Suche löschen...
Dresdner Nachrichten : 23.01.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-01-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192701236
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19270123
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19270123
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-01
- Tag 1927-01-23
-
Monat
1927-01
-
Jahr
1927
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 23.01.1927
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
. ' ) Oreräner Nachrichten Nanna. Historische Skizze ron Grete Masse. Ein unfreundlicher Tag über Rom. — Der Hiinmel. sonst strahlend in seinem Blau, wie nebelverhangen. „Deshalb hätte ich nicht aus Deutschland, wie gejagt, wie vorwarts- «epeitscht, zurück nach Italien zu fliehen brauche»', denk; Anselm Fenertnich. ..Grauen Himmel lmtte ich auch dort. Er sitzt im Cafä. vor sich ei» abgestandenes Getränt, um sich Zeitungen, in denen er unlustig geblättert. Irgendwie bebt ihm ein Grauen in den Nerve». Eine Unruhe, «rast «ine Angst. Nein — er hält eS auch hier nicht and. Ihn ärgert der schmnviggrane Oelanstrich der Wand, das durchlöcherte Tisch tuch. die billige Bluse des SchcnkinädchcnS. die unfrvhcn. unschön verdickten Nasen der reisenden Damen, die drüben am Fenster sitzen und enttäuscht in de» grauen Himmel starren, den sie sich leuchtend wie Lapislazuli vorgcstellt. Hastig und zerfahre», wie es seine Art ist. greift er nach seinem Mantel, stürzt hinaus, stürmt durch die Strohe»- Als er in die Via dcl Tritonc etnbiegt. löst sich aus dem HLuserkchatten eine halbvcrhüllte Bettlerin. Aus ihren Hüllen macht sich eine Hand frei, streckt sich gabcnlrcischend empor. ES ist eine langfingrige, schmale, durchschauende Sand von wahrhaft adeliger Form. Eine Hand, wie sie nur eine einzige Frau besessen, die Feucrbachö Leben durchkreuzt. Er fühlt, das Grauen, die Unruhe in seinen Nerven lösen sich aus. Es ist ihm nicht anders, als stocke der Blutstrom in seinen Adern und weigere sich, die vorgeschricbcne Stalin zu wandeln. Seine Lippen iverden kalt. Seine Zähne schlagen im Entsetzen aneinander. „Nanna!" schreit er ans. „Nanna - . .!" Da erst hebt sich das geneigte Haupt. Augen sehen ihn an. die er einst schimmernd unter träumende» Wimper» ge kannt. In Züge starrt er. denen Elend und Laster noch immer nicht ganz den hohettSr ollen Zug habe» zerstöre» können. Und die Stirne dieser Römerin, die nie errötete, färbt sich aus einmal mit der Glut der Scham. Sie wendet sich zur Flucht . . . Im Mcnschengetriebe von Nom verschwindet Nanna. wie eine Welle verrinnt im Meer- Als er in sein Atelier tritt, sinkt Fcncrbach erschöpft aus -aS Sofa. ES ist ihm. als lmbe jener Augenblick, in dem Na>',m Ihn angcbeitelt. seine Kraft gebrochen. Wie sie dastand, geduckt, mit sinkenden Schultern, sie. deren grohe. königliche Gestalt so ragend gewesen, dah sie. wenn sie über die Schwelle dieser Atelicrtür trat, mit dem Scheitel fast das Holz oberhalb der Tür berührte. Der Saum ihres Gewandes war vom Schmutz der Strafte bestaubt. Ihr Schuh zerrissen. Ihre Gesichtshaut fahl, als hätte ste viele Jahre lang, viele Nächte in rauchigen Lokalen, zwischen Straftcnpöbel und Vagabunden, wie sie niedrige Schenke.« beherbergen, durchwacht. „Wie tief Nanna gesunken ist, wie tief!" murmelt Fcncrbach. — Und er denkt an jene» Abend in Nom. da er sic zum erstenmal gesehen. Er kam die Strafte heraus -und sah an einem offenen Fenster eine innge Iran stehen mit einem Ktnde au» dem Arm. Seit icnem Tage war aus allen seinen Bildern dieses strenge Gesicht von rein römischer Ab stammung mit der im Nacken verknoteten Last dcö schweren, schwarzen Haareö und die lange, wundersame, adelige Hand, die stch vor einer Stunde bettelnd zu ihm erhoben. Alle Künstler in Rom beneideten ihn um dieses Modell- Viele Jahre war die römische SchnsterSsrau seine Arbctts acnnssin. Und mit der Zeit »vandelte sich die Einfache. Be schcidene. Ruhige zur Anspruchsvollen, zur Launischen, zur Begehrlichen. Und er beging die Sünde und kaufte mit dein wenigen Gelb, das er erwarb, seidene Kleider für sic. Mäntel aus Sammet, goldene Ohrringe »nd Kelten, indessen nm seinetwillen daheim in Heidelberg die treueste Mutter darbte. Aber er konnte das Schicksal nicht verzögern, nur aus- bnlten. Er wollte nicht hören, wenn die Freunde in den Wirtshäusern lästernde Bemerkungen über Nanna machten, wollte nicht glauben, das, sie mit djcsem oder jenem Kavalier im Wage» gefahren oder in der Oper gewesen. Nein und edel wie diese Stirne mnftte ihre Seele sein. Das träumende Auge in dem bronzefarbenen. melan cholischen Gesicht durste nicht lügen. Tan» aber kam die Wahrheit so blendend und iäh, daft er sich nicht mehr vor ihr verschlieften konnte. Aber diese Wahrheit erfuhr aus seinem Munde kein Mensch. Er schwieg- Nur daS ivnftte man in Nom: die Nanna hatte den Maler verlassen. Sie nmr mit einem fremden Mann gegangen und hatte aus IeuerbaciiS Besitz dieses und jenes mitgenommen, was ihre Begehrlichkeit gereizt. Nie wieder traf der Deutsche in den Gassen von Rom die Bettlerin. Hatten sie die Stätten deS Lasters verschlungen? Hatte sie sich, schamvcrwirrt. im grenzenlosen Leid um ihr verlorenes Leben von einer Brücke in den Fltift gestürzt? Oder wuftte sie es nur geschickt zu vermeiden, dein noch einmal z» begegnen, der ihr Freund gewesen? In Anselm FcuerbachS Seele erlosch allmählich das Elcndöbild . . . Aber an manchen Abenden schien es ihm. er labe, von den hölzernen Icnsterstreifen wie von einem natür lichen Nahmen umschlossen, die Nanna, wie er sie zun» ersten mal gesehen, iung. hohcltörwll. Glanz aus der braunhellen Stirne, den iungen, mütterlichen, unschuldigen Blick ans das Kind gesenkt, das sie in ihren Armen trug. Kein Alltag Sonntag. 23. ^an. 1927 Rheinisch' Land. Zwei Bilder von Carl W. Mülle r-Neuft. Ich betrat die Stadt, in der ick vor nunmehr fünfzehn Iabren den bunten Rock tragen durste, ging durch die jetzt so stillen Straften in der Umgegend der Insanieriekajerne. In den sonst vom Militär belebten Bierlokalen safte» Hand- werker die nach Feierabend ihr Glas Bier tranken oder ihren Skat spielte». Das fröhliche Lachen der Söhne des Mars hatte dem behäbigen Treiben der Bürger Platz gemacht. Ich kannte sie alle, diese Kneipe», in denen unsere Reserve- lieder erklungen waren. Wie hatten sie geklungen, diese alten Lieder — - das Lied von der teure» Heimat, von Köln, dem schönen Städtchen am Rhein, und da,», zuletzt, als der Hornist schon den Zapfenstreich blies, noch das »Reserve hat Nnb'" Ich schritt weiter als wenn ich'S noch hörte . . . Reserve hat »och . . . Tage. Doch Reserve hat Ruh'! * Durch die Pappelallce kam ich zum Rhein. Von der anderen Seite des Stromes grüftt das abgetragene Fort Blücher herüber. Leise rauschen die Pappel» im Abcndivinde. Singen sie das Rescrvclicd aus vergangenen Zeiten? Sinnend stehe ich und lausche Da fällt mein Blick ans eine Pappel, die durch ihre Grüfte alle anderen überragt. In etwa Maniicöhöhe ist ein Stück Rinde ausgeschnitten. Soll der Bann, gefüllt werde»? Doch nein, daö kann nicht möglich sein. Nähertrctend gewahre ich die Inschrift: Pierre 8oiron,*I Llsiron. Oarse 102.. Encore 125. Wehmut im Herzen, lenke ich meine Schritte zurück! Reserve hat Ruh ! »> Ptcrre Soiron, Trompeter, Jahresklasse t«2..., noch 12S Tage. In -er letzten Minuke. Eine Geschichte ans verschollener Zeit. Von Mia Municr-Wroblewska. Zu den groften Herbsttagden >var der Oberstleutnant aus Petersburg gekommen. Zehn Jahre mar er nicht in der Heimat aus dem väterlichen Gut gewesen. Seine Ankunft war ein Ereignis. Aus allen Erdgcschvftsenstcrn d«S Schlosses, wo daS Personal wohnte, blickten neugierige Augen, als der Wagen vor der Rampe hielt, und der Baron ging selber dem Bruder bis aus die Freitrepvc entgegen. Not brannten in der blasse» Oktobersonne die Fabnen des Wildioeins, der die weiften Säulen umschlang. Zwischen diesen rot umwundenen Säulen begrüfttcn sich die Brüder, die so gar verschiedene Wege gingen: der Maioratshcrr. dem das dünne Haar schon silbern an den eingesunkenen Schläfen schimmerte, der in vor- „chm müder Lässigkeit die schmalen Elfenbeinhände dem Gast entgeacnstreckte. der mit seinem Väierervc eins war. unlöslich verwurzelt in dieser Erde, die seine Vorfahren ror Neben- hundert Jahren mit Schwert und Kreuz erobert hatten . . . der Jüngere, landfremd gewordene, östlich Orientierte, in elastischer Haltung, panz vernmchsen mit seiner glänzenden Garüeuiiifori», breitschultrig, imponierend, geräuschvoll, fast zu aeränschvoN an dieser Stätte, wo alles temperiert, gedämpft war. mit der Patina Jahrhunderte alter Kultur überzogen. Nach dem späten Mittagessen und der anfchlteftenden Kaffeetasse im Kamtnzimmer vor einem Hellen Feuer, gespeist von Eichciiwnrzeln. ginn der Oberstleutnant ins Erdgeschoss zur alten blinden Male hinunter. Da saft er in ihrer kleinen, überheizte» Stube mit den Goldalöckche» »nd Geranien ans -er Fensterbank und den rassaclischen Engelsköpfche» in Oel- druck an der Wand, saft ans einem alten Kanapee mit Rips. Überzug nvr einem r,inden Tisch mit gehäkelter, weifter Decke. rauchte und erzählte Male von ihrer Tochter, die seit fünfund zwanzig Jahren seinen Petersburger Haushalt führte. Males blicklose, hellblaue Augen starrten in den sinkenden Herbstabend: Ihren alten, eingefallenen Mund umrahmte ein strahlendes Lächeln. „Ja. mein Lvtting hat es gut." bestätigte sic nickend, „es ist rein zu viel, was sie vorigen Weihnachten ron Herrn Oberstleutnant bekommen hat. eine Krtmmersacke mit seidenem Futter, das ist ja rein wie für eine Liaronili." Der Oberstleutnant legte keine schöne, gepflegte Hand mit dem koketten Brillantring am kleinen Finger auss Knie der Alten. „Siebst du. Male." sagte er in seinen, leicht slawisch ge- färbten Tonfall, „wer so ein buntes Leben lebt wie ich seit drctftia Jahren, der braucht einen stillen Nuhepimki zwischen Gesellsckmstcn, Arbeit. Hofdienst und Vergnügungen." Bei de«, letzten Wort zwinkerte es etivas frivol um seine Augenwinkel, aber das sah Male nicht, und »venn ki« es ge sehen. hätte sie eS nicht verstanden. „Nun. dieser Ruhcpunkt. dies« Ausspannung für meine Nerven ist mein Haushalt, der ist mein einziges Stück Heimat. Die Lotte hat gefühlt. waS mir in Petersburg fehlte. In ihrer Speisekammer riecht cs wie hier zu Hause, sie kocht mir Gerichte, d-ie ick in Peters burg nie bekommen kann, sie hält meine Sachen in so muster hafter Ordnung, wie keine Gattin das tun würde. Du wciftt, Male, ich war »ie fürs Heiraten. Frauen sind nur gentetzbar, so lange sie ans einen Mann hoffen: wenn sic ihn haben, geben sie sich keine Mühe mehr.' Nach diesem Prinzip habe ich mich gerichtet und bin gut gefahren dabei Die einzige Fra», die nichts von mir crnmrtet. die nur für mich gesorgt hat. ist deine Lotte, darum ist sie mir nicht Weib, sie ist mir Heimat. Kind heit, alles Frühe, Halbvcraessene. halb Verlorene. Weiftt d» noch, wie ich als Kleiner immer zu dir gelaufen kam. wenn ich mich geschlagen oder gcstoftcn hatte. Keiner konnte so trösten wie du. wenn du über die Beule hinstrichst, sie an- bliesest und sagtest: „Nu. nu, wein' nicht! Bis zur Hochzeit ist cs wieder gut " Sieh mal. Male, in Gedanken rerwechsle ich dich oft mit deiner Lotte, sie ist wohl noch nicht volle sechzig, und du bist schon über achtzig, aber diese zwanzig Jahre mache» bei «Frauen keinen groften Unterschied. Und wen» die Lotte mir auch keine sichtbare Beule anzublascn braucht, sie m»ft mir doch oft helfen, wem, ich zcrkchiiiidcn bin, und wenn mein duinmcS Herz Zicken macht, waö letzt öfters vorkommt. die Lotte merkt cs gleich, dann brät sie mir ein Beefsteak L I» Tartarc, und legt mir die leichten Papnros zurecht, den kaukasischen Schlasrock und ein Pulver Digalen. Dann brauche ich keine Nolle mehr zu spielen, brauche ncht Figur zu machen, kann mich ein biftchcn geben lasten. Sieh. Male, darum ist meine dicke Lotte für mich die wichtigste Person im Leben. Alle andern wechseln. Vorgesetzte. Unter gebene. Damen. Weiber, Minister «nd Generale. Hofsräulcin »nd Tänzerinnen: aber die Lotte bleibt, Ist immer da. wenn ich sie brauche, und ist unsichtbar, wenn ich sic nicht brauche. Und nächsten Weihnachten kriegt sie eine goldene Uhr." Male bewegte den hcruntersinkew-en Unterkiefer, in ihren faltigen Wangen zitterten kleine Frcndengrübchcn. „nd Glücks tränen kullerten ans den blinden Augen durch die vielen Runzeln. Sic hatte nur die Hälfte von dem »'erstanden, was der Oberstleutnant da geredet hatte, aber er legte auch keinen Wert auf eine Antwort, hatte vielleicht mehr zu sich selber ge reibet als zu seiner alten Kinderfrau. Dichte, weiftltch« Nebel spannen um Kicfernstamm und Unterholz, um welkes, bronzebraunes Farrenkraut und graues MooSgeflccht. Hörnerschall und Hundegeblass! Unter einer hundertfährigen Eiche batte der Oberst leutnaut seinen Stand. Ihm zur Seite webte der weifte Schleier vom Hütchen der schönen Isabell. die ihm beute als Witwe noch reizvoller erschien als vor zehn Jahren bei ihrem letzten Begegnen. Damals war sie gewesen wie ein wilder Innge. übermütig, herbe, dornig. Se»»te war ein Verhaltenes über tbr. Misten. Weh um Gewesenes, Warten aus Kommen des. Sie sagte Onkel zu ihm, abeN das Wort baute keine Mauer -eS Altersunterschiedes. eS war Liebkosung und An- schmtegen. Ihr krauses Haar glühte goldlq im Herbstgrau. Iaadsieber rötete die schmalen Wangen, der Blick war herrisch spähend- Aber als sein Acrmel sich an einem trockenen Ast ver. fanaen batte und sie ihn befreite, glitten ihre Hände mit den seinen Gelenken nmrin. krauen,örtlich an den seinen hin. Dem Oberstleutnant nwrd -aS Herz so eng »nd helft »iiiter des BrnderS altem Iagdrock, wie eS ihm nt« geworden war unter den setdeiigesütterten, blitzenden Uniformen der Gari-sdragoner. Ucber ihren Köpfen spielte der Herbstwind mit rascheln- den, braunen Elcheiibläitern. in IsabcllS Haaren glitzerten Nebeltropfen. . . . , . dAendS glühten des Schlosse» Fenster rot in die sternen- lose Nacht. Kerzenhcll« floft von kristallener Krone in den groften Tanzwal herab, spiegelte stch in hohen TrumeanS, In blauem, Parkett, in den Damast«,Inmen der steifen Stühle an den Wanden. .0- ihren kapriziösen, leidenschaftlichen NhvthmuS in die festliche Helle. Der Oberstleutnant trat vor Nichte iede Bewegung Ritterlichkeit. Verehrung d»r Frau. Unwillkürlich bildete sich Eine freie Bahn für das ungewöhnliche Paar. Das leichte Gran seiner vollen, ge wellte» Haare erhöhte nur die Eleganz seiner Haltung. An der Brust glitzerten hohe Orden, die Sporen klingelten leise. Isabells weifte Seide wehte a» der Viintheit der Uniform hin, binmenzart. Sie tanzten, alles stand „nd schaute. Er höhtes Leben war »»> die Tanzenden, Seklranich. Flamme, Dust. Jetzt kniet« er, aller polnischer Sitte folgend, nieder, und ihre slockeulcjchte Gestalt glitt »und nm de» knienden Ritter. Elastisch schncllle er wieder empor, drückte ihre Hand an die Lippe», »nd diese Hand löste, halb ividcrstrcbcnid. doch hingerissen, die blassrote Rose von ihrer Brust und streckte sie ihm hi». Die Musik verstummte. An der Tür zwischen Tanzsaal mid dein Billardzimmer stand zwischen seinen Gästen der Schlpftherr. Er hatte die Tanzende» beobachtet, ein loärmcrer Glanz rvar in seine müden Augen getreten. Jetzt sah er de» Bruder ans sich znkoinmen mit gerötetem Gesicht. Im Vorüber gehen flüsterte der Oberstleutnant ihm zu: „Ich ziehe mich auf eine Viertelstunde zurück, mein Herz verträgt die Mazurka doch nicht mehr, wie i» den Leutnantstagen. Zum Soupcr bin ich wieder »»teil. Nicht wahr, ich führe Isabell?" Der Majoratshcrr nickte. Er folgte dem Bruder durch das anstoftcnde Kartcnzimin-er, wo bereits mehrere grüne Tische ausgcschlagci» wartete», und weiter ins Vestibül mit den mächtigen Elchgeweihen an der dunklen Eichcniäfeluiig. Der Oberstleutnant schritt die breiten Stufen der Treppe z»m Oberstock empor, wo die Gaststuben lagen. Ans dem Treppenabsatz blieb er stehen. Es war. als sinke seine elegante, elastische Gestalt in sich zusammen, er drückte die Hand ans -Herz. Unvergcftlirh prägte daS Bild sich dem Auge des zu ihn» Empor schau enden ein, wie er da stand in feiner strahlenden Uniform mit den vielen Orden, zwischen denen die blaftrotc Rose matt leuchtete, auf der altcrsdunklen Treppe, die Linke mit dein sprühenden Edelstein am schweren, geschnitzten Friichtgeiviiide dcö Eichcngeländers unter dem majestätischen Gehör» des Königs der hciniischcn Wälder. In der nächsten Sekunde brach er tot zusammen. . . . In der Morgenfrühe traf eine Depesche aus Petersburg ein, die hatte den verwunderlichen Wortlaut: „Wie geht es de»,, Oberstleutnant? Lotte." Die Depesche war ausgegcben eine halbe Stunde, nachdem der Oberstleutnant am Herzschlag verschieden war. . . . Einen Monat später fuhr der Majoratsherr nach Peters burg, um den Nachlass des Bruders zu ordnen. Ein« funkelnde nordische Wintersvnne lag kalt in den Räumen, die der Verstorbene zwei Jahrzehnte lang mit seiner alten Hansssältcrin bewohnt hatte. Zwischen dem Ordnen non Briefschaften und Dokumenten siel dein Baron plötzlich das seltsame Telegramm ein und er rief die Haushälterin zu sich. „Wie kamen Sie eigentlich damals auf den Gedanken. Lotte, mitte», in der Nacht nach Kurland zu telegraphieren?" Tie dicke alte Frau hob die schwarzseidene Schürze und wischte die Tränen ab, die sofort aus ihren Auge,, brachen. „Die si»»d der erste, Herr Baron, dem ich von iener Nacht erzähle. Ich habe zuvor nie Aehnlichcs erlebt und hoffe auch, nie wieder so was zu erleben ES war elf Uhr. ich sah in meinem Zimmer und wollte eben zu stricken aufhören und schlafe» gehen, da hörte ich die Glocke aus diesem Zimmer, es war das Zeichen, mit den» der Oberstleutnant mich immer zu sich rief. Ich erschrak, dachte an Diebe, lief schnell herüber» und wie ich die Tür öffne, ist das Zimmer erleuchtet und am Schreibtisch, auf dem Stuhl, auf dem jetzt der Herr Baron sitzt, sehe ich den Oberstleutnant. Er hatte die Paradeuniform an, alle Orden an der Brust und eine hellrote Rose im Knopf loch. Er war erhitzt und hielt die rechte Hand ans Her» gedrückt. Das dauerte nur einige Sekunden, vielleicht eine Minute lang, ich kann es nicht genau sagen, dann war alles dunkel, und ich dachte, daft ich im Bett liege und geträumt habe, aber ich lag nicht im Bett, ich stand in diesem Zimmer, und als ich dann Licht machte, mar das Zimmer leer. Ich aber lief zur nächsten Postabteilung und gab die Depesche nach Kurland ans. Nun, »in- am nächsten Vormittag kam dann das Telegramm von Herrn Baron, und da wuftte Ich, daft »nein Herr in seiner letzten Minute bei mir gewesen war." Sie sagte das ganz einfach, als sei cs das natürlichste Ding von der Welt. Der greise Maioratshcrr sah im Ststhl vor dem Schreibtisch, seine elfenbeinernen Finger spielten mit dem Griff eines zierlichen Tscherkessendolches. Er hielt die blassen Lider gesenkt: in seinem kühlen, abgeschlossenen Gesicht regte sich nichts. Er hat nur einmal, viel später, in vertrantem Kreise, als von den mancherlei Rätseln zwischen den Gestirnen geredet nnrnde, diese seltsame Geschichte erzählt, und so ist sic den Ueberlebenden erhalten geblieben. Ein Keiraksankrag. Von Hermann Bode. „Ich habe keine zusammenhängenden Gedanken, sie hängen aber alle zusammen an Ihnen", schrieb einst Goethe an Frau von Stein. Und so hatte eben Gerd Hanstetn an Fräulein -Helene geschrieben — mit groften Buchstaben ans feinstes Papier. Noch viel mehr fügte er hinzu, schüttelte sein Her« ans — vier Seiten hindurch. Keine leichte Arbeit — ein Heiratsantragl Doch nun lag er fertig da. Gott sei Dank! Gerd atincte befreit auf. AIS er die Zeilen Uberlas. erschienen sic ihm albern. Wieder -crrih er nervös den Briefbogen, »varf ihn in den Papierkorb, der bis zum Rand gefüllt war mit zerstückelter Sehnsucht. Wehmütigen Auges betrachtete er den vertrauten Schnthcl- behältcr. Wie nahe fühlte er sich ihm verwandt — lauter Fetzen, dnrchdrängt mit Liebe. Da posaunte man stets: Liebe, o welches Glück! Nur ein Idiot konnte di« Worte erfunden haben. Liebe — du schreckliches Unglück! Machst die Menschen verrückt, unfähig zu jedem ernsten Tun, uiifähig zu klarem Denken. Gerd griff aus dem Papicrkvrb eine Anzahl LiebcSseufzer, ballte sie zur Kugel und warf sic der Goethebüste an die Stirn. So respektlos benahm sich der arme Junge. Goethe, dessen bedeutender Kops ans dem Bücherschrank thronte, schien zu lächeln, als »volle er sagen: „Auch ich habe in den Wcrthcrjahren Schlimmes durchgemacht: gedulde dich, junger Freund — die Zeit heilt alle Wunden, selbst blutend« Herzen." Gerd erfasste nichts von den Wcishcltsivortc», die a»ö Goethes Zügen lenchtcten. Er raste im Zimmer »inhcr. Seine gesunde, vierundzivanzigjährigc Natur mäste irgcndcj» Etwas, an dem sie die Kraft austobcn konnte. Da sie nichts weiter vor fand als ein kleines Tischchen, ans dem in einer Vase Blumen dufteten, schlugen zwei wütende Fäuste de» »»schuldigen Tisch in Trümmer, nachdem die Vase an der Wand zerschellt war. Zerstörung ernüchtert nnd besänftigt.. Auch die grofte Natur atmet nach einem Gewitter tiefste Ruhe aus So glätteten sich in Gerd jetzt die erregten Wogen; verkörperte er doch nichts anderes als ein winztgcS Stück echter Natur. Er zündete eine Zigarre an. lieft sich behaglichen den iveichc», Klubsessel falle». De» Rauch vor sich hinblascnd, be gann er »gchziidenken. Helene, .die um drei Jahre ältere, kluge, stets kühl beherrschte Helene — passte sie eigentlich z» einer Frau? Er liebte sic. Daran zweifelte er nicht. Den wirtschaftlichen Untergrund einer Ehe konnte er schassen. " -U MM , - - r ! '"iz W D' i
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)