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Nr. Lik — LO. Jahrgang Sonntag den LS. Januar LV1L Erscheint täglich nachm, mii Ausnahme der Sonn- und Festtage. Ausgabe 4 mit »Die Zeit in Wart und Bild" vierteljährlich 3,10 In Dresden durch Boten 2,40 ^ In ganz Deutschland frei HauS 2,52 in Oesterreich 4,43 L AuSgabe 8 ohne illustrierte Beilage vierteljährlich 1,80 ^e. In Dresden durch Bote» 2,10 In ganz Deutschland srei Haus 2,22 4k i in Oesterreich 4,0V X, — Einzcl-Nr. IO 4. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserate werden die »gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 15 4, Reklamen mit 50 4 die Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Rabatt. Buchdruikeret, Redaktion und Oleschäftsstelle: DrcSdcn, Pillnttzcr Ltrafje 43. — Fernsprecher 130« Für Rückgabe unverlangt. Schriftstücke keine Perbtndltchkeit Redak>ionS>Sprechsiunse: II btS 12 Uhr. Abgeordneter Dr. Martin Spahn und die Zentrumssraktion. In der liberalen Presse und auch in Zentrumsblättern wurde vor Weihnachten eine Erklärung des jüngsteil Zen- trumsabgeordneten abgedruckt, die dieser im „Elsässer" hatte einrücken lassei'. Bou mehreren Abonnenten wurde bei uns über die Sachlage nachgefragt. Im Nachfolgenden geben wir einen Bericht über den wahrheitsgetreuen Her gang, um den Entstellungen von seiten der Gegner ein Ende zu machen. Diese Darstellung ist uns im Einverständnisse mit den maßgebenden Stellen zur Veröffentlichung zuge- saudt worden. Am 9. Dezember 1910 war der Abgeordnete für War- burg-Hörtcr in die Zentrumsfraktion des Reichstages aus genommen, nachdem der Vorstand erst in zehn Sitzun'm zu je vier Stunden über die Frage beraten batte. Fraktion selbst hielt nur eine Sitzung ab. Am Schlüsse der Debatte erklärten sich 49 Abgeordnete für die Aufnahme: die Fraktion zählt derzeit 106 Mitglieder, damit hatte sich eine Mehrheit für die Aufnahme entschieden. Gleichzeitig mit der Aufnahme wurde folgende Erklärung publiziert: „Nachdem Abg. Dr. Spahn sein Bedauern über die vor zwölf Jahren zu dem Grafen Goensbroech angekuüpsten Beziehungen ausgesprocheu und bezüglich der beanstandeten literarischen Kundgebungen befriedigende Erklärungen ab gegeben hatte, betrachtet die Fraktion die gegen seine Auf nahme erhobenen Bedenken als ausgeräumt." Diese Er klärung wurde der Presse übergeben. In der gesamten Presse wurde von da ab nur von den Freunden des War- burger Abgeordneten die Feder geführt, die Minderheit der Fraktion schwieg, auch dann, als in einigen katholischen Blättern des Auslandes ungezogene, beleidigende und un wahre Angriffe gegen einzelne Fraktiousmitglieder erhoben wurden, ein Verfahren, das einzig in seiner Art dasteht. Kaum war die Fraktion in die Weihnachtsferien ge gangen, als die Mitglieder derselben auf der Heimreise eine Erklärung des neuen Fraktionsmitgliedes vom 13. Dezem ber 1910 lesen konnten: sie erschien im „Elsässer" und lau tete als Abwehr gegen die der breiten Oeffentlichkeit nicht mitgeteiltcn Angriffe im Straßburger Gemeiuderate fol gendermaßen: „Unmittelbar vor dem Wiederzusammentritt deS Reichstages erhielten alle/Mitglieder der Zeutrumsfraktion des Reichstages — auch ich — vertraulich eine Broschüre des Grafe.. Oppersdorf, der selbst Mitglied der Fraktion ist. Die Broschüre verdächtigte mich, als hätte ich mich zur Zen- trumspartei erst vom 20. Juli d. I., das heißt von dem Lage an bekannt, da ich mich als Reichstagskandidaten für Marburg-Höxter aufstellen ließ, und als verträte ich in meiner literarischen Tätigkeit Ansichten, die mit dem Pro gramm des Zentrums unvereinbar sind. Für jeden an ständigen Mann dürfte es als selbstverständlich gelten, daß ich nicht in die Mitte meiner neuen Fraktionskollegen ein treten mochte, bis ich diesen Angriff zurückgewiesen hatte. Ich tat es zunächst mündlich vor dem Vorstände der Frak tion, dann durch ein an den Vorsitzenden gerichtetes aus führliches Schreiben auch schriftlich. Dieses Schreiben ist allen Mitgliedern der Fraktion vertraulich zugestellt wor den. In diesem Schreiben beschränkte ich mich darauf, von der Broschüre des Grafen Oppersdorf zu zeigen, auf welche Art der Graf die Auslese aus meinen Aeußerunqeu vor genommen hat, wie er die zitierten Aeußerungen meist entweder aus ihrem Zusammenhangs gerissen hat oder sie geradezu entstellt. Ich hatte nur den Sachverhalt richtig zu stellen und konnte dann der Fraktion das Urteil über das Verfahren des Grafen Oppersdorfs getrost überlassen. Weder hatte ich beim Eintritt in die Reichstagsfraktion Meinungen abzuschwören, die ich bisher vertreten hatte — keine politischen und keine wissenschaftliche» — noch wäre ich der Manu, der sich auf dergleichen Anmutuugen, wenn sie mir gemacht worden wären — ich rechne auch Zusiche rungen für die Zukunft dazu — einließe. Es gehört die ganze Verbitterung und Unanständigkeit des heutigen Par teikampfes dazu, um einem politischen Gegner dergleichen zuzutraucn und zum Belege dafür ohne Nachprüfung Aus züge aus einer Broschüre von der Art der Oppersdorfschen abzudrucken. Die Möglichkeit dazu bekamen die liberalen Zeitungen dadurch, daß die Broschüre in der vorige» Woche in die Oeffentlichkeit geworfen wurde. Dieser Schritt des Grafen Oppersdorf kam unerwartet. Meine Fraktion hat daraufhin gemeint, durch einen besonderen Beschluß vor der Oeffentlichkeit ausdrücklich dafür einstehen zu müssen, daß sie sich auf meine ihr übermittelten Erläuterungen hin von der Hinfälligkeit der Angriffe jener Broschüre über zeugt hat. Das und nichts anderes ist der Sinn jener Worte des Beschlusses, wonach ich über die beanstandeten literari Lssto ljs7.»x-vg>rolto! ^ V,»r«SxIIvk« »'I 4 » ^ IV !»I r-t von ÜO Illark KN R.1S8IK« Altost-istS 2ttkIn'o!86, kodsi X»88«Qrnk»<^ l t 8V1»I : I>ir«81»«x Sokrnn-lisolpvll-III«« IS scheu Kundgebungen befriedigende Erklärungen abgegeben hätte und die Zentrumssraktion damit die Bedenken gegen meine Aufnahme für ausgeräumt betrachte." Diese Erklärung ist in ihrem ganzen Grundtone und in den einzelnen Behauptungen unzutreffend: sie rief allge meinen Unwillen in der Zentrumssraktion hervor. Sofort, in der ersten Sitzung nach Neujahr wurde einstimmig be schlossen, die ganze Angelegenheit aufs neue dem Vorstande zu unterbreiten und zwar mit der Motivierung, daß diese Erklärung es zweifelhaft erscheinen läßt, ob der vor Weih nachten gefaßte Beschluß aufrecht erhalten bleiben kann. Der Vorstand beriet am 11. und 12. Januar über diese Frage uud unterbreitete am Donnerstag den 12. Januar der Gesamtfraktion folgende Erklärung: „Mißverständlichen Auslassungen gegenüber hält die Fraktion an ihrem Be schlüsse vom 9. Dezember 1910 fest." Diese Erklärung wurde einstimmig und ohne jede Debatte angenommen und be schlossen, sie der Oeffentlichkeit zu übergeben und gleich zeitig erklärt, daß es jedem Mitgliede der Fraktion frei stehe, die zur Aufklärung dieses neuen Beschlusses erforder lichen Aufklärungen zu geben, was aumit geschieht. Wir cuthalten uns auf die Frage selbst Weiler einzugehen, sind aber verpflichtet, gegenüber jedermann den einstimmigen Beschluß des Fraktion mit aller Entschiedenheit zu ver treten uud allen Verdunkelungen des Sachverhaltes ent gegenzutreten. Die Zentrumswähler selbst haben auch ein Anrecht auf diese Klarstellung, nachdem die Auslassung des „Elsässer" durch alle gegnerische» Zeitungen und einen gro ßen Teil der Zentrumspresse gegangen sind, ohne daß bis her eine Richtigstellung erfolgte. Nunmehr hat die Frak tion selbst und mit aller Klarheit und Deutlichkeit gespro chen, so daß Ableugnungen, andere Deutungen und Ver dunkelungen nicht mehr möglich sind. Dieser Beschluß der Fraktion, der ohne jede Debatte einstimmig erfolgte, ist gegenüber jeder Auslassung eines einzelnen oder einzelner Blätter authentisch und unanfechtbar. Der Abgeordnete von Warburg-Hörter hat bisher der Fraktion nicht er klärt, was er zu tun gebet!kt. Eine „erfundene Gesetzwidrigkeit" Tie „Chemnitzer Allgemeine Zeitg." hatte die Liebens würdigkeit, durch Zusendung der Nr. 10. vom 10. d. M unsere Aufmerksamkeit a»i den Leitartikel: „Gesetzwidrig keiten. denen begegnet werden kann und mnß" zu lenken. Es wird darin auf fünf Spalten mit epischer Breite und ent setzlicher Umständlichkeit ei:' Rundgaug um den Stachelzanu gemacht den eine ängstlime Gesetzgebung seit der Rück kehr Augusts des Starken zur katholischen Kirche um die katholische Geistlichkeit gezogen hat, damit ja keiner lei amtliche Beeinflussung protestantischer Kreise durch öffentliches Auftreten geschehen könne. All die Maß nahmen werden aufgezählt, und dabei durch eine Ab schweifung ans das Gebiet der kirchlichen Gerichtsbarkeit, welcher in Deutschland und dazu gehört doch auch Sachsen erst am 27. Januar 1877 ein Ende gemacht worden sei, ein gelindes Gruseln bei den protestantischen Lesern zu er zeugen gesucht; denn es werden als „angewandte Straf mittel" von seiten der Kirche genannt: „körperliche Züchtigung, Einsperrung in das Gefängnis, Verstoßung in ein Kloster, Geldstrafen" nsw. Brr! Auf diesem lange» Umwege führt der Artikel zu dem Ziele, daß nach den sächsischen Gesetzen „jede eigenmächtige Veröffentlichung des Bischofs ausgeschlossen sein soll". Wenn er es tat, so kann die Staatsregiernug die Amtsentlassung eines katholischen Geistlichen also nötigenfalls auch eines Bischofs ver langen und die Vorgesetzte kirchliche Behörde müsse den be treffenden Geistlichen seines Amtes entsetzen. Dieser Exkursion auf die kirchenpolitische Gesetzgebung Sachsens liegt die Annahme zugrunde, daß der Bischof von Sachsen in der „Prinz-Mmc-Affäre" die Hand im Spiele hatte und durch eine offizielle Erklärung im amtlichen Teile des „Dresdner Journals" aktiv eingegriffe» habe. „Es ist," so fährt die „Allgcm. Ztg." fort, „— wie auch in vielen anderen Punkten unserer Verfassung — von de» Gesetzgebern der dreißiger Jahre klug vorgesorgt, daß der Staat Mittel zur Genüge hat, Herr im eigenen Hause zu bleibe». Pflicht der jeweiligen Negierung ist aber, diese Mittel auch auzuwenden . . .". um den Bischof „nach Maß gabe seiner Verschuldung zur Rechenschaft zu ziehen". Diese Verschuldung aber sei klar, denn: „Daß etwas Verfassungswidriges vorliech, kann heute nicht mehr in Abrede gestellt werden, nachdem der sächsische Staatsanzeiger in seinem amtlichen Teile veröffentlicht hat, daß weder die Staatsregierung, noch die in Kvniijp-Iiam beauftragten Minister irgendwelche vorherige Kenntnis von der scharfen Kritik gehabt haben, die am 21. v. M. ebenfalls im amtlichen Teile des AmtsorganS an den Ausführungen des Prinzen geübt worden ist, und nachdem der Hausminister des Königlichen Hauses gleichfalls erklärt hat, daß auch ihm die Kritik nicht Vorgelegen habe." Hier wird die Wahrheit direkt auf den Kopf gestellt, wie sich jeder durch die Erklärung der Redaktion im „Dresdner Journal" selbst überzeugen kann, die wir hier nochmals wiedergeben: „Die Erklärung im amtlichen Teile unseres Blattes vom 21. d. M., Nr. 298, den vielbesprochenen Artikel Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Max betreffend, ist uns nicht von der Königlichen Staatsregierung, auch nicht von den in blvun^c-Iiei« beauftragten Herren Staatsministern, sondern von dem Ministerium des Königlichen. Hauses zugegangen. Wie wir feststellen können, sind iveder die Staatsregierung noch die in lllvnn^-Iie.ik beauf tragten Herren Minister mit der Angelegenheit befaßt ge wesen und sie haben von der Erklärung vor ihrem Er scheinen keine Kenntnis gehabt." Es wird hier ausdrücklich und sicher im Einvernehmen mit dem Königlichen Hausministerium erklärt, daß das amtliche Schriftstück von diesem dem „Dresdner Journal" zur Veröffentlichung übergeben worden ist Es ist also das gerade Gegenteil von dem wahr, was die „Chemn. Allgem. Ztg." so unverfroren behauptet. Hätte sie aber die Wahrheit geschrieben, so hätte die ganze Strl- übung unterbleiben müssen, weil sich Bischof Dr. Schaefer nicht die geringste „Gesetzwidrigkeit" zuschulden komme:« ließ, der „begegnet werden kann und muß". Die alte Ge schichte! Erst stellt man eine Lüge auf, um dann mit großem Tamtam darauf losstürmen zu können. Wir bedauern nur die armen Leser, die sich so geduldig an der Nase herum- ziehen lassen. Politische Rundschau. Dresden, den 14. Januar t»il. — Ter Kaiser hat dem Erzabt Ildefons Schober zu Beurou den Kronenorden zweiter Klasse verliehen. — Als Nachfolger des aus dem diplomatischen Dienste scheidenden Botschafters in Tokio Freihorrn Mumm von Schwarzenstein wird in erster Reihe Graf Rex, der deutsche Gesandte in Peking, genannt. — Der Reichstag setzte am Freitag die zweite Lesung der Strafgesetznovelle fort. Es geht nur langsam voran und an die einzelnen Artikel schließen sich lange Debatten an. Der Erpresserparagraph und der Artikel betreffend die rohe oder boshafte Behandlung von Hausstandsangehörigen und Personen unter 18 Jahren wurden in der Fassung der Kommission angenommen. Die diesjährige Generalversammlung der Katho- likcn Deutschlands in Mainz wird diesmal schon vom 6. bis 10. August abgehalten werden. Das wird vor allem in den Kreisen der katholischen Lehrerschaft Sachsens mit Freuden begrüßt werden, da eine Teilnahme aus ihren Kreisen bis her durch den für sie ungünstigen Termin der Tagung fast unmöglich wurde. — Eine Arudrruust dr« Jmpfgesetze« verlangt ein Antrag, den die Abg. Dr. Faßbender und Dr. Pfeiffer (Zentrum) zu dem Bericht der Petitionskommission gestellt haben. Der Reichskanzler wiro ersucht, einen Gesetzentwurf betr. die Aeuderuug des JmpsgesetzeS vorzulegen, vorher aber zur Klärung der Frage Material zu unterbreiten, das durch eine Kommission zu beschaffen ist, der neben Jmpffreundeu auch Jmpfgegner angehöcen. In diesen Ge- setzcntwurs soll auch die GewissenSklausel eingeführt weiden, derart, daß jede Person vom Jmpszwange zu befreikn Ist. die der zuständigen Behörde erklärt, daß sie vor ihrem Gewissen die Impfung des Kindes nicht rechtfertigen kann. Physischer Zwang zur Durchführung der Impfling soll in diesem Fall ausgeschlossen sein. Der Antrag dürfte eine große Mehrheit finden, so daß die Jmpfgegner einen vollen Erfolg haben. — Die LaudtagSersahwahl iu Hrilbronu-Land hat der Sozialdemokratie das Mandat des württembergischen Land- tagswablkreiscs Heilbronu Land nach einem höchst inten siven Wahlkampfe im 1. Wahlgange wiedergebracht. ES erhielten Stimmen: Schneidermeister Hornung (Soz.) 8019 (1906 2883), Arbeitersekretär Fischer (Frs 1 1884 (1906 1048) Weingärtner Haag (Bd.) 1021 (1906 1268). Abg. Gröber (Zt.) 544 (1906 525). Die Sozialdemokratie bat also um 636 Stimmen zugenommeu und das Maudat init einer absoluten Mehrheit von 70 Stimmen erobert. Der Hauptkampf hat sich nach dem „Vorwärts" im Gegensatz zu den letzten allgemeinen Wahlen, bei denen di? Volks- Partei im 2. Wahlgange den Ausschlag zugunsten der Sozialdemokratie gegeben hat. diesmal zwischen diesen beiden Parteien abgespielt. Die Volkspartei hoffte, daß ihr Kandidat als ehemaliger evangelischer Arbeitersekretär einen Teil der sozialdemokratischen Wähler zu sich herüber» ziehen würde. Für das Zentrum ist das Resultat sehr erfreulich, da es in diesem Bezirke nicht nur seine alte Stimmcnzahl wieder erhielt, sondern sie vermehrte, obwohl die Verhältnisse für das Zentrum nickt günstig liegen. — Bethmann Hollweg als Schuhherr des katholische« VolksverrinS? Das Organ der Modernisten „Das neu«