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Dresdner Nachrichten : 25.07.1926
- Erscheinungsdatum
- 1926-07-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192607251
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19260725
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19260725
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-07
- Tag 1926-07-25
-
Monat
1926-07
-
Jahr
1926
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 25.07.1926
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vkeräner Nachrichten Alltag 5»mit,g. 25. suli IY2b Drei Grütze. Bon Hans Bethge. Grub au de» Wal». Du bist immer wundervoll. Wald. Du ragst voller Geheimnisse, in deinen Dämmerungen »eben unerklärliche Träume, au» deine» Wipfeln klingt da» WVftisch« Rannen der verwehenden Welt. Du bist da» Wunder- har«, das Ernste, da» Tröstend«. da» Unabänderlich«, da» Rätselhaft«. die ruhige Grösst, die Auflucht der Bekümmerten. Du bist »war völlig unfiihlend, wie all« Natur, aber -ein uralte» Wesen wirkt sänstigend auf unser Empfinden, du -allst unseren Schmerz in «inen schirmenden Mantel, du bist väterlich, brüderlich, allzeit «in Freund. Du bist unendlich mannigfach, smaragdgrün ln» Frühling, triefend von Gold im Herbst, aber im Winter «tn« weih, flimmernde Vision aus dem Land Phantasie. Du bist die Ruh« und doch voll Lebendigkeit. In deinen Zweigen hängen di« Nester der Vögel, die Leichen der Vögel, burchwimmelt von Dewiirm, modern in deinem Boden. Eichhörnchen schwingen sich säst fliegend von Ast zu Ast, zahllos die Käser unter den Rinden deiner Bäume, zahllos die tn di« Tief« deine» Erd reicks gewühlten Behausungen der Hasen. Kaninchen und FIlchs«. In dir führen die Siehe ihr verschwiegenes, selten belauschtes Dasein, schlummern unter den Blättern des jungen Holzes und huschen rötlich durch di« knackenden Zweige, um äsend hinauszutreten auf dle bunten, blumigen, von Bienen und Haltern selig übcrschwärmten Waldwiesen. Waldwicscn! Ihr seid die zauberischen, versteckten Teppiche der Natur, in di« alle blumige Lieblichkeit der Jahres zeiten verschwenderisch eingewebt ist. Wie ihr funkelt im Morgentau, sonncnbeschicne«, -tamantenUbcrsät, ganz zaube risch. lächelnd und unberührt gleich den Stirnen jugendlicher Mädchen. Rosa Federnelken, weiße Schafgarbe, gelbe Butter- blumen, braunroter Sauerampfer, lila Skabiosen, weissgelb« Margiicriten und blaue Glockenblumen vereinigen sich auf sattem Grün zu einem so harmonischen, anmutvollen Bilde, das, man meint, diese Herrlichkeit sei der Widerschein eine» feenhaften Himmels. Wald, dir gehört mein Herz. Mein Herz ist angefüllt vom grüngoldenen Geflüster deiner Zweig«. Dir gehört meine Lchnliickt, wenn ich gedrückt tn den Strassen und Stuben der NrMadt schleiche, und kommt der Frühling, so stürm« ich zu dir hinaus, lagere mich an deinem sonnigen Rande oder in deinem kühlen, moosigen Dunkel, lausche ans das Geplätscher des Stäches. auf das hin »nd wider wogende Gesumm Ser Insekten und die übermütigen Rufe der Vögel, sehe di« weihen Wolken wie stolz geblähte Segel majestätisch über die unendliche blaue See des Himmels gleiten, sauge mit In brunst den harzigen Tust deiner Aeste tn mich ein, höre den Postillion im nahen Tale die alten Melodien blasen und fühle beseligt nichts als: Wald, Wald, Wald. Wie rauschen deine Wipfel! Im Rauschen deiner Mpfel Ist ein Klang der Ewigkeit, wie im Rauschen des Meere». AlS Knabe bin ich oft durch Wald gewandert, staunend, sehnsuchtsvoll und feierlich — er war mir die andachtreichste Kirche, der gelicbtcste Tom. Tie letzten Stunden vor meinem Tode möchte ich schiveigend tm Wald znbringen, umgeben von Ruhe, Frieden» Dämmerung »nd Einsamkeit. Gruß dir, geliebter Maldl Grnss an die Morgenröte. Vor Rr, lieb« Morgenröte, habe ich «in VSseS Gewissen. Ich wandle nun schon manches Jahrzehnt auf dieser Erde, ober mir wenig« Male habe ich dich zu Gesicht bekommen. Ich habe mich, offen gestanden, um dich herumgcdrückt, so gut ich konnte Mit Absicht habe ich dich niemals ausgesucht, Morgen röte, dennoch bist du mir nicht ganz entronnen. Wenn ich auf nächtlichen Eisenbahnfalirtcn allzu früh und mit schwerem Koos crivachte, sah ich dich am Horizont gelagert, meist bläss lich, graurosa, verwaschen, etndruckslos. Zumeist bist du «ine Enttäuschung. Aber einige Male sah ich dich auch, üppig, voll strahlender Glut, erregend und verführerisch. Herrlich he- Segnetest du mir einmal in Spanien. So war tm Alt last! lt sehen, ich glaube zwischen Salamanca «nd Valladolid. Ich lag im Bummelzug ausgcstreckt. da er wachte ich unwirsch, sah hinaus und erblickt« ein farbiges Phänomen von unermesslicher, ganz phantastischer Herrlichkeit. Ter Himmel war orangefarben, wolkenlos, ein einziges durch- glühtes orangefarbenes Meer. Tie Erde aber, die kahle, aus gedörrte. wüstenähnliche Erde AltkastilienS war übcrgosscn von einem harten, kühlen, fast abweisend kühlen, unerhörten Violett. Ein paar versandete Dörfer lagen da, um deren zackige Silhouetten bas Violett mit harten Konturen hcrnm- lies. Welch eine Orgie der Farben? Ich meinte plötzlich tn einer viel südlicheren Gegend zu sein, am Rande der Sahara oder in Mesopotamien. Dann blassten die Farben schnell ab, di« Sonne stieg aus der Erde, eine gigantische Apfelsine. Ich legte mich wieder um, nicht mehr unwirsch, sondern ganz durchblllht von einer traumhaften farbigen Phantasie voller Grösse und Kostbarkeit. Und dann ein andermal Im Thüringer Wald. Ich lag im Veit, crivachte vorzeitig, ein rosiges Licht schwamm »m mich, «S drang zu den Fenstern herein, ungeheuer, karmoisinrot zum Erschrecken. Ich stand auf, verwundert, trat ans Fenster und sah die frühe Welt in rosa Mvrgenglanz gebadet. Dunstig lagen die Wälder, der Dunst war wie rosa Rauch, märchen haft. Der Himmel mar ein Meer karmotsinrotcr Glut, feine graue Wolkcnstriche schwammen delikat hindurch, um die Fichten troff cs rosa, rosa erglänzten die Fensterscheiben eines nahen Hauses Die Welt in Rosa! Herrlich, herrlich! Ein paar Stunden später regnete es in Strömen. Tn kannst sehr hold sein, Morgenröte, aber eS ist etwas Bedenkliches »m deine Schönheit. Denn je schöner du bist, desto regnerischer pflegt der Tag zu sein, der deinem Glanze folgt. Die schönen klaren Tage werde» gewöhnlich durch sehr nüchterne Morgenröten cingeleitet. Allzuviel will ich nicht von dir wissen. Dennoch sende ich dir einen Gruss, als einem der seliencrcn Erlebnisse meines Daseins. Ich hoffe, deiner Schönheit noch einige Male zu begegnen, am liebsten vom Belt aus und ohne gezwungen zu sei», an solchem Tage einen Ausflug in die lockende Landschaft zu unternehmen. Denn der Ausslug wird zu Wasser, je strahlender d» bist, «in so sicherer. Ich sende dir, o Morgenröte, einen bescheidene», achtungs vollen, von zwiespältigen Gefühlen beseelten leidenschaftlichen Gruss. Grnss an meine Nase. Dir, llcbc Nase, einen besonders freundlichen Grnss. Was wäre ich, Nase, ohne dich? Wie öde wäre mein Da sein, wie spärlich flösse die Quelle meiner Freuden, wenn du, »Nase, mich nicht glückspcndend ans den verschlungenen Pfaden durch das Gestrüpp dieses Daseins begleitetest. Du bist die sorgende Vermittlerin zwischen meinem Hirn und den duf tenden Dingen der Welt. Es gibt Menschen mit grobem, kläg lich entwickeltem Geruchssinn, sie sind, bei Gott, des tiefste» RttleldS wert. Kaum zu beschreiben sind die Kostbarkeiten, di« ihnen baS Leben versagt. WaS wissen sie non der Wonne, di« der kühle, zärtlich-herbe. spröd-verhaltene Duft einer tau frischen La-Franc«»Nose bereitet, was von dem Atem der Erd- »««rcn, der alle »m das Eteschmackszentrum lagernden Gehirn- «oleküle a»f ein« üpptg-sommcrliche, stnnltrh-heltere Art z» berühren versteht, was von dem heimwchsüssen Dust des Heu», iva» von dem beseligenden Dult alten Weine», wa» such von dem Dnft einer kwtttta geür'i „ „,jf Maronen An meinen Jungen. Jung«, wenn «vir drunten modern Und an dich die Reihe kam: Stehe hin, zurückzufodern, Wa» man ohn« Recht un» »ahm! Junge, denke an die Alten. Deren Kraft zu früh zerbrach! Was man ihnen vvrcnthalten: Ford're e» und gib nicht nach! Junge, wa» man un» genommen: Deutsche Erde, Freiheit, Glück — Du bist ans die Welt gekommen. Daß du» heimhvlst Stück für Stück! Adolf August Kassa«. gefüllten GanS oder «ine» fettgepanzert««, eingekerLte«. bräunlich angehauchten Schweinebratens? Zur Charakterisierung des Tastsinnes sind vi«l«, zur Ver deutlichung des Gesichtssinnes zahllos« Bezeichnungen vor handen. Wenn ich sage, ,stin zartrosa überhauchte» Weib", so ist damit «ine sehr deutliche farbige Vorstellung gegeben. Zur Charakterisierung des Geschmackes dagegen gibt «S nur wenige Adjektiv« jsttss und sauer, bitter und süss, und damit ist man schon fast zu Ende), aber für den Geruchssinn, da» ist sehr bemerkenswert, hat der Mensch noch nicht ein einziges Adiek» tivum zu erfinden vermocht! Wie will man den Dust sonnen beschienener Tanncnzwcigc, wie Len Geruch einer gebratenen Flunder, wie den Duft des Pfirsichs, der Kaffeebohne oder des Salbeiblatlcs charakterisieren? Es ist ganz unmöglich. Alle Morte, die den Geruch verdeutlichen sollen, sind aus der Sphäre des Geschmacks herübergenommen. Welch eine Ver nachlässigung! Ist dieser Sinn, der freilich nicht bei den Menschen, sondern bei gewissen Tieren sein« höchste Voll endung erfahren hat, wirklich eine so jammervolle Behand lung wert? Ich gestehe offen, Laß mir der Dust vieler Dinge ungleich wertvoller ist als ihr Geschmack, der vielfach nur eine Ver gröberung des Genusses bedeutet. Der Duft ist das Aethertsche, das Transzendentale, der Geschmack ist Materialisierung deS Aethcrischen, um nicht Brutalisierung zu sagen. Jedenfalls will ich, che ich Himbeeren esse, mit vollen Zügen ihren alt väterlich-wundersame» Tust cinatmcn, ehe ich den Krammets- vogel verspeise, mit Entzücken sein schweres, ernstes, herbst- gesättigtes Aron, geniessen, und ehe ich alten Mosel trinke, will ich mich ganz verlieren in die goldenen, heiteren, poesie verklärten Gärten seines hinreißenden DufteS. Nicht alle Gerüche dieses Daseins sind köstlich, sa manche sind infernalisch und können von geradezu unerträglicher O-ual für die delikaten Sinne feinorganisierter Nasen sein. In dieser Hinsicht gibt cs Erlebnisse, die »ns aufs schrecklichste niederzuschlagen vermögen, Leiden, die uns reizen bis aufs Blut, Onalen, die »nS physisch, geistig und moralisch ermatten und an die tiefsten Wurzeln unserer Empfindungen greisen. Genug davon. Suchen wir lieber die traumhaft holden Düste auf, die der Himmel tn seiner Gnade für uns geschaffen hat. Es gibt Rheinweine, auf denen eine besonders heiße Frtthllngssonne brannte und ln denen -er Duft von Hyazinthen und Flieder verwirrend eingefangen zu sein scheint, und dann gibt «K alte Moselwein«, dt« duftigsten, blumenhaftesten, welche die Erde kennt, üppig, sommer- gesättigt, — fürivahr, eS ist. wenn man sich tn den Zauber ihres beseligenden Aromas vertieft, al» schlag« «in ganzes Meer von Poesie überwältigend um einen zusammen. Vermittlerin dieser Entzückungen bist du, o Nase. Du hast dich brav entwickelt, ich muss dich loben, du hast mein Leben reicher gemacht als manches andere Leben ist, ich wünsche dich nicht anders, als du bist. Auch muß ich sagen, daß du recht wohlgcbildet mit einem gewissen freundlichen, rbnthmtschen Schwung, schlank »nd mutig, nicht zu kurz und nicht zu lang aus meinem Antlitz hervorragst. Ich danke dir. Gott zum Gruss, liebe Nase. Medusa. Bon Otto Mittler. Ui» das Jahr sechzehnhundertundfünfztg, an einem August Nachmittage, trabte Meister Andreas auf da» Tor der guten Stadt Leyden zu, deren Türme er lange vor sich erblickt hatte wie sie allmählich aus dem flachen Lande empvrwuchsen. Der Hufschlag der starkknochigen F-nchsstute klang auf der harten Strasse, Schwanz und Mähne flogen im Winde. Der Reiter fass wie ein Kricgsmann im Sattel, sehnig und hager, schnauz bärtig und sonnverbrannt von dem iveiten Ritt. Aus dem Schlapphut wallte die Feder: um das Lcderkoller war ein wuchtiger Ttvssdegcn gegürtet: ans Len Halftertaschen lugten hüben und drüben die mcssingbcschlagcnen Kolben der Reiter Pistolen. Meister Andreas wusste seine Waffen nicht nur mit Anstand zu zeigen, sondern auch mit Nachdruck zu gebrauchen, wenn «S sein musste. Leicht hätte sich die Notwendigkeit ergeben können Vor kurzem erst hatte eS den grossen Herren gefallest, den Frieden zu Münster und Osnabrück zu schließen. Mancherlei Kriegsvolk, das nun nimmer im Namen Gottes und des Kriegs Herrn sengen und plündern durfte, mordete und plünderte jetzt aus Gewohnheit für den eigenen Säckel, so innerhalb wie ausserhalb des heiligen römischen Reiches deutscher Nation. Diese fröhlichen Landsknechte waren von ihrer eigenen Ent- behrlichkeit erst durch die Dreschflegel wehrhafter Bauern zu überzeugen, oder durch die Natsberrcn -er Städte, die ihnen für die Verbreitung des roten Hahnes -ic hänferne Ehrenkette zuerkanntcn. Meister Andreas hatte sich doppelt vorznschen. Sein Gaul trug, in den Satteltaschcn wohlverwahrt, etliche gewichtige Beutel voll gemünzten Goldes, den klingenden Lohn ehren voller Arbeit. Mehrere Adelige in Flandern und Brabant hatten ihn aus ihre Schlösser berufen, weil sic meinten, eS sei an -er Zeit, die Reihe -er Familienbildcr, die innen an den Wänden der getäfelten Hallen hingen, um das eigene Konterfei würdig z» vermehren, da nun nicht mehr Gefahr bestünde, dass a» jedem Tage, den Gott werden ließ, alle Herrlichkeit in Helle» Flammen anfgehen könne. Meister Andreas hatte sich der Aufträge wacker entledigt. Er hatte auch mit den Schlosshcrrcn manchen guten Humpen geleert, mit den Schlossdamen manche artige Kurzweil ge- trieben. Jetzt kehrte er heim zu seinem Hause In Leyden, zu seinem jungen Weibe Antje und zu der losen Rotte seiner Schüler, die seiner festen Hand inzwischen wohl dringend be> dürftig geworden waren. Dies bei sich bedenkend, ritt er. noch bet Tageslicht, durch das hallende Stadttor ein und stieg vor einer Schenke vom Gaule, um den Staub der Landstraße mit einem guten Schluck hinabzusplllen. Als er, nach kurzem Aufenthalt in der noch leeren Wirts- stnbe, wieder ins Freie trat und di« Stute fand, wie sic das abgezäuinte Maul behaglich schnaubend in einen Scheffel körnigen Hafers vergrub, da ivandelte ihn die Lust an, zu Fuße und unangemeldet sich nach seinem Hause zu begeben, zur frohen Ueberraschnng der Seinen. Die Satteltaschen, die er Uber dem Arme trng, nahm er gleich mit. Der Gaul ivar bei Lein Wirt Pieter gut aufgehoben. Er stand -ort stet« tn Kost und Stall, wenn ihn sein Herr nicht benötigte. Fra» Antje, die zur Stunde wahrscheinlich bet einer ihrer zahlreichen Muhmen in Haubenbändern und herlei KrimSkram» wühlte, würde tanzen vor Freude, wenn sie ihren Herrn und Gebieter bet ihrer Rückkunft in -er Stube fände, die Pantoffeln an den Reinen un- -ie lange Tonpfeife im Munde. Meister Andrea» betrat sein hochgiebelige» Hau» nicht von -er Hauptstraße her durch die weiß und blau gekachelte Dt«l«. Der Htnteretngang, der aus ein schmale» Gässchen mündet«, nn- der durch -ie geräumig« Werkstatt und Uber eine steile Holztreppe geradewegs nach den Oberstüben führte, lag ihm brguemer. Er kannte da» Geheimnis, wie der Riegel ohne Benützung eine« Schlüssel» zurückznschieben war. und stand alSbald zwischen den Staffeleten, an denen während feiner Abwesenheit seine Schüler unter -er Aussicht eine» älteren Gehilfen gearbeitet hatten. Was er mit flüchtigem Blicke sah, war nicht eben erfreulich. Blitz und Hagel! ES war in den meisten Fällen nicht die teuren Farben und die ehrlich« Leinwand wert, was sie -a htngesndelt hatten. Er werde, so meinte er, am nächsten Tage gründlichen Kehraus halten müssen und dem nährsamen Tttncherhandwerk etliche Jünger »„führen, die zur Malkunst nicht taugten. Einig« Staffeleten waren verhängt. Sie zu enthüllen, spürte der Meister, dem schon das bisher Geschaute die Hetmkehrfreude ein wenig vergällt hatte, kein übermäßige» Verlangen. Er wollte nur noch sehen, was sein Liebling», schüler Ferdinand gerade tn Arbeit hatte, und ob der in den letzten Monaten auch so verludert wäre, wie die anderen. Meister Andreas zog Len Vorhang zur Sette. Beim Pinsel RembrandtS! Der Bursche konnte malen. Andrea» freute sich und erkannte gern an, wenn ein anderer auch etwas leistete. Er bewunderte aufrichtig das schöne Bildnis der Frau Antje, das Ferdtne.rd hier nahezu vollendet hatte. Das wellige dunkle Haar legt« sich anmutig um die klare Stirn. Feine Brauen wölbten sich über den grauen Augen unter den schweren Lidern und langen Wimpern. Die Flügel der edel- geschnittenen Nase schienen so beweglich und ausdrucksvoll wie im Leben. Der volle rote Mund ja! Wo hatte der Knabe, -er Ferdinand, -iesen Zug um den Mund her. -eu ein anderer als Meister Andreas gar nicht bemerkt hatte, den ein anderer gar nicht kannte, nicht kennen konnte, den aber Andrea» selbst im Ampcllicht de» Schlafgemachc» oft und nahe genug vor sich gesehen hatte. Aber konnte shn deshalb wirklich kein anderer kennen? Metster Andreas fegte mit einer Handbewegung Fer dinands Arbeitskittel, der ans einem Stuhle vor der Stattetet lag. auf den Boden. Er setzte sich und starrte unter buschigen Brauen ein« ganze Weile unverwandt auf daS Gemälde. Dann strich er mit der Hand über sein« Stirn. Es war alles Einbildung. Antje und -er Knabe? Lächerlich! Dieser Zug um -en Mund bewies rein gar nichts. Der Bursche hatte seinen Pinsel schlecht ausgewaschen, oder es war überhaupt nichts dergleichen ans der Leinwand. Der Mund, nach dessen Küssen sich der Meister wahrend seiner langen Abwesenheit nicht selten gesehnt hatte, erschien ihm jetzt wohl mit bem Ausdrucke, mit dem er sich seine Frau Eheliebste nun einmal gern vorstellt«, wenn er an sie dachte. Er bat ihr den Verdacht tm stillen ab, während er ausstand und sich nach dem Kittel bückte, um ihn wieder über -en Stuhl zu werfen. Da blieb ans dem Boden ein Stück Papier liegen, da» wohl in einer Tasche des Kittels gesteckt habe» mutzte. Der Meister bückte sich noch einmal, hob -en Zettel auf und la» in Antje» Handschrift dt« vier Worte: »Heute, abends, durch» Vorderhaus." Andreas' Hand fuhr nach idem Degen, -«n er noch immer an -er Seite trug. Hölle, Mord und Tobt Mit geballt«» Fäusten schritt er sporenklirrcnd die Werkstatt auf und nieder. Hatte er dazu vier Monate lang wie ein Mönch gelebt, damit ihm inzwischen in seinem eigenen Hause dieser weichliche Schulbube Hörner aufsetzte? Und das WeivI Diese» Weib! Wie hatte er sie geliebt. Wie hatte er sich auf Ne gefreut! Wie hatte er von seiner Heimkehr gesasclt seit Wochen und Wochen! Ihn würgte der Ekel. Die beiden waren gar nicht wert, daß er seine ehrliche Klinge mit ihrem Blute beschmutzte, ja nicht einmal, daß er sie mit seinen ehrlichen Händen er drosseltet Zertreten, ja! Zertreten, wie man ein eklcS Gewürm zertritt, ein ekles Gewürm! Er stand wieder vor dem Bilde und starrte e» ay. Er lachte ingrimmig ans. Sein Entschluß war gefasst. Er verriegelte die Tür -er Werkstatt von innen. Er löste Las Wehrgchenk. Er warf Degen und Stnlpcnlmndschnhe zu den Satteltaschcn tn die Ecke. Nun entzündete er die starke Lampe, die er bei nächtlicher Arbeit zn gebrauchen pflegte, und verschloss mit den Läden die Fenster, die er ausserdem noch dicht verhängte. Nach diesen Vorbereitungen griff er zu Pinsel und Palette und arbeitete, ohne aufzublicken, volle acht Stunden. Dann legte er alles Gerät, dessen er sich bedient hatte, wieder an seinen Platz, löschte das Licht: öffnete die Fenster, so dass die Werkstatt tm vollen Mondlrcht lag, und setzte stell, den gezogenen Degen tn der Hand, in eine dunkle Ecke nächst dem NuSgang. Er brauchte nicht lange zu warten, bis er oben am Treppciikops Türen öffnen und schließen hörte. Tic Treppen stufen knarrten leise unter behutsam schleichenden Schritten, -ic sich dann auf den Steinflicscn der Werkstatt in der Rich tung nach dem Ausgang bewegten, plötzlich aber tnnehielten. In der Mitte des monderienchteten Raumes stand Ferdi nand, der erstaunt nach seiner Staffelet blickte, die er verhüllt verlassen hatte und nun unverhüllt vorsand. Noch mit dem Ausdrucke sorgloser Neugier schleuderte er, dabei tn immer helleres Mvndlicht geratend, auf seinen Arbeitsplatz zu. rieb sich die Augen, stürmte ein pnar Schritte vor. prallte mit einem unterdrückten Schrcckenörus zurück »nd blieb, mit entsetzt aus- gerissenen Augen, mit vvrgcstreckten Armen und vvrgesprciztcn Finger», wie festgcbannt stehen. TaS liebliche Bildnis war grauenhaft verändert. DaS Antlitz, das Leben geatmet hatte, war jetzt nichts als Leich nam und Verwesung. Tiefe Schatten lagen in den Augen höhlen und um die eingefallene Nase. Zivischen den Lippen ivar die gegnvllene Zunge sichtbar. Der Hals war von Schwertes Schärfe durchschlagen »nd Klumpen gerinnenden Blutes spiegelten matt einzelne Teile des abgetreiniten HaupteS. Aus diesem Blute aber wanden sich, teils ans den Blutlachen zur Hälfte erst entstanden, teils in vollendeter Gestalt, Skorpione und Asseln. Molche und anderes ekles Gewürm. AnS den .Haaren stiegen giststrvtzendc Schlangen empor, Viper» »nd Otterngezücht. Cie »mwande» einander mit den Leibern, sie waren ineinander verknotet »nd in wilder Wut verbissen. All diese Höllenbrut bewegte sich. Ja! Sic bewegte sich und kroch langsam auf Ferdinand zu. Jetzt össnctc auch das bleiche, das tote Antlitz die Augenlider. Ferdinand fingerte mit beiden Händen an seinem Halse. Er versuchte zu schreien, aber nur ein gurgelndes Röcheln brachte er hervor. Mit letzter An- strcngung riss er sich von dem Bilde los und taumelte nach dem Ausgang. Dort aber stand Meister Andreas, hoch ausgereckt und lumm. Mil der Stütze des funkelnden Degens wies er un barmherzig nach dem Bilde, und Ferdinand musste stehen und der Medusa ins Antlitz blicken. Er hätte jetzt leine Augen auch nicht mehr abwcndcn können, wenn er des Meisters Waffe nicht an der Kehle gefühlt hätte. Als am Morgen Frau Antje durch -se noch nicht von Schüler» bcvöiferte Werkstatt ging, hörte sie aus einer Ecke
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