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128» Freitag den S. Juni 1VV8. 7. Jahrgang. WMe Uolksmtuim DZWMWMMI NMbhSosigks Tageblatt für Wahrheit, Recht n. Freiheit I Eine Reichsdotarion für den Kaiser^ Dresden, den 4 Juni ISO»». Die Offiziösen wagen es nicht mehr, die geplante Er höhung der preußischen Zivilliste um einige Millionen in Abrede zu stellen; an maßgebender Stelle ist man ent- schlossen, dem neuen Landtage eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten In liberalen Blättern fanden wir gleich- zeitig die Meldung, daß man auch an eine Reichsdotation, für den Kaiser denke. Die „Nordd. Allgem. Zeitg." brachte zwar die Erklärung, daß der Reichskanzler in dieser Frage mit niemanden verhandelt habe. Das mag richtig sein. Allein es gibt nach andere Faktoren, welche im Namen der Regierung dies tun können. Wie uns von zuverlässigster Seite aus Berlin mitgeteilt wird, wurde von seiten der Regierung versucht, für eine solche Reichsdotation Stim mung zu machen und den Boden zu sondieren. Wir sind in die Lage versetzt, Abgeordnete und Regierungsmänner zu bezeichnen, welche hierbei in Frage kommen. Es sollte sich hierbei aber nicht um eine einmalige Zuwendung han deln, sondern um eine Art dauernder Zivilliste mit 10 bis 15 Millionen im Jahre. Bekanntlich ist dieser Plan nicht neu. Von gewisser Seite drängt man schon lange auf eine entsprechende Ausstattung des Kaisertums. Es ist eine unrichtige Auffassung, daß das Reich keinerlei Gegenleistung seinem Oberhanpte gegenüber mache. Als oberster Kriegsherr erhält der Kaiser zwar keine Entschädi gung, aber das ganze Militärkabinett mit dem großen Stab an Adjutanten aller Art, die Manöver, Besichtigungen unv Paraden werden vom Reiche getragen, hierfür sind im Etat über 10 Millionen an Reisekosten und Tagegeldern einge stellt. So kommt das Kaisermanöver mit allem auf mehr als eine Million Mark zu stehen; manche haben noch höhere Kosten. Es ist daher leicht zu verstehen, daß im Reichstage im letzten Winter einmütig beschlossen wurde, es möge da ettvas gespart werden. Der Kaiser erhält von dieser Summe gar nichts; alle Gäste, die er ladet, werden als Gäste des Kaisers behandelt und aus seiner Tasche bestrit ten. Die Znsammenziehung der Truppen verschlingt aber hohe Summen. Wie dem Kaiser, so stehen auch allen seinen Söhnen die Adjutanten gratis zur Seite, das Reich bezahlt diese Aus- gaben. Der Kaiser hat viele Ausgaben durch die Erfül lung der in der Verfassung ihm zustehenden Rechte und auf erlegten Pflichten; eine entsprechende materielle Gegen leistung durch das Reich ist nicht vorhanden. Trotzdem neigen wir zu der Ansicht, daß der Glanz der deutschen Kaiserkrone verdunkelt würde, wenn man dem Träger der selben eine Reichszivilliste geben wollte. Gerade die große Machtfülle, die der Kaiser in der Verfassung hat, legt eS doppelt nahe, daß kein materieller Entgelt auf der anderen Seite steht. Das Ansehen des Kaisertums müßte hierdurch verlieren. Neben dem Heere hat der Kaiser aber auch den Ober befehl über die Marine, und hier wird tatsächlich alles ge leistet, was der oberste Kriegsherr fordern kann. Zunächst steht ihm eine Anzahl von Adjutanten zur Verfügung, dann kommt das Kaiserschiff „Hohcnzollern", das auf Ncichs- kostcn erbaut worden ist; es wird auch auf Neichskosten im Dieust gehalten, was im Jahre allein rund eine halbe Mil lion Mark Ausgaben macht. Ferner stehen dem Kaiser stets Depeschenboote und Torpedoboote für Schleppdienst usw. zur Verfügung; das Reich leistet also Hier ganz erheb liche Ausgaben für den Träger der Kaiserkrone. An die der Marineverwaltung entstehenden Kosten infolge der Kie ler Woche wollen wir hier nicht weiter erinnern. Als man 1890 die Gelder für die „Hohcnzollern" forderte, da ging man nicht offen genug vor; man sprach viel von einem Aviso für größere Kreuzervcrbände, und dann wurde die Kaiserjacht daraus. Nun ist ihre Lebensdauer abgelaufen. Man darf damit rechnen, daß im kommenden Winter der Ersatz für dieses Schiff gefordert loerden tvird. Einstmals haben die Polen die Annahme der Forderung berbeigefiihrt; „Herr von Admiralski" ließ die Jacht von: parlamentari schen Stapel laufen; der Freisinn tvar einziger Gegner die ser Ausgabe. Wie wird es im kommenden Winter werden? — Man darf also füglich sagen, daß die Marine dem Kaiser erhebliche Gegendienste leistet. In der Auslandspolitik ist der Kaiser der Vertreter des Reiches; er empfängt auch den Besuch fremder Monarchen, was manche Auslagen verursachen kann. Allerdings trägt Preußen die Kosten des reichen Ordenssegcns. Aber die Gencralordeuskommission soll es auch satt haben, und man l>at schon erwogen, das Reich zu den Kosten heranzuziehen. Diese Idee halten wir für unausführbar, da das Reich keine Orden besitzt und daher auch keine vergibt. Wer diese tatsächlichen Verhältnisse kennt, wird nicht der Behauptung zustimmen können, daß der Träger der Kaiserkrone vom Reiche gar keine Entschädigung erlxllte. Andererseits bat der König von Preußen die Würde und Bürde der Kaiserkrone bisher im Ehrenamte getragen. Nur ein Dispositionsfonds von drei Millionen stand ihm zur Verfügung. Es ist richtig, daß das Reich bei Preußen zu Waste ;el>t. n^terceben "»o-str^e, Pr >/»»» »«.» V»» als «tnpv k-ur Bundesfürsten schöpft, übersteigen die Lasten für das Reich. Sollte eine Rcicksdotation dem Kaiser zugrsprochen werden, so müßte den gesetzgebenden Körperschaften des Reiches, also dem Bundesrat und dem Reichstage, eine Kontrolle über die Verwendung derselben zustehen. Wir brachten bereits vor einigen Tagen einen Artikel der konservativen „Deutschen Tageszeitg." mit der Ueberschrift „Tadelnde Liebe", in dem über den Gegensatz zwischen Kaiser und Volk sehr bittere Worte gesprochen wurden. Und worin liegt der Grund, daß selbst die konservativen Parteien ein Unbehagen emp finden? Ist es nicht die Art der Verwendung der dem Kai ser zur Verfügung gestellten Mittel, welche im Volke Be denken erregt? Damit der Glanz der Kaiserkrone nicht die Volksgenossen zurückschrecke, ist eine parlamentarische Kon trolle unentbehrlich Politische Rundschau. Dresden, den 4. Juni 1908. — Konferenz für die Reichsfinanzreform. Am Mitt woch und Donnerstag noch Pfingsten findet in Berlin eine Konferenz der Blockführer mit dem ReichLschatzsekrelär und dem Reichskanzler über die Steuerreform statt; da am anderen Tage die Marinereise beginnt, so sind alle Block- sichrer in Berlin anwesend. — Eine Börsennmsatzsteuer befindet sich unter den Projekten des RcichsschatzsekretärS; die Rechte fordert diese, die Linke protestiert vorerst, aber man hofft, daß das Zentrum für diese Steuer, die über 100 Mill. Mk. ab- wersen soll, eiutretcn wird. Die Berliner Börsenkreise sind ob dieser Steuer einfach sprachlos und wollen dein ganzen Block die Freundschaft kündigen. — Neber die brvorstebende Aenderung der Fahrkarten steuer erfahren wir aus bester Quelle, daß die Staffelung der Steuer sortfallen soll, daß man jede Fahrkarte unter 2 Mark steuerfrei lassen will und daß inan für alle teueren Fahrkarten einen festen Stemvel einfichren will; ob dieser für alle Klassen gleich sein soll, ist noch nicht entschieden. Mit anderen Warten: Die Reisenden der l. und 2. Klaffe will man entlasten und die 4 Klasse will man heranziehen; eine hübsche Reform, die das Zentrum nicht mitmacht. denn es hat bekanntlich 1906 erreicht, daß die 4. Klasse' frei blieb. — Zu den Kosten der letzten Reichttagswahl hat nicht nur der Reichskanzler 30000 Mk. bcigesicuelt, sondern auch Staatssekretär Dernburg leistete einen sehr bohen Beitrag. — Zn dem neuen Aufstieg des Grasen Zeppelin, der in der vierten Juuiwocke stattfinden wird, haben der Kaiser und der König von Württemberg ihre Anwesenheit an melden lassen. — Differenzen im Kolonialamte. Die Nachricht, daß der Kommandeur der Schutztruppe Oberstleutnant Quade wegen Differenzen mit dem Staatssekretär Dernburg seinen Abschied zu nehmen beabsihnge. soll durchaus unzutreffend sein. Vor irgendtvelcher gegenwärtigen oder früheren Mei nungsverschiedenheit zwischen dem Staatssekretär und dem Oberstleutnant Quade, der sich zur Zeit lediglich auf seinem Sommerurlaub befindet, sei an unterrichteter Stelle auch nicht das mindeste bekannt. So heißt es in einem offiziö sen Dementi; aber dieses hat keinen Wert. Tatsache ist, daß Oberstleutnant Quade in kürzester Frist aus dem Neichs- kolonialamt ansscheiden wird, scl>on weil er hier nicht höher avancieren kann; er will jedoch nicht in Pension gehen. Tatsache ist ferner, daß zwischen ihm und Dernburg ein steter Konflikt vorhanden ist, der sich naturgemäß aus der beiderseits vertretenen Politik ergibt; auf der einen Seite steht der Militär und auf der anderen Seite der frühere Bankmann; da kommt es zu Reibungen. So ist zum Bei spiel die Frage der Sperrung des Lvambolandes ein dau ernder Streitpunkt, man begreift besonders nicht, wie man den temperamentvollen Hauptmann von Franke an diese Grenze setzen konnte; die Besetzung dieser einen Stelle ist schon ein steter Reibnngspunkt. Die Offiziösen sollten also nicht zu viel dementieren, da sie schon in kürzester Zeit doch wieder anders schreiben müssen. — Zmn Fall Schnitzer. Wie die „Deutsche Tagesztg." erfahren lxrben will, soll Professor Schnitzer öffentlich er klärt haben, daß er eine ihm nahcgelcgte freiwillige Dcr- zichtleistnng auf den Münchner Lehrstuhl entschieden ableh nen müsse, da cs sich um Behauptung seiner Rechte als Staatsbeamter bandle. Der Streit wird also Wohl grund sätzlich ansgcfochten werden. Dagegen meldet die „Berl. Morgenpost", daß sich Professor Schnitzer der Kurie unter worfen habe. Dieser Untertversung ging ein langer Schrift wechsel mit dem Nuntius Frühwirth voraus. Professor Schnitzer ist bekanntlich nach Japan gereist, um dort die Einrichtungen der katholischen Missionen zu studieren. Diese Reise hat er, wie die „Morgcnpost" weiter berichtet, nicht auf eigenen Wunsch gemacht, sondern sie erfolgte auf Anweisung deS Vatikans. Wir geben diese Mitteilung, wie wir sie finden. Die Verantwortung für ihre Nichtigkeit müssen wir dem Berliner Blatte überlassen. — Die Wahlmänncrwahlcn zum preußischen Abgcord- nctenhansc haben gestern stattgefunden. Damit ist im »vcsentlichcn die Entscheidugn für die Zusamnnmsetznng des Hauses gegeben; denn da die Wahlmänncr durchveg auf die Wahl der einzelnen Parteikandidaten verpflichtet sind, -löl ^ ^ WoLUKmpteS- Zu wählen lind 443 Lllumord ^ets- 10 mehr, als das Haus bisher zäb^c, 1>a - se i ;ec ätzten Session des preu/'ficken Landtages beschlossene Teilung mehrerer größerer Wahlkreise diese höhere Zahl von Slbge- ordneten vorsieht. Die letzten Wahlen im Jahre 1903 er gaben die folgende Zusannnensetzung des Hauses: 147 Kon servative, 60 Freikonservative, 97 Mitglieder des Zen trums, 78 National liberale, 33 Freisinnige beider Richtun gen, 13 Polen, 2 Dänen und 3 keiner Fraktion Ungehörige. Ersatzwahlen haben wenig an der Zusammensetzung des Hauses geändert. — Bis 12 Uhr nachts können als getvählt gelten 45 Konservative, 21 Freikonservative, 20 National- liberale, 4 Freisinnige Volkspartei, 24 Zentrum, 1 Pole, 3 Sozialdemokraten, davon 2 in Berlin. Stichwahl w-ird im Wahlkreise 8, Schleswig, zwischen einem Sozialdemo kraten und Freisinnige Vereinigung, im Wahlkreise 4, Er furt, zwischen einem Konservativen und einem National- liberalen. Die Freikonservativen gewannen 6. Kassel, von der Reformpartei. In Oppeln II wurde ein Pole anstatt Zentrum gewählt. — Geheimnisvolle Attentatkplcinc gegen Kaiser Wil- Helm. Nach Ansicht der italienischen Geheimpolizei handelt es sich bei der Verhaftung des Charlottenburger Anarchisten Paul Nikolas in Bari um sehr geheimnisvolle Vorgänge, von denen die italienische Polizei schon vor mehreren Mo naten Kenntnis erhalten hatte. Auch die Aussagen des an geblichen Nikolas, die in ihren Einzelheiten sehr unglaub würdig sind, bestätigen jedoch die bereits gemachte Beobach tung, daß derselbe mit einem unbekannten Begleiter nach Italien kam und sich gegen Zusickerung einer Geldentschädi- giing zu Attentatsplänen batte anwerben lassen. Der Be gleiter des Nikolas war jedoch nur der Mittelsmann, und er scheint mit dein ihm für den Attentatsplan zur Ver fügung gestellten Gelde durchgcgangen zu sein. Wahr scheinlich erkannte er, daß Nikolas zur Ausführung eines verwegenen Planes nicht geeignet war, und so ließ er den Menschen in Bari einfach ohne Geld sitzen. In den Kreisen der italienischen Sozialrevolutionäre erzählt man, daß vor der Ankunft des deutschen Kaisers in Venedig unbekannte Personen erschienen seien, die auch Italiener zu einem Attentate gegen den deutschen Kaiser anwerben wollten. Die Führer rieten jedoch in bestimmtester Weise ab, da ans allgemeinen politischen Gründen, besonders auch im Hin blick auf den demnächstigen Besuch des Zaren, ein solcher Plan auf italienischem Boden nicht durchgefllhrt werden dürfe. Dagegen scheinen andere Anarchisten geneigt ^ge wesen zu sein, sich an einem Attentate auf Korfu zu be teiligen. Die italienische Polizei hatte alle ihre darauf b>- züglicken Wahrnehmungen sofort der deutschen Polizei mit- gcteilt und Letztere hat jedenfalls durch ihre außerordent liche Wachsamkeit jeden derartigen Plan auf Korfu unmög lich gemacht. Der Ursprung dieser Machenschaften dürfte jedoch nach Ansicht der italienischen Polizei weniger in anarchistischen, als in anderen auslvärtigen politischen Krei sen zu suchen sein. — Amtliche Wahlbceinflussungen. Die Erklärung des Ministerpräsidenten Fürsten von Bülow vom 10. Januar über die absolute Unparteilichkeit der Beamten wird von vielen Landräten und ihren untergeordneten Organen ab solut nicht respektiert. So wird aus dem Kreise Teltow- Beskow-Wilmersdorf berichtet, daß der Bürgcrnicister von Wendisch-Buchholz sich geweigert hat, die ordnungsmäßig von einem dortigen liberalen Vertrauensmanne angcmel- dete Versammlung in ortsüblicher Weise öffentlich bekannt machen zu lassen. Als dann an den für öffentlickie An schläge gewohnheitsmäßig benutzten Stellen gedruckte An schläge nnt der Einladung zur Versammlung angeklebt vxiren, riß diese der Gemeindediener, der im Neichstagk- wahlkampfe überall die Plakate der konservativen Partei angeklebt hatte, herab. Auch im Wahlkreise Spandau- Ost- Havelland sind von behördlicher Seite der liberalen Wahl agitation in unzulänglicher Weise Schwierigkeit-n gemacht worden. Der Amtsvorsteher in Sommerfeld suchte einige Liberale von der Agitation fcrnzuhalten und äußerte, daß er selbst als Wahlmann der Konservativen ausgestellt sei und es als persönliche Beleidigung anffassen würde, wenn ihn jemand nicht wähle, daß er sich diese Leute notieren wolle, daß er auch den Kredit unterbinden könne nsw. Im Wahlkreise Hannovers-Land)-Springe bat der Führer des Bundes der Landwirte, Hofbesitzer Holzgcrfe, unter dem 24. Mai ein Schreiben an verschiedene Personen gerichtet, dessen letzte Sätze lauten: „Es ist große Aussicht vorhanden, bei dieser Wahl unseren Kandidaten, Herrn Oberamtmaun Nehren, durchzubringen, wenn unsere Freunde alle ihre Schuldigkeit tun. Unser Kandidat sowohl, wie auch der Herr Landrat werden zugegen sein." Der bündlcriscke Kandidat, für den angeblich der Landrat cintritt, sucht den Wahlkreis Hannovcr-Springe den Nationallib^alen zu entreißen. Der „Hannov. Kurier" bemerkt zu der Ange legenheit unter anderem: „Es wird und muß dabei in nationalen Kreisen im höchsten Maße verstimmei'd wirken, wenn hier ein Landrat seinen Einfluß im Dienste des Bun des der Landwirte dazu einsetzt, um einen bewährten Abge ordneten zu Falle zu bringen, noch dazu in einem Wahl- kreise, wo die Welfen in einem einem indirekten Wahlbünd nis verzweifelt ähnlich lebenden Verhältnisse zum Bunde der Landwirte st hen." So wird der Freisinn an der Nase — neuen Zrchcndcrbano. Dm liberale Presse ist schon ans 'km Nlane. um m-en Zechenl-rbanc zu orr- leidigen; man liest in liberalen Blättern: „Arbeiter, die kündigen oder denen gekündigt wird, kommen nicht auf diese;