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Bahn herbeigeeilte Menschen und wenn schon das allgemeine Hurrah und Hüteschwenken am Bahnhof zu Tharand als ein freudiger Gruß zu betrachten war, so erreichten diese Ovationen in der Nähe von Freiberg den Culminationspunkt. Schon 10 Minuten vor der Stadt stand Kopf an ^Kopf. Weit von den Dörfern waren sic herbeigeeilt; Väter hielten ihre Kinder auf den Armen empor und zeigten ihnen dm festlich geschmückten Zug, damit sie sich dereinflens noch des denkwürdigen Tages erinnern sollten. AuS jedem Munde ging ein Glück auf! Hüte und Mützen schwangen sich empor, Musik, Böllerschüsse erklär gen unter Jubelgruß, Freiberg war erreicht, Vormittags halb eilf Uhr. Aus der freudig wogenden Menge die den Bahn hof umgab, trat der Herr Bürgermeister Claus nebst etlichen Stadträthen hervor, um ihren Gruß zu spenden. Schon formte sich der Zug nach der Stadt, indem man der noch kommenden Theilnehmer entgegensah. Nach Verlauf eines Viertelstündchens tönte der Locomotivenpfiff; abermals krachten Böllerschüsse und an zweitausend Dresdener traten, geführt von etlichen Ver tretern der Stadt Freiberg, den Gang nach der Stadt in Pa radeschritt an. Dicht hinter dem ersten Musikchor zwei Dresd ner rothe Dienstmänner wovon der Eine einen Korb mit Blu men und der Andere die volle Wucht des aus LüdickeS Wintergarten hervorgegangeuen prächtigen Riesenblumen- Straußes trug. Umgeben von der immer mehr wachsenden Menge ging der Zug unter abwechselnden Klängen der be gleitenden zwei Musikchöre zum Petersthor herein in die Stadt, wo viele Häuser im Festschmuck wehender grün und weißer Fahnen und Guirlanden prangten. Aus allen Straßen fluthe- ten die Menschen herbei, der fast unabsehbare Zug bewegte sich nach dem Obermarkt, schritt um selbigen herum, bis man ge genüber dem geschmückten Rathhaus einen Kreis formirte. Als die Musik verstummt, bestieg sofort Theodor Drolnsch eine im- provisirte Tribüne und in der Versammlung von wenigstens >0—12000 Menschen trat die größte Ruhe und Aufmerksam keit ein. Mit markiger, weithinschallender Stimme hob der Redner die Bedeutung des Tages hervor und erging sich in kurzen aber schwungvollen Worten über den Segen der Eisen bahnen und der Vollendung einer abermaligen Strecke der großen Rennbahn, welche die deutschen Lande, vorzüglich aber unser theures Vaterland, das Land der Sachsen verbinde. In Hinblick auf weitere Ausbreitung der Schienenwege, deutete er auf Schillers Worte: „An dem Eingang der Bahn liegt die Unendlichkeit!" und nahm solche gleichsam als Grundlage seiner fernerweiten Rede. Er hob hervor, daß durch Eisen bahnen der alte Schlendrian auflodere und verdampfe in der unendlichen Beziehung zur Allgemeinheit und übergab am Schluß seiner Worte das Riesenblumenbouquet den Frauen Freibergs als ein kleines Erinnerungszeichen der Dresdner Fahrgäste. Als nun der Redner mit einem Hoch auf die Stadt Freiberg schloß, da folgte unter Trompetentusch und dem Flat tern weißer Tücher von den Fensterhöhen, aus Tausenden von Kehlen ein dreimalig Hoch, das sich donnernd an den alterthümlichen Giebelhäusern des Marktes im Echo wider brach. Herr Bürgermeister Claus betrat hierauf die Tribüne, dankte für das kleine Liebeszeichen und brachte im Namen der Stadt nicht nur allen denen aus Dresdm, welche dem für Freiberg so fröhlichem Ereigniß ihre Theilnahme geschenkt. sondern auch der Stadt Dresden ein inniges Glückauf! was gleichen Widerhall fand und erkennen ließ, wie hoch man diese unerwartete und so rege Theilnahme zu schätzen gewußt. Unter Musik wurde der colossale Feststrauß nach dem Festplatze getragen und die Dresdner zerstreuten sich in der Stadt, besuchten den Dom, kehrten bei Freunden und Bekann ten ein und suchten dann in den Hotels oder Gasthöfen der Stadt Speise und Trank zu gewinnen, was oft schwer hielt, indem die Wirthe sich so zahlreichen Besuch nicht geträumt hatten. Nachmittags gegen 3 Uhr bewegte sich durch die Stadt ein Festzug mit Musik und mehrfachen Fahnen, der vom Ober markt ausgina ..eint durch Innungen, Gesangvereine, Turner u. s. w ...er etwas eingetretenem Regenwetter, das jedoch bol'- ,..:ß, gelangte der Zug nach der an der Esplanade l Festwiese vor dem Petersthor, wo sich nun ein viel besuchtes rege« Volksfest entfaltete. Da sah man Stangen- klettern, Freiconcert. Schauturnen, Carouffels und vielfache» Leben in den verschiedenen Restaurationszelten. In einem be sonderen Tanzsalon war von- Abends 7 Uhr an freie Tanz musik und die Promenade erfreute sich später einer Illumination, wo das Schwedendenkmal und der Kreuzbrunnen einen herr lichen Anblick boten. — Abends nach 8 Uhr gelangten die Züge in Dresden an und freudig schieden die Theilnehmer, welche einen recht heiteren und angenehmen Tag verlebt hatten. — Nach längerer Abwesenheit sahen wir im zweiten Theater die dreitheilige Posse: „Ein armer Teufel" oder „Steigen und Fallen" von Ferdinand NeSmüller, Musik von demselben. Diese Posse bietet besonders im 8. und Anfang des 3. Auszugs so viel des Komischen, daß auch der schmerzgeplag teste Hypochonder sich des Lachens nicht wird erwehren können. Ist auch an Herrn Dir. Nesmüller gewissermaßen ein höhrer Anspruch als Theater-Schriftsteller zu erheben als an viele Andere, die der Theater-Routine entbehren, so muß man doch sagen, daß unter den meisten neuern Possen diese dadurch sich auszeichnet, daß sie ihren Zweck: „Heiterkeit zu Wecken" bestens erfüllt. — Von vorzüglich drastischer Wirkung war das zweite Couplet des armen Teufel Isidor Bratfisch (Herr Dir. Nesmüller) mit dem Refrain: „wer den Hafer verdient, bekommt ihn halt nicht", und die Mimik des Jeremias von Schwalbe (Herr Meißner) als steinern sein sollende und gleichwohl sehr bewegliche Statue des Mercur. Beßtens unterstützt wurden beide von Frau Kern, die als Barbara Schnabel auf's Neue bewies, wie richtig sie die possenhaft kokett gezeichneten Charaktere alter Jungfern zu erfassen, wie tüchtig sie zu carrikiren verstehe. Alle andern Darsteller füllten ihre Plätze gleich gut aus; nur ward bei Herrn Schmitthofs Parthie der Souffleur besonders laut, ob gleich seine Worte nicht glatt und deutlich anklangen. Die Abendvorstellung, in der Frau Dir. Nesmüller besonders ex- cellirte, gewährte außerdem jedem Fühlenden die Freude, Frau Herrmann wieder in Thätigkeit zu sehen, und zu erkennen, daß dieser armen Dulderin abermals ein Unglück mit Gottes Hilfe anscheinend ohne dauernde Folgen vorüber gegangen ist. Ad. — Die jüngst verflossene Vogelwiese, welche leider reich an skandalösen Vorfällen war, hat in unserer Stadt mehrsei tig den Wunsch rege gemacht, dieselbe, wenn auch nicht abzu schaffen, so doch einer gründlichen Reform zu unterwerfen, und sind auch in dieser Beziehung von einem hiesigen Sachwalter bereits Vorschläge gemacht und in Gestalt eines Aufrufes an gleichgesinnte Männer versandt worden. In diesem Aufrufe wird erst die Frage: „Was ist die Vogelwiese dem Volke und was kann sie ihm sein?" gründlich erörtert und werden dabei alle nachtheiligen Resultate dieses sogen „Volksfestes" aufge zählt und schließlich die Constituirung eines Ausschusses ange regt, der nach Vereinbarung mit dem Rathe und der Bogen schützengesellschaft wegen Betheiligung der Turner und Sänger des Dresdner Bezirks, Wahl und Ausschmückung deS Festplatzes, künstlerischer Anordnung von Aufzügen, gleichzeitiger Ausstellung von Erzeugnissen der Kunst und des Gewerbfleißes u. s. w. das Nöthige vorzubereiten haben würde. Im obenerwähnten, viel Wahres enthaltenden Aufrufe heißt es u. A.: „Reine, nachhaltige Freuden, erhebende Gedanken und Erinnerungen läßt die Vogelwiese uns nicht zurück, — Wohl aber viel Reue, viel wüste Köpfe, viel leere Taschen und eine beträchtliche Ver minderung der öffentlichen Moral. Wir müssen uns daher, wenn uns die Ehre und sittliche Fortbildung unseres Volkes am Herzen liegt, dringend verpflichtet fühlen, mit allen Mitteln die Wiederkehr dieses sinn- und zuchtlosen Fasching zu verhindern." — Sicherm Vernehmen nach haben die Verhandlungen der jetzt hier tagenden Commission zur Berathung de- von der sächs Regierung gemachten Vorschlags über einen Plan zu einer künftigen Regelung des gesammten ElbzollwesenS — an welcher Seiten Oesterreichs der Statthaltereirath v. Rieger, Seiten Preußens der geheime Oberfinanzrath Henning, Seiten Sachsen« der geheime Finanzrath v. Thümmel und Seiten Hamburgs der vr. Soetbeer Antheil nehmen — bereits vor einigen Tagen zu einem vollständigen und allseitigen Einverständnisse geführt, so daß es nur noch.der Unterzeichnun-.dr-' VchlußprotM« bedarf«