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Dresdner Nachrichten : 02.11.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189911029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18991102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18991102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-11
- Tag 1899-11-02
-
Monat
1899-11
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 02.11.1899
- Autor
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Sette S18. Belletristische Beilage zu der» »Dresdner Nachrichten" Denn Matt« ihn wittlich schm früher gesehen und ihre Versonnenheit «lr fingirt hatte, so war sie in der Verstellungskunst weit gekommen, denn ihr Erstaunen über Sylvester's Anwesenheit verdete sie sehr natürlich. Sie «mL augenblicklich auf. grüßte höflich, ober kühl und machte Miene, den kleinen Abhang wieder herabzusteigen und davonzngehm. Selbswetttändlich war dies ganz und gar nicht nach Sylvester'^Geschmack: er ttat. sein Jäger hütchen in der Rechten, niit jener Mischung von Ehrerbietung und ein schmeichelnder Vertraulichkeit, die den Frauen vorzugsweise zu gefallen pflegt, näher heran. »Mein gnädiges Fräulein, ich habe Sie um Verzeihung zu bitten." »Wofür denn. Herr von Winterseldt?" .Dafür, daß ich Ihnen meine Anwesenheit nicht früher verrathen habe. Ich stand schon eine geraume Weile hier neben den Bäumen, als Sie herauf- kamrn, und es wäre gewiß meine Pflicht gewesen, Ihnen meine Gegenwart bemerklich zu machen. Ich halte aber einen so reizvollen Anblick, daß ich nicht Im Stande war. mir denselben muihwillig zu verscherzen!" Wäre Maria kokett gewesen, so hätte sie jetzt die Unwissende gespielt und gefragt, was sür ein Anblick denn das gewesen sei. Sie verstand aber nur zu gut. — Sylvesters Blick und Miene sorgten auch freilich dafür — und bei dem Gedanken an die zwangloic Stellung, die sie. sich völlig unbeobachtet Wähnend, eben eingenommen hatte, stieg ihr langsam das Blut m die Wangen und ihr Blick wurde unsicher. „Jetzt wird sie gar noch roch,, das macht sie noch reizender!" dachte ^Sylvester. .Was ist das für ein süßes Geschöpf! Da mutz man ja seinen Kopf verlieren, wenn man nicht zufällig mit Fischblut in den Adern auf die Welt gekommen ist, wie mein lieber Vetter Fnedhelm!" letzte er hinzu: „Wollen gnädiges Fräulein mir nicht gütigst "Absolution ertbeilen?" .. Es war Mieze nicht behaglich zu Muthe unter diesem Blick, der so dreist schmeichelte. Sie wiederholte daher lnur ihr steifes: „O. ich bitte!" und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Hunde zu. der mit ausgelassenen Sprüngen vn Grase umherlollte, „Bitte, locken Sie ihn nicht an sich, gnädiges Fräulein, der Tölpel ist so «nd so oft in den See gesprungen und trieft vor Nässe. Er ist noch sehr unenogen. mein vortrefflicher Vetter Friedhelm versteht sich nicht auf die Dressur! Willst Tu wohl! Hierher Pfiffig — Hiertier! Er wird Ihnen Ihr schönes Kleid verderben! Man muß ihn ganz unbeachtet lassen! Wenn gnädiges Fräulein sich gütigst lieber mit mir beschäftigen mochten!" Die letzte Wendung kam so unerwartet, klang so bittend, wurde mit einem so schelmisch-flehenden Blick von unten herauf begleitet, daß Maria halb Wider ihren Willen lachen mußte. .Sie sind auf der Jagd gewesen, Herr von Winterseldt?" fragte sie und dachte gleichzeiig: .Sehr geistreich von mir! Wenn er mich für eine Gans hält, darf ich mich nicht wundem! Er hat die Flinte am Riemen, den Jagd hund neben sich und wilde Enten am Gürtel hängen, — und ich frage noch! Naemi würde das sicher nicht gethan haben!" .Ich Hab' ein paar Vögel für meine Tante und für Cousine Hede zuni Abendbrot geschossen!" entgegnete Sylvester. „So! Nur sür die Beiden? Und die Anderen bekommen nichts davon?" fragte Maria lächelnd. .Ach Gott, die Anderen!" Sylvester zog die Schultern hoch und machte treuherzige Augen. „Sehen gnädiges Fräulein, ich finde, es beruht Alles im Leben auf Gegenseitigkeit: wer mir Gutes erweist, dem erweis' ich es wieder! 's. ist leider eine Thalsache, daß meine sonstigen lieben Verwandten hier in Lubcncw nicht allzu viel für mich übrig haben —" : „Und woran liegt das?" „Ich bin ihnen zu leichtfertig!" erklärte Sylvester mit feierlichem Ernst. „Und das wurmt mich! Warum soll ich für Leute, die so vielerlei an mir auszuietzen haben. Strapazen aller Art erdulden und wilde Enten schießen?" „Das ist aber gar kein christlicher Standvunkt, Herr von Winterseldt!" .Haben gnädiges Fräulein den immer? Immer und unter allen Um- ftänden? Und anwendbar ans Jedermann, ohne Ansehen der Perlon?" „Nein!" bekannte Mieze freimülhig. „Na, Gott sei Tank! Ich auch nicht! Meiner Tante und Cousine Hede gegenüber vertrete ich freilich den christlichen Standpunkt. — wie er mir denn «winint leichter zu behaupten fällt, sobald sich's um Damen handelt!" „Und Ihre Consine Christine? Ist sie keine Dame?" „Christine? Nein! In meinen Augen nicht, — entschieden nicht! Christine ist eine Spielart, aber kein junges Mädchen! Alles, was das weib liche Geschlecht in meinen Augen so bezaubernd macht: seine rührende Hilflosigkeit „Ist denn Hede so hilflos?" fragte Mieze erstaunt. „Aber sehr! Wenigstens mir gegenüber! Hede braucht einen Stab, eine Stutze, wie das ja auch^nur zu natürlich ist bei jungen Damen —" „Und wer diesen Stab, diese Stütze nicht braucht, der existirt für Sie Licht?" „Nein!" erklärte der Hauptmann mit Festigkeit. „Die Damen, die da sagen, sie wollen sich selbst durch die Welt helfen, sind mir ein Greuel!" „Danke schön!" Maria lachte ihm amüsirt in s Gesicht. „Solch' ein offenes Bekenntniß hat immer viel sür sich! Plan weiß wenigstens, wie man miteinander d ran ist!" „Ja — meine Gnädigste. — Sie können doch das soeben Gesagte un möglich aus Ihre eigene Person beziehen!" „Und wenn ich dies dennoch thäte!" „Aber, um des lieben Herrgotts willen, — Sie können doch nicht auf die Idee gekommen sei», sich selbst durch die Welt helfen zu wollen?" „Und warum nicht? Ich bin ohne Vermögen —" . „Aber Ihr Fräulein Tante —" . «Meinen Sie. ich rechnete ans Tante Charlottes Erbe?" Marias Wangen rothcten sich vor Entrüstung. „Ich würde mich selbst verachten, wenn ich das -thate s" Sylvester senkte den Kopf wie in Zerknirschung, aber in seinem Inner» dachte er: „So sind sie nun. diese lieben, kleinen Mädchen! Immer pathe tisch und unpraktisch Würde sich selbst verachten! Aber wozu in aller Welt md denn die Erbtanten da. als um beerbt zu werden? Ich, wenn mir der Himmel so ein nützliches Familienmöbel beschieden hätte, würde dankbarlichst acceptiren und mir den Deubel den Kopf mit zartfühlenden Ideen zerbrechen! Und diese reizende Kleine mit dem weißen Sammetgesichtchen. den schwarzen Brauen und dem Blondhaar — wie entzückend bios das Alles zusammen aus- äeht — ist auch schon von den verflixten neuen Ideen angesteckt! Wär' sie noch Spottsweib, dann ging's fa an! Aber sich selbst durch die Welt helfen wollen, das klingt so — so — nach Studium, — nach Emanzipation — nach Frauensrage, — pfui Spinne!" Es schüttelte den hübschen Mann in Jägertracht förmlich ein Schauder, — es sah aus, als sei ihm plötzlich kalt geworden. „Tante oder oder nicht Tante!" sagte er sehr energisch und machte seine schönsten, ausdrucksvollste» Augen. „Gnädiges Fräulein brauchen sich wahrhaftigen Gott nicht zu bemühen! Für gnädiges Fräulein wird immer Jemand sorgen!" „Und wenn ich das nun nicht irgend einem beliebigen nebelhaften „Jemand" überlassen, sondern lieber selbst übernehmen möchte? Nehmen Sie an. ich hätte irgend ein Talent. — ein ganz hübsches sogar —" „O. — erlaube mir nicht den geringsten Zweifel. — im Gegentheil? Bin fest davon überzeugt, daß gnädiges Fräulein voller Talente sind! Und der Glückliche, welcher dereinst —" Sylvester mußte bei dieser verfänglichen Wendung inne halten, denn an der Biegung des schmalen Pfades, der sich unterhalb der Anhöhe rechts vorbeiwand, wurden zwei Herren in Jägerkleidung sichtbar, und Pfiffig beeilte sich, kaum daß er ihrer ansichtig geworden war. mit Hellem Gekläff die Anhöhe herunlerznrasen und den Beiden entgegen zu stürzen. „Verwünschter Köter!" murmelte Sylvester ingrimmig vor sich hin. Nun war das teto-s-Ms mit dieser reizenden Mieze schon wieder zu Ende! Die beiden „Klingsberg" würden sich die Gelegenheit zum Süßholzraipeln keines wegs entgehen lasten. Die würden Augen machen, wenn shWvahrnahmen, neben wem er vier oben stand! Das war bereits geschehen? Der jüngere Schelling raunte dem älteren hastig ein paar Worte zu. worauf dieser blitzgeichwind das Monocle in's Auge warf und den Hut vom Kopf nahm. Barhcnwt und mit ihren verbind lichsten. liebenswürdigsten Mienen stiegen beide Herren den Hügel hinan. „Ta finden wir ja unseren braven Jagdkumpan, und zwar in der reizend sten Gesellschaft!" rief Schelling der Vater und trat knapp an Mieze heran. „Mein verehrtes Fräulein, ich mache das Recht alter Bekanntschaft geltend, — Sie gestalten mir wohl —" Damit hatte er Marias Hand ergriffen und geküßt. „Das ist in der That ein famoses Zusammentreffen!" bestätigte Schelling der Sohn mit etwas süßsaurer Miene, denn Mieze war einen Schritt zurück- getreten und nestelte mit beiden Händen an ihrer Gürtelschleise, — für ihn gab es mithin keine Hand zum küssen. Der Alte war doch ein riesiger Schwerenöthei, und allemal Derjenige, welcher! Immer noch konnte der Sohn, trotz seiner mannigfachen Erfahrungen, Vieles von dem Vater lernen. „Ach — ich — ich —" sagte Mieze, halb ärgerlich, halb befangen. Es war ihr zu unangenehm, daß diese beiden Herren nun auch noch dazu gekom men waren. Was mußten sie nur von ihr denken, daß sie sie hier mit dem Hauptmann von Winterseldt angelroffcn hatten! Sie hätte am liebsten mit dem Fuß ausgestampft und irgend etwas sorigeschleuüert oder zerbrochen. — so zornig war sie! Sie ertappte sich nebenbei auch noch auf dem Gedanken: „Wenn es wenigstens Leutnant von Küster wäre, mit dem mich die Beiden gefunden hätten! Der hat etwas so ehrerbietiges an sich und ruhiges, — wie geborgen ist man neben ihm! Aber dieser Winterseldt!! — Gott, ja, er ist hübscher, — aber wie selbstbewußt, — und immer muß er einem Kom plimente sagen, ob offen oder verblümt! Der Andere, sein Vetter, hat mir »och keine einzige Schmeichelei gesagt, — und doch weiß ich genau, daß ich ihm gefalle, — nein, das ist nicht das rechte Wort! Daß er etwas von mir hält! Ja. so ist es! Daß er etwas von mir hält!" Die beiden „Klingsberg" weideten sich indessen an Marias Mienenspiel. Sie war so iung noch, so unerfahren. — sie konnte einen Zornesausbruch Niederkämpfen und ihren Gedanken verwehren, auf ihre Lippen zu treten, aber ihre Empfindungen spiegelten sich deutlich genug in ihrem ausdrucksvollen Gesicht. Wie das stolze Mündchen bebte und die dunklen Wimpern auf- und niederaingen! Entzückend! „Zusammentreffen!" sagte sie endlich und fühlte, während sie sprach, daß sie entschieden nichts Vernünftiges sagen würde. „Ach, — das ist es ja gar nicht! Ich bin blos so von Hause fortgelaufen, ohne Hut und ohne Handschuhe, weil — weil —" Hier saß sie fest. Was brauchten denn die drei fremden Menschen zu wissen, welche wichtige Entscheidung im Pfarrhaus? fallen sollte! Wozu hatte sie überhaupt eine Art von Erklärung versucht? Die Thatsache blieb doch dieselbe: die beiden Herren von Schelling hatten sie, Mieze Deinhardt, mit Sylvester von Winterseldt im Gespräch angetroffen. — daran konnte nichts mehr geändert werden. „Nicht 'mal meinen Sonnenschirm Hab' ich mitgenommen!" setzte sie in ihrer Verlegenheit hinzu und strich sich ein flimmerndes Löckchen zurück, das ihr der laue Wind über die Schläfe wehte. „Das gnädige Fräulein kann ihn entbehren I" beeilte sich der ältere Schelling zu versichern. ,,Wie ich schon früher bemerkt habe: ein Kolorit von der Zartheit und Frische einer Kirschblüthe und absolut, wirklich ab—so—lut gefeit gegen den Einfluß der Sonnenstrahlen!" Er ttat noch näher, wahr scheinlich. um seine Behauptung besser zu konstatiren, sein Mund lächelte ganz eigen unter dem gefärbten Schnurrbart. „Nicht wahr, Horst, Hab ich nicht recht?" Belletristische Beilage zu dev »Dresdner Nachrichten". Sette SIS. „Entschieden. Papa, ganz entschieden, wenn ich mir auch die kleine Vanante erlauben möchte, noch mehr für die Blüthe des Mandelbaums zu plaidiren!" „Ich stehe auf der Sette Ihres Herrn Vaters!" meinte Sylvester. „Kirschblüthe. — ganz entschieden Krrschblnthe!" Auch die zwei jüngeren Herren waren ganz nahe herangetreten, sie mußten doch den umstrittenen Teint sorgfältig fixiren, um ihr Gutachten ab geben zu können. Das junge Mädchen machte eine brüske Bewegung, wie ein umstelltes Wild, das durchbrechen möchte. „Ich — ich kann nicht länger bleiben! Ich muß fort!" „Fort? Aber wobin denn?" fragte Hofft von Schelling. „Wohin? Tahin, wo ich hingehöre! Nach Hause!" erwiderte Maria beinahe trotzig. „Ader mein gnädiges Fräulein, es ist noch gar nicht spät!" rief Sylvester Von Winterseldt. „Doch! Mutter wird sich um mich ängstigen, sie wird denken — denken, — es könnte mir etwas zngestoßen sein!" „Ihnen? Hier in Lubenwo, wo Alles Sie kennt — und — liebt?" Die letzten beiden Worte sprach Hofft von Schelling mit bedeutsamer Betonung, er versuchte dabei, in Marias Augen zu sehen. „Ach. gar nicht!" machte sie ungeduldig. „Die Leute kennen mich kaum mehr, sie haben mich vergessen!" „Wer könnte die weiße Moosrose aus dem Garten des Pfarrhauses ver gessen ?" fragte Sylvester leise und schmeichelnd. Sie schüttelte den Kopf, wie um die Schmeichelei von sich abzuwehren, und that ein paar Schritte den Abhang binunter. Die beiden jüngeren Herren machten von Neuem einen Versuch, sie zurückzuhalten. „Nicht doch! Nickst doch!" sagte der ältere Schelling in beschwichtigen dem, sanft verweisendem Ton. indem er Marias "Arm ohne Weiteres durch den seinen zog. „Man muß auch die allerreizendste junge Dame nicht gegen ihren Willen zurückhalte» wolle»! Das ist nicht fchicklich, — ist nicht chevaleresk! Verzeihen Sie diesen inngen Leuten ihren immerhin entschuld baren Eifer! Kommen Sie mit mir, mein Kind! Ich geleite Sie sicher heim! Bei mir sind Sie wohlgeborgen!" Maria war sehr geneigt, das Gegentheil zu denken. Der alte Herr war ihr von ihren drei augenblicklichen Verehrern gerade der unangenehmste. Sic strebte ängstlich, ihren Arm frei zu bekommen. „Bitte, wollen Sie mich loslassen. Herr von Schelling! Ich möchte allein gehen!" „Aber warum Venn, mein liebes Kind, warum denn in aller Welt?" Das wurde in demselben beschwichtigenden, leise mahnenden Tone von zuvor gesagt, und dazu drückte der väterliche Beschützer den feinen, runden Arm beruhigend an sich, wieder und wieder. „Sehen Sie in mir Ihren Freund! Ich habe Sie ja schon gekannt, als Sie ei» kleines Kind waren, ein so süßes, kleines Kind, mein liebes Fräulein, — oder darf ich mein Freundesrccht in Anspruch nehmen und darf sagen: meine liebe, kleine Mieze?" Das letzte wurde ganz nahe an Miezcs Ohr geflüstert, so daß Horst und Sylvester es unmöglich Horen konnten. Sie blieb stehen, mit einem so plötzlichen Ruck, daß ihr Begleiter eben falls zum Stillstehen gezwungen wurde. Sie warf den Kopf in den Nacken, und die Augen flammten ihn verächtlich an, während sie ihre Hand aus dem sie umklammernden Arm losriß. „Sie dürfen garnichts. Herr von Schelling, als nur das eine: mich un behelligt meines Weges gehen lassen! Ich weiß von keiner Freundschaft zwischen uns und von keinem Neckt, das Sie geltend macken dürsten ! Adieu!" Ohne sich weiler nach den jüngeren Herren umzusehen, lies Maria das letzte Ltück des grünen Abhangs hinunter, als werde sie gejagt. Ihr weißes Kleid flog, die langen Enden ihrer seidenen Gürtelschleise flatterten, — die Centiwlie, die sie an der Brust trug, löste sich und fiel zu Boden. Sie be achtete es nicht und stürmte weiter. „Wetter noch eins!" sagte Horst von Schelling zu Sylvester im langsamen Niedersteigen. „Da ist der Alte wieder mal zu scharf in's Zeug gegangen! Was mag er denn angerichtct haben ? Nun seh'n Sie blos, wie das reizende Geschöpf ausreißt!" „Sehr unrecht von Ihrem Vater, sie so kopfscheu zu machen!" bemerkte Sylvester in mißbilligendem Ton. „Natürlich ist es unrecht!" sekundirte der Andere im Brustton der Uclier- zeugnng." Nun sage blos mal." — sie hatten mittlerweile den älteren Herrn eingeholt — „was hast Du denn in aller Welt mit dieser süßen Mieze an- gesniigcn, daß sie Fersengeld aiedt, als ob der Gottseibeiuns rn eigener Person Himer ihr her ist? Spielst Dich immer so mit Vorliebe ans den gewiegten Frauenkenner hinaus und hast ja auch in dieser Beziehung mancherlei weg ... na, da müßtest Du aber doch wissen, daß man so'n blutiunges, scheues Bögelchen anders anfassen muß, wie zum Beispiel 'neu alten, aus- gelernten Papagei, der sich ans Dreffur versteht und willig aus der Hand friizt! So was zum Anbeißen reizendes wie diese Mieze, haben wir jetzt hier aus dreißig Meilen ini Umkreis nicht, — ich freu' mich, sie bischen poussicen zu können, und nun kommst Du und verschüchterst mir das Kind und verdirbst mir das ganze Vergnügen. Ist das hübsch von Dir, alter Herr. — was? Und nenn' ich das väterlich handeln gegen den einzigen Sohn?" Während dieser kindlichen Philippika hatte sich Sylvester von Winterseldt gebückt, die dunkelrothe Rose von der Erde aufgehoben, mit spitzen Fingern den Staub von ihr weggeputzt und mehrmals leicht darüber geblasen. Jetzt steckte er die Blume sorgsam in ein Knopfloch seines Jägerrockes. „Sag 'mal, — sag' mal. lieber Horst, — hast Du denn immer kindlich gegen mich gehandelt?" fragte Schelling Senior mit einiger Verlegenheit im Ton. „Erlaube, — kindlich? Na, aus den Kinderjahren wär 'man denn doch ^«llgemach heraus!" d „Ich meine jetzt nicht die Jahre, — ich meine den Begriff!" erklärte der Vater würdevoll. „Na — weißt Du f Zu besonders kindlichen Ehrenbezeugung« hast D> mir gerade nicht allzuviel Veranlassung gebot« I" Sylvester lächelte vor sich hin. Derlei Dialoge warm ihm bei dm -beide» Klingsberg" durchaus nichts Neues. Sie konnten eben nicht umhin, einander von Zeit zu Zeit Vorwürfe zu machen und weise Lehren zu geben. Deshalb vertrugen sie sich doch vortrefflich. „Liebes Kind, ich mache Dich darauf aufmerksam, da Du Dir eine un ziemliche Redeweise Deinem Vater gegenüber erlaubst, — doS macht sich sehr lchlecht I" Der ältere Schelling sprach in mild verweisendem Ton. Dann blieb der alte Herr sichen, sah nach der Stelle zurück, aus welcher Maria sich io entrüstet von ihm losgerissen hatte und bemerkte kmffchüttelnd: „Wer hätte denn auch gedacht, daß das kleine Mädchen gleich über 'n paar harmlose Galanterien so böse werden würde! Aber. Hofft, das kann ich Dir sag«: schön war sie. wie sie heftig wurde, — hmmm! I" Er küßte enthusiastisch zwei Finger seiner Rechten und blinzelte verzückt mit dm Augm. „Das Mäulchen — und die kleinen Zähne drin I Und die Augen, die dies feine Perlgrau sonst haben, vertieften sich bis zu schwarz. Famos! Wmn ich wüßte, wie diese guten Leute, die Pfarrer Deinhardt s. zu der Tochter gekommen sind! Sie, die kleine Frau, ist zwar heute noch hübsch, — aber eben auch nur. waS man so landläufig „hübsch" nennt. während hier, .... diese Mieze hat Rasse, — geradezu Raffe!" .. ..Glaub' ich Dir!" nickte Hofft gelassen. „Ich Hab' es ja gesehen, wie sie Dich ablaufen ließ! Die ist ftttH mit Schelling. dem Vater, — und leider, wie ich fürchten muß, auch mit Schelling, dem Lrohn!" „Klingsberg" der ältere hvlte sein Monocle vom Auge herab und putzte es vermittelst eines rothen Foulards mit äußerst tieffinniger Mime. Offenbar war er mit sich leidst unzufrieden. Sylvester schleuderte, die Hände in dm Taschen seines Rockes vergraben, hinter dm beiden Anderen her. er sah sorglos und zufrieden aus und netzte zuweilen sein hübsches Gesicht etwas vor, um dm süßen Duft der Centisolie, die an seiner Brust steckte, einzuatbmm. Stumm gingen die drei Herren weiter. Als sie in die Nähe des Pfarr hauses kamen, spitzte der ältere Schelling die Lippen und fing wie mechanisch an zu pfeifen. Es war die Melodie aus der „Fledermaus", die dm Text hatte: „Glücklich ist, wer vergißt. Was nicht mehr zu ändern ist!" 15. Kapitel. „Du willst aus dem Dienst gehen? Willst zieh« ? Ich kann es kaum glauben! Ich meine immer, ich muß Dich nicht richtig verstanden haben!" „Warum meinen Frau Pfarrer denn das?" Lina Mohr stand am offenen Küchensenster vor ihrer Herrin in einer HaltUl.g. die zum Mindesten unternehmend genannt werden mußte. Sie trug ihren besten Staat, halte sich die Haare gebrannt und gekräuselt, daß sie ihr in zahllosen Löckchen zu Berge standen, klopfte taktmäßig mit dem rechten Fuß aus den Boden, hatte beide Hände, so tief sie konnte, in die Täschchen ihrer weiß« Tändelschürze versenkt und dm Kopf hochmüthig m den Nacken geworfen. Der große Augenblick war da. Lina Mohr wollte fort. — Lina Mohr hatte gekündigt! Wozu da noch immer weiter die Komödie des sittsamen, bescheidenen Mädchens spielen, das auf's Wort gehorchen muß und dankbar ist? „Warum meinen Frau Pfarrer denn das?" hatte sie gefragt. Es dauerte ein Weilchen, bis Frau Johanna antwortete. Sie sah mit einem sehr sprechenden Blick an Lina hinauf und hinunter, maß sie immer wieder von Kopf bis zu Fuß. — aber das half nichts. Das fange Produkt der Besserungsanstalt blieb wie es war. änderte leine Stellung nicht im Geringsten. — ja. es tbat noch ein impertinentes Lächeln dazu, daS die Situation keineswegs verbesserte. „Ehe wir weiter miteinander reden, stell' Dich einmal vor mich hin. wie es sich gehört!" sagte die Pfarffrau endlich mit erhobener Stimme. „Lehn' Dich nicht an's Fenster an. — nimm die Hände aus den Schürzentaschen und hör' auf. mit dem Fuß auf den Boden zu klopfen. Man steht nicht so vor seiner Dienstherrschaft, und man sieht sie auch nicht so an, wie Du es thust!" Sehr langsam und mit absichtlicher Bedachtiamkeit befolgte Lina dies« Gebote. Nachlässig zog sie erst eine Hand ans der Tasche, dann die andere, stellte sich gerade hin und hielt die Füße still. Während dessen formten ihre Lipven, die sich spöttisch verzogen halt«, fast unhörbar das Wort „Dienst- Herrschaft !" „Jawohl, — das bin ich für Dich noch, und wenn Du mir zelmmal kündigst!" rief Frau Johanna aufgebracht. „Ich bin wie aus den Wolken gefallen über Dich. Was ist das jetzt sür ein Gesicht von Dir und für ein Wesen? So Hab' ich Dich ja gar nicht gekannt die ganze Zeit über, die Du hier im Hause gewesen bist. — ich hätte Dich dann auch nicht behaltm können. Sag' blos, was in aller Welt Dir einfällt! Du kannst lange suchen, bis Du einen Dienst findest, wo man so viel Geduld mit Dir hat, wie hier, und sich die Mühe mit Dir giebt! Ist es wohl zu glauben? Zu nichts bist Du zu brauchen gewesen, wie Du herkamst, — Alles und Alles habm wir Dir beibringe» müssen, ich und Luise . . - und jetzt, wo man Dich endlich aus dem Gröbsten heraus hat und denkt. Tu wirst etwas leisten, da willst Du aus dem Dienst gehen. Solche schreiende Undankbarkeit ist mir noch gar nicht vorgekommen. Hast Du cs denn etwa zu schwer bei uns gehabt, — habe ich Dir etwa zu viel Arbeit zngemuthet, — wie?" „Ach — na — das nu gerade nicht!" entgegnete Lina zögernd und zog an ihren Händen, daß die Fingcrgelenke knackten. „Hast Du bei uns hungern müssen? Hast Du jemals ein rauhes oder unfreundliches Wort in unserem Hause gehört?" „Ach — na — das nu gerat»' auch nicht!" sagte das Mädchen mit derselben Lässigkeit. „Warum willst Tu denn eigentlich sott? Ich kann und will Dich natürlich nicht halten, aber Deine Gründe möchte ich doch kennen l" (Fortstiung ecnatag.f
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