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Dresdner Nachrichten : 16.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189904162
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990416
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990416
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-04
- Tag 1899-04-16
-
Monat
1899-04
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 16.04.1899
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»MW Leite 178. BeUckrntisclic Lonntago Beiiaac z», den „Trcsvncr üiackrichte»'. 26. Kapi'.el. „Also er hat da» ZKI erreicht." >aaie Carla Turtschnrstn langsam. .Ehemals war «r seiner» freunden ein lchlrninrcr Geselle; regellos, haltlos, heule warm, morgen kalt, heute kargend, morgen verschwendend, heute ein Edelmann, morgen ein Cnnrler, heute dis zum Wahnsinn fleißig. rücksichtslos in diesem Fleiß, morgen nickt fähig zu einem Strich — und so wochenlang aus und ab. Ich dachte nicht, daß dem das Leben einmal Wort Hallen werde" „Es hat ihm Wort gehalten im schönsten Sinne: seine Kunst, seine Familie, sein Vermögen - Alles über dem Durchschnitt des Geizhalses Mrnschaüoos." Carlas Bück blieb, ohne zu sehen, an einem grellrolhen Sonnenuntergang hängen: ein Bedauern, ein Reucgefi'rhl überkam sic, ein: „Wenn ich das ge wußt hätte'." — Laut ragte sie: „Er in der Einzige, de: das Ziel erreicht hat, der Einzige unter den Vielen, denen ich dort in den: genialen Kreise Freund- schast gewidmet habe." „Allo Stahl, sonst hätten Sie i!ni zerbrochen," bemerke Brcnnccke mil freundlicher Bosheit. Sie sah ihn forschend und mit den halbgc'chloffeiien Augen an und überlegte blitzschnell, wie er zu dieser Aeußcrung komme. Hatte Chrestensen? — Unmöglich, der würde sich hüten, von Carla Turtschinska zu erzählen : sie überging Brenneckc'S Bemerkung und snhr mit kühlem Tone fort: „Einen Mann des Glücks nennen Sie ihn — dazu trauchk'S nicht Stahl noch Größe, das Glück iolgt keinem Gesetz, sondern der Willkür." Brenncckc kam mit dem Gemeinplatz ungefähren, daß jeder seines Glückes Schmied sei, sic lachte dazu spöttisch und scharf in anderem Ton wie bisher. ncd sei,, sic lachte dazu spöttisch nnd schars in anderem Natürlich, wer rücksichtslos nrcdcttritt nnd zur Seite schiebt, was ihm Weg versperrt, den mag man den Schöpfer seines — Erfolges nennen." Robert Rees packte der Zorn; wenn man Heiligenbilder anbetet, will sie nicht liekritclt haben. Kränze hängt man ihnen auf, und wer sie höl- man zern nennt, wird Lim Tcrnpeb'chändrr. Trotzdem lieg ihn die Frau nicht los. Wie sic vor ihm her schritt mit den geschmeidigen, müden Bewegungen, wie sie von Zeit zu Zeit nach ihm zurück sah mit den« unklaren, weichen Blick, von dem er immer aus's Nene einen Zscumnenstrahl cchosstc, >chien sie ihm abwechselnd lehr lohnend — frag lich — des Studiums werth. Die Acnßerung war wohl nur im Allgemeinen grthan. nicht aus Chrcstcufcn gemünzt gewestm; er folgte ihr, und Brcnnccke blieb an seiner Leite. Trotz der wechselnden Bilder blieb das Gespräch bei dem gemeinsamen Bekannten. Vielleicht dachte Nccs irrthümliche Ansichten zu bekehren, vielleicht glaubte er das. schon init em paar Worten erreicht zu haben. Wenigstens be richtete Fräulein TurischinSka jetzt rnhig von der Zeit, wo sie Helmar Chresten- scn als Kämpkendcu und Hoffenden gekannt hatte, erzählte ohne Schärfe nnd ohne Randglossen. Weshalb diesen jungen Meirichen verstimmen, der sich ganz offenbar von ihr ungezogen fühlte. Mochte er Loch für Helmar Chrestcn- sen Lanzen brechen. So folgten ihr die beiden Herren getreulich etwa eine Stunde lang 'Erst als sie sich mit kurzen« Gruß frei gemacht hatte und daraus in Begleitung eines alten Herren, dem Vrcmrecke den Namen eines bekannten Bildhauers Sie ein zwic- gab. in der Weinstube verschwand. rd, fragte Reef plötzlich ernüchtert: Wer ist sie eigentlich? Sic hat cir In zwei Worte»? Tochter aus gutem kennen fJräulein Tutt'chinSka? Kralliges Wesen." Brenneckc zuckte die Achsel». Haus — verbummelt." „Aber Sic wisse» mehr?" „Nicht viel. Ich bin ihr ein paar Brat in Lokalen begegnet — der Architekt Birnhagen hatte mich damals mitgenommen. Bunt war die Gesell schaft Zcdcs Mal, aber auch immer Kümtlergesellschaft — die Turtschinska fühlt nur für Künstler, der Weg zum Herzen acht bei ihr über die Brücke derKnnst- schwätzcrei — verbildet. Trotzdem soll sie sich in jüngeren Jahren Vielen als Vampyr erwiese» haben. Na. jene Generationen sind nicht mehr da, und alle Geschichten, die man sich so hin und wieder erzählt im Leben, brauchen ia glücklicher Wci'e nicht geglaubt zu werden. Jehl rinden Sie die Dame täg lich im Ausstrlliingspark, wo Ire sich mit Allerlcir.ru!> trifft. Sic hat gute Freunde bei Kumt und Kritik, schickt hier und da Fach Neuigkeiten an die Blätter, wo ihr llrthcil geschätzt wird, ihre historischen Kenntnis'' über die neueren Maler brauchbar sind. Wovon sic lebt, ersubr ich nicht, aber man nennt sie anregend." „Hängt sic denn ganz in der Lust?" „Man sagt, sic sei eine Lfffziers.'ochter. früh verwaist, habe Malerei studiert und nichts erreicht. Nach einer unglücklichen Liebe zu ihrem Professor soll sie nur noch glücklich geliebt haben." Neef hörte zu. ohne zu hören : Klatsch, sagte er sich. Als Wirkung blieb chm nur: Ihr ttrtheil wird geschätzt, sic gilt sie. anregend. Er empfand das an sich selbst, kaum war er in 'einer Wohnung angekommeir, so begann er zu zeichnen.^ Carla Turiichrnska'S Gefickt mit den« G ldschnnick einer Ldaliskc über dem blonde» Scheitel; Carla Tuttschiuska's Gestalt als schlummernde, zer fließende Mee.'caü, dann wieder nrlt rückwärts gewandte»! Haupt als lockende Kilndli)., Heiß und angenehm erregt warf er de» Srst'i erst iveg. als die Dämmer ring begann, und eilte dann hinaus in s Gedränge der Straße. Untertattcheii in den Strom der Gegenwart, nannte er das- Gestalten und Gruppen strömten ihm zu. alles Gesthenc prägte sich ihm klar und deut lieh ein in abgeschlossenen Bildern, nur wegzruiehmcn vom Tisch des Lebens Er dachte nicht mehr an dre neue Bekanntschaft, auch des Nachts nicht, als er sich lustmüde schlafen legte und die Bilder des Abends in den Tran» hinüberkpann. A»! andere» Morgen aber erwachte regende Person I und machte sich aus oci Hoffnung. Carla TurtschiilSka ;» besten. , . , . raum hiuüberspam». Am andere» Morgen aber erwachte er mit dem Gedanken: Eine an- ' Sen Weg »ach der Ausstellung, in der Der junge Nccs sah Carla Turtschinska täglich ', sie trafen sich in der Ausstellung, sie frühstückten zusammen, sie sprachen vom Lause des TageS. von deur, was die Knust bedürft'. von dem. was Helmar Chrestcn'en er.eicht habe, von dem. was der junge Maler erreichen werde. Sie sprachen euch von Helmar Chrestenscn's bürgerliche» Schicksalen, ben einer Jugendliebe, deren Kinderanfang das Riugbrld erzählte, deren Che- adichluß ihr» den Herd vergoldete: von dem Emnistcn in Bicbcrscld. der» großer, Wagniß, das den, Glückskind die RathhanSsteskeu beschert hatte: von Roberts Hoffnung ans die Zeit, wo er. zur Mitarbeit an diesen Fresken ge ritten. das geregnete Sicbcnecksdaseiir mitlcben durste. Carla Turtschinska beschränkte sich bei alle» Crestcusengesprächen aus's Fragen und Auhören; sie hatte ihren neuen Freund nicht wieder mit Krstrk seines Heiligen verletzt, er genoß unbehindert sich selbst und de» Meister im Reden von ih»!. und diese Augenblicke seines gegenwärtige!! Lebens waren die einzigen, in denen er wirtliches Genügen fand, obwohl er sich nun schon wochenlang in Berlin umhertrieb. Tein ansäuglicher Arbeitseifer war verflogen. Carla regte stur wohl noch an. ließ ihn aber nicht zum Schaffen kommen. Heute Witte Ties gesehen werden, morgen Jenes, heute gab'S dort zu begutachten, morgen da zu krtti- siren — Zeit und Geld schmolzen dahin, Neer wußte nicht wie; er wurde sich nicht einmal dessen bewußt, daß Carla Turtschinska die Ursache dreier Ver geudung war. > Selbst der Bericht, den er Cbrcste.'ne» beim Abschied von München ver- ibrochen hatte von den Eindrücken der neue» Stadt, vom Ringbild, von neuer Arbeit blieb ungeschrieben, es bedurfte einer Mahnung aus"dem Siebeneck, um ihn endlich vor einen Briefbogen zu bringen, und während der ersten Seiten,kam er nicht über den Gedanken weg: Sie wartet aus Dich. Erst als er sich durch Entschuldigungen und Veriäuniirißgründc zu deur Rstigbild hindurch geschrieben hotte, kam die Freude am Verkehr mst Ehrcstc::- scn zun'. Durchbruch. „Es Ware» da Einige, die das Büd gar zu gern aus dem Krcnc der Erwählte» verbannt hätte», wäre mir nicht die gol dene Medaille gewesen! Unangefochten schritt cs unter ihrem Hei ligenschein in die Halle. Da hängt's nun! Tic Leute stehen da vor, schütteln den Kopf und bringcir's nur zu Einem: Hm, hm, jo, ja, wo sic w gern tlug schnackten, denn. ach. der armen Kritik gcht's danrit wie dem Hund mit dem Igel: sie weis; nicht. Ivo anpackcu. Die aber, die keine Leute sind, sondern Brenschen, Auge» haben zum Sehen und -Herzen zum Fühlen, die komme» wieder und wieder mit Neigung, mit Zärtlichkeit, mit Lächeln, mit Thronen sogar — und nennen's die tlngcn Leute platte Alltagswclt, so scheu sich die weist» immer tiefer hinein und sehen sich die ganze Welt aus ihm heraus " Chresteuseu bekam diesen Brief über de» Gartenzau» gereicht, ging zu Eine in die Halle, setzte sich ihr gegenüber und tos ihn vor, che er noch selber hineingesthaut hatte. Die junge Frau sah erschreckt zu ihm auf, als er plötzlich innc hielt, das Gelesene noch ernmal überschauend. „Helmar l" rief sie. „liebster Mann — Tu kränkst Dich darüber." Er aber sprang auf und schlang den Arm um sic. „Erne. thörichte Eme. kränken? Stolz bin ich. glücklich — nicht länger der Liebling der Menge, sondern allein, oben; da, wo sie mir nicht mehr Alle nach können. Jetzt glaub' ich an mich." Sie schmiegte sich au ihn und sah ihm zärtlich prüfend in s Gesicht. Allein verflieg sie sich nicht in einsame Höhen, aber an seiner Seite vermochte auch sie den Adlcrflug zu wagen. Sie gingen zusammen aus und ab: Worte tauschend. Altes und Neues vergleichend, Zukunstswcrke vorausscharrcnd. genossen sie eine reiche Stunde. Erst als Tinui herciiigetripvctt kan« und ihr Alleinsein störte, siel ihnen der Brief wieder ei», und Helmar nahm ihn von Eines Nähtischchen auf. Er las. wie das Allerlei der Ausstellung aus Robert wirkte, was an Plänen in ihm arbeitete, wie die junge Weltstadt sich ilmr gezeigt hatte, mit zustiniincndcr Freude an dem lebhaften Ausdruck. Plötzlich stutzte er, sah nach Erne hin, die, ohne auf ihn zu achte», Tiimis Plaudern tauschte, und ging hinaus- Unwillkürlich lenkte er den Schritt nach dem Atelier. Ivo er nur in Aus- uahmesülleii gestört wurde; dort trat er an's Fenster und las weiter. „Eine Bekanntschaft hat mir Ihr Bild zugesührt, für die ich nicht Laut- bar genug sein lnnn. Ich fand vor ihm - wirtlich und bildlich im Aus tausch über das Gemälde, eine Dame von außerordentlichem Kwislverftändniß. und cs ist für mich ein ganz neuer Reiz, zu sehe», wie sich unsere Welt im Frauenauge spiegelt. Tie Dame ist nicht schön, aber reich an malerischem Reiz; sie regt Bild um Bild in mir an, ja sie hat mir sogar in rührender Güte zu einer Wittwc des KricgcrS Modell gestanden. Können Sie sich aus Carla Turtschinska besinnen? Ihr sind Sie ein lebhaftes Erinnerungsbild früherer Zeiten. Wir kommen täglich zusammen. ''Altes kann ich mit ihr durch- sprechen: Hiniinclsfärbuiig, Lustspiel. Gestalt und Gruppe, wie cs der Augen blick giebt. versteht sic. und sie erhöht meine Freude daran durch Mikgenuß. 'Auch ist sie ein ebenso bereitwilliger wie holder Führer durch die Stadl und ihre Kunstt'chähc, Wirklich, da ist io viel zu fthen. daß »ran wenig zuin Arbeiten kommt, trotz tausendfältiger Anregung " Ter Brief knisterte in Chrcstcmcu's Hand, ein zorniges Funkeln veränderte die Farbe seiner Augen. Viel zu seheiG — Mehr als in Rom? Vie! zu genießen! — Mehr als in Paris ? Und m hast überall gearbeitet. Dies erbärmliche Weib hat von iehec das Tüchtige ihren Freunden eingeschläscrt — aber noch immer ? Noch heutzutage? Gefeit Legen die unerbittliche» Jahre? Unmöglich, Heu:' oder morgen müssen ilicc Lpuren ihm die 'Augen öffnen; was thut ein Malcmuae mit verschmiultc:: Runzeln '? 1 W> Belletristische SourrtagSVerlagc zu de« ..Dresdner Nachrichte«". Seite 170. - Heut' oder morgen? — Wen» es zu >'pät käme, wenn die Gewohnheit ihn schon gekncchtcr lßttte? Chrestensen trommelte einen Srurmnuw'ch gegen das Fensterbrett, dann wandte er sich jäh um. „Da will ich doch lieber an keinen Ketten rütteln, auf daß er sie sichst und nach der alten Freiheit verlangt." Schnell entschlossen schic er sich au den Zeichentisch, kramte die wenig gebrauchte ereder aus de»! Kasten und schrieb mit großen, eckigen Buchstaben: „Liebster Robert! Ihr Pries Hai uns durch dcu Bericht vom Ringbild viel Freude gemacht. Mag cs getrost eine mißfällige Beurtheilung erfahren, mir genügt, daß Tie cs verstehen, für die das Schaffen lohnt; die Änderen folgen schon nach. Wenn Einem die Spanne Zeit nicht zu kurz bemessen ist. kann man's vielleicht iogar erleben. Was Sie mir wüst noch schreiben, hat einen übten Geschmack. Ich kenne die Turtschinska: nicht nur io obenhin, wie man sich in ein paar zröhlichen Akademiejahreii kennen lernt, sondern ich habe am eigenen Fleisch Mahren, wie ichlecht man mit ihrerFreundichast vorwärts kommt. Zergliedern Sic sich einmal ganz genau, was Sic an ihr haben, Sie werden rinden, wie wenig das lohnt. An Ihrer Arbeitsnnlust roll Berlin schuld rein? Ich meine im Gegeittheil. daß da sehr nüchterne Arbeitslust weht; bürden sic diese Schuld getrost der Turtschinska aus. Sie war stets die gefährliche Muse der Faulheit Man hat Ihnen gesagt, sie rege an — ich glaube das ganz gern: sie war geistreich, verstand ein wenig vom Fach und sprach gern irr dunkeln Sätzen. Saßen wir in gutem Kreis zu guter Stunde beisammen, so gab sie Manches, aber immer nur Denen, die sie nicht hatte: den Besessenen 'wird sie hindern und verweichlichen, wird mit Kunstgeschwätzen seine schöpferischen Kräfte ersticken. Und was giebt sic dagegen? Ich rechne ihr nach, daß sie nrumrndvierzrg Jahre ist — darf inan da noch einen Mann um den Verstand bringen ? Oder wird sich der Mann nicht wie ein Genasiührter ausnehmcn? Ich weiß, sie ist zäh, Nobett, sie hält fest, was sie hat: Klettenatt. Schmarotzcr- art! Darum, geling! Ihnen das Losrcißen nicht auf leidliche Manier, so lassen Sie Berlin laufen. Düsseldorf ist die belfere Sommerstadt. Dresden darf Sic auch locken. Bis das Ratbhaus fettig ist, und Sic mir da an die Hand gehen, können Sic beide Plätze gründlich durchnehmcn. Bei Licht besehen, was wollen Sie jetzt in Berlin? Die Ausstellung haben Sie ge nossen. was sonst z» hole» ist, bleibt Ihnen auch noch über Jahr und Tag gewiß." Chrestensen stand auf und ging ein paar Mal im Zimmer bin und her. Die warme Sommerlust brachte Levkoyengeruch zum offenen Fenster herein. Vorläufer der Abendsonne huschten über den rothcn Vorhang, eine verflogene Biene rumintc durch den stillen Raum — Chrestensen empfand mit Behagen den Sommer ringsum, ohne sich seiner bewußt zu werden, er athmcic tief und setzte sich dann mit kurzem Entschluß zum Weiterschrcibcn. „Halten Sie mich nicht für einen alten Tugcndvredi'ger, der die Jugend nicht mehr versteht. Ich habe zwiefach mit diesem Weibe das Bitterste erlebt: an mir selbst und an meinem verstorbenen Freunde. Soll ich das noch ein drittes Mal an meinem Liebling schmecken? — Gehen Sic nach Düsseldorf! — Venn wir zusammen im Rathhaussaal schaffen, will ich Ihnen die alte, böse Geschichte erzählen; bis dahin glauben -sic mir und kaffen Sie mich Ihr getreuer Eckart sein." Dieser Brief traf dcu jungen Maler in einer dem Warnruf günstigen Stimmung. Carla Turtschinska hatte ihr Versprechen, endlich zur Sitzung für die Kriegerwiitwe zu kommen, wieder einmal nicht gehalten, statt dessen ein Bries chen geschickt, das den Freund nach dem tzriedrichslraßen-Bahnhvs bestellte, von wo sie niit einer lustigen Gesellschaft in s Grüne fahren müßte. Neefs Wunsch, zu arbciien. war zwar größer als die Lust dazu, da er sich aber einmal aufgerafft hatte, verdroß es ihn. die moralisch« Anstrengung ohne Noch gemacht zu haben. Zudem stimnite seine Kaffe schon lange nicht mehr, das tzfeld, das er sich für Berlin berechnet hatte, war verzehrt, eine Partie wie die heutige, bei der er natürlich für zivei Personen .zahlen mußte, ließ sich kostspielig a» ; verbrauchte er hier all' sein Erspartes, so bliebe» ihm die übrigen Plätze des Vaterlandes verschlossen, und noch gab's ja io viele Schattirungen deutschen Wesens, daß er sich au München und Berlin allein nicht genügen lassen mochte. Der Entschluß zur Abreise, den er dem inneren Mißbehagen allein schwerlich abgcrungen hätte, kam durch Chrestensen's Brief Plötzlich zur Reife- Neef ging nicht auf die Landpartie, sondern packte seine Sachen und schleuderte am Nachmittag in die Ausstellung, um dort Abschied vom Ringbild zu nehme». Der Turtschinska wollte er erst morgen irn letzten Augenblick rin paar Zeilen schicken; besser, er sah sic nicht wieder. AlS er aber vor der Ostcria seinen Abendimbiß hielt, bei Mondschein. Musik nnd beiveatem Mcnschcngcwimmcl Berlin doch schwer zu verlassen fand, stand Carla plötzlich vor ihn, und sagte langsam: „Sie schmollen?" Er fuhr in die Höhe, auf's Unangenehmste überrascht. Den Platz neben sich bot er ihr nicht an, aber er zog dm Hut nnd behielt ihn als höflicher Mann in der Hand. So standen sie sich gegenüber und maßen sich mit forschenden Blicken. Sic saun staunend über sein erstes Zeichen von eigenem Willen nach, er bedachte unruhig, was er sagen solle und dürfe. Da er weiter schwieg, fragte sie noch einmal: „Sie grollen wegen der veriäumlm Sitzung? Bin ich denn Ihre Sklavin? Bleibt nicht trotz aller Freundschaft, was ich gebe, freies Geschenk? — Mir fehlte heute die Lust zum Sitzen." Dabei sah sie ihn unter halb gestuften Wimpern hervor lächelnd au. lächelnd mit Mund und Augen; der Mondschein gab im einen leuchtenden Hintergrund, das Glühlicht sing sich in ihren Haaren, Glanz und Schatten 'varen ihr gleich günstig. Ncef wurde unbehaglich zu Murhe. Laß sie ihm gefiel, lo wie sie vor 'ßm staiid. ergrimmte ihn am meisten. Fünfzig Jahre bleiben fünfzig Jahre — Holleirwnk, dabei Herzklopfen zu fühle». Anchtlang ihm Chreitcnsen's Genas- Mhrlcr in dcn Lhrc». und unhöflicher, als ihm lieb war. antwortete er: habe auch keil» Geich.ck zum Sklaven, und Lust, schon wieder einen wdtmichlagen, fehlte mir erst recht." Erstaunt schob sic die. Aimenbrauen in die Hol-e. „Ah — die Raserei der Must, der obersten Tyrannin? Der muß matt gehorchen! .Hat es gefördert? Wie weit ist Ihr Meisterwerk gediehen ?" st azu lachte sie leise nnd spöttisch. Teuflisch nannte cs Robert Neef. Zugleich aber gab er sich zu. sic möge ein Recht haben zur Verwunderung über ,ein verändertes Weicn, bot ihr deshalb wie sonst die -Hand und sagte in natürlichen, Ton: „Wir wollen uns nicht ärgern; ich danke Ihnen strr Alles, was Sie nur von Ihrem schönen Berlin gezeigt haben, und danke Ihnen um so mehr, als ich schon morgen abreiren mim." Ta schnitt sie ihm. schnell gegen ihre sonstige Art. das Wort ab. „Sie müssen momen abrcifcn? Warum? Woher der Entschluß?" Alles Schmiegsame war auS Sprache und Haltung gewichen, völlig ver ändert stand sie ihm gegenüber, beschlend war ihr Ton. strafend ihre Geberde. Neef fühlte sich mit einem Mal von ihrem Zauber befreit; wenn er sie nur nun auch schon in Wirklichkeit los gewesen wäre. „Ein Brief." antwortete er kräftig, „ich bekam heute morgen eine» Brief, der mich ivearmt." „Einen Brief?" Ein nachdenklicher Zug lag in ihren Augen, während sie die seine» suchte, die ihr unwillkürlich auswichcu. Plötzlich wandelte sich der Blick, und triumvhireud ries sie: „Chrestensen hat Ihnen grlchrieben!" Er antwortete nicht, aber crröthcte; das war ihr Antwort genug. Zocst blitzte aus ihren Augen, Zorn ballte ihre Rechte, während sie lene und heftig sagte: „Er soll sich hüten! Verfolgt mich, verleumdet mich, entreißt mir die Freunde! Er, der Verbrecher, er, der lveiß, daß seine Ehre an meiner Gnade hängt. Ich werde ihn zur Rede stellen, werde ihn vernichten — klein und verächtlich soll er vor seinen Bewunderern stehen, crröthen vor Ihnen, der Sic sich schwächlich von seinen papicrncn Worten leiten lassen. Reisen Sie nur. retten Sie sich st, seine Arme, wir sehen uns wieder!" Taniit wandte sic dem jungen Manne den Rücken, entthronte Königin m jeder Gcbcrdc, und ließ ihn mit dem unbehaglichen Gefühl, eine Dummheit gemacht zu haben, allein. „Gott schütze einen vor pathetischem Umgang." dachte er und schüttelte den Schauer ihrer großen Worte ab. „Mau lveiß schon, wie sie sich das zu- sammendichten. aber Gänsehaut machl'S doch." Indessen schritt Carla durch die Gänge des Gartens, Neid im Herze». Zorn hinter der brennenden Stirn, einzig Helmar Chrestensen in ihren Ge danken. wie er sich als feuriger Zwanziger im Kreise derKunstzigeuner herum- getrieben hatte, bar aller Klugheit, bar aller Handhaben zum Emportömmeii— nnd es war ihm geglückt trotz alledem. Sic aber war ausgestoßen, alt und müde, und so leicht aufzugcben, wie mau eine .Hand ivendet. Ihn sah sie in der Fülle des Glücks, gesättigt von alle» guten Gaben des Lebens und sich hungrig und frierend daneben — immer nur daneben. War das Gerechtig keit? War er bester als sie ? — Nein, nein, nein! Nur geschickter war er gewest», sich den Schein der Tugend auzumaßen. Es ist leicht, sich an ihm zu rächen, kinderleicht: er soll sich ängstigen, fein Weio soll weinen, seine Freunde sollen sich von ihm wenden — laßt sehen, ob dies gerühmte Glück nicht auf thöncrnen Füßen steht, auf Lüge un- Berlcugnniig. Ich werfe den Stein darnach, mag es zusammeiibrechen. Sie lachte aus. so laut, daß sich Borübergehende nach ihr umwandtcH und die beobachtenden Blicke scheuchten sic aus dem Garten. Sie eilte nach ihrer Wohnung, zählte dort ihre kleine Baarschaft. fand, daß sie zur 'Reife nach Biebcrseld eben reiche, gönnte sich keinerlei Ileberlegcii mehr, sondem fuhr schon am folgenden Morgen davon, just zu derselben Zeit, als Robert Neef leine Flucht nach Düsseldorf in s Werk fetzte. Kein Eisenbahnunglück hemmte ihre Fahrt, keine Glücksgnnst milderte ihr Rachegelüst. Carla Turtschinska stand rmt denselben Gefühlen, mit denen sie den Ausstellungspark verlassen hatte, vor dem Siebeneck. Sic hatte den Weg leicht gefunden, Jedermann in Bieberscld kannte Leu Brater " Ta also hauste er? Schmiedceoerne Thore, mächtige Spiegelscheiben, blühende Kostbarkeiten um den Springbrunnen, au dessen Rand sich bronzene Knaben zum Bade schickten. Ei» Gemisch von Neid, Zoni und Reue steigerten das Gefühl, mit den» sic das stattliche, wunderliche Haus betrachtete, zu einem Haß. der fast Ge nuß wurde. ^ Sic überschritt die Schwelle »ist Herrschergefühlcn, die Besitzer schienest ihr Sklaven ihres guten Willens: Glück und Leid trug sic auf ihren Lippen; ihr Plan war fettig. . ^ „. „ „ . AuS dem Garten heraus klang Gelächter von Kiuderstimmc», durch die offene Hallenthnr sah sie hinaus über de» Rasenplatz, an dessen Ende in einer buschigen Laube die alte Frau Helling und Eme faßen: ein freundliches Fnedensbild. 'Wie lange noch ?" dachte Carla und lächelte. Dann fragte sic das Mädchen, das ihr in den Weg trat, nach dem HMir. „Ter Herr arbeitet." „Ich habe Geschäftliches." „ . Die Bestimmtheit Carlas machte das Mädchen unsichcc. „Er ist un 'Atelier." sagte sie und sah unwillkürlich nach der Treppe. Carla folgte dem Blick und stieg hinaus. . - „ „ Obe» stand die Atelierthur offen; Chrestenic!! matte an eurem Tell. det» er nach der Vollendung des Ringbildcs begonnen hatte, den Teil, der Gehler auf der» schmalen Pfade trifft und mit stolzem Mitleid auf der, zitternde» Tyrannen herabschnnt. l Zorisrtzung Tierr-ßrag >
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