Volltext Seite (XML)
Vellage zum „Elbeblatt und Soanabeod, den 13. Juli 1889. „Ich bin nun einmal so!" ««was Beschaulicher aus der Menschenwelt. Nachdruck verboten. ES war einmal ein Mann — Nein, lieber Leser, der Du jetzt mit den Worten deS KinderreimS fortfahren willst, — eS kommt anders. Es war einmal ein Mann, wollte ich sagen, der hatte einen Rock an, — vielleicht war's auch eine Jacke, daS thut nichts zur Sache, — daS Gewand aber hatte Aermel, und in einem derselben befand sich ein Loch. So etwas kommt vor und wäre an sich nicht sehr merkwürdig; doch das war seltsam, daß der Mann nicht allein das Loch ungeflickt ließ, sondern sogar ganz stolz damit einherging, als wäre es ein Ordenszeichen oder ein Schmuck. Das that er aber, weil in seiner Brust ein Kobold saß, der ihm immer fort zuflüsterte: dies Loch im Aermel steht Dir ganz wundervoll; laß es nur ja, wie es ist, es wäre ein Abbruch an Deiner Liebenswürdigkeit, ein unersetzlicher Verlust, wenn Du eS abschafstest! — und da der Mann dies aufs Wort glaubte, blieb daS Loch un- ausgebesfert und war der Stolz seines Besitzers. „Ein Märchen!" sagte der freundliche Leser, „es giebt ja wunderliche Heilige in der Welt, aber gewiß keinen, der so in das absolut Häßliche und Ordnungs widrige, in einen Schaden oder Mangel an sich selbst verliebt sein könnte." — Meinst Du, lieber Freund? So wisse denn, daß jener Mann mit dem zerrissenen Aermel und dem ungeheuren Wohlgefallen daran, durch aus keine unmögliche Figur ist, auch keine vereinzelte Erscheinung, sondern daß ihrer so viele in der Welt umherlaufen, die ganz ebenso mit ihren Riffen und Schäden paradiren und kokettiren, wenn dieselben auch nicht gerade an ihrem Gewände, sondern in Charakter, Wesen und Eigenthümlichkeiten sitzen. Sie wissen ganz genau, daß da etwas nicht in Ordnung, aber weit davon, darüber ein Unbehagen zu empfinden, sind sie äußerst befriedigt und zeigen unveihohlen, wie große Stücke sie sich auf besagten Mangel einbilden. „Ich bin nun einmal so," pflegen solche Leute zu sagen, und in diesem Wort liegt nicht nur die stolzeste Genugthuung über das „so sein," sondern auch der feste Entschluß, unter keinerlei Umständen das wunder voll kleidsame Loch am Aermel, — wollte sagen den geliebten Fehler auszugeben. „Ich bin nun einmal so," sagt die scheuersüchtige, fanatische Hausfrau, und in ihrem armen verärgerten, stets aufgeregten oder ab gespannten Gesicht leuchtet dabei der Triumph und das Gefühl der Ueberlegenheit auf über alle die ver ächtlichen Mitschwestern, die es in der Kunst, sich und andern daS Leben schwer zu machen, noch nicht so weit gebracht haben, wie sic. Sie weiß eS ganz genau, auch wenn cs ihr nicht von allen Seiten eindringlich vorgestellt wurde, daß Niemand sich in dem unruhigen Haushalt, bei dem steten Aufräumen, Zanken und sich Abarbciten gemüthlich fühlt, daß die umhüllten Polster möbel, die umwickelten Thürklinken und sonstigen Schutzvorrichtungen durchaus keinen eleganten Eindruck machen, — sie steht, daß die Besuche allmählich aus bleiben, weil sie, die Mithin, zu jeder Zeit des Tages im Arbeitsnegligä »«getroffen wird und, bei dringendster Arbeit überrascht, stets eilig die Flucht ergreifen muß, — was thut's? sie ist doch nun einmal so. Die Dienstboten fliegen ein und aus, wie in einem Tauben schlage, aber nicht so friedfertig, sondern stets unter heftigen Auftritten, keiner genügt den Ansprüchen, keiner will bleiben, und der ewige Wechsel ist Ursache, daß wirklich nirgends so viel verdorben, zerschlagen und veruntreut wird, wie in diesem House. Madame aber zuckt bei Erwähnung dieser Uebelstände die Schultern und sagt, scheinbar bedauernd, in Wahrheit aber un endlich stolz und glücklich: „Ja, das ist alles sehr upangenehm, aber was soll ich machen? ich bin doch nun einmal so." Ihre Gesundheit leidet, sie über arbeitet, erkältet sich, fällt von hohen Leitern herunter, die sie ganz unnützerweise erstiegen, trägt unheilbares Siechthum davon und bereichert den Doktor und Apotheker, — aber daS „so sein" wird ihr um so lieber, weil eS damit den pikanten Anstrich eines Martyriums gewonnen, und wenn endlich die Kinder, für die sie weder Zeit noch Aufmerksamkeit übrig hat, mißrathen, wenn der Mann dem ungemüthlichen Heim, der unliebenSwürdigen Gattin den Rücken kehrt und seine eigenen Wege geht, wird sie noch immer jedem, der eS hören will, mit ungeschwächter Selbstgefällig keit versichern: „Ja, ich opfere mich auf und finde keine Anerkennung, — aber ich kann nun einmal nicht so sein wie andre, die bei schlecht polirten Möbeln und ungeputzten Ofenthüren dem Manne Gesellschaft leisten, Besuche empfangen und mit de» Kindern schäkern können, ich bin nun einmal so!" Genau dasselbe sagt ihr Gegenstück, die unwirthliche Hausfrau, die ihre Unfähigkeit und Unlust, sich mit so niedrigen Dingen, wie Küche, Haushalt und Kinder zucht abzugeben, mit gleicher Selbstzufriedenheit betont. Diese Regionen sind für andre, gewöhnliche Frauen naturen der richtige Wirkungskreis, nicht für sie und wenn nun täglich wegen der herrschenden Unordnung und Unpünktlichkeit die ärgerlichsten Auftritte entstehen, wenn die Kinder verwahrlosen, der ganze Hausstand in den Händen der frei schaltenden Dienstboten ver fällt, der Wohlstand zurückgeht, — was kann sie dafür? Ist es ihre Schuld, daß eine ideale Natur, ein verfeinerter Geschmack sie andern, höheren Sphären und Beschäftigungen zuweist, — etwa der Vereins welt, dem Schreibtisch, der Staffelei oder dem Piano, vielleicht auch Bällen, Concerten und Gesellschaften? Sie ist doch nun einmal so und bleibt so, ob auch der Frieden und das Glück aus ihrem Hause weichen, ob Krankheit und Tod über die Schwelle schreiten und das sterbende Kind vergebens nach der sorglosen Mutter ruft, — ob der Gatte sich ihr entfremdet und die Achtung der Welt verloren geht, — sie ist doch nun einmal so. Welch ein verhängnißvolleS Wort! Da ist der Zornmüthigc, Aufbrausende und Rücksichtslose, der sagt eS auch und bildet sich ein, ganz gewaltig damit zu imponiren, zugleich aber auch allen Folgen und Wirkungen seines ungeberdigen ThunS die Spitze ab zubrechen. „Ihr wißt doch nun einmal," sagte er, „wie ich bin, und daß ich in der Wuth nicht für meine Handlungen einstehen kann, so reizt mich also nicht." Mit diesem Bekenntmß hat er, wie er meint, das Privilegium erkauft, sinn- und zügellos den Ein gebungen seines Temperaments zu folgen und stürmt nun wie die rohe Elementargewalt auf das Gefühl, auf Ehre und Gesundheit ver Nächsten ein. Es fließen bittre Thränen, liebende Herzen bluten, die er zum Tode getroffen, Freunde wenden sich empört, gekränkt von ihm, wichtige Beziehungen lösen sich, — er wird der Schrecken seiner Umgebung, gefürchtet und gemieden, — aber nicht ein Bruchtheil möchte er von dem schönen, wunderherrlichen Zorn einbüßen, nicht um die Welt aufhören, „so zu sein." Auch er hat sein Gegenstück, den Gleichgiltigen, Phlegmatischen, der eS sich in den Kopf gesetzt hat, alles an sich herankommen zu lassen und in dieser Passivität sich höchst interessant findet. „Alle diese Geschichten," meint er, „wie Aufmerksamkeiten, Besuche, höfliches Entgegenkommen und dergleichen darf man von mir nicht verlangen, — es liegt einmal nicht in meiner Art, — was nicht zu mir kommt, das bleibt eben fort." Und es bleibt wirklich fort, zuletzt alles, was daS Leben lieb und angenehm macht. Die eigen sinnige Welt will diese Erklärung nicht als Sporn betrachten, ihm ihre Aufmerksamkeiten mit besonderer Beflissenheit entgegen zu bringen, nein, sie sagt: Wie Du mir, so ich Dir, und läßt ihn, der sich um Niemand bemühen will, einfach fallen. Vernachlässigt sieht er sich, isolrrt, ein einsamer, vergessener Mensch, aber das Loch im Aermel ist doch so einzig schön, und er hütet sich wohl, es auszubesiern. Und nun haben wir noch eine große, ganz ge fährliche Klaffe von Liebhabern des eignen Fehlers: Die Unzuverlässigen, Unbeholfenen, Zerstreuten rc., die, während sie sich und andern die ärgsten Verdrießlich keiten bereiten und zu nichts nütze sind, doch beständig auf die zärtliche Rücksicht und Bewunderung der ganzen Welt Anspruch machen, nur weil sie eben „so sind." Da giebt es solche, die immer zu ".spät kommen, keine Verabredung einhalten, an kein Versprechen sich binden, andre, die nirgends sich hin finden und das Wichtigste vergessen, wieder andere, die sich in den einfachsten Dingen nicht zu helfen wissen, mit wahrer Virtuosität unpraktisch sind und bei eiliger Arbeit, in Fällen, wo alles sich tummelt und rührt, den übrigen konsequent im Wege stehen. „Kinver," pflegen sie mit naiv schelmischem Lächeln, abbittend und stolz zugleich, zu sagen, „ihr wißt doch, ich bin nun einmal so," — und glauben damit jede Regung deS Unwillens sofort zu entwaffnen; aber die Barbaren haben merkwürdiger weise nicht daS richtige Verständniß für den holden Reiz dieser kindlichen Hilflosigkeit: man schiebt daS unnütz- Rad am Wagen bei Seite, begegnet dem Ur heber so vieler Verlegenheiten und Aergeiniffe mit unmuthiger Geringschätzung, — oder der Eigennutz beutet ihn auS, und zu den vorübergehenden Verdrieß lichkeiten gesellen sich empfindliche Verluste; — daS hindert aber alles nicht, die störenden Mängel ihrem Anzeiger." ALL, glücklichen Eigenthümer im liebenswürdigste» Licht er scheinen zu lasse», und seelenvergnügt betheuert er bei jedem noch so eutmuthigendea Anlaß: „Ja, ja, eS ist schlimm, daß ich so ein unnütze-, unpraktische«, ver geßliches Geschöpf bin, aber wa« kann ich machen? ich bin doch nun einmal so!" , Ich könnte noch eine Menge von Leuten anführenl die sich so von dem Kobold in ihrer Brust die schönsten Dinge über daS Loch in ihren Aermeln erzählen lassen und wirklich glauben, — aber ich meine, diese Beispiele genügen schon, um zu erkennen, daß man eS hier mit einem schlimmen Feinde menschlicher Wohlfahrt, menschlichen Fortschrittes zu thun hat. Line Selbst täuschung liegt hier zu Grunde, ein Irrwahn und Jedermann weiß, daß solche noch nie zu etwas Gutem geführt haben. Dabei ist Keiner von unS sicher, ob er nicht auch den Kobold in seinem Innern beherbergt, — nein, lieber Leser, auch Du nicht, glaube eS nur; — oder hättest Du nie im Bewußtsein einer Eigenheit, einer kleinen Schwäche Dir freudig gesagt, dass sie mit solcher Grazie, mit solch eignem Chik Dir keiner, keiner nachmachen könnte? Hättest Du nie ein Lorgnon ge braucht, einen fremden Dialekt gestammelt, Kränklich keit oder Nervosität zur Schau getragen, ohne daß eS gerade nothwendig war, nur von dem dunkeln Ge fühl beseelt, daß Dir daS reizend zu Gesicht stehe? — Siehst Du, Du erinnerst Dich schon, aber was war, braucht nicht wieder zu sein. Wir haben erkannt, was es mit diesem „Ich bin nun einmal so" auf sich hat. Was hindert uns, ihm den kräftigen Entschluß, hinfort nicht so zu sein, entgegenzusetzen? Wir haben erkannt, daß andre die Eigenschaften, die uns an unS selbst so entzücken, mit nüchternem, unbestochenem Auge sehen; waS hindert uns, sie ebenso zu betrachten? Die Schrift verlangt, daß wir daS Auge auSreißen, das uns ärgert, — wie sollten wir nicht den Kampf mit einer thörichten Einbildung aufnehmen, von der wir wissen, daß sie unS Frieden und Wohlfahrt, die Achtung und Liebe der Mitwelt kosten kann? — Aus zu diesem guten Streit! Wacker laßt unS arbeiten und nicht ruhen, bis wir deS Fehlers, den wir ertanr - haben, Herr geworden; und wenn ja das selbstgefällig. „Ich bin nun einmal so" auf unsre Lippen tritt, dar ;, füge unsre bessere Erkenntniß hinzu: „Ja, ich bin w, Gott sei's geklagt, — aber da ist kein Grund, llaji ich so bleiben müsse, kein Grund, daß ich mich zum Märtyrer und andere zum Opfer dieser Eigenschaften machen sollte, — und wenn die Stimme in meiner Brust mir noch so großen Unsinn zuflüstert, ich glaube doch nur, waS wahr und recht ersprießlich ist, — ich bin nun einmal so!" E. Ludwig. Etwas vom Königstein. Die furchtbare Pulverexplosion, welche in der Nawt vom 15. zum 16. Mai 188S durch einen Blitzstrahl in das Pulvermagazin unterhalb der Festungswelke des Königsteins herbeigeführt wurde und trotz aller dadurch entstandenen Zerstörungen — es flogen viele tausend geladene Geschosse mit 50 Centner Pulver geladene Kartuschen und 200000 Jnfanteriepattonen in die Luft — doch kein Menschenleben kostete wie denn auch der Wachtposten, Soldat Vogt, verhättmß- mäßig nur leichte Verletzungen davontrug, rechtfertigt einen Rückblick auf die neunenswerthen Blitzeinfchläge und sonstigen Elementarschäden, welche den hochgelegenen Festungsfelsen in früheren Zeiten betroffen haben. Zuerst wird, wie wir dem)„Lpz. Tbl." entnehmen, eines Blitz strahles im Juli 1643 gedacht, welcher in das Keller gewölbe des Königsteins einschlug, wo man eben daS 1624 von Nikol. Wolff auS Commotau erbaute be rühmte Riesenfaß mit 2222 Eimern köstlichem Weine gefüllt hatte. Der Blitz zersplitterte eine nahe dabei stehende Säule, bei deren Anblick der gerade anweseiide Kurfürst Johann Georg, mit Anspielung auf die Un einnehmbarkeit der gewaltige» Festung, tief erschüttert auSrief: „Da stehet die nackigte Jungfer Königstein«,' Der alte Hauptmann Buchhauser aber, der zu, -r, satzung gehörte, hat gläubig niedergeschrieben, ,>,) der Duft deS WeineS die Gefahr adgewendet, in n er die Substanz deS Blitzes subtil und behend lriä,l Hindurchgelaffen habe." Seitdem galt der Königstein " als Ort, wo der Wetterstrahl niemals zündete. Noch im vorigen Jahrhundert zeigte man daselbst ei, Ge wehr, daS der Blitz einer Schildwache auS der Hand geschlagen, ohne sie im Geringsten zu verletzen, während daS Gewehr verbogen und zersplittert worden war. Dagegen sind mehrere Menschen hier vom Blitz er schlagen worden. GS wurden deshalb fast sämmtliche Gebäude der Festung 1782 mit Blitzableitern versehe«, weil tief gehende Sewitter sich förmlich an den Felsen