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Marx nimmt Hindenburss Auftrag an. Unbegründete Angriffe -er Linken gegen die Stellungnahme -es Reichspräsidenten. Unverminderte Spannung in Mitlelamerika. — Neuer französischer Uebergriss in Germersheim. — Maßnahmen gegen die Wohnungsnot. Der Lösung entgegen! Berlin, LZ. Januar Amtlich wird gemeldet: Reichs kanzler Dr. Marx begab sich heute vormittag zum Herrn Reichspräsidenten, berichtete über die gestrige» Beschlüsse brr ZentrumSsraktion und erklärte, das, er im Sinne dieses Be schlusses den Auftrag deS Herrn Reichspräsidenten zur Re gierungsbildung übernehme. Es ist anzunchmen, das, am heutigen Tage schon eine Fühlungnahme mit den einzelnen Fraktionen znstandekoinmt und daß die Beschlüsse der einzelnen Fraktionen die Richt linien für eine Verständigung abgebcn werden. Die cigent- lschcu Berhaudlungcn dürsten wohl aber erst am Montag der kommende« Woche in Angriss genommen werden. Durch die von Dr. Marx dein Reichspräsidenten abgegebene Erklärung, die Verhandlungen zur Kabinettsbildung übernchmeu zu wollen, sind die Faktoren für eine Wetterführung der Ver handlungen aus dem durch die Verfassung gegebene» Boden und auf der Basis der Verständigungspolitik geschaffen worden. Auch das sozialpolitische Programm des Zentrums dürste lin wesentlichen die Grundlage für ein Arbeitsprogramm einer gemeinsamen bürgerlichen Regierung abgeben. Die Beschlüsse der heutigen Fraktionssitzungen der in Frage kommende» Parteien zur Bildung einer bürgerlichen Mchrheltsregicrung dürsten in dieser Richtung Klarheit schassen. Die Deulschnalionalen beraten. Berlin, 22. Januar. Die d e u t s ch n a t i o n a l c Reichs- tagosraktion trat heute vormittag 10 Uhr zu einer Schling.zusammen, in der iic sich mit dem gestrigen Beschluß des Zentrums bci'chäitigt. Außerdem ist bisher sür heule nur eine Sitzung der demokratischen Fraktion vor gesehen. die heule nachmittag nach dem Plenum zusammentritt. Wie daS Nachrichtenbureau des Vereins Deutscher Zet- tungsverleger ans parlamentarischen Kreisen hört, belrachlen die Teutschnatinaien die gestern von, Zentrum ausgestellten Richtlinien lediglich als ein Parteiprogramm. Sie erwarten, daß Reichskanzler Dr. Marx nunmehr leine Ver handlungen mit einem eigenen Programm auf- nehmen wird. Sie sehen deshalb vorläufig keine» Anlaß, sich mit den vom Zentrum ausgestellten Richtlinien eingehend zu beschäftigen. Kindenburgs Grün-e. Berlin. 22. Jon. Tie gehässigen Angriffe der Berliner Linkspresse gegen den Reichspräsidenten v. H i n d e n b u r g aus Anlaß seiner Aufforderung an den Reichskanzler Dr. Marx, ein Kabinett der bürgerlichen Parteien zu bilden, werden heute von dem dcmokrati!' ', „B. T." m verschärfter Form wiederholt. ES wird u. a dem Herrn Rcichsvräsidcntcn iiicrsicllt, er hätte sich ro» ..rechtsstehenden Politikern, alten liegskamcradcn und ähnlichen Besuchern" dazu zwingen lasten, diese Aufforderung an Dr Marx zu richte», und wäre inivigcdessen z» einem ..P a r t c i p r ä s i d c » t c n" geworden. Wenn auch diese plumpe und gemeine Hetze gegen den Reichspräsidenten rerdient gar nicht beachtet zu werden, so nimmt man sie doch an zuständiger Stelle zum Anlaß, noch mals auf folgende Tatsachen hinziiweiie»: Nach sorgfältigster Prüfung aller Faktoren kam der -Herr Reichspräsident z» dem Ergebnis, daß zur Schaifuna der un bedingt erforderliche» parlamentarischen Mehrheit für eine Negierung nur ein Zusammengehen der bürgerlichen Parteien in Frage kommen könnte. Es ist sestznstclle» das, der Herr Reichspräsident sich Uber die Anschauungen j» de» einzelnen Parteien ans das eingehendste durch Besprechungen mit ihren Führern »nterrichict hatte. Ans diesen Besprechungen ergab sich zunächst einmal daß die Schassuna der soacnanntrn Großen Koalition. also der Einbczlcliunq der Sozialdemokraten in die Regierung einfach ,»,möglich war. Auch eine Ncnbclebnna der im Parlament znm Sturz ge brachte» M i t I e i r e g I c r » n g erschien dem Herrn Reichs präsidenten als ein a » s s i ch I ö l v s c S Beginnen. Er erteilte daher an Dr Enrlius seinen hekannie» Auftrag Nach dem sich aber zeigte, das, das Zentrum sich mit dem a» Dr. Enrlius erteilten Auslrag nicht befreunden konnte und das Zentrum selbst den Reichspräsidenten wissen liest, daß «S erst, bevor eö sich anderen Möglichkeiten anschließc, noch mals die Wiederherstellung einer Miilelregieruna erprobe» wolle, war der Herr Reichspräsident bereit, trotzdem er einem solchen Versuch von Anfang an sehr vesstmistisch gcgcnübcr- stand, den Wünichen d«S Zentrums cnlgegenzukoinmcn. Er gab daher dem geschästSführenden Reichskanzler Tr. Marx den gleichfalls bekannten Auftrag. 'Nachdem Herr Dr. Marx aber dem Reichspräsidenten mitteilcn mußte, daß die Schaffung einer Regierung der Mitte wegen der vorhandenen Schwierigkeiten unmöglich sei und das, auch keinerlei Aussicht bestände, sür eine Mitlelrcgicrung die ilnicritütziina einer der beiden große» Fittgelparieici, zu gewinnen hielt eS der Herr Reichspräsident, um weiterem, ganz unnötigen Zeitver lust zu entgehen sür daS den Erfordernissen der Lage zweckentsprechendste nun den festen Auftrag zur Bllbung einer Regierung der bürgerlichen Parteien zu vergeben. Er bcsand sich damit in voller Ucbereiuftimmnna mit der Aussassuug des Herrn Reichskanzler Dr. Marx, der allerdings, bevor er diesen ihm zuteil gewordenen Auftrag endgültig annahm, erst noch die Entscheidung seiner Fraktion herbei- sühren wollte. Diele Entscheid»»« liegt nun vor und gestattet zum mindesten den Schluß, daß. wen» die Zcntrumspartei noch die Möglichkeit einer anderen RegierungSbilduna sehen würde, sic kaum einstimmig -Herrn Dr. Marx zu Ver handlungen Uber eine Regierungsbildung mit den Dculsch- nationalcn ermächtigt hätte. Aus dem Dargclegtc» ergibt sich mit zwingender Deutlichkeit, daß der -Herr Reichspräsident nicht, wie cS das .,B. T." behauptet, aus persönlicher Neigung die Bildung einer Regierung der bürgerlichen Parteien gefordert hat. sondern daß er durch die gegebenen Verhältnisse cinsach gezwungen war. diesen letzten noch verbliebenen Ausweg beschrcitcn zu lassen. Mit dieser Feststellung fallen die gegen de» Herrn Reichspräsidenten gerichteten persönlichen Angriffe, die be wußt die tatsächliche Lage verkennen in sich zusammen. Demokratischer Sabotaaeoersuch gegen -en Auftrag Krudenburgs. Das Zrnirumsprogramm soll maßgebend sür alle Regierungs- Parteien sein. Berlin, 22. Jan. Die demokratische Reichstags- sraktion gibt über ihre Haltung folgendes Kommunique aus: „In der Fraktivnssitzung wurde dte Kundgebung der ZentrnmSsrakttou begrüßt. Man sah aber de« vollen Wert dieses Dokuments erst daun gegeben, wenn es nicht die Er klärung einer einzelne« Partei, sondern als Miudest- programm von allen für die Bildung einer Regierung überhaupt in Frage kommenden Parteien ausdrücklich an erkannt und gebilligt ist. Die Fraktion hat deshalb ihren Vor sitzenden beauftragt, der Zcutrumsfraktiou anhcimzugebcn. daß sic vor den Verhandlungen über die parteipolitische und persön liche Zusammensetzung deS Kabinetts allen diesen Parteien, einschließlich Sozialdemokraten und Deutfchnationalen. daS Dokument znr Erklärung und Zustimmung unterbreitet." Dieser demokratische Schachzug kann jetzt, nachdem Reichs kanzler Dr. Marx den fcstumriffcnen Auftrag znr Bildung einer bürgerlichen Mchrhcltöregicrung angenommen hat, kaum noch Verwirruirg anrichten. Er zeigt lediglich, daß die Demokraten in ei» geradezu erschreckendes Hörigkcitsocrhält- nis zur Sozialdemokratie geraten sind. Im übrigen wird Reichskanzler Tr. Marx nach seinen Verhandlungen mit den sozialdemokratische» Führern selbst am besten wissen, wie aus sichtslos es wäre, den Sozialdemokraten neue Brücken zu baue». Außerdem würde das im offenen Gegensatz zu dem von Marx angenommene» Auftrag HindenburgS stehen, ein Kabinett der bürgerlichen Parteien zu bilden. Französische Kommentare. Parts. 22. Jan. Die hiesige Presse befleißigt sich auch in ihren heutigen Kommentaren zu der bevorstehende» Bildung einer bürgerlichen Mehrheiisrcgierung in Deutschland, der größte» Zurückhaltung. Dies trifft besonders sür das „Echo de Paris" zu. in dem Pcrtinax feststcllt. daß seit ver gangenem Dezember es allen unooreingenommcncn Politikern habe klar sein müssen, daß die Bildung eines NechtskablnettS in Deutschland in der Logik der parlamentarischen Situation liege. Das neue Kabinett werde im Reichstag über die Mehr heit verfügen und könne mit mehr Autorität als das ver gangene sprechen. — Zm „Matin" erklärt Sauerwein ebenfalls, daß man in Frankreich eine abwartenbc Haltung einnchmc, stellt icdoch gleichzeitig fest, das, die der L o c a r n o p v l i t i k feindlich gesinnten Elemente de» Augenblick sür gekommen hielten, ihre Angrisfe gegen die dentsch-französischc An näherung zu verdoppeln. — Die „Erc Nonvcllc" glairbt nicht, daß dir Wendung in der Regierungskrise Frankreich das Recht gebe, die Hossnnngen ans eine deutsch-französische Versöhnung auszugcbeu. (T. UI Der innere Ausbau -es Reiches. Die mitteldeutsche Mission Sachsens. Tic Erörterungen über das VerliältniS der Länder zum Reiche inollcn nicht zur 'Ruhe kommen, sondern beschäftigen das politische Denken weiter Kreise fortgesetzt in einem Maße, das beweist, wie wenig der gegenwärtige Zustand als endgültig bewerte, werden kann. Bayrtsche und badische Denkschriften zur Sache liegen schon etwas weiter zurück. Neuerdings sind die in dieses Kapitel einschlägigen Frage» insbesondere durch drei bemerkenswerte Publikationen in tiefgründiger Weise behandelt worden: zwei in den Mit teilungen der Vereinigung sächsischer höherer Staatsbeamter erschienene Artikel von Neglernngsrat Dr. Kluge-Dresden und von Geh. Rai Tr. Alfred Schulz«, Ministerialdirektor und Leiter der sächsischen StaatSkarrzlei, sowie eine Betrach tung in der Münchner Zeitschrift „Der deutsche Süden" von dem bayrischen Vvlksparieiler Karl Schweich. Gleichzeitig hat die Anschlußbcivcgiing an Preußen, die in letzter Zeit in ver schiedenen kleineren Ländern unter dem Drucke der wirtschaft lichen und finanziellen 'Not in Gang gekommen ist und die auch Sachsen nicht unberührt ließ, gewisse unleugbare Schäden ausge,zeigt, die in den noch vorhandenen Resten einer allzu großen klcinstgatlicheil Zersplitterung in Erscheinung treten. Dies gilt vor allem von Norddeutschland. Dort sind in Preuße» folgende Ländchen versprengt: Oldenburg, Braun schweig. Anhalt. Lippe-Detmold, Waldeck. Lippe-Schaumburg, die in absteigender Reihenfolge über ein Gebiet von 6Z30 bis zu ganzen 3tll Quadratkilometer, insgesamt 15 000 Qua. draikilvmctcr mit 1 680UM Seelen verfügen und für ihr eigen, staatliches Dasein ausgerechnet vierzehn Minister brauchen. Vergleichsweise haben Sachsen und Baden jedes sür sich allein mehr Flächeninhalt als diese Duodezstaaten zusammen, deren gesamte Einwohnerschaft noch nicht einmal die Hasste der Berliner Bevölkerung erreicht. Dazu kommen dann noch die drei Hansestädte mir UW Quadratkilometer un-d l MV 000 Einwohnern. Wie unsinnig und widerspruchsvoll diese Klein staaterei ist, erhellt insbesondere auch daraus, daß die ge nannten Ländchen und Freien Städte zehn Stimmen im RcichSrar führen, obwohl sic nach ihrer Einwohnerzahl nur vier beanspruchen könnten lArtikel 6l der Weimarer Ber, sassung gewähr! den größere» Ländern auf je eure Million Einwohner eine Stimme: mindestens eine Stimme hat aber auch das kleinste Ländchcnj. Es ist daher sehr begreiflich, daß die preußische Frage auch vom Standpunkte der Be» seiligung der Kleinstaaterei sich bei dem ganzen Problem stark in den Vordergrund drängt, ganz abgesehen non der über» ragenden Bedeutung, die sic wegen der nationalgeschichtlich begründeten Vormachtstellung des führenden Bundesstaates besitzt. Unmittelbar nach der Umwälzung machlen sich Be strebungen zur Auslösung Preußens in eine Reihe von reichs- inimiitelb-aren Provinze» gellend. Sie fanden auch Wider hall im Landtage, der einen Antrag annahm, die preußische Regierung solle die Ncichsrcgicrung anfforbern, mit den übrigen Einzelstarten in Verhandlungen über die sofortige Verwirklichung des Einheitsstaates einzutreten: Preußen werde selbst mit gutem Beispiel vorangehcn und auf seine Etgenstaailichkcii verzichten, sobald die anderen Länder die gleiche Bereitwilligkeit zeigen würden. Das war natürlich nur ein Schlaa i»S Wasser. Tie Tendenzen solcher Art ver flüchtigte» sich sehr bald, und Preußen kehlte zum Bewußt sein der nalionalcn Unentbehrlichkeit seiner staatlichen Ge schlossenheit zurück. Dr. Schulze bemerkt hierzu: „Diese Ent wicklung ist im Interesse der NcichScinhcil zu begrüßen. Das große einige Preußen ist eine starke Siütze für das ganze Relchsgcsügc. Ein einiges Preußen wird nur Reiciispolitik betreibe» können, während das bei den eiiizeliicii preußischen Provinze» lcincswcgs vcrbürgl ist." Wenn aber Preuße» in seiner Vormachtstellung erhalten bleibt, so muß es auch zwangsläufig daraus bedacht sein, die in seinem Gebiet ver streuten Dnodczstaatcn allmählich aiifzniaiigen. Das z»zu- gebcn .chg-ert selbst der bayrische Föderalist Karl Schwend nicht. Er schreibt in der genannte» Münchner Zeitschrift: „Die preu ßische Frage ist zugleich eine territoriale Frage. Die heutige Lage der kleinen und kleinste» Liaatc». die vom preußischen Slaaisgebiet umschlossen sind, die nie wirkliche Staaten mit staatlicher Tradition waren, die seit dem Wegfall ihrer Fürstenhäuser die eigentliche Voraussetzung ihrer bundcs-