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Beilage M Nr. 61 des Elbeblsttes und APeigers. Dienstag, den 2. August 181V. Gegenseitig. (Zcryktzung aus Nr. dS.) Er wagt er endlich, Len Zustand seiner Inneren in einem Briese essen darzulcgen. Ehrliche, treue Worte find eS, welche der Mann dem Manne schreibt. Er bittet, der Vater möge dar Herz seiner Kindes prüfen, und wenn cs empfände wie da« seinige, Ja und Amen zu dem Bunde sprechen. Er vergehen bange Stunden der Erwartung.... Da KM die Antwort ein, und siehe! sie ist bejahend; Sophie fühlt wie Eduard, und der greise Pfaner segnet den Bund der beiden für einander schlagenden Herzen. Nun begann ein heitere-, seliges Liebeslebcn. Bald wurde die Verlobung öffenllich bekannt gemacht, und viele innige Thcilnahme zeigte sich von allen Seiten. Ein musikalischer Freund LeS Oberpostsecretairs zog sogar hinaus init einer Schaar lustiger SangeSbrüdcr nach dem Dörfchen, und der Braut wurde eine Nacht musik gebracht, welche in Heimsen noch lange den Gegenstand des verwunderungsvollsten Gespräches bil dete. Alle seine freie Zeit brachte Röbcn in dem Pfarrhaus« zu; und überdies trat eine Corrcspondenz ins Leben, die von beiden Liebenden gar emsig ge führt, bald zu einem stattlichen kleinen Bande heran wuchs. Was die Braullcutchen einander so Wichtiges zu schreiben hatten — Gott all. in mag es wissen; zu vermuthen ist, Laß sie das Thema: „Ich liebe Dich, Du liebst mich," aus alle nur denkbaren Arten variirten. Groh wie die Freude, wenn Eduard, nachdem er vielleicht einige Wochen lang durch den Dienst gefesselt gewesen, dann eines Sonntags wieder in Heimsen ein traf; wenn er niit seiner Sophie eine Sonate oder eine Ouvertüre vierhändig spielen, wenn sie ihn mit einer neuen Skizze ihrer kunstgeübten Hand — sie war Dilettantin im Malen und von nicht gewöhnlicher Begabung — überraichen konnte. Dann waren Beide glücklich wie die Kinder, und die Eltern fühlten im Hinblick auf das junge Paar, in der Erinnerung an Len Lenz der eigenen Liede, selbst wieder jugendlich. So nahm denn Alles den erfreulichsten Lauf. Der erste Schatten, welcher den Himmel dieser Zufrieden heit trübte, war Eduards plötzliche Versetzung nach dem ferneir Grünau. Die Einsamkeit, in welche er sich aufs neue geworfen sah, erschien ihm jetzt doppelt qualvoll; und als er von dem Oberpostdirector die feste Zusage der Stelle erhalten, welche er zunächst commissarisch verwaltet, reiste in ihm der Entschluß, seine Sophie sogleich hcimzuführcn, und sich so eine trauliche Häus lichkeit zu gründen. Der Ausführung dieser Entschlusses lag nichts im Wege, und Röbcn hatte seinem neuen Wirkungskreise noch keine sechs Monate vorgcstandcn, als die Trauung ganz in der Stille in der kleinen Pfarrkirche zu Heimsen vollzogen wurde. Der Valcr Sophiens legte die Hände des jungen Paares ineinander; der Text seiner Weihrcde lautete aus dem Psalter: „Wo der Herr nicht das Haus bauet, so bauen umsonst die daran bauen." Seine Worte, schlicht und fromm, machten einen ergreifenden Ein druck; der Segen, Len er sprach, kaum — man fühlte es — aus dem Innersten eines tief bewegten Ge- müthes. Sophie Röbcn war in der neuen Hcimalh bald zu Hause, der herzlich Guten kam Jedermann bald mit Wärme entgegen, und in der Liebe zu ihrem Eduard überwand sie bald die schmerzliche Trennung von Eltem und Geschwistern. Stille Tage verbrachten die Gatten in dem kleinen Städtchen; ihr Leben floß heiter und gleichmäßig dahin. Aber im Besitze der seltenen und schönen Kunst, ihr« Welt in der eigenen Brust zu finden, entbehrten Beide Las rauschende Treiben der Großstadt nicht. So gingen mehrere Monden dahin, ass eines Tages Eduard seiner Frau die Mittheilung machte, ein Be kannter von ihm, der Advocat vr. juris Wander aus der Provinziaihauptstadt, habe ihm gemeldet, daß er einigen Sitzungen des Grünauer Gerichts beiwohnen müsse, da er in einem sehr wichtigen Proceh, einer Eheschcidungssache, die schon osus« eelsbre sei, die Vertheidigung übernommen habe. So hatte dieser an- gefragt, ob er während der kurzen Zeit seines Aufent halte- in Grünau bei Röben Wohnung nehmen könne, da die Gasthöfe so kleiner Orte meist eben so schlecht als thcUer zu sein pflegten. Sophie, welche als Hausfrau dar entscheidende Wort zu sprechen hatte, billigte des Adpocaten Wunsch mit größter Bereitwilligkeit und beeilt« sich, ihre Frem denzimmer würdig zuui Empfange der Gaste- herzu richten. Wenige Wochen später kaf dieser ein: ein ele ganter junger Mann, der mit einem gewissen zuversicht lichen Auftreten eine sichere, gewandte Beherrschung feinster Form verband. Obgleich die beiden Bekannten mit einander in letzter Zeit wenig Verkehr gehabt, nahm Röbcn den Erwarteten dennoch gütig auf, und Wander war Diplomat genug, schleunig alle alten Beziehungen wieder hervorzusuchen, um La« zwischen ihm und Eduard etwas gelockerte und wohl niemals sehr innige Freundschastsband neuerdings fest zu knüpfen. Er war uuch so glücklich, bei Röben für seine Bemühungen den günstigsten Boden zu finden; dieser war erfreut, in Wander einen angenehmen, stets heiteren Gesell schafter für sein sonst ziemlich einsame« Hau« zu haben. Der junge Advocat sühlte sich nach wenig Tagen schon gänzlich heimisch bei scineni Bekannten, und nicht besser glaubte er die genossene Freundschaft vergelten zu können, als wenn er sich gegen dessen jungen Frau so galant als möglich betrug, ja, ihr gelegentlich stark den Hof machte. So finden wir die drei Bewohner des Hauses eines Morgens in dem zweckdienlich ausgeftatteten Eß zimmer, welcher eine freundliche Aussicht auf den Garten gewährte, an dem Frühstückstische; die Ober- postsccrctairin, der das zierliche Morgcnhäubchen aller liebst zu Gesichte stand, machte in anmuthigster Weise die Wirthin. „Ist Ihnen noch eine Tasse gefällig, Herr Doctor?" Mit einem leichten Seufzer, der indessen keineswegs von Herzen zu kommen schien, entgegnete der Gefragte: „Ich danke Jbnen, gnädige Frau." „Ich danke — !" ahmte ihm Röben spöttisch nach. „Wahrhaftig, Wander, ich kenne Dich nicht mehr. Du bist wie ausgetauscht! Du seufzest hohl, schlägst die Augen nieder, nimmst eine trübe Miene an — während Du sonst die Lustigkeit, die Ausgelassenheit selber warst. Woran liegt das?" „Vielleicht findet der Herr Doctor unser stilles Grünau ein wenig langweilig," nahm Sophie das Wort. „Freilich, wer an das bunte, wechselvolle Treiben der Großstadt gewöhnt ist. . . ." „O, verehrte- Frau!" begann Wander mit Em phase ; „gestatten Sie mir, zu versichern, daß ich mich in meinem ganzen Leben nie glücklicher, nie zufriedener gefühlt habe, als hier, in dem idyllischen, lieblichen Orte, fern von dem erschlaffenden, rastlosen Gewühl der Großstadt." „Man merkt, daß Sie gewöhnt sind, sich auf dem Parquctboden des Salons zu bewegen." „Wie so, meine Gnädige?" „Wie fein war nicht ihre Umschreibung von „lang weilig " — mit „ idyllisch!" Es sollte einer einfachen Landbewohnerin schmeicheln!" „Ah — ah — Frau Oberpostsecrctair! Pardon, wenn ich mich gegen den ungerechtfertigten Verdacht verwahre, welchen Sie gegen mich zu haben scheinen — wenn ich bemerke, wie sie zwischen „ Landbe wohnern" und „Großstädtern" eine durchaus nicht zutreffende Unterscheidung machen! Wen nennen Sie einen Landbewohner? Ohne Zweifel Jemand, der in dem kindlichen Glauben lebt, die Welt sei hinter dem Kirchlhurme seine- Dorfes zu Ende. Was ist aber ein Großstädter? Nichts Anderes, als ein Mensch, welchen der nicht minder lächerliche Gedanke erfüllt: nur er sei in der Welt etwas «erth; nur seine Witze seien witzig, nur die Gegenstände, für welche Er In teresse empfindet, seien der Beachtung würdig. Kurz: ein Großstädter ist ein Mann, dessen Horizont seine Stadtmauer einschlicht, wie der des Landbewohners Lurch seinen Kirchthurm abgearenzt wird. Aber läuft Las nicht im Grunde auf das Nämliche hinaus? Beide sehen nicht über das nächstliegende hinweg, und in der Stadtmauer, oder dem Kirchlhurm liegt der einzige Unterschied." „Man merkt, daß Du ein Rechtsverdreher bist!" lachte RKben. „Du scheinst meine Ausführungen lediglich als Re sultat spitzfindiger Dialektik anzuschen!" sagte der Advocat. „Aber greife in Dein« eigene Brust. Hand aus's Herz, bist Du hier in Grünau nicht glücklicher als vordem in der Provinziaihauptstadt? Du hast eine angenehme gesellschaftliche Stellung, hast eine reizende Wohnung, eine liebenSwerthe Frau . . ." „Und was hindert Sie," fiel Sophie verlegen er- röthend ein, „sich ein gleiches Leben zu bereiten?" „Ah, meine Gnädige!" rief der junge Mann mit einem abermaligen bohlen Seufzer: „nicht Jeder zieht in der Lotten« der Eh« das große Loos! — da- Erste, was ich von meiner Gattin verlangte," fuhr er fort, indem er träumerisch vor sich hinautblickte,„>»äre voll kommene Uebereinstimmung mit meiner Art, zu denken und zu empfinden. Es würde mir unmöglich sein, mein ganze- Dasein mit einem Wesen zu vertrauern, welcher für die Poesie des Lebens unempfänglich wäre. War es gestern Abend zum Beispiele nicht ein er habener, ein feierlicher Augenblick, als wir stumm da saßen, in die Betrachtung Le- großartigen Schauspiel- der untergehenden Sonne versenkt... am fernen Horizonte die blauen Berge, deren Gipfel von den letzten Strahlen de- scheidenden Feuerballs noch goldig erglühten, indeß im fernen Thal schon die weißen Nebel ausstiegen und der Mond am Himmel sichtbar wurde? Wie da plötzlich durch den stillen Gottcsfrieden der Natur die Abendglocken erschallten . . ." „Tausend!" unterbrach ihn Röben ironisch. „Du schilderst da- ja, als ob man cs in einem Romane läse! Ohne sich beirren zu lassen, fuhr Wander fort: „Nicht wahr, gnädige Frau; Sie gestehen, das pracht volle Schauspiel hat auch auf Ihr Herz einen unaus löschlich tiefen Eindruck gemacht. . ." Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Und nun denken Sie sich das schreckliche Geschick, an ein zweites Wesen gekettet zu sein, welches für solche Erhabenheiten keinen Sinn, kein Gefühl hat . . ." „Noch eine Tasse, liebe Sophie, ehe der Kaffee kalt wird!" wandte sich Röben an seine Frau. Dann sagte er zu dem Advocate»: „Wenn Dir der Sonnen untergang so sehr gefallen hat, so können wir ihn ja heute noch einmal genießen. Ich hätte sonst gedacht, Du würdest mit mir der Zerstreuung halber ein wenig angeln!" „Der Fischfang ist allerdings eine höchst zer streuende Besckäfligung!" warf Wander spöttisch ein. „Inzwischen ist es neun Uhr geworden, und ich muß auf Las Postamt." „Und ich in Las Gerichtsgebäude, den voraussichtlich letzten Termin in meinem Ehcscheidnngsprocesse abzu halten. Ich bin so glücklich gewesen, die Sache meines Clienten bi- jetzt mit Glanz zu führen. Alles steht gut; mir sagt mein Herz, ich werde siegen!" „Meinen Glückwunsch dazu! So komm denn und laß uns selbander gehen!" Die Männer verabschiedeten sich. Als die Oberposlsccrctärin allein war, schritt sie hinauf in das obere Stockwerk. Sie ging in den Salo», öffnete einen dastehenden eleganten Damcn- secrctär und begann Papiere und Schreibzeug hervorzu suchen. Dann setzte sie sich, überlegte einen Moment, und bald flog die Feder schnell und emsig über das kleine Heft dahin. Es war ihr Tagebuch, an welchem Sophje schrieb. Bei dem Abschiede aus der Pension hatte sie mit ihrer Freundin Emilie — mit jener schlanken Blondine, welche am Postwagen so bewegten Abichied von ihr nahm — verabredet, daß Beide sich häufig schreiben wollten, daß aber vor allen Dingen jede nach ihrer Verheiratung ein genaues Tagebuch führen und das selbe nach dem Ablaufe jeden Vierteljahres gewissenhaft der Freundin einsenden iolle. Den nächsten Anlaß zu diesem heiligen Versprechen hatten die Mädchcnträume vom zukünftigen Geliebten gegeben; kindliche Phan tastereien, welchen die beiden jungen Pcnsionssräulcin in lauen Sommernächten nachzuhängen pflegten. Un verbrüchlich Wort zu halten, hatte man sich streng gelobt; unbedingte Offenheit in den gegenseitigen Mit teilungen war vornehmstes Gesetz. Sophie hatte sich dieser Abrede, an welche Emilie noch in der Scheide stunde dringend gemahnt, rechtzeitig erinnert, und war auch der Briefwechsel sehr bald eingeschlafcn, so wollte die junge Frau der Freundin doch durch das Tagebuch beweisen, daß sie ihrer nicht vergessen. Sie hatte daher die Abwesenheit ihres Mannes während der Bureau stunden fleißig zum Schreiben benutzt, das Geschriebene indessen sorgfältig vor ihm verborgen. Das erste Vierteljahr war verflois-n, und die ihres gegebenen Wortes Gedenkende wollte nur einen passenden Schluß entwerfen, um das Ganze dann an die Freundin zu entsenden. Noch war sie emsig mit Schreiben beschäftigt, als Eduard zurücklehrte. Es war nicht das erste Mal, daß er sie, die Feder in der Hand, ganz vertieft in ihr Manuscript, angetroffen hatte. Auch heute stand er, em stummer Zuschauer, schon kurze Zeit auf der Schwelle, als ihn die Gattin gewahrte. „Ah — siehe da, Eduard!" rief sie, räumte ihre Utensilien zusammen und verschloß den Schreibüsch, dessen Schlüssel sie wieder an sich nahm. „Schoa zurück?" ,Zch komme Dir doch nicht zu früh?" ,Kelche Frage?"