Volltext Seite (XML)
Beilage Nr. «V0 Mv^,SLchsischen — Freitag den 31. Dezember 1915 Volkszeitung" Leite 6 Zum Jahre 1S16 (Nachdruck nicht gestattet.) Wieder ist ein Jahr vergangen Wie ein Hauch im Sturm der Zeit; Und die Seele fragt mit Bangen In dem grausen Völkerstreit. Der mit Blut getränkt die Erde, Und viel Edle hingerafft, Was der Zukunft Gabe werde. Durch des Geistes Schöpferkraft. Niemand uns vermag zu sagen, Was in Dunkel noch gehüllt, Was sich künftig zu wird tragen. Sich im neuen Jahr erfüllt. Nur die Hoffnung läßt ersprießen Ihre Blüte, zart und licht, Die als Kleinod wir begrüßen, Weil sie mahnt: Verzaget nicht! Nahen muß und wird die Stunde, Die uns Frieden bringt und Heil, Gibt von dem uns endlich Kunde, Was dem Harren wird zuteil. Dieser Stunde seh'n entgegen Wir in Sorgen, Not und Leid, Hoffend, daß sie unsren Wegen Neu der Freude Schmuck verleiht. Auf! Empor zu Gott die Herzen! Seine Hand, die Wunden schlägt, Spendet Balsam für die Schmerzen, Die er huldvoll, liebend Pflegt! Auf! Heut' gilt es. zu erkennen. Wie der Wille zeugt die Tat; Daß wir unsre Ernte nennen, Was wir ansgestreut als Saat! Laßt uns voll Vertrauen wallen In der Zukunft weites Land — Wie auch unser Los mag fallen; Alles Gute hat Bestand! Trautgenoß und Pfadbereiter, Von des Höchsten Huld geweiht, Wird es jedem treuen Streiter Auf dein Weg zur Ewigkeit! R. T. v. B. Am Markstein auf der Straße des Lebens (Zum neuen Jahre 1916.) Von A. V o in rhei n (Nachdruck nicht gestattet.) Jeder Jahreswechsel ist für uns ein Markstein auf der Straße des Lebens. Um wie viel mehr der zweite Jahreswechsel, den wir in dem furchtbarsten aller Kriege erleben! Der Rückblick, den wir von diesem Marksteine aus in die Vergangenheit werfen, erfüllt »ns mit Grausen, Trauer und Schmerz! Und auch die Gegenwart ist überreich an Trübsal und Leid. Nur eines gereicht uns zum Tröste: Die Liebe, welche bestrebt ist. die Wunden zu heilen, die die Geißel des Krieges geschlagen hat und noch schlägt, und die Hoffnung, daß aus der Zukunft dunklem Lande der Friede sich naht, dem unser Sehnen gilt. Aber der große Markstein, an dem nur stehen, mahnt uns, nicht nur das zu betrachten, was uns umgibt, sondern auch, bei uns selbst Einkehr zu halten und uns den Wert und die Bedeutung des menschlichen Daseins auf Erden vor Augen zu führen. Eine gar ernste Sprache redet der diesmalige Jahres wechsel und mehr denn sonst wird es uns klar, daß recht leben nur leben heißt Der Weise wägt sein Dasein nur nach Taten, Nach Pfunden, die sein Geist erringt, Froh, wenn der Hoffnung seiner Saaten Auch nur ein Keim geraten, Der in die Zukunft dringt! wie Gerstenberger treffend sagt. Nicht auf die Länge der Lebensdauer, die auch im günstigsten Falle nur eine kurze Spanne Zeit ausfüllt, kommt es an, sondern darauf, wie der Mensch die ihm von Gott gegebene Frist ausnlltzt. Hier ist die Pflicht seine Austraggeberin, die gewissenhafte Tätig keit von ihm heischt. Es gilt, die Saat des Guten auszu- slreuen, das Edle zu pflegen, um die Hoffnung auf eine er freuliche Ernte hegen zu können. Der Tag, der uns zum Wirken beschieden, ist kurz. Nur verhältnismäßig wenige Menschen erreichen die biblische Altersgrenze, aber auch sie ist sehr eng gezogen im Hinblick auf die unermeßliche Ewigkeit. Deshalb erklärt Jean Paul: „Unser ganzes Leben ist ein nie wiederkehrender Geburtstag der Ewigkeit, den wir darum heiliger und freudiger begehen sollten." Und die Hl. Schrift unterrichtet uns darüber, daß unser Leben, wenn cs köstlich war, nur Mühe und Arbeit gewesen. Das höchste Alter, welches Menschen bis jetzt erreicht haben, ist in der Bibel verzeichnet. Wir finden dort Methu salem, Abraham, Seth und andere, die einen langen Lebens weg dnrchmaßen, aber aus den uns näherliegenden Jahr hunderten kennen wir nur sehr wenige Persönlichkeiten, die hundert und mehr Jahre auf Erden znbrachten. Nach Baas wurde das höchste Alter von der Französin Maria Pion er reicht, die 1838 als 158jährige starb, und der älteste Mann, von dem wir Kunde haben, ist Thomas Parr, der 1636 im Alter von 152 Jahren das Zeitliche segnete. Bemerkens wert ist hier, daß die höheren und höchsten Stände nur wenige Beispiele eines Alters von 100 Jahren anfzuweisen haben, während fast alle Menschen, die über 110 Jahre lebten, niedrigen und dürftigen Kreisen angehörten. Unter den gekrönten Häuptern erreichten außer mehreren Päpsten nur einer ein sogen. Patriarchenalter. Und aus der Geleinten- und Künstlerwelt kennen wir nur einige, wie Hippotrates — den „Vater der Heilkunde" —. der 104 Jahre all wurde, Pontenelle, Grolmann, Chevroul (103 Jahre), die ein Jahrhundert lang auf Erden weilten. Frauen haben sich im allgemeinen einer längeren Lebens dauer zu erfreuen wie die Männer, die aus mannigfachen Gründen in ihrer Lebensfähigkeit mehr beeinträchtigt wer- den, wie das zartere Geschlecht. Aber was bedeutet selbst die größte Lebensdauer gemessen an dem Maßstabe der Un endlichkeit? In „Des Priors Lehrsprüche" in Webers „Drei zehnlinden" lesen wir: Leben magst dn hundert Jahre: Einst, wie Dampf in Berggelände, Gehst du hin. — Wo kannst du bleiben? Gott ist aller Dingo Ende. Das ist es, woran wir bei dem Markstein auf der Straße des Lebens in dieser Zeit schwerster Heimsuchung erinnert werden. Dieses Wort lehrt uns, was wir zu tun und zu lassen haben. Zugleich aber tröstet cs uns, wenn wir all derer in Liebe und Dankbarkeit gedenken, die im Weltkriege ihr Gut und Blut, ihr Leben für die Allgemein heit opferten. Denn nur sehen das Endziel des Menschen vor uns. Wir erkennen, daß wir alle hier keine bleibende Stätte haben, sondern die zukünftige suchen: daß das Leben erst jenseits des Grabes lebt. Im übrigen erfassen wir, was Rückert meint, wenn er sagt: Du bringst nichts nrit herein, Du nimmst nichts mit hinaus. Laß eine gold'ne Spur Im alten Erdenhaus. Diese gold'ne Spur hinterlassen unsere Helden, die für die höchsten Ideale ihr alles einsetzen. „Es wird dde Spur von ihren Erdentagen nicht in Aeonen untergehen*, und wie für uns, so auch für die kommenden Geschlechter wird sie eine stete Mahnung sein, freudig zu wirken, zu leben und zu sterben für der Menschheit Wohl. Wen sich der Herr zum Streiter ausersehen, Ten lasset er, den Willen ihm zu reinen. Im herben Schmerz zum Leben auferstehen, erklärt Zacharias Werner, und wenn wir bei unserer inneren Einkehr an dem großen Marksteine der Zeit das überschauen, was wir erlebt in den Kämpfen der Gegenwart, dann wer den wir uns bewußt, daß die Leiden des Lebens der mäch tigste Glockenruf zur seelischen Erhebung sind. Tenn durch das Leiden nur entreißt das Herz Sich dem Drang der Leidenschaften, Und erhebt sich reiner himmelwärts, und Herder hat recht, wenn er betont: „So, wie die Flamme des Lichts auch umgewendet hinauf strahlt, so, vom Schick sal gebeugt, strebet das Gute empor." Das Leben hat keinen Wert als einen Endzweck, son dern als ein Mittel, in der Ewigkeit zu ernten, was wir in der Zeitlichkeit säen, hegen und pflegen. Das ist die Lehre, die uns an dem Markstein ans der Straße des Lebens ver- tündet wird, und darum sei bei der ferneren Reise auf dieser Straße unser Geleitwort: Unter Sturm und Ungewitter Reift die Frucht des höheren Lebens, Der Geprüfte und Erstarkte Fühlt es tief: Gott ist die Liebe! Und er gebt am Hoffuungsstabe Seine Straße voll Vertrauen, Daß er, was sein Inneres kündet, Wird erwerben und besitzen. Aus der knegsarbeit der Katholiken Jetzt, da im zweiten Kriegsjahr das gute billige Buch mehr wie je das Geschenk der Zeit ist, mag cs wohl am Platze sein, auch ans einige schlichte Hefte hinzuweisen, die so recht ans der Kriegsarbeit der Katholiken Deutsch lands herausgewachsen sind und die wie wenig andere Kricgsschriften sich belehrend und erhebend an das Ver ständnis des einfachen Mannes wenden. Es sind das die „W estdeutschen Kriegsheft e", die vom „Verbände der katholischen Arbeiter- und Knappenvereine Westdeutsch lands" (M.-Gladbacb, Versand durch den VolkSvereinsver- lag) herausgegeben werden. Rund 60 000 der schmucken, schlichten Hefte haben davon bereits den Weg ins Feld ge nommen. Wie wir an die da draußen denken, was wir ihnen und uns wünschen, was das Vaterland uns ist, was uns Glaube und Religion in schwerer Zeit an Erhebung und Tröstung geben, ist in einfach-schlichtcr Form, aber aus innerstem warmen Herzen heraus da niedergelegt. Heft 1 führt den Titel: „Wir daheim und ihr da drauße n" und spricht in einer Anzahl wohl abge stimmter Beiträge von den Opfern, aber auch den Errungen schaften des Krieges draußen auf den Schlachtfeldern. Aber r-er Aliegerkurier von Przemyst (40. Fortsetzung.) „Ja, liebe Mutter," — erwiderte Hedwig, — „unser Stephan kommt bestimmt zurück. Ich höre immer, was meine Seele zu mir spricht und habe nicht das Empfinden, daß ihm etwas zugestoßen sein kann. Ich werde gegen mittag bei dir vorsprechen, vielleicht haben wir dann schon eine weitere Nachricht." — Der Domrendant aber war zu seiner Kanzlei gegangen und hielt auf dem Wege die Augen zu Boden gesenkt, als scheue er sich, den Menschen ins Angesicht zu sehen. Dabei hielt er ein bitteres Selbstgespräch: „Ja — da ist es mir altem Menschen bis jetzt zu wohl gegangen. Da lebt und fitzt man hier in seinem alten Schlendrian, so wie man es alle Tage getan, und weiß nur aus den Zeitungen — bei uns ist Krieg. Da draußen an der Grenze, da zünden die Russen unseren galizischen Bauern die Dörfer an, schlagen die Frauen tot, hängen und erschießen die Männer, und die Kinder verkommen irgend wo, falls sie nicht vom Glück in gute Hände getragen wer den. Und unsere Truppen schlagen sich dort mit den Russen herum und fallen zu Tausenden, und andere Tau sende komme» hier in unsere Spitäler, bleiben ihr Lebenlang Krüppel, und die andern können's noch werden. Man selber aber sieht dem allen zu, gibt liier und da, so man etwas geben will oder mag und ist wie ein ganz fahrlässiger Mensch, der nicht weiß, wie wenig Recht er augenblicklich dazu hat, daß es ihm gut geht . . . ?lber" — er lachte so ingrimmig laut auf, daß ihn Vorübergehende erstaunt ansahen, — „dort über uns unser großer Herrgott, der zeigt es mir und auch wohl den anderen, daß unsere Brüder und unser Volk in harten Kriegszeiten sind. Wir, die wir wie alle Tage prasselnd leben, murren, daß das Brot nicht so weiß ist wie früher, und der Kuchen nicht so frisch. Ha! was brauchen wir Kuchen. Der läutert uns nicht. Der macht uns nur noch gottloser. Härte brauchen wir. Ganz ge hörige Härte." — Er blieb stehen und faltete die Hände. Unbekümmert um den Straßenlärm, sah er zum Himmel, — „da dank ich dir, du lieber großer Gott im Himmel, daß du mir diese Sorgen geschickt hast, die mich belehren, daß Not und Schmerz heute in hunderttausend Menschen vor handen sind und ich von dir auserlesen worden bin, mit ihnen dasselbe zu fühlen". Dann ging er weiter und war förmlich erleichtert, daß seine Seele eine» Weg gefunden Hatto, auf dem er die Sorgen tragen konnte. Nun war der Krieg an ihn selbst herangetreten. Nun lehrte ihn der Krieg, wie ein Geschenk des Himmels, sich endlich auf sich selbst zu besinnen und sich zu schämen, daß er so viel Gutes, das er bisher genossen und empfangen, als etwas Selbstverständliches genommen. Er begann seine Tagesarbeit in der Kanzlei wie immer, und niemand vermochte in dem ruhigen Gesicht des Dom rendanten etwas von den Spuren seiner Sorgen zu sehen. Kurz bevor seine Bnreauzeit zu Ende war und er in seiner sorgfältigen pedantischen Art alles, was auf dem Schreibtisch lag, einschloß, sodaß auch nicht ein kleiner Zettel liegen blieb, wurde er ans Telephon gerufen. Er wollte dem Sekretär schon sagen: Nicht mehr an wesend. Aber dann ging er doch und hörte die Stimme seines Freundes, des Professors Hartdegen, der ihn bat, nach Tisch zu ihm zu kommen, da er ihm wichtige Dinge mitznteilen habe. Am liebsten wäre der Domrendant gleich zu dem Pro fessor gegangen, aber er hätte dadurch seine Familie in Un ruhe versetzt, falls er nicht, wie immer, zu Tisch erschienen wäre. Vor allem wollte er auch jetzt mit seiner wieder gefundenen Kraft seine Frau und Tochter aufrichten und sie ermahnen, alles mit der gleichen Geduld zu ertragen, wie überall im Datcrlande es zu der gleichen Stunde Hunderttausende taten. Unmittelbar vor ihm war seine Hedwig nach Hause gekommen. Sie war auf kurze Zeit zur Frau Hauptmann geeilt, um dort zu fragen, ob irgend welche Nachricht über Stephan eingetroffen sei. Aber niemand hatte etwas ge meldet. Ter Vater wunderte sich, daß Fra» und Tochter im Gegensatz zum Morgen wieder in anscheinend gleichmäßiger Ruhe sich befanden und hatte es nun nicht nötig, Trostworte zu spenden. Er teilte den Damen mit, daß er gleich nach Tisch zu Professor Hartdegen fahren würde. Der erwartete ihn schon voll nervöser Ungeduld, be grüßte ilm freudig und sagte: „Zn allererst mal, mein lieber Berliner, muß ich dir mitteilen, daß du noch gar keine Ursache hast, Trauer für deinen lieben Stephan im Herzen zu tragen, sondern, daß allem Anschein nach, soweit ich es im Kriegsministerium bis jetzt erfahren konnte, die Sache günstig abgelaufen ist. Ich erwarte jeden Augenblick, daß mich ein guter Freund, der eine ziemlich einflußreiche hohe Stellung im Kriegs- Ministerium bekleidet, über weiteres benachrichtigt." „Ich bin ancki schon ruhiger geworden," erwiderte der Domrendant und nahm neben dem Schreibtisch des Pro fessors Platz, „denn ich habe eingesehen, daß zurzeit das Vaterland höher zu stehen hat, als all unsere persönlichen Wünsche und wir uns schämen müssen, mit unseren Sorgen »ns besser zu dünken, als wie es die Sorgen des gesamten Vaterlandes sind." Der Professor reichte ihm die Zigarrenkiste hin und beide Herren begannen zu rauchen. Dann sagte der Professor: „Nun höre zu, was ich dir Interessantes mitznteilen versprochen habe." „Ich bin wirklich sehr neugierig, mein Freund." „Kannst du auch sein. ?lber das, was ich dir erzähle, muß vorläufig ganz und gar dein eigenes Geheimnis blei ben. Ich selbst habe es nur unter dem Ehrenwort größter Verschwiegenheit erfahren. Habe allerdings der betreffend«?