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Llassen und Renten und gegen das Markensystem ge äußerten Bedenken. Der Vorwurf übermäßiger Lapital- ansammlung sei übertrieben. Die Vorlage sei nichts als Selbsthilfe de« Vaterlandes gegen die soziale Ge fahr. Abg. v. Kardorfs ttat nochmals für die Vor lage ein. Fürst B i S m a r ck, der erschienen war, nahm hierauf daS Wort und erklärte, er sei keineswegs über rascht, daß die sozialdemokratische Partei, besonders deren Vertreter im Hause, gegen daS Gesetz seien, deren Hauptsache ist, daß die von ihnen geleiteten, vielmehr mißleiteten Massen unzufrieden sind. Alles, was sie in der Herstellung der Arbeiterbataillone gegen die Ordnung im Staate hindern kann, das bekämpfen sie natürlich; sie brauchen eben die Unzufriedenheit. Auch wunderte man sich nicht, daß die freisinnige Partei dagegen ist, die doch auch beim Wehrgesetz gewiß nicht blos aus Fractionsinterefse dagegen war. (Ruf: „Pfui'/'). Einen solchen Zwischenruf bezeichne er als unverschämt ; er betrachte sich als den Gegenstand ihres besonderen Haffes. Als Christ könne er das vertheidigen, als Canzler kämpfe er dagegen. (Beifall.) Daß die Polen das Gesetz, welches die Consolidation des Reiches befördere, nicht wollen, sei nicht wunderbar. Daß die Conservativen die Opposition theilen, verstehe er nicht; wie könne man Lokalintereffen gegenüber einer Frage, welche die Gesammtheit des Reiches bis in die innerste Tiefe berührt, in einer solchen Weise Raum geben. Das sei kein konservatives Gebühren. Der Reichskanzler wendete sich sodann gegen Einwendungen des Abg. Holtz gegen das Gesetz vom Standpunkte der Landwirthschaft mit dem Argument, daß die Vor lage in seinem Wahlkreise nur geringe Sympathien habe. Die Landwirthschaft könne das Gesetz nicht ent behren. Man möchte das Gesetz noch vor den nächsten Wahlen beendet sehen, damit nicht zu viel aus dem Zusammenhang herausgcriffen und gelogen wird. Wollten wir noch ein Jahr warten, wer weiß, ob wir dann soviel Muße haben, wie uns jetzt zu Gebote steht. Ich ersuche die Conservativen, die Neichspartei und die Nationalliberalen, sich von aller Gemeinschaft mit der Sozialdemokratie, den Polen, Welfen, Fran zosen und Freisinnigen loszumachen (lebhafter an dauernder Beifall.) — Nach kurzer Erwiderung des Abg. Bamberger vertagte sich das Haus bis Montag 1 Uhr. Fraukrerch. Die Untersuchung gegen Perrin, der das Attentat auf Carnot verübte, ist beendigt und der Untersuchungsrichter hat die Akten dem Staats anwalt übergeben. Perrin, welcher einen blinden Schuß abfeuerte, wird nicht vor dem Geschworenengericht zur Aburtheilung gelangen, für die Sache ist vielmehr das Zuchtpolizeigericht zuständig. Holland. Die Kommission zur Vorberathung der gesetzlichen Umgestaltung des Militärdienstes hat ihren Bericht veröffentlicht. In demselben wird für das stehende Heer als Minimum eine Stärke von 110000 Mann vorgeschlagen, für die in Landwehr umgestalteten Bürgergarden eine solche von ^0000 Mann und eine Reserve. Der persönliche Militärdienst ivon welchem für Geistliche und in besonderen Fällen Befreiung stattfindet) soll vom 20. bis 40. Lebensjahre dauern und zwar acht Jahre im stehenden Heere, fünf in der Landwehr und sieben Jahre in der Reserve. Portugal. Auch die portugiesische Regierung hat die Einladung zur internationalen Konferenz für eine gemeinsame Arbeiterschutz-Gesetzzebung angenommen. Oertliches und Sächsisches. Riesa, den 20. Mai 1889. — Tagesordnung für die öffentliche Stadtverordneten - Sitzung am 21. Mai, Nachmittags 6 Uhr. 1. Bericht der Finanzveputation über stattgefundene Revision der städtischen Cassen; 2. Beschlußfassung über Verwillizung einer Grati fikation für Herrn Gasanstaltsdirector Thomas in Zittau, wegen Abgabe eines technischen Gutachtens; 3. Beschlußfassung über Ausführung der Pflasterung der Wettinerstraße und der Bahnhofsstraße; 4. Kenntniß- nahme von erfolgten Zuwendungen für hiesigen Bürger- hospitalfonds. — Bon einem überaus schweren Gewitter wurde unsere Stadt nebst Umgebung gestern Mittag betroffen. Blitz folgte auf Blitz, Schlag auf Schlag, wobei die Fensterscheiben klirrten und die Mauern der Gebäude erschüttert zu werden schienen. Allgemein sagt man, daß Gewitter mit solcher Heftigkeit hier noch nicht ausgetreten seien. Biele Blitzschläge sind erfolgt und haben mehr oder weniger Schaden verursacht. Ein sogen, kalter Schlag ging im hiesigen Casernemcnt in einen Stallflügel der 2. reit. Batterie und riß Dach schiefer auf. Die Stallwache wurde wie betäubt, Pferde sprengten sich loS und überschlugen sich. . Ein weiterer Schlag traf da» Hotel „Deutsches Haus" und durchfuhr da» ganze Grundstück. Sodann ging ein Schlag in die Blitzableitung der hiesigen Dampfmühle. In Nickritz wurden Herru Gutsbesitzer Geh« 2 Kühe erschlagen. Der Blitz fuhr durch die Esse in den Stall, die zunächst stehende Kuh blieb unverletzt, während die 2 folgenden getödtet wurden. Ja Gröba traf ein Schlag das von 36 Personen bewohnte Boden'sche Haus, ging durch eine Seitenwand, ohne indeß Jemand zu ver- verletzen. In Zeithain schlug eS in die Scheune des Gutsbesitzers Wenzel, zersplitterte einen Dach sparren, sowie eine Anzahl Dachziegel, zündete aber glücklicherweise ebenfalls nicht. Ferner sollen auch Bäume von Blitzschlägen getroffen worden sein. Ein daS Gewitter begleitender starker Regenguß hat auf Wegen, Feldern und in Gärten wieder mehrfachen Schaden angerichtet. — In Seußlitz ist der Regen wolkenbruchartig niedergegangen und standen dort manche Wohnungen tischhoch unter Wasser. — Am Sonnabend Nachmittag hatte eine jugend liche Kinderwärterin, welche in einem Wagen das ihr anvertraute Kind spazieren fuhr, sich zu weit der Böschung an der Elve genähert, sie konnte den Wagen nicht mehr erhalten und derselbe lief mit dem Insassen dem Wasser zu. Das Kind würde nun dem Tode geweiht gewesen sein, wenn es nicht noch einem zu fälligerweise hinzukommenden hiesigen Herrn gelungen wäre, dasselbe zu reiten. Möge das Borkommniß fahrlässigen und unachtsamen Krnderwärterinnen zur Warnung dienen. — Der heutigen Gesammtauflage unseres Blattes liegt der Sommerfihrplan der Sächs. Staatseisen bahnen bei. — Während in unsrer Gegend in diesem Jahre ein Maikäfer zu den Seltenheiten gehört, sind die Raupen in solchen Massen aufgetreten, daß die Obst- eente in vielen Gärten in Frage gestellt ist. Besonders haben die Aepfelbäume zu leiden, und mag die treib hausähnliche Witterung der letzten Wochen der Ent wickelung dieses Ungeziefers großen Vorschub geleistet haben. — Die Leipz. Ztg. schreibt: „Eine interessante Ent scheidung hat kürzlich eine Crvilkammer des König!. Landgerichts Dresden in der Berufungsinstanz gefällt. In Dresden besteht ein „Verein für Volksbildung", welcher, wie etwa der hiesige „Fortbildungsverein für Arbeiter", ein ausgesprochener Träger socialdemokratischsr Tendenzen ist. Der Verein zählt fast sämmtliche in Dresden wohnhafte hervorragende Socialdemokcaten zu seinen Mitgliedern, seine Versammlungen, deren Besuch den Militärpersonen durch besonderen Befehl verboten worden ist, werden polizeilich überwacht, der erste Vorsitzende — zur Zeit des Prozeßbeginns — war auf Grund des Sociolistengcsetzes aus Berlin ausge wiesen worden. Dieser nämliche Vorsitzende ermiethete im vorigen Sommer für ein Vereinsfest die Räum lichkeiten der vom Staatsfiskus verpachteten Großen Wirthschaft im König!. Großen Garten. Den Pächter hatte er zur Vermiethung dadurch bewogen, daß er denselben unter Verschweigung der oben gedachten ge wichtigen Thatsachen und unter Vorlegung eines Ver einsprogramms in den Glauben versetzt hatte, daß politische und daher insbesondere socialdemokratische Tendenzen durch Statut des Vereins ausgeschloffen wären. Ueber die wahre Beschaffenheit des Vereins wurde der Pächter erst aufgeklärt, als das König!. Garnisoncommando in Dresden den Militärpersonen den Besuch der Großen Wirthschaft für den Tag, an welchem das Vereinsfest stattfinten sollte, verboten hatte. Der Pächter trat nunmehr sofort vom Miethvertrage zurück und wurde von dem Vorsitzenden des Vereins auf Ersatz des durch die Vorbereitungen für das nicht zu Stande gekommene Sommerfest erwachsenen Aufw-ndes verklagt. Die Entscheidung der ersten Jnstrnz ist uns nicht bekannt, das Berufungsgericht aber hat den Kläger kürzlich kostenpflichtig abgewiesen. Die Begründung geht dahin, daß der Beklagte berechtigt gewesen sei, von einem Vertrage zurückzutreten, zu dessen Eingehung ihn der Kläger durch Betrug vermocht habe." — Es ist zur Kenntniß des Ministeriums des Innern gelangt, daß in neuerer Zeit Erinnerungs zeichen für Kaiser Friedrich III. in den Handel ge bracht werden, welche den Deutschen Reichsmünzen nach Größe und Prägung täuschend ähnlich sind. Dieselben, in der Größe von Zwei-, Fünf-, Zehn- und Zwanzig- Markstücken, aus Nickelzink bez. goldfarbigem Tombak gefertigt, tragen auf der Vorderseite das Vildniß Kaiser Friedrich'« III., während auf der Rückseite der Namenszug Kaiser Friedrich's III. und die Worte: „Lerne leiden ohne zu klagen" angebracht sind. Auch sind den Zweimarkstücken täuschend nachgebildete Münzen in den Handel gekommen, welche auf der einen Seite das Bildniß Kaiser Wilhelm's II. und auf der anderen Seite die Worte: „Zu unser- Kaisers 31. Geburts tage. 27. Januar 1889." tragen. Da nun derartige Münzen bereits zu betrügerischen Zwecken verausgabt worden sind, so wird die Ausgabe bez. Weiterverbreituag derselben innerhalb deS Königreichs Sachsen, ebenso wie eS hinsichtlich der in der Bekanntmachung vom 29. November vor. IS. gedachten Münzen geschehe, ist, hiermit bei Geldstrafe bis zu Hundert Mark «der Haftstrafe bis zu 14 Tagen untersagt und ist von de» Polizeibehörden deS Landes über die Beobacht«,, dieses Verbots gehörige Aussicht zu führen. — Die meisten Besitzer des Einjährigen-Berechtig- ungsscheinS halten eine Entziehung desselben für nicht möglich. Das ist jedoch ein Jrrthum. Bor einig« Zeit erging sich ein Sohn angesehener Eltern in Ham burg in Extravaganzen, belästigte eine bekannte Schau spielerin mit Liebesbriefen und hatte schließlich die Unverschämtheit, eine fingirte Berlobungsanzeige in die Zeitungsanzeigen zu lanciren. Die Angelegenheit kam zur gerichtlichen Untersuchung und Bestrafung. Als der junge Monn später ins Militär eintreten wollte, vn- langte dieses ein neues Führungsattest, auf welchem die Bestrafung natürlich vermerkt war. Es wurde der Berechtigungsschein kassirt, und der junge Mann mußte trotz aller Fürsprache auf drei Jahre eintreten. * Gröba. Da sich neuerdings, besonders in Bobcrsen, die Fälle zu mehren scheinen, in denen bei der Beerdigung solcher Personen, welche an an steckenden Krankheiten verstorben sind, die Be gleitung der Schule und Gesang amGrabe be ansprucht wird, so wird hiermit ausdrücklich hervorge- hoben, daß nach der für hiesige Kirchfahrt geltenden, von der vorgesetzten Behörde genehmigten Begräb- nißordnung derartige Begräbnisse ohne Mit wirkung der Schulkinder und ohne Gesang am Grabe stattzusinden haben. Zur Vermeidung un begründeter Anforderungen wird Solches hiermit be- sonders eingeschärft. Glau bitz. Bei dem am 15. d. M. in den Abendstunden heftig auflretenden Gewitter schlug der Blitz, in die Scheunen des Ritterguts Glaubitz, sowie des Gutsbesitzers Bennewitz Hierselbst und in Radewitz in die Scheune des Gutsbesitzers Eichler, ohne jedoch zu zünden, richtete aber trotzdem mehrere Schäden an; auch schlug der Blitz in mehrere Bäume und bei Lanzenberg in eine Telegraphenstange. In den Fluren Glaubitz, Marksiedlitz, Radewitz, Peritz und Streunten, hauptsächlich im letzteren Orte, wurden leider die Feldjrüchte durch Hagel arg zugerichtet; auch die Obst bäume haben stark gelitten. Borna, 18. Mai. Das Frühlingswetter hat das Wachsthum der Feldfrüchte in der hiesigen Gegend in außerordentlicher Weise begünstigt. Das Winter getreide steht sehr dicht und fett und treibt bereits Ä<h:en. Mit dem Legen der Kartoffeln und Gurken ist man noch nicht zu Ende, aber die Arbeit der Zwiebelfelder ist in der Hauptsache besorgt. Für unsere Landwirthe bildet der .Zwiebelbau eine Quelle des Wohlstandes. Tie großen Zwiebeln werden gesteckt, damit sie den Samen fürs nächste Jahr tragen; dann wird der Samen im nächsten Frühjahr in die Erde gestreut, auf daß daraus sich bis zum Herbste die Steckzwiebeln entwickeln, und erst diese werden im kommenden Frühjahre gesteckt, um im Herbste als große Zwiebeln geerntet zu werden. Tie Einnahme siir den Zwiebelversandt beläuft sich oft auf */, Million Mark jährlich. Meißen. Daß das Kartenlegen nicht ohne Be deutung ist und daß auch eine Kartenschlägerin einmal recht haben kann, beweist folgende vom hiesigen „Tagr- blatt" ausdrücklich als wahr bezeichnete Geschichte. Zehn Personen, alles hiesige Einwohner und Einwohnerinnen, spielten in der Landeslotterie zusammen ein Zehntel. Unter den Mitspielenden befand sich auch eine Karten schlägerin, welche das Geld in Empfang nahm und die Loose zu besorgen halte. Da entschließt man sich denn vor Ziehung der 5. Clafse, einmal für die ganze Gesellschaft die Karte legen zu lassen mit der Frage: „Gewinnen wir oder gewinnen wir nicht?" Todtensttlle herrschte in dem kleinen Stübchen, als die Pythia ihr Werk begann. Das Geld (Schellen) lag immer günstig, kam oft zusammen und der Blick der alten Karten schlägerin zeigte, daß sie mit der Lage der Karten zu frieden war, doch auf einmal entsinkt ihren zitternden Händen das Kartenblatt: das rothe Carreau- war zwischen Schellenaß und Schellenzehn gefallen! „Wir gewinnen dieses Mal nichts, wir haben ein räudiges Schaf unter uns!" so rief die Meißner Lerwmnmd verzweiflungsvoll aus, legte die Karten kopfschüttelnd zu Ende und tröstete sich und die Uebrigen mit der Hoffnung, beim nächsten Mal werde man glücklicher spielen. Das räudige Schaf aber mar — wie es sich später herausstellte — die alte Kartenschlägerin selbst;