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Beilage zum „Elbeblatt und Anzeiger". 108. Dienstag, den 16. September 1879.82. Jahrg. Tagesgeschichte. Deutsches Reich. Seit länger als einer Weih« treten die politischen Fragen unseres Vater laches vor einer Reihe von glanzvollen Begebenheiten, die jedes patriotische Herz mit Genugthuung erfüllen, zuritck. Wir meinen die Kaisertage, welche in der Prddinz Ostpreußen begannen und in Pommern fort- gMt wurden. Unser erlauchter Kaiser verstand es mit bewunderungswürdiger Stärke des Körpers und Geistes meisterhaft für die große nationale Idee, dttch Träger er ist, neuen Samen in allen Schichten der Bevölkerung zu säen. Nach Beendigung der Manöver in Bommern wird der Kaiser einige Tage in Berlin Ltmuthalt nehmen und sich dann nach Straßburg und Mkh begeben. — Derwieder einderufene Bundesrath hielt UüttrVorsitzdeSReichskanzleramtspräsidentenamMontag ein» Plenarsitzung ab, die indessen nur kurz war und der Vtttheilung der eingegangenen Entwürfe an die Aus schüsse galt. Fürst Bismarck gedenkt, dem Vernehmen der „Kr.-Z." ntH am Dienstag, den 16. Sept., Abends, hierher zutllckzukehren. Am Sonntag will, wie es heißt, der RnchSkanzler in Wien eintreffen und dort bis zum Ädsitag verweilen. Don Berlin wird sich der Fürst näH mehrtägigem Aufenthalt nicht, wie ursprünglich beävsichtigt war, nach Varzin, sondern nach Friedrichs ruhe begeben. Von dem deutschen Ausstellungs-Commissar für die Weltausstellung in Sydney, Gch.-Reg.-Rath Reuleaux ist ein Schreiben an den Hamburger Gewerbe verein gelangt, welches besagt, die Sydneyer Ausstellung weide verschiedener Ursa/,en halber die Leistungsfähigkeit deutscher Industrie nicht genügend darthun, weshalb cS von Wichtigkeit sei, die bald darauf folgende Aus stellung von Melbourne in größtmöglichster Voll kommenheit zu beschicken. Friedrichshafen, 10. September. Gestern strahlten bei Sonnenuntergang die schweizerischen und bayerischen Gebirge schon im neuen Wintertleide. Oesterreich. Wien, 12. September. Das „N. W. Tgb." meldet: Die Regierung beabsichtigt eine Steuer für Börsengeschäfte einzuführen; der Ertrag wird auf zwei bis drei Millionen angenommen. Die Besetzung des Sandschaks Novibazar durch Oesterreich ging bisher friedlich von statten, nur wollte in der Stadt Plewlje ein türkisches Bataillon nicht abrücken. Der österreichische Obercommandirende, Feldzeugmeister Herzog von Württemberg, begab sich alsbald nach Plewlje und hat wahrscheinlich das Miß- verständniß, wegen welchen das türkische Bataillon in der Stadt zu bleiben vorgab, gelöst. — Der Fürst von Montenegro, welchem zu Ehren seines einwöchent- licheu Aufenthaltes in der österreichischen Kaiserstadt viele Festlichkeiten veranstaltet waren, hat sich am 11. d. M. von Wien nach Cettinje begeben. Frankreich. In Frankreich hat man gegen wärtig nichts Besseres zu thun, als sich mit dem aus Neu-Caledonien zurückgekehrten Communarden zu be schäftigen. Die Radikalen sind voll des Lobes und der Begeisterung für ihre zurückgekehrten Brüder und die Regierungsblätter führen aus, daß eine Revolution künftig unmöglich sein werde. Belgien. In Belgien ist der Gouverneur der Kriegsschule, General Liagre, mit den Functionen des KrieaSministers betraut worden. Großbritannien. London, 12. September. Ein Telegramm des „Standard" meldet, von den afghanischen Priestern werde der heilige Krieg gegen die Engländer gepredigt. Ein Telegramm der „Daly News" aus Rangun von gestern besagt, das gesammte Personal der englischen Gesandtschaft habe Mandalay aus Besorgniß vor Ge- waltthätigkeitcn von feiten des Königs von Birma verlassen. In England beherrscht ein allgemeiner tiefer Schmerz die öffentliche Stimmung, hervorgerufen durch die Trauerbotschaft von der Ermordung der englischen Ge sandtschaft in Kabul. Die in den verschiedenen Blät tern enthaltenen Kundgebungen dieses Schmerzes sind zum Theil nicht ohne bittere Vorwürfe für die eng lische Regierung. Namentlich tadelt man die über eilte Vertrauensseligkeit, unter welcher der Friede mit Afghanistan abgeschlossen sei, und bei besten Abschluß bereits Stimmen laut wurden, welche prophe- zeiheten, daß dieser Friede neues Unheil für Eng land zur Folge haben würde. Außergewöhnliche militärische Maßnahmen, außer dem Vormarsch der an der afghanischen Grenze stehenden englischen Truppen gegen Kabul sind bis jetzt noch nicht angekündigt. Nach den neuesten sich widersprechenden Nachrichten auS Indien hat der Aufstand größere Dimensionen ange nommen. Bulgarien. Belgrad, 12. September. Eine Zusammenkunft der christlichen Fürsten der Balkanhalb insel in der eisten Ortoberhälfte zum Zweck einer Be ratung über ihre gemeinsamen Interessen erscheint als ziemlich gesichert. Die Zusammenkunft erfolgt wahr scheinlich m Nisch. An derselben werden Theil nehmen die Fürsten von Serbien, Montenegro, Bulgarien und wahrscheinlich auch der Fürst von Rumänien. Die Pforte ist, um dieselbe zu beruhigen, von dem Projekte verständigt worden. Türkei. Konstantinopel, 12. September. Anläßlich der von der Pforte beabsichtigten Einführung eines neuen Patentgesetzes haben die Vertreter der aus wärtigen Mächte sich in einer Collectivnote gegen die mit dem Gesetze verbundene Steuer ausgesprochen, weil dieselbe unter Außerachtlassung jedes vorgängigen Ein verständnisses festgestellt sei. Die Pforte gedenkt in Folge dessen den Zusammentritt einer gemischten Com mission vorzuschlagen, welche die Frage von seitens der Vertreter der Mächte aufgestellten Gesichtspunkten aus prüfen soll. — Die Nachrichten aus Diarbekir lauten befriedigender; die Ruhe im Lande ist durch die Ver treibung der revolutionären Elemente wiederhergestellt und haben die neuen in dem ganzen Bilajet eingesetzten Gerichtshöfe ihre Functionen begonnen.— Der Khcdive von Aegypten, Tewfik Pascha, wird nächsten Donners tag hier erwartet. Er wird von 2 Adjutanten des Sultans in den Dardanellen begrüßt werden. Im türkischen Ministerium scheinen die schon seit Langem schnell aufeinander folgenden Ablösungen noch nicht eingestellt werden zu sollen. Es wird aus Con- stantinopel gemeldet, daß der Best-nd des Cabinets Aarifi-Savfet neuerdings als sehr bedroht bezeichnet werde. — In dein griechisch-türkischen Grenzconflict, welcher nach den letzten Mittheilungen einen bedroh lichen Charakter annehmen zu wollen schien, dürfte nach einer Meldung aus Constantinopcl eine Wendung zum Besseren eingetreten sein. Spanien. Die Hochzeit des Königs Alfons XII. von Spanien hat der am 7. September in La-Granja abgehaltene Ministerrath auf den 20. November als den 22. Geburtstag des Königs festgesetzt. Auch wurde dem Ministerrath vom König ein Brief von der Königin Isabella mitgetheilt, in welchem sie der Hochzeit ihres Sohnes beizuwohnen wünscht. Jin königlichen Residenzpalaste zu Madrid sind jetzt bei 300 Arbeiter beschäftigt, um denselben schleunigst in Stand zu setzen. Der Speisesaal in demselben wird — wie es heißt — alles in dieser Art Dagewesene übertreffen. Vermischtes. * Kinder-Erkrankung. Aus Freienwalde a, O. wird unterin 8. d. M. der „Voss. Ztg." ge schrieben: Ein schweres Unglück ist über das eine halbe Meile von hier entfernte zum Königsberger Kreise gehörige Dorf Brahlitz durch eine ausgedehnte Kinder- Erkrankung hereingebrochen. Ein Arzt aus Zehden hat nämlich dort in der vergangenen Woche die sämmt- lichen zwölfjährigen und die kleinen Kinder geimpft, und diese alle — es wird die Zahl 70 genannt — sind erkrankt, mehrere sogar gestorben. Man ver- muthet, daß eine Blutvergiftung durch ungesunde Lymphe stattgefunden hat. Eine Untersuchungs-Com mission, bestehend aus dem Kreisphysicus, Kreiswund arzt, Staatsanwalt und einein Medicinalrath ist seit mehreren Tagen in Tätigkeit. Mehrere von den verstorbenen Kindern sind bereits obducirt worden und es scheinen die Obduktionen ihr Ende noch nicht er reicht zu haben. * Die Angewohnheit vieler Frauen, Nadeln in Tüchern und Kleidungsstücken stecken zu lasten, hat in der Fa milie eines Berliner Eisenbahnbeamten ein beklagens- werthes Unglück herbeigeführt. Die sechzehnjährige einzige Tochter desselben, ein blühendes Mädchen, legte sich am Freitag Abend zum Fenster heraus, um die Ankunft der Eltern zu erwarten. Um sich gegen die kühle Nachtluft zu schützen, holte sie auS dem Hinter zimmer ein Tuch, welches die Mutter gewöhnlich des Morgens zu benutzen pflegt, warf dasselbe schnell über den Kopf und zog es dicht zusammen. In demselben Augenblick aber stieß sie einen furchtbare» Schrei aus und sank bewußtlos zusammen. Das herbeieilende Dienstmädchen fand das Mädchen am Boden liegen. Eine jener großen Nadeln mit schwarzen Glasköpfen war ihr in das linke Auge gedrungen und hat die Sehkraft desselben vernichtet. * In Lindau am Bodensee in der Wirtschaft „zum Schiff" saßen Wirth und Wirthin mit mehreren Gästen, mit Schiffern, Dienstboten und Tagelöhnern Abends am Tisch, um zu esse», die Petroleumlampe über dein Tisch brannte schlecht und die Dienstmaad Schäch holte auf Befehl einen großen Blechtasten mit Petroleum, der 10—12 Liter enthielt, herbei und goß aus ihm Petroleum in die Lampe. In demselben Augenblicke that es einen Knall wie ein Kanonenschuß, das Petroleum entzündete sich, die Stube stand in Hellen Flammen und fünf Menschen waren zur lebendigen Feuersäule geworden. Drei Männer, über und über brennend, sprangen zum Fenster hinaus, die übrigen rannten verwirrt hin und her, bis die Feuerwehr kam und sie rettete. Fünf Menschen sind den furchtbaren Brandwunden erlegen, einer, der Schiffer Möller, war zur Kohle verbrannt, die meisten sind schwer verletzt und liegen im Krankenhaus. * Die Frau Pfarrerin. Aus einem Orte bei Kreuz an der Ostbahn wird folgender drollige Fall mitgetheilt. Der Herr Pastor war nach Berlin gereist, hatte aber versprochen, Sonnabend Abend zurück zu kommen, so daß er am Sonntag die Predigt selbst halten konnte. Daraufhin reiste der Cantor des Ortes Sonnabend Mittag, nachdem ihm nochmals von der Frau Pastorin mitgetheilt worden, daß er keine Bibel lesung zu halten brauche, nach Halle zu Verwandten. (Es ist nämlich an den Orten nur einen Sonntag um den andern Predigt, an den Zwischen-Sonntagen findet nur eine Vorlesung aus der Bibel statt.- Unglücklicher weise aber war der Herr Pastor in Berlin verhindert worden abzureisen und telegraphirte deshalb Sonntag früh, der Cantor solle aus der Bibel lesen. Unter dessen war auch der Letztere bereits 60 Meilen vom Hanse fort und in Halle eingetroffen. Die Kirche hatte sich inzwischen, als Vr9 Uhr die Depesche ein traf, mit Andächtigen gefüllt, und die Zeit des Be ginnens der Predigt war fast herangekommen, als die Frau Pastorin schnell entschlossen ein schwarzes Kleid anzieht, die Kirche betritt und zur Verwunderung der Gemeinde die Predigt über das Gleichniß vom unge treuen Haushalter verliest. * Eine merkwürdige,Schildkröte. Man weiß, daß die Schildkröten ein ungemein zähes Leben haben; es werden Beispiele citirt, daß einige dieser Thiere 200 Jahre alt geworden sein sollen. Eine interessante Bestätigung dieser Thatsache wird nun der Wiener Presse aus Florida gemeldet. Im Monat Juli fing ein dortiger Pflanzer in dem Saint-Jean- Flusse eine große Schildkröte, deren Alter gewiß mit 200 Jahren angenommen werden kann. Auf ihrem Rückenpanzer fand man zur allgemeinen Verwunderung folgende Inschrift: „Gefangen im Jahre 1700 von Hernanda Gomez im Sebastianflusse; später durch Indianer nach Matanzos und von da in den Großen Wekiwa gebracht." Der Große Wekiwa ist der alte Name des Saint-Jean-Flusses. Ueber der Inschrift konnte man ganz deutlich das Wappen von Spanien und die Jahreszahl 1700 wahrnehmen. Zu dieser Zeit besaßen die Spanier noch Florida, welches sie erst 1821 an die Vereinigten Staaten abtraten. Nachdem der erwähnte Pflanzer seinen Fund mehreren Personen gezeigt hatte, schenkte er dem Thiere die Freiheit wieder, jedoch nicht ohne vorher zu der alten Inschrift eine neue und die Jahreszahl 1879 hinzugefüzt zu haben. Literarisches. In Bezug aus die Umgestaltung der deutschen Rechtspflege, welche im Jahre 1871 mit der Reichsverfass.mg begann und am I. Oktober 1879 durch das Inkrafttreten der RcichSjuftiz- gesetze ihre Beendigung erreichen wird, darf es wohl al« ein glücklicher und zeitgemäßer Gedanke bezeichnet werden, daß die Verlagsbuchhandlung von Reinhold Frövel in Leipzig sich der Aufgabe unterzogen bat, für das große Publikum ein Taschenbuch des deutschen Rechts, welches ln gedrängter Form die Reichsgcsctze, Ncichsverfassung, Bürgerrecht, Militär- und Verkehrswesen, Strafgesetzbuch, Gewerbeordnung, Handels- und Wechselrccht, Zollgcsetz u. s. w. und die am l. Octobcr in Kraft tretenden Reichsjustizgcsctze nebst einem erklärenden Wörterbuchs hcrauSzugeben. Dieses Taschenbuch des deutichen Recht» kostet elegant gebunden nur 3 Mk. Ll> Pf. oder ist auch in allen Buch handlungen in Lieferungen L S0 Pf. zu beziehen wcshalo das Buch wohl Anspruch darauf hat, als die billigste Ausgabe des deutschen Rechts zu gelten. In demselben Verlag er schien auch ein Supplementband zu den Justizgesetzcn: Ge jammtes GcrichtSkostcnwesen, enthaltend Gerichtskosten- gesctz, Gebührenordnung für Zeugen, Sachverständige und Ge richtsvollzieher und Gcbührrnordnung für Rechtsanwälte. Preis elegant cartonnnt 1 Mark. Bausteine, Jlluftrirtcs MonatSblalt für innere Mission, Nr. 135, enthält: Grundsätze der kirchlichen Armenpflege. (Schluß.) — Die Fürsorge für die Epileptischen. (Schluß) — Die Herberge zur Heimath !n ihrer Bedeutung für daSpand- werk. (Schluß) — Eine Brüderconferenz im Rauhen Hanse. — Kurze Rittheilunzen: Magdalenenasyl in Hannover. —