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Umschau. Unser Kaiser erfreut sich in Wiesbaden eine- voll ständigen Wohlseins, welches in jeder Bejahung durch die Lebensweise d§S Monarchen bestätigt wild. Regel mäßig in den Vormittagsstunden widmet sich der Kaiser den Regierungsgeschäften, empfängt abwechselnd die Borträge der verschiedenen AbtheflungSchefS und unter nimmt dann eine Spazierfahrt, bei welcher ihn in der Regel seine Tochter, die Großherzogin von Baden, be gleitet. Auch beehrt der Kaiser häufig das Wiesbadener Hoftheater mit seinem Besuche. Am 1. Mai wird der Kaiser wieder in Berlin eintreffen, um einer am 2. Mai in der Umgebung der Hauptstadt stattfindenden größeren Truppenschau de« GardecorpS beizuwohnen, welche militärische Regentenpstichten der Kaiser bekanntlich mit peinlichster Sorgfalt erfüllt. — Nachrichten aus Berlin hafte» auch an der früheren Mittheilung fest, wonach zur goldenen Hochzeit deS KaiserpaareS die Kaiser von Rußland und Oesterreich und die Könige von Spanien und Italien in der deutschen Hauptstadt erscheinen werden. An diese Monarchenzusammenkunft geknüpfte Behauptungen von der Ergreifung internationaler Maß regeln gegen die Agitationen der Umsturzparteien, bleiben bis auf Weiteres aber wohl nur Vermuthungen und Combiuationen. Der BundeSrath, welcher in der letzten Zeit nur kommissarisch thätig war, wird im Laufe dieser Woche wichtige Plenarsitzungen abhalten, da noch eine reichliche Anzahl von Vorlagen des Reichskanzlers und Anträge dvk Reichstags ihrer Erledigung harren, auch muß nunmehr die noch außenstehende Entscheidung in der Frage der Eisenbahntarifreform, die dem Reichskanzler fast ebenso sehr am Herzen liegt, wie die Zolltarifre form im Bündesrathe getroffen werden. Der Reichstag hat am 28. April seine aufgcschobenen Berathungen fortgesetzt und wird, wenn sich an den früher getroffenen Dispositionen keine Aenderungen notypendig machen, wahrscheinlich am 29. oder 30. April in die hochwichtige Berathung der Zollvorlage eintreten. Der Kampf für und gegen dre neuen Zölle wird daher in den nächsten Tagen in seinem Zenithpunkte ange langen, doch wird er kaum mehr bezwecken, als daß die principiellen Freihändler und Schutzzöllner sich ein mal gehörig aussprechen, wobei es an Widersprüchen nicht fehlen wird. Einer Mehrheit im Reichstage erfreut sich schon jetzt die neue Zollvorlage, da, abgesehen von den faktischen Anhängern der Zollvorlage, auch viele Abgeordnete derselben zustimmen werden, welche in ihr den ehrlichen Versuch des Reichs kanzlers erblicken, unsere Handelspolitik in gesündere Bahnen zu bringen. Recht merkwürdig sind auch die Erscheinungen, die nach der allgemeinen Diskussion der neuen Zoll- und Steuervorlagen im deutschen Vaterland zu Tage treten. Die Handelsplätze der Nord- und Ostsee, zumal Bremen, Hamburg, Danzig und Königsberg sind gegen jede Zoll- und Steuererhöhung, die Industriestädte des norddeutschen Inlandes sind wohl gegen die Waaren-Zölle, aber die Tabaks- und Brausteuer lassen sich theilweise schon passiven, ein großer Theil Süddeutschlands und Elsaß- Lothringen sind dagegen für Waarenzölle, sind indessen von der im Bündesrathe angenommenen Brausteuer wenig erbaut. Daneben haben sich in Sachsen, Olden burg und anderen Bundesstaaten Versammlungen ge bildet, welche an die betreffenden Landesfürsten Petitionen gegen gewisse Positionen des Zolltarifs einreichen wollen, da durch diese einzelne Erwerbszweige sehr geschädigt würden. Die vom Bündesrathe gebilligte Betheiligung Deutschlands an der Weltausstellung Australiens macht eine Unterstützung von 300,000 M. nothwendig, welche der Bundesrath in eine Vorlage formulirte und dem Reichstage baldigst vorlcgen wird. Unter der Protection der Reichsregierung dürfen sich nur ungefähr 300 deutsche Industrielle, deren Ausstellungsobjekte erst vorher sorg fältiggeprüft werden, an der Weltausstellung in Australien betheiligen. Die großherzoglich badische Regierung hatte nach dem Gesetz über die französische Kriegskostenentschädigung nachträglich eine Reche von Ausgaben für gemeinsame Zwecke liquidirt. Diese Forderungen waren den ver einigten Ausschüssen des BundeSrathes für Landheer, Festungen und für Rechnungswesen überwiesen worden. Diese Ausschüsse haben jetzt beantragt, die betreffenden Forderungen mit 643,149,M. vorbehaltlich der dem Rechnungshöfe obliegenden Prüfung zu decken. Die nachträglrche Forderung ist durch eine längere Denk schrift motivirt. In Wien beging in vergangener Woche daS öster reichische Kaiserpaar seine silberne Hochzeit, -ei welch« Gelegenheit dem erlauchte» Jubelpaare die herzlichsten Glückwünsche und ErgebeuheitSadreffen aus alleuKvnsen der österreichisch-ungarischen Bevölkerung zu, Theil wurden. Der Kaiser FrM JojH hat auch i» der würdigsten Weise «jus atf hisse Kundgebungen geant wortet «ud ist noch» durch bHonhtse Gnadenact« diesem Feste eia dauerndes Denkmal ick'Herzen der öfters reichifchen Bevölkerung errichtet worden. 589 der Freiheit für würdig erachtet« Gefangene wurden vom Kaiser begnadigt. Außerdem wurde den wegen deS Vergehen« der Desertation angeklagten österreichischen Seeleute die Strafe erlassen, vierzig UniversttätSstipen- dien wurden vom Kaiserpaare , sowie eine Anzahl anderer Freistellen auch in kaiserlichen Instituten er richtet, und die Armen der Stadt Wien erhielten 10000 Gulden. Die ostrumelische Frage beschäftigt die Großmächte noch immer in ganz außergewöhnlicher Weise und ist diese Angelegenheit noch lange nicht endgültig geregelt. Feststehende Thätsache ist nur, daß Aleko Pascha von Geburt ein Grieche und ein sehr toleranter Mann, zum Generalgouverneur Ostrumeliens ernannt ist. Die türkischen Truppen sollen die ostrumelische Stadt Burgos besetzen, um die für die Türken reservirteu Rechte in Ostrumelien zu schützen und die Russen sollen einige Monate länger wegen Ausführung der inneren Organisation OstrumelienS, in dieser Provinz bleiben. Rußland und Oesterreich sind in der ost- rumelischen Frage, in welcher Oesterreich an dem Plane der gemischten Okkupation festhielt, in einige Differenzen gerathen, welche zu schlichten Rußland besondere Ursache zu haben scheint, denn der russische Diplomat Graf Schuwaloff traf am Ende der Woche in Wien ein, und hatte besondere Erklärungen seines Kaisers an den Kaiser von Oesterreich zu überbringen. In Frankreich scheint die konservative Republik angesichts des GebahrenS der Radikalen im Hinblick auf die von ihnen begünstigte Wahl des Revolutionärs Blanqui entschlossen zu sein, gegen die radikalen An maßungen Front zu machen. Der Präsident der französischen Republik soll auch durchaus geneigt sein, dem Ministerium in diesem Sinne seine Unterstützung zu verleihen und steht daher ein Conflict innerhalb der republikanischen Partei in Aussicht, da Gambetta in der Affaire Blanqui der Seite der Radikalen zuneigt. Das Fürstenthnm Serbien, welches durch einen Einfall kriegerischer Anmuten aus Albanien in eine fatale Lage versetzt worden war, hat sich mit großer Kaltblütigkeit dieser räuberischen Gäste erledigt. Ser bische Milizen griffen die Anmuten energisch an und in Kurschunelje hatten die Serben Pulverminen ge legt, mit denen sie eine Anzahl Anmuten in die Luft sprengten, worauf die klebrigen nach Zurücklassung zahlreicher Tödten sämmtlich dre Flucht ergriffen. Bei den am letzten Sonntag in Spanien stattge- fundcnen Corteswahlen hat die Regierung einen leid lichen Erfolg davon getragen. Bon 440 Abgeordneten gelten 280 für bestimmt regierungsfreundlich. Tagesgeschichte. Deutsches Reich. Berlin, 27. April. Der Reichstag tritt morgen, gestärkt durch eine mehrwöchent liche Ruhe und erfrischt durch die Berührung mit seinen Wählern, den Wurzeln seiner Kraft, zur Entscheidung über die wirthschafllichen Lebensfragen der Nation zu sammen. Eine Anzahl von Mitgliedern des Reichs tages war bereits am Sonnabend wieder hier einge troffen und zu Besprechungen über die brennenden Fragen zusammengetreten, welche den Reichstag dem nächst beschäftigen sollen. Es stellt sich dabei eine ganz eigenthüMliche Erscheinung heraus. Die Neigung, den Tarif ganz oder theilweise an eine Commission zu verweisen, hat jetzt ihre stärksten Stützen und findet fast ausschließliche Befürwortung in den Reihen des Centrums und der Rechten, wo man dem Schutzzoll am nächsten steht. Die Freihändler dagegen werden für die Plenarbnathung eintreten, weil sie wünschen, daß alle Punkte vor der Oeffentlichkeit so eingehend wie möglich berathen werden. Man glaubt, daß an eilte besondere Commission nur ein Keiner Theil des Tarifs gelangen wird. Die Anberaumung deS Beginns der ersten Berathung d«S Tarifs wird mit Rücksicht auf den Stand der FractionSberathungen erfolgen. Am hiesigen Stadtgericht ist gestern ein Nihilisten- Proceß verhandelt worden, der mit der Verurtheilung von drei wegen Vergehens gegen die öffentliche Ordnung angkklagten russischen Studenten geendet hat. SS geht auS der Verhandlung ^rr Evidenz hervor, daß die socialdemokratische Bewegung international ist »ichtnur chrer Tendenz, sondern auch ihrer Organisation nach. Liner der Angellagtea, Aron Liebermann alio« Arthur Freemann, welch« der Reihe »ach in der russischen Stadt Wilna, in London, Paris, vech» und Wien lebte, unterhielt in alle« diese« Städte», vrlche die Lentralstelleq der socialistischen Bewegung für die einzelnen Länder bilden, Verbindungen mft den hervor ragenden soeialdmiykratjscheit Führern. Hie au« ver schiedenen im Anklageakte verlesen«» Briefen hervorgeht, wird die interqptionab-nihilistrsche Bewegung in den einzelnen Ländern von Sektionen geleitet, denen eine große Macht zur Seite steht. So schreibt einer der Angeklagten: „Die Entscheidung üb« die Unterschrifts liste steht jetzt der ganzen Sektion zu"; — ferner heißt eS: „Die ausländischen Sektionen haben sich auS russisch hebräischen Emigranten zu bilden, die sich temporär im Ausland« aufhalten. „Die Sektion versammelt sich wöchentlich oder auch öfter. Mitglieder derselben sind, was bei dem russischen Nihilismus nichts Auf fälliges, auch Damen. Die „Krz. Ztg." meldet, daß das seit dem 3. v, M. im Geh. Cabinet befindliche kriegsgerichtliche Urtheil in Sachen des Untergangs der Panzerfregatte „Groß« Kurfürst" die Genehmigung Sr. Maj. deS Kaisers bisher nicht erhalten habe, vielmehr daS Erkenntniß jetzt dem Militär-Justiz-Departement zur Begutachtung überwiesen sei. DaS genannte Blatt fügt hinzu, eS könne noch lange dauern, bis daS Erkenntlich in Sachen des „Großer Kurfürst" an die Oeffentlichkeit komme. Das Militär-Justiz-Departement besteht auS dem Kriegsminister und dem Justizminister, bez. aus deren Bevollmächtigten. — In d« ersten Maiwoche werden die Versuche zur Hebung deS „Großer Kurfürst" durch die Gesellschaft Leutn« u. Co. und zwar nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, von Folkestone, sondern von Dover auS durch deutsche und englische Taucher be ginnen. Oesterreich. Wien, 27. April. Die Festlich keiten zu Ehren der silbernen Hochzeit Ihrer Majestäten sind mit heute durch den bei günstiger Witterung ab gehaltenen Festzug abgeschlossen. Die Festplätze und Tribünen waren dicht gefüllt, in den Säulenhallen links und rechts vom Kaiserzelte waren vie Staatswürden träger, das diplomatische Corps und die Generalität vertreten; im Kaiserzelte die Mitglieder des Kaiser hauses. Schlag 11 Uhr erschienen die Majestäten, worauf der Bürgermeister die Festansprache hielt, welche der Kais« huldvollst beantwortete. Nach Absingung einer Festhymne durch den Männergesangverein zogen sodann die einzelnen Gruppen des Festzuges m programm mäßig« Weise vor den Majestäten unter fortwährenden stürmischen Hochrufen vorbei. Das Fest endet« I V» Uhr und verlief in schönster Ordnung ohne irgend welchen Unfall. Peter Schuwaloff, welcher gegenwärtig hier weilt, hat, wie verlautet, Auftrag, hier die Erklärung abzu geben, Rußland könne Ostrumelien unmöglich jetzt schon räumen und müsse wenigstens eine kleine Truppenmacht dort zurücklassen. Man glaubt russischerseits, Oester reich, das noch widerstrebt, gewinnen zu können, weil Schuwaloff im Namen des Czaren eine sehr entschiedene Sprache führt und namentlich bestimmt erklärt, Rußland könne die türkischen Truppen unter keinen Umständen nach Ostrumelien kommen lassen, auch könne es die Besetzung von Burgas oder Jchtiman nicht dulden. Es wird nach Petersburger-Nachrichten behauptet, Salisbury sei für die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien gewonnen, was mit seinen früheren Aeußerungen im Parlament allerdings nicht zu vereinigen wäre ; nur Beaconsfield widerstrebe hartnäckig, auch Andrassy. Frankreich, Italien, Bismarck seien indessen gleichfalls insgeheim dem russischen Plane zur Abänderung des Berliner Vertrags geneigt. Der Sultan, QSman Pascha und die einflußreichsten türkischen Würdenträger sollen völlig in das russische Lager übergegangen und namentlich sehr gegen Oesterreich aufgebracht sein. Ob die obigen Einzelheiten vorübergehenden oder dauernden Charact« haben, läßt sich natürlich nicht durchschauen. Interessant bleibt aber immerhin diese neue diplomatische Ver schiebung früher« Abmachungen der Mächte untereinander. Frankreich. Paris, 26. April., Unter- richteterseits wird bestätigt, daß gestern eine gemein same Note Frankreichs und Englands an den Khedive abgegangen ist, worin derselbe aufgefordert wird, ge mäß den von ihm eingegangenen Verpflichtungen, englische und französische Minister zu «nennen, be züglich deren ohne die Zustimmung Englands und Frankreichs ein Wechsel nicht werde eintretea können. Großbritannien. Ueb« die Vorgänge in Afghanistan wird den „Daily NewS" auS Gundamuck Vock 24. d. gemeldet, Jakub Khan habe sich bereit erklärt, englische Abgesandte zu empfangen; Major Cavagnari werde sich demgemäß mit eia« hinreichenden EScorte nach Kabul begeben, sobald die erforderlichen Detail« geordnet sind. In Simla sind — wie man dem „Reutn'schen Bureau unter hem 23. d. rele- graphzrt— authentische Nachrichten au» Kandahar