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Sounka», 2». Juli Gegründet 1838 DradlanschrMr »«tzrich»«, Dr,,»»«. F»mlpr«ch»r-Samm»ln«mm»r! LS 241. Dur Mr Nachtg»sprach»i LOO11. vom lS. dt» Sl. Juli IU2V d»> tttvlich ,w»unalig« guttvlluna ,r«> Nau, ^"AUg5 * WöDUl)k Poftd»»u„»pr»i» tür Monat Juli 3 Mark odn» Poftzus>«llung»g«dtthr. >» Vimmt,. Dt« Dnz»ta»n w«rd»n nach «oldmard der»chn»l; di» eintpaltio« X> mm brrtt» Anzelgen-Pr-IIe: LV,Hr.7'.SS'FL L"Ä«N. S.LS"NS ,»k«rdald 200 PI«. 0II»rI»nu«dllkr >0 Pla. Au»w. Duttrita» a«gen Dorauidezndt. tchO Mark. SchrilUttlunq und LaupIa»tchL>I«k>«ll», Marte»llraq, SS/4L. Druck u. D«tao von 2te»Ich » »«tchardt m Dr»»d»n. Posklchrck.Aonto 1OSS Dr«»«. Dachdru^ nur mit deutlich»» vurllennnaad» i.Dr»»dnrr Nachr."> »ulitMa. Unv»rtnnot» SckrtktttU»» werden nxd luivewakrt. I-lolel VsIIsvue dlseiimIttsg-Tss mit Konrort. d/littsg- unci -^bslici-Tsksi im Tsrrssssn-SLLl an cisr ^Ibs. Ssksnnts vormstims ^Lfsimuslk. kv»t»SIs lliiü Konksesnuimmer. ^sclsn IVIittwoek ^bsn6 k^suniO!^ England und die deutsche Abrüstung. Poinearös FinanzplSne. — Das Revirement im Außenamt. — Külz for-erl Kolonien. Rüssel sür khamberlains Unbedachtsamkeit. Schwindende Parlamenlsherrlichkeik. Die Weltkrise des Parlamentarismus. Man wird der Art, wie Poincars sein Kabinett zu sammengesetzt hat. ctne starke Grobzügtgkett nicht absprechen tönncn. Ebensowenig labt sich die grobe Borurteilslosigkeit übersehen, mit der sich dabei Männer zusammenfinden. die. wie Hcrriot und Brian-, eben noch im Parlament als er bitterte Gegner die schärfsten Klingen gekreuzt haben, die. wie Brianb und Poincars, politische Feinde von jeher sind, oder die. wie Herrtot und Poincars, durch Welten in ihren Anschauungen getrennt sind und die schwerste Wahlschlacht der Nachkriegszeit gegeneinander geschlagen haben. Diese merk würdige Mischung von links und rechts, diese Konzentration schärfster politischer und persönlicher Gegner wäre in Deutsch land z. B. ein Ding absoluter Unmöglichkeit. Man stelle sich M vor: Wrth tu einem Kabinett Hergt oder Westarpl Datz -«in Frankreich Mg IM wurde, ist gewib ein beachtenswert«» Alchen politischer Disziplin, wie st« nur ein« lange Tradition und das Versagen aller gewöhnlichen parlamentarischen Miel Hervorrufen kann. Aber ein. eigentlich parlamen tarisches, den inneren Gesetzen des Parlamentarismus ent sprechendes Kabinett ist das Ministerium Poincars uicht mehr. Das setzt eine gewisse Homogenität der Zusammen setzung voraus, wie sie in diesem Kabinett durchaus nicht ge geben ist. Das Kabinett Pvtncarü ist vielmehr ein aus gesprochenes Kabinett der Liquidation jenes grotesken Ver sagens des Parlamentarismus auch in Frankreich, wie es in dem letzten gescheiterten Versuch HcrriotS so bezeichnend zu tage trat. Und wenn es in den letzten Tagen in Paris vor der Kammer zu de» erregten Szenen kam, so war das der Ausdruck einer instinktiven und unmittelbaren Empörung der Volksmenge über das unwürdige Spiel, das aus Doktri narismus und Partciegoismus mit der Not des Volkes ge trieben wurde. Der „Vorwärts" bezeichnet diese Vorgänge als das „Wetterleuchten des Faschismus, der immer nur dann sein Haupt erhebt, wenn die Demokratie versagt". Auf jeden Fall hat der Parlamentarismus in Frankreich ein klägliches tziasko erlebt,, und im Kampfe gegen das Parlament wird die erste grotze Ausgabe des Kabinetts Pvincars bestehen. Es wird von der Kammer deren eigene Selbstausschaltung in noch viel stärkerem Matze verlangen als Caillaux. Und die Kammer wird Poincars noch viel wcitergehcndc Vollmachten gewähren müssen, wenn sie nicht nach Hause geschickt und durch ein millsährigercs Instrument ersetzt werden will. Frankreich, auf dessen Parlament wir noch im Kriege mit Neid und Bewunderung blickten, iveil es mit einer Selbst verständlichkeit den nationalen Forderungen'der groben und schwere» Zeit gerecht wurde, die bei uns nicht aufzubringcn war. ist heute ein Kronzeuge für den allgemeinen Niedergang -es Parlamentarismus und dessen heutiges Versagen überall La, wo er sich groben Ausgaben gegcnübcrsicht. Es bildet das vorläufig letzte Glied der Kette einer Entwicklung, die fast alle Staaten erfasst hat. Wo haben wir heute noch einen reinen, unverfälschten Parlamentarismus, wo eine wirkliche Demokratie? Die Antwort wird schwierig, wenn wir von den kleinen Stagten abschcn, deren innere Kriscnzustände wir nicht deutlich genug übersehen können. Wir sehen auf der einen Seite eine Fülle von Diktaturen, von Rutzland mit seiner Diktatur des Proletariats angesangc», über die reinen diktatorischen Negierungen in Italien, Spanien, Griechen land und Portugal, bis zu der verschleierten Diktatur Kcmal Paschas in der Türkei und zum Teil Pilsndskis in Polen, die den llcbcrgang bildet zu jener andere,: sür die jetzige Zeit besonders charakteristischen Gruppe legaler und vcrfassungs- mäßiger Diktaturen durch Selbstausschaltung des Parla ments. Es handelt sich dabei autzcr Polen um Belgien und künftig auch um Frankreich. In diesen Ländern vermag ein nominell bestehender siecher Parlamentarismus nur noch auf den Krücken weitestgehender Ermächtigungsgesetze »mherzu- lchleichc», die ihn in Wirklichkeit ausschalten. In Polen hat der Sejm soeben mit einem Kranz von Verfassungsände rungen und Verordnungsvollmachten seinem Diktator den Rahmen geschaffen, den er für seine Pläne braucht: in Belgien hat der König zur Finanzsanterung zunächst sür sechs Monate Vollmachten, wie sie ein Diktator aus eigener Machtvoll kommenheit kaum umfangreicher haben kann: und in Frank- reich wird die nächste Woche zeigen, welche Ermächtigung PoincarS für sich in Anspruch nimmt. Man kann geradezu von einer Epoche der Diktatur sprechen, die sich im Zeitalter des allgemeinen Wahlrechtes und d«S Parlamentarismus im Gegensatz zu den herrschenden demokratischen Theorien herausgebildet hat und nur herausbitden konnte, ivetl der Parlamentarismus einfach die Aufgaben nicht meistern konnte, vor die er sich in den einzelnen Ländern gestellt sah. Vergebens bemühen sich die Anhänger des ParlamentariS- M. die reinen Diktaturen als vorübergehende Abirrungen -in,»stellen, ^e in ^r Houston Zeit anssälligst, Form seines Ein bemerkenswerker Tlmes-Arlikel. London. 24. Juli- Die „Times" widmet beute der Ab- r ü st u ng s fr a g e an leitender Stelle einen beruhigenden Artikel. DaS Blatt gibt zu. dab die Antwort Cliamberlains im Unterhausc ziemlich unbedacht gewesen sei. Die Antwort habe sowohl in Berlin wie in Parts t?) Ueber- raschung und Unwillen hervorgerusen, indessen habe sie sich nur auf untergeordnete Punkte, die mit Flug zeugfragen. mit der Stärke der Polizei, mit der Desiniernng von Kriegsmaterial und mit den halbmilitärischen Or ganisationen in Zusammenhang ständen, bezogen. In diesen vier Punkten sei die Lage nicht gänzlich befriedige nd. Früher sei entschieden worben, dab General v- Seeckt dem RetchSwehrMinifter Gehler «»tergeo?du et werd:n koke. For m al sei äioie Lenderung dmudsefübrt «yorde». ade» in. folge der starken JudiutbuaNtät des Generals und der kordiale« Beziehungen. die zwischen ihm «nd dem Minister beständen, habe die Interalliierte Kontrollkommissto« ofsen» bar immer noch einige Zweifel an der Wirksamkeit der Acndcrnng. Ihre Zweifel seien wahrscheinlich bei mehr als einer Gelegenheit zum Ausdruck gebracht worden. Die Frage der deutschen Abrüstung solle jetzt als eine tccl> irisch- militärische Angelegenheit betrachtet werden, die ruhig und unanfsällig erledigt werden könne. Allgemein hoffe man. datz Deutschland vor Ablauf der nächsten zwei Monate Mitglied des Völkerbundes sei, »nd datz dann die Militärkontrolle in die Maschinerie des Völkerbundes ein- gcglicdcrt werde. Die Berliner Chauvinisten hinderten un gestörtes Arbeiten nur durch übertriebene Schwierigkeiten. Ter falsche Enthusiasmus der vaterländischen Vereinigungen in Deutschland erschwere es dem Völkerbund, die Ausgabe der militärischen Ucberwachung zu übernehmen. Aber mit einigem guten Willen könne das Problem der deutschen Ab rüstung in nicht allzu ferner Zeit von den unerledigten Pro blemen Europas als erledigt gestrichen werden. Walch sür -ie Frage -er Slellung Seeckls un-uslän-ig. lDurch Funkivruch.) London, 24. Juli. Bezugnehmend auf Chamberlains Ant wort über die deutsche Abrüstung sagt der diplomatische Korre spondent des „Dailn Telegraph", es sei fraglich, ob nicht die Angelegenheit der Position des Generals v. Sceckt einen so wesentlich politischen Charakter habe, datz sie über die Kompetenzen desGenerals Walch hinausgehe. Was die relative Unzufriedenheit Chamberlains mit dem Stand der deutschen Abrüstungen betreffe, so beziehe sie sich nicht auf General v. Seeckt. Der Korrespondent sagt, London habe bestimmt kein Interesse sür persönliche Angelegenheiten. Ueber die Auswahl von Persönlichkeiten könne man keine Vorschriften machen. Das sei ein Gebot der Vernunft und das entspreche auch der britischen Auffassung. <W. T. B.) Die -leiben-en Deschwer-e-unkke. (Durch Funkspruch.)' Paris, 28. Juli. Havas verbreitet folgende Mitteilung aus London: In gutunterrichtcten englischen Kreisen ist man der Ansicht, datz die deutsche Negierung, obwohl die Durchführung der Entwaffnung Deutschlands auf gutem Wege ist landernfalls würden di« Alliierten sich um der: Ein tritt Deutschlands in den Völkerbund gar nicht bemühen), die Interalliierte Militärkontrollkommission in gewissen Fragen noch nicht völlig befriedigt, und »war: 1. hinsichtlich der Effektivstärke der Polizei, dt« sich aus 160 000 Mann belaufe ldie deutsche Regierung möchte eine höhere Zahl haben): 2. hinsichtlich des Kriegsmaterials (Ein, und Ausfuhr von Waffen rrnd Munition»: t» dieser Hinsicht hat Deutsch land den Standpunkt -er Alliierten noch nicht angenommen: 3. hinsichtlich der Rekrutierung. Die Allierten würden weitere Bürgschaften hinsichtlich der Aufhebung der Reserve regimenter fordern i? betrifft vermutlich die Wehrver- bände): , 4. hinsichtlich der Zusammensetzung -es „GrohenGcuc- ralstabco". l!?) Das sind die wesentlichen Fragen, die die Alliierten noch nicht befriedigt haben. Sic bilden übrigens den Gegenstand von Erörterungen zwischen der Militärkontrollkommission und der deutsche» Negierung. Man lätzt hier durchblicken, datz diese Verfehlungen Deutschlands nicht als ernst an gesehen werden, und daß aller Anlaß vorliege, auf eine be friedigende Regelung zu einem mehr oder weniger nahen Zeitpunkt zu rechnen. Hierzu erfährt W. T. B. von unterrichteter Seite: Die Auffassung, datz cs sich in der Frage der deutschen Abrüstung jetzt lediglich um die Abwicklung technisch-militärischer An- gclegcnheitcn«handelc, entspricht auch der deutsche« Ansicht. Ueber die wenigen noch nicht restlos erle-^ten Punkte der Cntivasfnungsnotc der Botschaftcrkonferenz vom 4. Juli v. I. wird zurzeit sowohl in Paris, als auch zwischen der inter alliierten Militärkontrollkominission und den in Frage kom menden deutschen Stellen verhandelt. Hierzu gehören auch die in der Havasmeldnng angedcntcten Punkte, wobei zu be merken ist. datz es sich auch hier nur noch um Erledigung einiger technischer Einzclfragen handelt. Es besteht alle Anssicht, daß alle diese Fragen ohne gröbere Schwierigkeiten bereinigt werden können. iW. T. Ä.) Englische Angst vor Seulsch-franzSsischer Jusammenardelk. Nenyork, 24. Juli. Die „New York Times" veröffentlicht einen Artikel englische» Ursprungs, der in der wachsenden dcutsch - französischen „Freundschaft" eine Gefahr für England sicht. In einem Leitartikel nimmt das Blatt dazu Stellung und erklärt, daß eine solche Auffassung einen unnötigen Arg nohn enthalte. Tic Zusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs könnte Europa einschließlich England nur nützen. jW. T. B.) Versagens aber, die seiner angeblich freiwilligen, in Wirk lichkeit durch die Umstände erzwungenen Sclbstausschaltung nicht als Ohnmachtöcrscheinnng, sondern als reine Zwcck- mäbigkeitsmatznahme zu bezeichnen, um dem Erfordernis schnellen Handelns zu genügen. Man könnte bas hinuehmen, wenn cs sich um einzelne Ausnahmeerschciniiiigcn handelte, aber gerade die auffallende Gleichzeitigkeit der Ermächtigungs fordcrungen läßt zum mindesten das eine erkennen, datz der Parlamentarismus keineswegs befähigt ist, schwierigen Situa tivncn gerecht zu werden. Gerade die Schwierigkeit der Auf gaben, die eine durch den Weltkrieg, den Wahnsiiinssried!:» von Versailles, den Neparationsunfug und die Desorganisa tion der Weltwirtschaft aus Len Fugen gegangene Welt de» einzelnen Völkern stellt, ist jedoch ein wesentliches Merkmal unserer Zeit. Die großen politischen Schwierigkeiten, denen sich die Völker gcgeiiübcrsehcn, bilden darum gewiß einen Teil der Gründe für bas so auffällige Versagen des Par lamentarismus. Die Hauptursachcn aber liegen in den zahl reichen inneren Unzulänglichkeiten, Widersprüchen und in der Unwahrhastigkcit eines schon lange vor dem Kriege greisen hafte Züge tragende» Systems, das den Anforderungen der heutigen schwierigen Lage nicht gewachsen ist, weil es, voll ends mit der Verhältnis- und Listenwahl, Parlamente schafft, die zum Kampsboden für Partei- und materielle Sonder- intcresscn werden und in dem die Interessen der Gesamtheit nicht mehr zur Geltung kommen können. Bis wett in die Reihen der Sozialdemokraten geht heute nach dem Demo- kratcn Haas die sorgenvolle Frage: .„Kann der Parlamentaris mus die schweren Probleme dieser Zeit meistern?" Auch Dr. Hellpach, der Exponent der deutschen Demokratie bei der RetchSprässdentenivahl, beschäftigte sich unlängst in einem Vor trage in Heidelberg mit der Weltkrise der Demokratie. Er be tonte dabei, datz das demokratische französische Parlament genau so versage, wie das demokratische deutsche: und wenn das englische Parlament bisher nicht versagt habe, so liege das daran, datz es noch aus einer aristokratischen Zeit stamme. Wenn bei dem Versagen des Reichstages, so fährt Dr. Hell pach fort, mehr als bisher durch Regierungsverordnungen regiert werden sollte, so würde er eine derartige Entwicklung zivar bedauern, immerhin aber nicht leugnen können, daß gerade in Deutschland auf diesem Wege Erfolge erzielt worden seien. Je umfangreicher die Aufgaben des Staates würden, desto größer werde auch das Bedürfnis, wichtige Fragen durch Verordnung zu regeln oder geschaffene Gesetze durch Ver ordnung zu ergänzen. Das sind für einen Demokraten beachtliche Acutzerungen, die ein bezeichnendes Licht darauf werfen, wieweit heute die Erkenntnis von der Neformbedttrf- tigkeit des Systems bereits geht. England allein bleibt unter den Großmächten als einzige ragende Säule eines lebensfähigen Parlamentarismus tu dieser Weltkrise stehen. — Amerika schaltet aus, da es nie einen Parlamentarismus gehabt hat. — Aber auch England gelingt es nur, mit dem parlamentarischen System zu regieren, weil es seine politischen Führer mit diesem System nicht so genau nehmen wie die Politiker anderer Länder, weil eS sein rigoroses und zweifellos ungerechtes Wahlrecht nur unter dem Gesichtspunkte herausgearbeitet hat, arbeitsfähige Mehrheiten zu erzielen, well im Unterhawse eine Partei, die konservative, die absolute Mehrheit hat und damit letzte« Ende» in England dt« parlamentarische Regierung eure Art Diktatur Baldwins und keiner Unterführer darstelltc Längst schon haben sich in Deutschland Bestrebungen angebahnt, die die im Parlamentarismus innerlich begründeten Voraus- setznngen des Zwctparteicn- oder zum mindesten Zweigrnppen- systems zum Ziel haben. Sie sind sogar in den letzten Wochen durch die Sammlnngsbcstrebungen ans der deutsche» Rechte»