Suche löschen...
Dresdner Nachrichten : 10.04.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-04-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192704107
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19270410
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19270410
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-04
- Tag 1927-04-10
-
Monat
1927-04
-
Jahr
1927
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 10.04.1927
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
SS Alltag Sonntag, 10. Fspril 1927 Am Gewel. Ehre! eure -eulschen Meisler! Historische Skizze von Otto SlntheS. Palm< nutag l8kt in der Frühe starb Emanicel Sein treuester Freund von Jugendtagcn her. der Dlaklcr Schunk, liatte alSbald die Nachricht in all« Welt hinaus getragen und stürmte dann, sobald cs angängig schien — eS war eben zehn Uhr vorbei — in daS Haus des Bürgermeister» der Freien und Hansestadt. Der Bürgermeister war gerade vom Frübstückstiich aufgestande» und hatte sich die Morgen- Zigarre angeztindet. Tr empfand die Störung tn seinem Herzen ein wenig unzeitig. Aber da er ei» Bürgermeister der Freien Stadt und beherrschten GemüteS war. so legte er dir Zigarre weg und lies, den Makler bitten, Er ging ihm in ge- haUener Leutseligkeit entgegen und fragte: „Nun. mein lieber Herr Schunk. was bringen Sie mir?" „Geibel ist tot!" platzte der alte, leidenschaftliche Mann heraus und seine Backen zitterten. „Go!" sagte der Bürgermetster und wiegte bedauernd den Kopf. „Ist er tot? DaS tut mir leid." .Ha? rief Schunk atemlos vor Erregung, „heut in der Früh ist er gestorben." Der Bürgermeister -rückte dem Fassungslosen die Hand. „Nun," sagte er beruhigend, „der Jüngste war er ja nicht mehr." „Neunundsechzig, Magnifizenz", rief Schunk vorwurfsvoll. „Neunnndsechzig? Nun gewist, er hätte noch — aber leidend war er sa schon all die Jahre her. Wenn man das bedenkt —" Der Makler rang die Hände tn mastloser Unruhe. „Magnifizenz." sagte er und zivang seine Stimme mühsam zur Festigkeit, „ich komme, Ihnen das mitzutctlen, ivetl ich dachte, das, — etwas geschehen müsse." „Wie meinen Sie? Was müsste geschehen?" .La. von Staats wegen, meine ich. Zur Ehrung des Toten." Der Bürgermeister legte die Hände auf dem Rücken zu sammen. ,-Wlc das ctiva?" Es laa eine unendlich vornehme Zurück haltung in den drei Worten. Der Makler schnappte nach Luft. Nun er sagen sollte, was geschehen müsse, ivar er selbst ein wenig tn Bedrängnis. Er hatte gehasst, dast der Bürgermeister ihm auf halbem Wege entgegenkommen würde. Da das nicht geschah, erschien, was er zu heischen im Begriff war, im Augenblick ihm selber fast ungeheuerlich. Immerhin. daS erste war einfach »nd leicht z» sagen: „Man müsste — ja, das Rathaus müstte Halbstock flaggen." Der Bürgermeister blickte angelegentlich aus seine Stiesel spitzen. — „Das Rathaus? Aber lieber Herr Schunk. er war doch nicht Senator." „Nein aber er ivar —" „Ja. er war — gewiß, er war ein Dichter.' „Ein großer Dichter, Magnifizenz." Der Bürgermeister nickte auf eine Art. die erkennen liest, dast ihm auch dies noch keine Beranlaisung zum Beflaggen des Rathauses dünkte. Schunk war ratlos. Er sah sich nach der Tür um. weil ihm zumute war. als müsse er setzt mit Entrüstung das Feld räumen. Da erschien in derselbe» Tür der rettende Diener des Rates in seinem roten Frack und brachte ein Telegramm. Der Bürgermeister entfaltete eS. „Der trauernden Haiiiastadt beim Tode ihres großen Sohnes herzliches Beileid. Friedrich Franz. Großherzog." — So laS er und war eine Weile ganz still. Dann sah er Herrn Schunk mit einem srcundlichen Blick an. „Wir haben viel verloren", sagte er. ,L8ir alle. Herr Schunk. Sie habe» recht, man must eS der Stadt zum deut lichen Bewußtsein bringen. — Schütt," wandte er sich an den Diener, „lassen Sie auf twm Rathaus Halbstock flaggen, die drei Flaggen aus dem Balkon! Es soll sogleich geschehen." Der Diener ging Der Bürgermeister trat an Herrn Schunk heran und drückte ihm zum zweite» Male die Hand. Aber der war nun mutig geworden und wich nicht. „Ja. »nd dann," sagte er. „Magnifizenz — wäre es nicht wunderschön, wen» zu Mittag die Glocken der Marienkirche mit ihren ernsten Töne» kündeten, was geschehen ist. Nu» laßt die Glocken von Turm z» Turm —" und dann brach er ab »m nickt iählings in daS Frohlocken und den gänzlich un- passenden Jnbelstnrm lnneinnircnneu. Aus dem 'Gesicht des Bürgermeisters erschien ein ganz leichtes seines Lächeln. „Herr Schunk." sagte er, und seine Stimme klang fast väterlich begütigend, so wie man zu einem allzu stürmischen Kinde spricht — „Herr Schunk. man must auch Mast zn halten willen. Sie waren des Verstorbenen Freund, ick weist, ich verstehe alles." Herr Schunk fuhr ans. so daß sein langer Hals wie eine bösartige Schlange aus den Vatermördern schoß: „Herr Bürgermeister." schrie er. „ich will doch die Glocken nicht für mich aeläuiet haben. Lb ich ein Freund deS Verstorbenen war oder nicht, daraus kommt es hier gar nicht an. Hier starb ein Mann, dessen Name durch alle deutschen Gaue klang, wie Glocken klang er. Herr Bürgermeister —" Aber hier wurde er unterbrochen. Sin Dienstmädchen kam eilfertig ins Zimmer gehuscht und überreichte dem Bürger meistcr eine zweite Depesche. „Aus München." buchstabierte er. und dann las er laut: „Wenn die Glocken Lübecks den großen Dichter zu Grabe läuten, will auch Seine Majestät unser allergnädigster König nichl fehlen um dein Mann die letzte Huldigung zu bringen, der Bayerns Hauptstadt einst mit seinem Geiste zierte. Im Auftrag: DaS Hofmarichallamt." Herr Schunk triumphierte. „Magnifizenz," rief er, „ivas habe ich gesagt? Draußen tm Reiche hörte man sie schon iäiilcn. Wollen Sie ihnen de» eherne» Mund verschließen?" „Nein, nein," murmelte der Bürgermeister. .Lch werde dem Senior Bescheid schicke». Der mag dann daS wettere veranlassen." Herr Schiink war keine schadenfrohe Seel«. Nur lautere Seligkeit war tn ihm, daß seinem toten Freunde die Ehre widerfuhr, dlc ihm gebührte. Aber er »var Makler, und wenn ihm einer den kleinen Finger gab. dann haschte er nach der ganzen Hand. Von Berufs wegen. Aus eingewurzelter GcirimstSgcivohnhctt. Pflichtgemäß gewissermaßen. Nachdem er sich eine kleine Weis« besonnen hatte, in die Kniebeuge seiner Seele gegangen war sozusagen, sprang er den Bürger meister mit seinem lrüchsten Triumphe an. „Noch eins," begann er leise. „Magnifizenz. — die Krönung gewissermaßen. Krönung für ihn und auch für UNS" — er machte noch eine wirkliche Pause — „er must auf Staats, kosten bestattet werden." Der Bürgermeister zuckte zusammen wie unter einem Stich. Nnd dann fror er ganz und gar. DaS lmtte er in dcr Uebniig. JebeSmal. wenn Kosten vom Staate gefordert wurden, gefror er, selbsttätig, ohne dast sein Bewußtsein mst. znwirken brauchte. „Und glaube» Sie. dast die Bürgerschaft das bewillig,?" Herr Schunk schlug mit den Armen um sich wie et» Er- trinkender. „Die Bürgerschaft! Sie würde sich sa mit einer unauS- söschlichen Schande beflecken, wenn sie da« nicht täte. Sie würde sa —" „Und ich sage Ihnen: sie wird es nicht bewilligen." Tin« gefährliche Pause entstand. Die beiden Männer standen sich gegenüber wie Dvdseinde: Herr Schunk an allen Sprtnglust tn den dünnen, noch immer sehnigen Beinen: der Bürgermeister mit vorgeschobenem Kops, den Nacken geduckt. Und dann löste sich die Spannung, indem die Frau Bürger meisterin selbst ins Zimmer trat, ein neues Telegramm in den weihen Fingern. Diesmal zögerte der Bürgermeister. eS tn Empfang zu nehme». Da näherte sich Herr Schunk der erstaunten Dame mit Tänzerschrittcn seiner Jugendzeit, verbeugte sich zierlich und entfaltete scinerseils das Papier. ES kam auS Berlin und enthielt den überwältigenden Satz: „Erschüttert von der TodeSkundc. die ganz Deutschland tn Trauer versetzt, sende ich der nächstbeirossenen Heimatstadt des Htngegangenen den Ausdruck meiner tiefsten Anteilnahme. Es starb ein großer Dichter, ein großer deutscher Mann und mein Freund. Friedrich Wilhelm. Kronprinz des Deutschen Reiches und von Preußen." Herr Schunk triumphierte nicht. Er stand und kämpft« mit den Tränen, die in seinen alten, trockenen Makleraugen aufstiegen. Durch den Schleier aber, dcr sich über seinen Blick legte, sah er. wie der Bürgermeister in Ergebung die Hände vor dem Leib faltete und mebrmals nickte. Als er nachher durch die Breit« Straße heimwärts wallte, bauschten sich vom Balkon des Rathauses die drei Flaggen an halben Masten im krischen Avrilwind: um Mittag läuteten die Glocken von St. Marien über Stadt und Land hin mit tiefen weil>e- und wehcvollen Tönen: »nd drei Tage daraus ward Geibel von Staats wegen zur Erde bestattet und mit allem Gepränge der Freien und Hansestadt. Gesühnt. Bon Georg Julius Peterscn Durch den schmalen Sandweg, der sich zwischen Heidekraut und Gestrüpp auswärts hinzog. mäht« sich ein Gespann. Vor einem abgenutzten Leiterwagen ging ein einzelnes Pferd, ein kleiner Brauner: dcr Man», der zur Linken des Weges schritt, griff zuweilen in das Vorderrad, um es dem Pferd leichter zu machen: dabei lieh er die halblange Pfeife nicht aus dem Munde. Der Rauch stieg fast steil in die Luft, denn es war völlig windstill und Heist, sehr Heist. -,Hü!" ES klang nicht herrisch, sondern eher freundlich — ermunternd: und wirklich: das Pferd legte sich stärker ins Geschirr. Die Wagenräder kreisten unl>örbar im Sande. Nun war dcr Hügclrückcn erklommen, für kurze Zeit blieb daS Pferdchcn stehen. Eine grobe Hand klopfte seinen Rücken, während zwei Augen nachdenklich, ja grüblerisch auf dem nun sichtbar gewordenen kleinen Anwesen ruhten. „Na, Lotte, nun man zu," beendete der Mann die Rast. Das Pferd befolgte diese Aufforderung. Da lag ja auch sein Stall, winkte der Futtertrog: nach fünf Minuten hielt eS end gültig. Paul Tams — so hieb der Lenker des Gespanns — »ahm dem Pferde das Geschirr ab »nd entlieh es mit einem leichten Schlaa auf den -Hals: den Stall fand es von selbst. I» der Türfüllung des niedrigen, mit Stroh gedeckten Hauses zeigte sich eine Fraucngcstalt, Ihr Gesicht war nicht ohne Feinheiten. Ihre Haltuna verriet Stolz »nd innere Abwehr. Das Haar war leicht ergraut. Sie verharrte eine Zcitlang schweigend in ihrer Stellung. Ihre Augen ruhten auf dem Manne — ihrem Bruder —, der sich an dem Wagen zu schassen machte. „Na, Paul!", rief sie endlich,- „bist lange geblieben!" „Es war da noch so vielerlei," antwortete er, indem er umständlich den Pseifenkopf ausklopstc, dabei hielt er das Gesicht gesenkt. „Es ist schon sechs, und um zwei wolltest du wieder hier sein. Aber nnn komm, das Esten lvartet." .Lotte must erst Futter haben." „Die Krippe ist schon voll Gras." „Na. dann ist c§ ja gut." Er setzte sich träge in Bewegung. Nach wenigen Minuten sahen die Geschwister tn dcr Küche am Tisch und verzehrten — spät genug — ihr Mittagessen: Sauerampsersuppc mit kleinen Pfannkuchen. Es ivar, neben bei bemerkt, Paul Tams' Leibgericht. » Paul Tams sah auf dcr schmalen, selbitgezimmerten Bank unter dem Küchenscnster und rauchte. Stocksteif sah er da. Die Lippen sogen mcclianisch an dcr Pfeife und stießen den Rauch ebenso gleichmäßig und achtlos wieder von sich. Der Blick war in die Ferne gerichtet: auf den Hügclrückcn, dessen Heidekraut unter dcr scheidenden Sonne aoldrot leuchtete. Aber dcr Nachsinnende beachtete cs nicht. Ihn beschäf tigten ganz andere Dinge. Was er heute erlebt hatte, lag ihm wie ein Stein auf dcr Brust. Seine Augen suchten Life, die in dem kleinen Nutzgarten kniend von Beet zn Beet glitt. Ein mitleidiger Blick nmipannte ihre Gestalt. Nu» erhob sie sich. Einen Augenblick übersah sic prüfend den Garten, dann trat sic ans den Hofplatz hinaus, die Pforte sorgfältig hinter sich znziehcnd. damit die Hühner morgen früh kein Unheil anrichletcn. Sic brachte den Inhalt der Schürze — gelbe Wurzeln und siinge Erbsen — in die Küche, erschien aber bald wieder mit einem Korb, der Kartoffeln barg, und einem Eimer, der zur Hälfte mit klarem Master gefüllt war. Bald sah sie neben dem Bruder, dcr etwas beiseite gerückt war, und sing an, die Kartoffel» zu schälen. ,LSie war's in der Stadt . Paul?" unterbrach sie endlich daS Stillschweigen. Paul nahm die Pfeife auS dem Munde und räufpert« sich Dan» berichtete er. Er war wieder einmal in der Stadt ge wesen, um schnccweisten Sand und die iclbstgefcrtigten Heide- befen zu verkaufen, da brachte er allcrlmnd Neuigkeiten miß Plötzlich stich er heraus: „Fritz Deeken ist wieder da." DaS Karlosselschälmesser siel i» de» Eimer, als hätten die Finger nicht mehr die Kraft gehabt, es zu halten. „Fritz . . . Fritz Decken?" Ein totenblasses Gesicht war dem Manne zngckehrt. Lind... du hast ihn gesehen?" .La, Life, ich Hab' ihn gesehen und gesprochen. Ich hatte schon alles verkauft — ich hätte noch mal sv viel verkaufen können —, und auch meine Einkäufe halte ich besorgt. AlS ich bei Niels Jemen zu meinem Butterbrot ein GlaS Bier trank, setzte sich ei» Mann an meinen Tisch. Er kam mir so bekannt vor, ich wustte ihn aber nicht gleich hinzubrtngc»,- erst als er sagte: „Tag. Paul", da wustte ich Bescheid." Eine Pause verstrich. „Und da?" fragte Life im Flüsterton. „lind da? . . kam «S abwägend zurück. ,-Sie haben ihm drei Jahre geschenkt, wegen guter Führung, und es stimmt sa auch: in drei Jahren wären die fünfzehn erst 'rumge- wcscn." -Sr ist wohl entsprungen," murmelte Life, aber ihr Bruder schüttelte den Kopf. „Ich Hab' eS in seinem Führungszeugnis gelesen." sagte er verweisend. „Ja. und dann sagte Fritz, als wir auSein- anderaingen: „Morgen besuch' ich euch? „Du hast eS ihm doch verboten. Paul?" „Nein. Life. DaS konnte ich ihm gar nicht verbieten, denn er ist ein freier Mann." Nike schwieg. Ihre Hände lagen fest inetnairderverschlnn- gen in ihrem Schoß. Fritz Deeken! — Seit vielen Jahren war der Name nicht »wischen ihnen genannt worden: wie oft sie an den. der ihn trug, gedacht hatten, wustte keiner vom andern. Aber sie muhten, dast ihre Gedanken in dieser Minute den gleichen Weg gingen. Rückwärts, bis zu jenen dunklen Ereignissen vor zwölf Jahren. Damals war Lise Tams und Fritz Deeken versprochen. Er war ein junger, arbeitsamer, nur etwas jähzorniger Manu. Er wvhnte bei seiner Mutier, die ihr Häuschen mit einem noch jungen Ehepaare teilte. Die Frau empfing indes nichts als Roheiten und Quälereien von ihrem Mann. In ihrer Not batte sie sich an Fritz Deeken angeschlosten. Das Ver hältnis war völlig rein, eine Ktndersreundichaft, nichts weiter, das hatte Anna Blättner später unter Ihrem Eid ausgesagt. Eines Nachts war die junge Frau zu Fritz Deeken gekommen, um Schutz bei ihm zu suchen. Nicht umsonst, nachdem das junge Weib ihm die Spuren alter und neuer Mißhandlungen gezeigt hatte. Es kam dann — mitten i» der Nacht — zwischen den beiden Männern zu einem heftigen Wortwechsel, dann zu Tätlichkeiten, und schließlich zu einer verhängnisvollen Tat. Fritz Deeken stellte sich sofort der Polizei. Das Schwurgericht verurteilte ihn zu fünfzehn Jahren Zuchthaus. Lise Tams fühlte sich durch dieses Urteil mit in Schimpf und Schande gerissen. Auch sah sie die Kinderfreundschast zwischen Fritz und Anna mit anderen Augen an: sie glaubte sich betrogen. Sie zog zu ihrem Bruder, der für wunderlich, für einen .-Spökenkieker" galt, in seiner Heidekate — fast sah es wie eine Wcltflucht ans —, und hier lebte sie seit zwölf Jahren . . . „Ob Anna damals wohl die Wahrheit gesagt hat?" flüsterte Lise. ,La." Wie tm Tranmzustand gesprochen, klang cs. .LLoher weißt du das Paul?" „Das lagt mir mein Gefühl." Ein scheuer Blick traf den, dcr so seltsam sprnch. Life TamS kannte die unheimlichen Zustände ihres Bruders. Er schien dann nicht ganz bet Verstand, aber was er sagte, hatte nicht selten, ja eigentlich fast immer eine tiefere Bedeutung erhalten: er hatte sogar schon Ereignisse vorauSgefchen. Da erhellte ein Flammenstrahl die kochende Luft, ein furchtbarer Donnerschlag folgte: Lise Tams stand auf. „Komm, Paul", sagte sie hastig. Aber sie hatte ihre Mühe mit ihm. Wie ein Gelähmter hing er in ihrem Arm, und drinnen in der Küche sank er schlaff auf einen Stuhl: sein Gesicht trug einen tief leidenden Zug. Sein üblicher Zustand bei schweren Gewittern. Die Geschwister sahen am Tisch, zwei Stunden lang, ohne rin Wort zn wechseln. Erst als die Blitze seltener wurden, die Donnerschläge schwächer, und der Sturzregen sich in ein eintöniges Rieseln verwandelte, fand Paul Tams sich wieder zurecht. „Es hat »ns verschont", sagte er mit belegter, noch un sicherer Stimme. „Aber .. . Fritz ist unterwegs ... ich Hab' cs gefühlt. Life. Wenn er morgen kommt, sei gut mit ihm." Eine Antwort erhielt er nicht. Am anderen Nachmittag — es war wieder ein heiterer Tag. schöner noch durch den erquickenden Regen, der bis zum Morgen gefallen war am anderen-Lag. gegen sechs Uhr, zeigte sich auf der einsamen Heidestelle ein Mann: zwei Paar Augen hatten ihn von. verschiedenen Punkten über den Hügel rücken kommen sehen. Nun stand er unschlüssig auf dem kleinen Platz, von dem Hahn mit dem feuerroten Kopfschmuck scharf und mißtrauisch betrachtet. Der Mann trug ein Bündel In der einen Hand, einen derben Stock in der anderen. Tie Augen gingen suchend umher. Da trat Paul Tams aus dein Stall: die Pfeife hing ihm im Munde. Er war wieder ganz wie sonst. „Tag. Fritz." Ein Aufleuchten ging über des anderen Gesicht. „Da bin ich, Paul." „Das seh ich. Komm, setz' dich . . . hier ans die Schub karre . . . Du wirst müde sein. — Willst du ein Glas Milch?" „Last man. Paul. Ich Hab' 'ne Zeitlang in der Heide ge legen und auch gegessen und getrunken." .Seit wann bist du unterwegs." -Sigenilich schon seit gestern abend. Aber bei dem Wetter kehrte ich wieder um." Paul Tams entzündete ein Streichholz, obwohl die Pfeife noch brannte. „Hm ... ja, Fritz, rS freut mich, dast du noch mal ge kommen bist", sagte er, sich räuspernd, ,/rbcr das ist so 'ne Sache, ja." „Will Lise . . . will sie nichts non mir wissen?" „Wenn du mich schon danach fragst. Fritz —, nein." Fritz Deeken nickte, als ob er das verstünde nnd billigte. Dan» holte er aus der Brieftasche einen abgegriffenen Brief umschlag. „Gib das Lise", sagte er. „Was ist darin. Fritz?" „Gib cs Lise", wiederholte jener. „Aber ich kann cs dir ruhig sagen: es sind zwei Briefe von Anna, sie klären am Ende manches auf." Paul Tams drehte den Briefumschlag unschlüssig in der -Hand: Briefe von Anna, die längst tot war? . . . Vielleicht vermachten sie den starren Sinn der Schwester zu lösen, nachdem alle anderen Mittel versagt hatten? . . . ,-Wart' einen Augenblick, Fritz." Er ging ins Haus, blieb aber wohl eine Viertelstunde. Endlich erschien er wieder, in seinen Mienen prägte sich Erschöpfung ans, seine Schwester folgte ihm zögernd. Der Besucher hatte sich vvn dcr Schub- karre erhoben. --Fritz", sagte Paul TamS, „hier ist Me." „Tag, Life." Aber seine auSgcstrccktc Hand wurde nicht ergriffen. „Was sollen diese Briefe?" fragte Lise TnmS. „Hast du sic gelesen?" „Ja. Aber ivas sollen sic?" .Sagen sic dir nicht genug, Lise?" „Warum hast du sic mir nicht früher gezeigt?" „Du bist ja nie zu mir gekommen, Lise, und ich — ich konnte dich nicht besuchen." Sie senkte den Kopf, die Augen ruhten voll Betroffenheit auf dem früh ergrauten -Haar. „Und irmS sie schreibt, ist ivahr?" sagte sie dann mit einem Blick, dcr Angst und Verzweiflung ansdrückte. „Die reine Wahrheit. Life." „Lüg' nicht!" fuhr sic ans. .Lise", mahnte Paul TamS, „Fritz wirb in einer solchen Sache nicht lügen." Sie mußte sich setzen, daS Blut sauste ihr in den Ohren. Was Anna in ihren letzten Tagen an Fritz geschrieben hatte — im Ton einer Schwester, die sich dem Brndcr rückhaltlos anvertraut und ihm Trost zuspricht, so gut Ne kann — ließ diesen völlig fleckenlos dastehrn. nun er seine Untat gebüßt statte. Aber — und daS war eS — je größer er wurde, desto kleiner wurde Ne. seine ehemalige Braut, denn sie hatte da- malS allem Gerede, allen Verleumdungen Glauben geschenkt, Der Himmel halt« sich verfinstert: über ihrem Gespräch hatte» die Geschwister es nicht beachtet: nun schreckte sie et» sic umr nickst sehr groß gewesen in seinem Unglück. Doch was »och ferner Donnepschlag aus. Aber sie lstieben dennoch sitzen, wollte er nun noch? Sie demütigen — ihr qualvolle Jahr«, Miedern behend. Witrgbewegungeu tn den mageren Händen, dt« Gedanken lagen wie schwere Geipichte auf Ihren Schulter», qnalvollcre noch als die zwölf letzten, Voraussagen?.,»,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)