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Dresdner Nachrichten : 08.10.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189910086
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18991008
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18991008
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-10
- Tag 1899-10-08
-
Monat
1899-10
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 08.10.1899
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Seite 4-4. Belletristische Beilage zu den „Dresdner Nachrichten". len könnte, kommt mein guter Bruder augenscheinlich gar nicht. Es wird . .wer werden, ihm das beizubringen. Schließlich ist das aber der Zweck, zu welchem ich hier in diesem idyllischen Lubenow sitze, und der Zweck ist, sollt' ich meinen, schon eines Opfers Werth. Ich Hab' iminer gefürchtet, auf nieine alten Tage allzuiebr einznrostcn, mir immer gewünscht, eine Aufgabe zn finden, für die es sich belohnt, die ganze Persönlichkeit einznietzen. Nun . . . hier ist eine solche ! Meine Natur ist nicht für friedliches Hindämmcrii, sie bedarf des Kampfes, und den wird sie hier finden! Kein Erdeuwinkelchen ist so klein, daß nicht menschliche Leidenschaften sich darin abspiclen, — die Probe Werden wir hier im stillen Pfarrhause machen!" Es war inzwischen dunkler geworden, matt blinzelten am Himmel die ersten Sterne, der bleiche Halbmond hatte sich silbern gefüllt. In seinem Schein kamen langsam zwei lange Gestalten, einander umschlungen haltend, um die nächste Baumgruppc gewandelt. . . Johannes und Maria. Sie mochten zuvor eifrig geredet haben, — jetzt schwiegen sic und Beide iahen ernst L'rein. „Komm', meine Mieze!" tagte Frau Johanna zärtlich und ging der Tochter entgegen. „Tn mußt ans Tein Zimmer nnd zn Bett. Ja, ja. oa Hilst kein Sträuben! Rach der anstrengenden, langen Reise thut Tir Ruhe noth, — und Taute Lotte erst recht! Morgen ist auch noch ein Tag, da plaudern wir wunderschön weiter! Gute Nacht, Kind, schlaf' wohl die erste Nacht unter unserem Dach und laß Tir etwas Hübsches träumen!" Die Beiden küßten einander wiederholt. „Gute Nacht, lreber Vater!" sagte Maria etwas schüchtern. „Ter Herr sei mit Tir, mein Kind! Schließ' mich in Tein Gebet ein, Wie ich ein Gleiches mit Tir thnn werde!" Sie waren oben in ihren zwei Stübchen miteinander allein, die Tante und die Nichte. Tas junge Mädchen stand am geöffneten Fenster und blickte wie verzaubert in die vom Mond beleuchtete Landschaft hinaus. .Zkomm' hierher. Tante Lotte. Liebste, komm' zu mir! Sieh', wie schön, wie feierlich nnd still! Und arhnie den Tust ein. der von Laub und Blumen kommt! Solch' köstlich reine, frische Luft giebt es auf der ganzen weiten Welt gewiß nur daheim! Deswegen vergeh ich doch nie. ivie schön es auch bei Trr war nnd was ich Tir Alles zu danken habe >" „Richtig! Tas thu'doch nur ja nicht!" sagte die Tante trockenen Tones. »Ihr werdet nrir mit Euren ewigen Lobpreisungen noch die Erinnerung an die schöne Zeit, die wir miteinander gehabt haben, verleiden! Wollt Ihr mir nicht noch eine feierliche Tank-Adresse votiren. Tu und Deine Eltern? Wie oft soll ich es denn »och sagen: daß ich Dich zu mir genommen habe, War von mir reiner Egoismus und nichts weiter!" „Wer'S nur glaubt!" bemerkte Maria lächelnd. Sie stand da und sah aus eine vom Mondlicht bcgläuzte Silberpappel, deren leise bebendes Laub in märchenhaftem Licht strahlte. — daß Tante Lotte sie selbst derweilen bewundernd von der Seite her betrachtete, merkte das junge Mädchen nicht. »Ich bin so froh, zu Hause zu sein'" sichr sie leise fort. „Einfach, wie Alles ist. — es heimelt mich so an, ich Hab' es so lieb' Haus ist ein solcher Prachtjunge geworden, Tn wirst das auch finden, wenn Tn ihm näher kommst Und die Kleine. — ach, ist die nicht süß?" „Sehr! Ein ungewöhnlich reizendes Käfercheu!' „Meine Eltern auch, — was für seltene Menschen sind sie doch alle Beide! Eben dämm aber . . ." „Nun? Sprich nur weiter! Eben darum aber —" „Wird's mir furchtbar schwer fallen, ihnen weh zu thun, sie enttäuschen M müssen. Tenn das wird geschehen, — namentlich beim Vater! Denkst Tn nicht auch, Tante Lotte?" „Wohl möglich — höchst wahrscheinlich sogar!" erwiderte diese gedankenvoll. „Tu wirst sagen, ich bin feige, aber ich bin Tir doch die Wahrheit schuldig, nnd die ist: ichhabe Angst vor der Auseinandersetzung mit dem Vater!" . „Nein, das ist wohl keine Feigheit, — es ist die ganz natürliche Scheu eures Mädchens, das lange Jahre hindurch in seines Vaters Hanse ein Kind gewesen ist, in dem Vater die erste Autorität gesehen und ihm blindlings gehorcht hat. Tazwiichen aber liegen fast zweieinhalb Jahre einer sehr aus gesprochenen und ichr bedeutsamen Entwickelung, vergiß das nicht! So jung Du noch bist, — Du hast einen sehr wichtigen Lebensabschnitt bereits hinter Dir. denn in ihn fiel die Entscheidung über Deinen künftige» Beruf. Tu hast mir oft gesagt und ich weiß cS auch ohnehin, daß Tu ganz fest, ganz entschlossen bist, welchen Weg Tu zu gehen hast. An Tir ist es nnu, das mit der Thal zu beweisen. Dich und T eine Individualität gegenüber den Traditionen Deines HauscS dnrchznsctzcn. Tu schuldest Deinem Vater sehr spräche kommt, laß Tich nicht zu Heftigkeit nnd Trotz hinrcißen, - Tu bist verloren, wenn Tu das thust! Ter Mensch, der keine Herrschaft über sich selbst hat. den« darf man die Kraft auch nicht zutrauen, sich eigenmächtig einen Berns, noch dazu einen io schweren, zn wählen, und lein Lebcnsschiff selbst zu lenken. Bedenk in iedcm Augenblick, was für Dich ans dem Spiel steht! — Jür'S Erste ist Tein Vater jetzt amtlich so lehr beschäftigt, wie Deine Mutter mir sagte, daß er schwerlich Zeit zu einer wichtigen, eingehenden Aus einandersetzung mit Tic finden wird. Im Nebligen Hab' ich Tir sa ver sprochen, als Deine Avantgarde in's Gefecht z» gehen und Dir nach besten Kräften die Wege zu ebnen!" Maria bückte sich und küßte mit Inbrunst Lottes Hand. „Was finge ich an ohne Tich? Keine Mutier kann Loch ihr eigenes Kind mehr lieben, besser dafür sorgen, wie Tu es thust!" „Meinst Tu? Wenn ich daneben nur nicht auch die Blindheit der Mutter liebe mit übernommen hätte, — die kan» dem Gegenstand derselben oft recht verhängnisvoll werden!" , „Ach. dazu bist Tu ja viel zu klug I Ick Hab' HanS sehr viel von Dir «zählen müssen, eben jetzt des 'Abends, — er hat mich tüchtig nach Tir ans- gefragt! Und weißt Tn, Tanke Lotte „Nun? Was soll ich denn wissen?" „Weißt Tu, Hans rechnet auch stark auf Dich und Deine Hilfe beim Vater!" „Ter verrückte Junge! Denkt er. ich kann Euren Vater beliebig hin und her wenden, wie n alten Handschuh? Was will er den» eigentlich?" „Das möchte er Tir leibst sagen, — morgen, hofft er. wenn Vater beschäftigt ist! Und ich soll auch mit dabei sein, wenn er Dir seine Pläne aufdeckt!" „Biel Ehre für mich! Wird ungeheuer interessant werden." „Tu machst Tich doch nicht etwa über Laus lustig, Tante Lotte?" „Liebes Kind, da ich noch nicht die Ehre bade. Deinen Herrn Bruder näher zn kennen, so gönne niir immerhin einstweilen dies billige Vergnügen. Zn einer feierlichen Amtsmiene kommen wir immer noch zeitig genug!" „Was Tu für Humor hast!" „Für diesen guten Gesellen bin ich dem Schicksal auch ganz besonders dankbar! Wo kan,' ich hin ohne ihn ? Und glaub' Du mir, wenn mein Humor mir erst untreu wird, dann ist's auch vorbei mit mir! — Jetzt haben wir aber genug miteinander im Mondschein geschwärmt, zwei sentimentale Bnckfischchcn, die wir find. Zn Bett. Kind, zu Bett!" „Ach, wenn es doch erst acht Tage später wäre nnd Alles läge hinter inir!" seufzte Maria. „Kommt Alles! Zeit und Stunde rennt durch den rauhesten Tag, Tn weißt ja! Und Eins noch: suche einzurichten, daß Tein Vater Dich fingen hört, — aber, versteh' mich recht, ohne große Aufforderung, gleichsam zu fällig . . daraus ergiebt sich denn so Manches! Das darf nicht morgen nnd übermorgen sein, dann ist hier zu viel vor, — so in den nächsten Tagen! Vergiß es nicht! Gute Nacht, Mieze! Und Kops hoch! Wer einen schönen, stolzen Preis gewinnen will, der darf auch Kampf und Mühe nicht scheuen!" Sie küßte die Nichte aus die Stirn und ging in ihr Zimmer. 7. Kapitel. Lubenow stand im Zeichen der Kirchenvisitaiion. — Das ziemlich eng gebaute Gotteshaus konnte die Fülle herbeis>öincnder Leute kaum fassen, dieser Menschenandrang ließ sich auf sehr versiyiedene Gründe zurncksühren. Tie Dörfler kamen in ihren besten Kleidern herbei, manche von ihnen ungern, aber es mußte ja sein! Ihre Kinder wurden in der Kirche voni Herrn Sllperintendcntcn „aus der Stadt" geprüft, da mußte man doch hören, ob Grete und Liese und Franz nnd Gottlicb sich auch gut beim Herrn Lehrer und beim Herrn Pfarrer „belsrnt" hatten, — wozu bezahlte man sonst das theme Schulgeld und schickte die Jungen und Mädchen noch in die Kinder lehre oft von der wichtigsten Arbeit fort? — Tie Herrschatten aus der Um gegend kamen, theils, weil sie de» Lubeuower Pfarrer wirklich gern predigen hörten, — die übcrzeugniigstrcucn Geistlichen wurden ja immer seltener! — theils ans bloßer Langeweile, da auf dem Lande fast nie „etwas los" war und selbst eine Kircheuvisitatiou immerhin eine kleine Abwechselung bot. — theils auch aus Neugier: man konnte wieder 'mal sehen, wie die Frau Ober förster ans Starken»», die jung und hübsch, auch sehr wohlhabend war, mit dem jüngeren Schelling ganz diskret kokettirte, und ob sic sich wirklich einen so furchtbar auffallenden, neuen Hut aus Berlin mitgebracht hatte und wie er ihr stand. Man konnte sich ein bischen über „die drei Schwestern von Lubenow" moguiren, wie Iran von Küster mit ihre» Töchtern spottischcrweise in der Umgegend genannt wurde, — die Tarnen kleideten sich fast immer gleich, nnd das war amüsant mit anzusehen. — auch, wie die beiden Offiziere auf Urlaub sich in der Kirche benahmen, — der eine bildhübsche, der seine Augen iitimer verstohlen die Runde machen ließ und mit diesen Augen mancher niedlichen Brünette oder Blondine ein lächelndes Kompliment zu sagen wußte, — und der andere nicht so hübsche, der so ernst und gesetzt that und cs gewiß erst recht faustdick hinter den Ohren hatte! Auch hieß es ia, des Lnbenower Pfarrers Tochter werde demnächst nach Hause zurückkehrcn oder sei gar schon znrückgekehrt. — diese letztere Angelegenheit beschäftigte aber die Gemülher weniger;. nmn versprach sich gar nichts Besonderes von Mieze Teinhardt, man wußte eben nur von ihr, sie sei ein netter Backfisch nnd während der Zeit der Vorbereitung zur Konfirmation außerordentlich scvmm gewesen, — also ganz ihres Vaters -».achter! Um fromme, junge Mädchen nt es ja natürlich etwas sehr Löbliches und Schönes, aber gewöhnlich sind sie langweilig und man kann in Gesellschaften nichts Rechtes mit ihnen anfangen. — „Ach. Miere, bist Tn aber blos hübsch!" rief Naemi enthusiastisch, als die „große Schwester" in einem zartrofigen Sommerkleide, einen weißen Florentiner Stwhhnt mit Maiglöckchen auf dem Kopf, ans der Thür des Pfarrhauses trat Maria hätte die Schmeichelei znriickgeben können. Das Kind, in einem von Tante Lotte gespendeten losen weißen Kleidchen und Hütchen, bot den lieblichsten Anblick, wie es mit großen, bewundernden Augen zn Mieze emporsah. „Sind denn die Anderen noch nicht fertig, Manschen?" „Werden wohl gleich kommen. Hak ja noch gar nicht 'mal geläutet!" erklärte das Mäuschen mit wichtiger Miene. „Wirst Tn auch in der Kirche hübsch still sein nnd ruhig sitzen können?" fragte Maria lächelnd. „Gott. — ich!" Naemi war sehr beleidigt. „Ich geh' doch jeden einzigen Sonntag mit in die Kirche und weiß, wie es da ist!" „Thust Tn es gern. Kleinstes?" „Na!" machte das Kind diplomatisch, hob die kleinen Schustern hoch und kehrte die Hände nach außen, „So sehr gern nicht mal!" fuhr es leise »nd zutraulich fort und lehnte sich gegen Maria, die aus der kleinen Bank Platz genommen halte. „Aber Mütterchen sagt, Psarrerskinder müssen immer, — und Ivie Tn und Hans klein gewesen seid, da habt Ihr auch gemußt!" „Was. gemußt. Naemi?" „Na. in die Kirche gehen jeden Sonntag, mein' ich, — und da still sitzen und zuhörcn! Besinnst Du Tich noch, wie Du so klein warst, wie ich?" „O ja, noch sehr gut!" Belletristische »Beilage zu den „Dresdner Nachrichten*. Seite 475. „Und gingst Tu so furchtbar gern in die Kirche ?" „Im Ganzen ging ich gern, das kann ich lagen!" „Und wen hattest Du damals lieber — den Kater oder das Mütterchen?" exaininirte Naemi weiter, stützte beide Ellenbogen arif Marias Kniee und legte ihr Gesicht in die ausgestemmten Händchen. „Ich werde wohl alle beide Eltern gleich lieb gehabt habe»!" ,.Na, — ich Hab' das Mütterchen lieber!" erklärte die Kleine mit großer Bestimmtheit. „Und den Vater liebst Tu nicht?" .Ach ja. ich lieb' ibn, — aber wie kann ich ihn doch so lieben, wie's Mütterchen? Jetzt bist Tn da nnd kannst mit mir spu le», aber wie Tn »och nicht hier warst, da hat die Mutter mir Märchen erzählt und hat mir Lieder Vvrgesungen und hat mir Püppchen ausgeschnitten und kleine Bilder aufgeklebt," — Naemi nahm ihre Fingcrchen zn Hilse und zählte Alles daran her. um nur ja nichts zu vergesse» — „und hat mit mir gelernt, und wenn ich gut konnte, dann bekam ich immer 'was. Nämlich. Mieze, ich kann schon fein lesen!" „Das ist aber großartig. Kleinstes! Ist so etwas möglich? Da wirst Tu mir bald 'mal etwas schönes vorlesen. was?" „Ja. — und ich soll fetzt bei Dir weiter lernen, hat Mütterchen gesagt, weil sie immer jo gräßlich viel zn thnn hat. »Aber wirst Du mir auch gern Stunden geben. Mieze ?" „Aber wirst Tu auch wunderschön bei mir lernen, Mäuschen?" „Hm!" machte Naemi bedeutungsvoll nnd nickte ei» vaar Mal ernsthaft mit dem Kopf- „Aber dann kannst Tn auch nachher Pferdchen mit mir spielen, ja? Ich lhu' das so schrecklich gern, wen» ich auch kein Junge bin. — und einmal hat sogar Mütterchen mit mir Pferd gespielt. — heimlich natürlich, daß es Keiner sah. Ra. io 'was thut Vater nun nie!" „Ja. Tu kleines Schaf, wie kannst Tu denn verlangen, daß Vater mit Dir Pferdchen spiele» soll! Tenk' doch blos 'mal. was die Leute und die Kinder ans dem Torf sagen würden, die gewöhnt sind, Vater aus der Kanzel stehen zu sehen und predigen zu hören, wenn sie ihn als Pferd vor Dir her laufen sehen möchten!" „Ich glaub', er kann nicht 'mal ordentlich schnell lause»!" „Aber Vater ist sehr gut, auch wenn er nicht mit Tir spielt, — findest Tn das nicht auch ?" Naemi besann sich ein Weilchen. „Er spricht immer nnd immer mit mir vom lieben Gott!" sagte sie endlich in vorwurfsvollem Ton. „Ich soll ihm immer Alles zn Gefallen thnn und nieine besten Sachen für ihn geben und ihn noch mehr lieb haben, wie das Mütterchen . . . nnd das kann ich nicht! Wenn ich ihn mochte blos ein einziges Mal zu sehen bekommen, aber nie und nie . . . und dabei soll er doch immer da sein! Hast Tu den lieben Gott denn so lieb, Mieze ?" „Sehr lieb! Er hat doch die ganze Welt gemacht, er giebt uns Sonne nnd Licht und Blume» und alle guten Menschen, — anch die »Mutter, die Tn so lieb hast, — dafür müssen wir ilnn doch daiilcn und ihn lieben, — wie?" „Warum kommt er denn kein Mal an mein Bcttchen nnd läßt sich von mir streicheln und einen Kuß geben?" „Ter liebe Gott ist ein Geist, rkird Geister ficht man nicht!" „Geister. — pfui! Die kommen in der Nacht und sind entsetzlich böse und spuken!" „Spuken?, Was weißt Tu davon?" Maria war sehr erstaunt, sie wußte, daß in ihrem Elternhanse nie ein solches Wort gcnannt werden dnrste. „Tie Lina hat mir das erzählt, — auch vom Teufel, — der hat zwei Hörner aus dem Kopf und einen Pferdefuß und einen langen, schwarzen Schwan; >" „Das ist Unsinn, Kleinstes! To etwas darf Dir gar nicht erzählt werden, nnd Tn darfst es nicht glauben!" „Aber immer blos vom lieben Gott, — das ist auch langweilig!" Ehe Marin auf dies ketzerische Bekenntnis; etwas antworten konnte, that sich die Thür ans und ihre Mutter erschien, von Tante Lotte nnd Johannes begleitet. „Wir wollen immer vorausgchen!" sagte Frau Johanna und nahm ihre Jüngste bei der Hand. „Ich habe Vater in seinem Zimmer Alles zurecht gelegt nnd er bleibt dort gern eine Weile für sich allein, ehe er sich in die Sakristei bcgiebt. Wenn cs doch nur heute recht gut ginge und die Kinder ordentlich antworten möchlen, Vater giebt sich so viel Mühe mit ihnen." „Ich könnte auch schon mit geprüft werden!" bemerkte Naemi selbst bewußt. „Was Hab ich schon Alles beim Vater lernen müsse»! Gesangbuch- tieder nnd Bibeliprnche nnd Gebete, — und die Gebote kann ich anch schon alle . . . kannst mir glauben. Tante Lotte!" „Es imvonirt mir gewaltig, liebes Kind!" „Was aber blos die Dvrfttnder denken werde», wen» sie mich in dem neuen Kleid und mit dem schönen Hut zu sehen kriegen! Mütterchen, der liebe Gott nimmt es doch nicht übel, wenn ich mich darüber freue?" „Nein, gar nicht, aber Tn mußt in der Kirche nicht daran denken!" „Johanna, Tn verlangst Nebermcnschliches von Deinem Kinde!" bemerkte Tante Lotte halblaut, während sie ihres Neffen Arm nahm. „Vollständige Unterdrückung der Evasnatnr . . . zeig' mir das weibliche Wesen zwischen sechs Jahren und sechzig, das dazu im Stairde wäre!" „Aber, liebste Lotto, ich bin überzeugt, wir würden sehr Biele finden!" „Tann sind sic »'rönnen »nd stecken in Klöstern! Geh' immer voran, Johanna. Tir als Psarrcrsgattin gebührt ohnehin der Vvrtritt. Entschuldige die profane Frage, ob die Geschichte sehr lange dauern wird ?" „Zwei Stunden mindestens." „Habt Ihr noch immer denselben tüchtigen Organisten ?" „Kantor Wegncr, — inwohl!" „Ich werde meine alte, halbvcrgcffcne Freundschaft mit dicsem Bieder mann mimischen. Er hat bci Miczes Klavierspiel eine vortreffliche Grundlaae gelegt, - vor allen Tinge» bin ich ihm noch dantbarer für das. was er imlcriassen, a!S für das, was er gethm, hat! Ec hat es nämlich vermieden, ihr all' die landesüblichen Unarten beizubringen, die so namenlos schwer wieder abzugewöhiien sind Mieze hat eine große Menge dazu gelernt, ganz selbstverständlich. — aber etwas zn verlernen, das bat sie nicht nöthig gehabt. „Sowie jetzt bei uns etivas Ruhe eingetreten ist. mußt Du uns durchaus etwas Vorspielen und -singen, Kind!" jagte Frau Johanna lebhaft. Taute nnd 'Nichte tauschten einen raschen Blick des Einverständnisse mit einander. — Vor dem schmucklosen Portal der Kirche hielten einige stattliche Eauipagen. deren Insassen zum Theil im Anssteigen begriffen waren, zum Tyeik. auf ihre Angehörigen wartend, nahe der Kirchtbnr standen. Die Pfarrfrau wurde viel gegrüßt, Naemi knickste freudestrahlend. — ihre Gedanken waren für's Erste sehr viel mehr bei ihrem Hut und Kleid und den vielen fremden Menschen, als beim lieben Gott. Johannes und Tante Lotte wurden neu gierig gemustcrt- Als Maria über die Schwelle der Kirche trat, gingen alle Köpfe nach ihr herum. „Das ist doch nicht- " sing Hede von Küster beinahe mit lauter Stimme an. „St! Leiser, liebes Kind!" warnte ihre Mutter, die ihre Lorgnette an langeni Stiel noch immer vor den »Augen hatte. „Ich kann mir freilich anch nicht Lenken . . . sagtest Tn etwas, Ehristine?" „Ich sagte nur, daß das Mieze Teinharist war!" „Unglaublich!" stieß Hede heraus. „Wie man sich in den paar Jahren so verändern kann!" Sie war halb verblüfft, halb geradezu ärgerlich über die Thatsache, daß Mieze es sich erlaubt hatte, so hübfch zu werden. Ter Gedanke, daß sie selbst heute im zarteste» Bla» mit einem reizenden Vergißmeiiniichthütchen überaus vortheilhaft ansiah, söhnte sie indessen ein wenig mit der weben gemachten unliebsamen Entdeckung aus. Wenn sic nicht roch wurde, so konnte sie immer hin mit der neuen Erscheinung in die Schranken treten. Sie halte sie nur viel zu flüchtig gescheit, machte einen langen Hals und fragte ihre Mutter ungeduldig, warum in aller Wclr man denn immer noch hier draußen stünde, anstatt in die Kirche hiiieinzngehcn. „»Aber Hede, es brennt ja nicht! Wir wollen doch mit Frau Oberförster zusammengeben, und die steigt eben aus dem Wagen." In der That zupfte und glättete die sehr hübsche, modern gekleidete junge Frau noch emsig an sich herum, che sie sich entschließen konnte, ihre »Bekannten zu begrüßen und das Gotteshaus zn betreten. Die Malven, Rosen und Nelken, die Federn und Schleifen ihres großen, sehr extravaganten Hutes nickten nnd schwankten bci jeder ihrer Bewegungen, das üppige dunkle Haar war in lauter Wellen. Scheitel und Locken gebannt. „Meine gnädigste Frau, darf ich den Vorzug haben. Ihre Hand küssen zu dürfen ?" fragte der ältere Herr von Schelling dicht am Ohr der hübschen Frau in leisem, schmeichelndem Ton. während sein Sohn Horst sich vor Hede verneigte und ein halblautes: „Süperb, mein gnädiges Fräulein!" ver nehmen ließ. « Tie Dorfbewohner, die mit Gesangbuch und Sträußchen in der Hand der Kirche znstrebtcn, zögerte» unwillkürlich nnd blickten ans die rechts und links stehenden Gruppen. Es machte ihnen Vergnügen, die Begrüßungen mit mizmehcn, und ihr Zandern sie! Niemanden aus. — die Herrschaften waren jo vollauf untereinander beschäftigt, — was kümmerten die die Dörfler? Hier kamen auch die Herren von Küster's. Vater nnd Sohn, der Neffe mit Franz Kcnneiveg hinterher. Tic beiden Offiziere waren in Uniform, die besonders dem Haupimauii von Winterfeldt brillant zu Gesicht stand. Wie die Damen einander heimlich von der Seite musterten! Nicht anders, wie die Dorfmädchc» es inachten, wenn sie zum Tan; in den „Krug" gingen und sahen, ob Stinc oder Karline oder Mine hent' mehr im „Staat" waren als sonst! Tie „cinsgcpntzte. ncumod's'chc" Frau Oberförster machte den Leuten Spaß, — der hagere, leidend ansschrnde Herr, mindestens um zwanzig Jahre älter, als seine flotte Gattin, der eben jetzt die Küster'schen Damen begrüßte, wurde von Jedermann halb gleicbgiltig, halb mitleidig angesehen. Daß .,Oberförsters", dies ungleiche Paar, nicht glücklich miteinander waren, stand für Jedermann fest, obgleich man der hübschen Frau nichts weiter nachsagcn konnte, als daß sic sich etwas zn anffallcnd und hvpcrmodem kleidete und ein wenig kokettirte, — will sogen, mit ihren schwarzen »Augen „klapperte". Tic Stcirkenaucr Herrschaften, Beide in mittleren Jahren, sehr behäbig, sehr reich, icbr gutmüthig, fuhren soeben vor, in Begleitung ihrer beiden halb erwachsenen Söhne und eines schnippischen, verzogene» Töchtcrchens. das noch kurze Kleider nnd einen Hängezopf trug, aber bereits die »Allüren einer jungen Tarne zur Schau stellte. Es entstand ein großes Dienern. Begrüßen, Kniren und Kompkimentircn neben der Kirchenthür. Onkel Kenneweg's Riesengestalt hielt sich vorsichtig im Hintergründe, wo sie alle Anwesenden um Haupteslänge überragte. Tie Lnbenower Torsbewohner hatten sich mit der Zeit a» ihren Inspektor gewöhnt. Die Franc» und Mädchen inachtcn sich freilich noch heute über ihn lustig, ahmten seinen Gang, seine Manieren, seine Sprechweise nach und bedauerten immer wieder, daß er nicht inng und hübsch war, wie zum »Beispiel der Starken«»« Inspektor, ein schneidiger Neservelcutnant mit imponircndcr Kommandvstiinmc und eine»! unwiderstehlichen Schnurrbart. . . indessen. Niemand in ganz Lubenow konnte dem häßlichen, plumpen, lächerlichen Franz Kcnneweg das Zeugnis; versagen. daß er ein „guter Kerl" war, daß er die Arbeit verstand, selbst überall mit eingriff nnd die Leute anständig behandelte. Jetzt sah man fast immer den Lnbenower Hanssvhn in des Inspektors Be gleitung. — der junge Offizier nützte merkwürdigerweise seinen Urlaub dahin ans, das; er früh muftaud, mit „Onkel Franz" die Felder abritt, sich auch hier und da bci Arbeit nnd Beanssichtignng anstelle» ließ. Im Dort hätte man lieber gesehen, daß Herr von Winterfeldt diesen Eiter für die Landwirth- schast entsaftet haben würde, er gab sich viel liebenswürdiger und leutseliger als icur Vetter. Fried!,Am war den Leuten zn ernst, zu zugeknöpft. Der ostprcnßischc Lgndbcwohner verfügt in der Reget selbst über keinen Humor, weiß denselben aber desto mehr n» anderen Leuten zu schätzen. rZerffl.:»; Ticnrra-.)
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