?